Recht und Justiz

„Herr X ist leider verhindert“

Von den Besonderheiten des Einsatzes von Vertrauenspersonen und deren Sperrerklärungen für die Hauptverhandlung


3.4.3 Gewicht des Beweismittels


Neben diesem Erfordernis der sorgfältigen und kritischen Überprüfung wird als weitere Anforderung an die Beweiswürdigung formuliert, dass die Angaben durch außerhalb der Aussage liegende Umstände bestätigt werden. Diese Anforderung findet sich – was wiederum die geringe Relevanz der Unterscheidung aufzeigt – auch in Entscheidungen, die außerhalb der Sphäre der Justiz liegende Umstände betreffen.53 Sie wird aber gerade bei von der Justiz zu vertretenden Hindernissen betont.54 Häufig wird die Anforderung dahingehend relativiert, es bedürfe „regelmäßig“ der Bestätigung durch weitere Indizien.55 Es finden sich aber auch Formulierungen, die sich in dem Sinne verstehen lassen, es sei per se unzulässig, die Verurteilung allein auf die unkonfrontierten Angaben zu stützen.56 Da es noch in keiner Entscheidung darauf ankam, ist unklar, ob der BGH diesen Schluss tatsächlich ziehen würde. Ausdrücklich infrage gestellt wird das Erfordernis ergänzender Umstände vom 3. Strafsenat, der sich hierbei auf den EGMR berufen kann.57 Während sich der Rechtsprechung des EGMR zwischenzeitlich eine solche strenge Relation entnehmen ließ,58 wurden die Anforderungen in jüngeren Entscheidungen gelockert.59


Die Zurückhaltung gegenüber einem solchen Automatismus ist berechtigt. Er verknüpft mit der Verfahrensfairness und der Beweisqualität zwei Umstände, zwischen denen kein Zusammenhang besteht.60 Die fehlende Möglichkeit der unmittelbaren konfrontativen Befragung wirkt sich zwar auf beides aus, es ist aber erforderlich, die Aspekte bei Auflösung der Gemengelage auseinanderzuhalten.


Dass die nur mittelbare Einführung der Aussage unter Beweiswürdigungsgesichtspunkten problematisch ist, versteht sich von selbst. Der Zeuge vom Hörensagen schildert keine eigene Wahrnehmung, sondern lediglich Erkenntnisse aus zweiter Hand. Nicht nur der Verteidigung, sondern auch bereits dem Gericht ist es so verwehrt, Nachfragen an den unmittelbaren Zeugen zu stellen und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu machen. An die mittelbare Schilderung dürften sich die üblichen Glaubhaftigkeitskriterien von vornherein schwer anlegen lassen.61


Dies bedingt naturgemäß einen Verlust an Beweisqualität gegenüber der unmittelbaren Vernehmung, der es häufig ausschließen wird, allein in der Aussage eine ausreichende Verurteilungsgrundlage zu erblicken. Soweit die bezeichneten Anforderungen der Rechtsprechung in diesem Sinne zu verstehen sind, sind sie ebenso zutreffend wie selbstverständlich. Gelangt das Gericht aber im Einzelfall allein auf Grundlage der Aussage zu der für die Verurteilung erforderlichen Überzeugung, ist nicht eingängig, warum es auf das Erfordernis weiterer – nach Beweiswürdigungsgrundsätzen nicht erforderlicher – Indizien verwiesen werden sollte.


Ebenso kann es aus der Warte der Beweisqualität keine Rolle spielen, ob die Unmöglichkeit der konfrontativen Befragung von der Justiz zu vertreten ist.62 Die mittelbar eingeführte Aussage ist nicht deshalb überzeugender, weil der unmittelbaren Vernehmung statt einer Sperrerklärung der Tod des Zeugen entgegensteht.


Den Beweiswert derart an Fairnesserwägungen zu koppeln, ist nicht nur nicht logisch, sondern auch mit dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) unvereinbar63.


