„Herr X ist leider verhindert“
Von den Besonderheiten des Einsatzes von Vertrauenspersonen und deren Sperrerklärungen für die Hauptverhandlung
Von Oberstaatsanwalt Dr. Sören Pansa und Staatsanwalt Dr. Felix Doege, Schleswig/Kiel1
1 Einleitung
Verdeckte Ermittlungsmethoden gehören, insbesondere im Bereich der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, oftmals zum Alltag polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit. Dies resultiert aus dem typischerweise konspirativen Vorgehen der Zielpersonen, welches andere Ermittlungsmaßnahmen wenig erfolgversprechend erscheinen lässt. Diese Klientel meidet aufgrund befürchteter Überwachung oftmals die Nutzung technischer Geräte. Tatrelevante Kommunikation findet daher nur bei persönlichen Treffen mit streng reglementierten Personenkreisen statt. In diesen schwierigen Konstellationen können durch die Nutzung „menschlicher“ Ermittlungswerkzeuge dennoch Erfolge erzielt werden. Hierzu zählen sog. Vertrauenspersonen (VP). Jedoch sind sowohl deren Einsatz als auch die Nutzung der gewonnenen Erkenntnisse in einer späteren Hauptverhandlung mit zahlreichen potentiellen Hindernissen verbunden. Diesbezüglich ist nunmehr eine Entscheidung des 2. Strafsenates des Bundesgerichtshofes ergangen, welche erfreulicherweise klarstellt, dass es so viele Probleme hinsichtlich der Verwertbarkeit wohl gar nicht gibt.2 Anlass genug, sich mit diesem Themenkreis (mal wieder) vertieft auseinander zu setzen.
Wer sich ferner für den Einsatz weiterer personaler Ermittlungswerkzeuge, wie Informanten, den Verdeckten Ermittler (VE) und den nicht offen ermittelnden Polizeibeamten (noeP) interessiert, dem seien die Beiträge in der „Kriminalpolizei“ 3/2021, 13 ff. und 4/2021, 8 ff. ans Herz gelegt. Bezüglich VP sowie aller übriger genannter personaler Ermittlungswerkzeuge, mit Ausnahme des Verdeckten Ermittlers gem. §§ 110a ff. StPO, existieren keine ausdrücklich auf diese bezogenen Gesetzesvorschriften. Regelungen finden sich lediglich in Anlage D der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) bzw. in ministeriellen Erlassen auf Landesebene.3 Im Folgenden soll zunächst allgemein auf das Institut der VP eingegangen und anschließend das bezeichnete Urteil erläutert werden.
2 Vertrauenspersonen (VP)
Vertrauenspersonen gehören keiner Strafverfolgungsbehörde an und sind bereit, diese bei der Aufklärung von Straftaten auf längere Zeit vertraulich zu unterstützen, wobei ihre Identität grundsätzlich geheim gehalten wird (RiStBV Anl. D, I. Nr. 2.2). Der Einsatz einer VP kommt grundsätzlich nur bei schweren Delikten, etwa aus dem Bereich der Betäubungsmittel- und Organisierten Kriminalität in Betracht. Straftaten unterhalb dieser Schwelle können ebenfalls hierfür ausreichen, wenn durch deren vermehrtes Auftreten die Erfüllung öffentlicher Aufgaben oder die Allgemeinheit in erheblichem Maße gefährdet erscheint (RiStBV Anl. D, I. Nr. 3.1). Diesbezüglich ist etwa an Straftaten i.S.d. §§ 242, 243 StGB zu denken, wenn diese aus international operierenden Bandenkonstrukten oder Clanstrukturen heraus begangen werden. Die Entscheidungen bezüglich der Zusicherung der Vertraulichkeit treffen grundsätzlich der Behördenleiter der zuständigen Staatsanwaltschaft bzw. ein besonders bezeichneter Staatsanwalt und auf polizeilicher Seite die „Leitungsebene“ (vgl. RiStBV Anl. D, I. Nr. 5.1). Obwohl VP vergleichbar mit Verdeckten Ermittlern seitens der Strafverfolgungsbehörden oftmals in umfangreichen Ermittlungskomplexen gegen bestimmte Beschuldigte eingebunden werden, sind die §§ 110a ff. StPO auf diese nicht anwendbar.4 Jedoch stellen die RiStBV und entsprechende Erlasse aufgrund ihrer Rechtsnatur als interne Verwaltungsvorschriften bzw. innerdienstliche Weisungen im Sinne des § 146 GVG keine tragfähige Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe dar.5 Insofern wird sich daher über die Anwendung der §§ 161, 163 StPO beholfen, welche als für den Einsatz der VP ausreichende Rechtsgrundlage angesehen werden.6 Mangels weiterer gesetzlicher Vorschriften waren daher in der Vergangenheit bereits zahlreiche Konstellationen der Beweisgenerierung durch VP und deren Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung. So ist etwa die Zeugenaussage einer Vertrauensperson über Äußerungen von Angehörigen des Angeklagten auch dann als verwertbar angesehen worden, wenn die Angehörigen in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machten. Dies resultiert grundsätzlich aus dem fehlenden Vernehmungscharakter der Handlungen einer Vertrauensperson.7 Eine weitere grundsätzliche Frage betrifft die Auswirkung einer Sperrerklärung für die Teilnahme der VP an der Hauptverhandlung auf die Verwertbarkeit der erlangten Informationen. Hiermit beschäftigt sich unter anderem das bereits bezeichnete und nun detailliert darzustellende Urteil des 2. Strafsenates des Bundesgerichtshofes.
