Kinder im Ermittlungsverfahren
Möglichkeiten und Grenzen der Vornahme strafprozessualer Maßnahmen (Teil 2)
Selbstverständlich ist das Einschreiten auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendhilfe an eine gewisse Eingreifschwelle gebunden. Es macht aber auch keinen Sinn, das was aus kriminologischer Sicht allgemein bekannt ist, nämlich, dass Kinder- und Jugendkriminalität ubiquitär und episodenhaft ist, bei jeder Bagatellhandlung staatlich zu bewerten. Es gehört zur normalen Entwicklung junger Menschen dazu, dass sie im Laufe des Älterwerdens Grenzen austesten. Es muss hingenommen werden, dass der Gesetzgeber Kinder von der Strafmündigkeit ausgenommen hat. Es handelt sich hierbei nicht um eine regelungswidrige Lücke im Gesetz sondern ist vielmehr Ausdruck der Fürsorgepflicht des Staates und der Gesellschaft gegenüber Kindern.
Die Polizei kann auf tatverdächtige Kinder als Zeugen zurückgreifen, wenn es weitere Beteiligte an der Straftat gibt, gegen die ein Ermittlungsverfahren geführt und auf diesem Weg die Aufklärung der Tat betrieben werden kann. Außerdem kann sie auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr tätig werden und es stehen die Regelungen zur Kinder- und Jugendhilfe bereit. Um in schwerwiegenden Fällen unter Hinzuziehung des Familiengerichtes intervenieren zu können, darf davon ausgegangen werden, dass die Polizei mit Hilfe der PDV 382 gut gerüstet ist, um auch bei tatverdächtigen Kindern adäquat zu reagieren.
Die Berliner Polizei hat, als sie den Sechsjährigen als Beschuldigten vorlud, sicher eine Grenze überschritten. Das gegen den Jungen eingeleitete Verfahren diente repressiven Zwecken, Ermittlungen zur Identitätsfeststellung waren nicht erforderlich. Das Übergehen der dem Kindeswohl dienenden gesetzlichen Schutznormen ist keine Lappalie. Vielmehr kommen hier seitens der ermittelnden Beamten eine Strafbarkeit wegen Verfolgung Unschuldiger, § 344 I 1 StGB, in Betracht. Abschließend kann daher festgestellt werden, dass die PDV 382 in ihrer aktuellen Fassung, obgleich sie seit mehr als 25 Jahren unverändert geblieben ist, eine nützliche Handlungsanweisung für den Dienstalltag liefert. Sie kann einem Kind Belastungen durch unzulässige strafprozessuale Maßnahmen und dem Ermittler eine Menge Ärger ersparen.
Bildrechte: Redaktion.
Anmerkungen
- Zum 1. Teil des Beitrages und zu der Autorin vgl. Die Kriminalpolizei 3/2023, S. 27-30.
- Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen, 2023, 66. Auflage, § 163b Rn. 4.
- Verrel, a.a.O., S. 285; Bottke, 1995, Berücksichtigung kinderdelinquenten Vorverhaltens, in: Kriminalistik und Strafrecht: Festschrift für Friedrich Geerds zum 70. Geburtstag, S. 263-291 (278).
- Köhler, a.a.O., § 163b Rn. 4.
- Verrel, a.a.O., S. 285.
- Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 127 Rn. 3a, 8; Frehsee, a.a.O., S. 303; Kintzi, 1997, S. 34.
- Schmitt, a.a.O., Einl. Rn 20, 21 und § 163b Rn.17; Verrel, 2001, S. 286.
- Dölling, a.a.O., § 1 Rn. 23; Müller, 2017, Zum Freiburger Mordfall: Altersfeststellung und Anwendung des Jugendstrafrechts, community.beck.de/2017/02/23/zum-freiburger-mordfall-altersfeststellung-und-anwendung-des-jugendstrafrechts, abger. am 21.11.2022.
- Schmitt, a.a.O., § 81c Rn. 11.
- Schmitt, a.a.O., § 81a Rn. 10; § 81c Rn 16.
- Köhler, a.a.O., § 102 Rn. 7ff.
- Köhler, a.a.O., § 102 Rn. 11, 12.
- Köhler, a.a.O., § 102 Rn. 13.
- Köhler, a.a.O., § 102 Rn. 3.
- Köhler, a.a.O., § 102 Rn. 3.
- Köhler, a.a.O., § 102 Rn. 4.
- Köhler, a.a.O., § 103 Rn. 1.
- Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BGBl. I 2017, S. 872, 1094.
- Verrel, a.a.O., S. 285.
- Verrel, a.a.O., S. 285.
- Fischer, a.a.O., § 74 Rn. 13.
- Ostendorf, 2021, a.a.O., § 1 Rn. 4.
- Verrel, a.a.O., S. 285.
- Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BGBl. I 2017, S. 872, 1094.
- Meißner, 2017, Die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung – ein Ehrgeizprojekt oder: Höher, schneller, weiter… das neue Abschöpfungsrecht aus Sicht des Strafverteidigers, in: KriPZ, kripoz.de/2017/07/17/die-reform-der-strafrechtlichen-vermoegensabschoepfung-ein-ehrgeizprojekt-oder-hoeher-schneller-weiter-das-neue-abschoepfungsrecht-aus-sicht-des-strafverteidigers/, abger. am 21.11.2022.
- BVerfG 2 BvR 794/95.
- BT-Drs. 2016, S. 48.
- BT-Drs. 2016, S. 74.
- Dölling, a.a.O., § 1 Rn 26.
- Hauschild, in: Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 2022, 2. Auflage, Band 1, § 103 Rn. 4.
- Bottke, a.a.O., S. 289.
- Frehsee, a.a.O., S. 316.
- Verrel, a.a.O., S. 288.
- Ostendorf, 2021, a.a.O., § 43 Rn. 14.
- Dölling, a.a.O., § 43 Rn. 14; Ostendorf, 2021, a.a.O., Grdl. zu §§ 1 und 2, Rn. 7.
- Dölling, a.a.O., § 2 Rn. 1.
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