3 Urteil vom 15. Februar 2023 – 2 StR 270/22 –
Das Landgericht hat zwei Angeklagte wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt, im Übrigen jedoch wegen mehrerer ebensolcher Tatvorwürfe freigesprochen. Begründet wurden die Freisprüche mit einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Angaben einer Vertrauensperson. Auf den diesbezüglichen durch das Landgericht festgestellten Sachverhalt geht der Bundesgerichtshof ausführlich ein:
Anfang Juni erhielt das Landeskriminalamt von einer Person, der durch die Staatsanwaltschaft Vertraulichkeit zugesichert wurde, den Hinweis, dass der Angeklagte A seit etwa einem halben Jahr Handel mit Kokain und Marihuana treibe. Er könne regelmäßig über Marihuana im Kilogrammbereich verfügen. Durch den Hinweisgeber wurde die Vermutung geäußert, dass der Angeklagte A die Betäubungsmittel von dem Angeklagten B erwerbe. Aufgrund dieses Hinweises wurde die Vertrauensperson mit dem Decknamen V eingesetzt, bei der es sich nicht um den Hinweisgeber handelte. Die Vertrauensperson V erwarb am 15. Juni vom Angeklagten A 1 Kilogramm Marihuana. Nunmehr beabsichtigten die Ermittlungsbehörden, eventuelle Mittäter des Angeklagten A und den Lagerort der Betäubungsmittel zu ermitteln. Die Vertrauensperson V sollte nunmehr von dem Angeklagten A ein weiteres Kilogramm Marihuana ankaufen. Hierzu traf sich V mit dem Angeklagten A am 2. Juli. Dieser begab sich sodann zur Wohnung des Angeklagten C. Bei ihm holte er 1 Kilogramm Marihuana und übergab dieses im Austausch gegen Bargeld an V. In der Folge sollte ermittelt werden, ob der Angeklagte A auch weitere Betäubungsmittelarten, insbesondere Crystal Meth, im Angebot hatte. In der Zeit zwischen dem 2. Juli und dem 10. Juli vereinbarten der Angeklagte A und die Vertrauensperson V die Übergabe von weiteren fünf Kilogramm Marihuana. Zudem sollte an V auch eine unbekannte Menge eines unbekannten Betäubungsmittels, mutmaßlich 500 Gramm Crystal Meth, übergeben werden, was jedoch durch den Angeklagten A kurz vor dem Treffen abgesagt wurde. Am 10. Juli gegen 19 Uhr begaben sich die Angeklagten A und B zur Wohnung des Angeklagten C. Die Vertrauensperson V wartete absprachegemäß in einem Fahrzeug vor dem Mehrfamilienhaus. Die Angeklagten A und B stiegen dann in das Fahrzeug ein, wobei sie eine Plastiktüte mit 5 Kilogramm Marihuana bei sich trugen. Darauf erfolgte der Zugriff der eingesetzten Polizeibeamten, wobei auch der Angeklagte C beim Verlassen des Gebäudes festgenommen wurde. Das Landgericht hat ein Verwertungsverbot hinsichtlich der Angaben der wegen einer vollumfänglichen Sperrerklärung in der Hauptverhandlung nicht vernehmbaren Vertrauensperson V angenommen und dieses auch auf den polizeilichen Vernehmungsbeamten sowie der mit dem Einsatz der Vertrauensperson zusammenhängenden akustischen Überwachung außerhalb von Wohnraum gemäß § 100f StPO erstreckt.
Diesen Wertungen des Landgerichts begegnen zahlreiche rechtliche Bedenken. Hierbei geht der Bundesgerichtshof revisionsrechtlich bedingt jedoch nicht auf sämtliche Problemfelder ein. Die Autoren stellen daher im Folgenden auch solche beachtenswerten Aspekte ausführlich dar, welche in dem Urteil nur marginal bzw. nicht angesprochen worden sind.
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