Umgekehrt kann es aus der Warte der Verfahrensfairness nicht darauf ankommen, ob die Angaben durch weitere Indizien gestützt werden. Erkennt man in der fehlenden Konfrontationsmöglichkeit einen die Verfahrensfairness insgesamt beeinträchtigenden Umstand, ändern ergänzende Umstände, die für den Wahrheitsgehalt der Angaben sprechen, nichts an dieser Einschätzung. Man hätte dann die Kompensation auch in der Verfahrensfairness entspringenden Rechtsinstituten, namentlich einem Verwertungsverbot, zu suchen. Die mit dem Erfordernis zusätzlicher Indizien erfolgende Kreation einer Beweisregel vermengt die Aspekte von Verfahrensfairness und Beweiswürdigung in einer Weise, die weder aus der einen noch aus der anderen Perspektive stimmig erscheint. Da die Rechtsprechung – zu Recht – kein Verwertungsverbot annimmt, erscheint dieses Erfordernis inkonsequent. So hat auch das BVerfG betont, dass ein Beweisverbot nicht geboten ist und entsprechende Einschränkungen der Beweiswürdigung einem solchen gerade nahekämen.64 Die Kritik des 3. Strafsenats an dieser Entwicklung ist daher zu begrüßen.


3.4.4 Kompensation


Dem Kriterium der Kompensation der Unmöglichkeit der Befragung kommt dann eine eigenständige Bedeutung zu, wenn man derartige Kompensationsmöglichkeiten in der Anwesenheit des Verteidigers bei der Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren65 oder einer Videovernehmung66 erblickt. Nachdem sowohl BGH67 als auch EGMR68 aber erlauben, die Kompensation in der besonders kritischen und zurückhaltenden Beweiswürdigung zu erblicken, geht dieses Kriterium in den bereits formulierten Anforderungen auf.


3.4.5 Abschließende Betrachtung des Konfrontationsrechts


Es kann konstatiert werden, dass die Anforderungen der Rechtsprechung nur prima facie wie ein abgestuftes System mehrerer Kriterien anmuten, sich bei Lichte betrachtet aber in der Aussage erschöpfen, dem mittelbaren Beweismittel sei im Rahmen der Beweiswürdigung ein geringeres Gewicht beizumessen. Bereits aus Erwägungen der Beweiswürdigung wird sich regelmäßig ergeben, dass dieses nicht allein, sondern nur gestützt auf weitere Indizien eine ausreichende Verurteilungsgrundlage bilden kann. Ist dies jedoch ausnahmsweise doch der Fall, kann auch kein Anlass bestehen, die freie Beweiswürdigung aufgrund von Fairnesserwägungen einzuschränken.


Besonderes Augenmerk verdient die Annahme des BGH in der vorliegenden Entscheidung, ein derartiger ergänzender Umstand sei in der gem. § 100f StPO gefertigten Aufzeichnung des Gesprächs zwischen VP und Beschuldigtem zu erblicken.69 Dies überzeugt, da hiermit ein Beweismittel von einer Qualität vorliegt, die die Diskussion um die Überzeugungskraft der Angaben der VP müßig erscheinen lässt. Für die Ermittlungsbehörden sollte dies Anlass geben, regelmäßig zu prüfen, ob ein entsprechendes Vorgehen möglich ist. Zugleich gilt zu beachten, dass die Beweisführung mit der VP allein wenig erfolgsversprechend ist. Ihr Einsatz sollte daher primär auf die Erschließung weiterer und von ihr unabhängiger Beweismittel zielen.

 

4 Resümee


Die besprochene Entscheidung verdeutlicht einmal mehr, dass der Einsatz von Vertrauenspersonen ein wirkungsvolles Werkzeug zur Beweisgewinnung darstellt. Die höchstrichterlich entwickelten Grenzen bilden dabei einen Rahmen, der Vertrauenspersonen weiterhin genug Entscheidungsmöglichkeiten einräumt, um sich effektiv im kriminellen Milieu bewegen zu können. Doch Vertrauen ist naturgemäß keine Einbahnstraße. Insofern können sich wiederum Vertrauenspersonen darauf verlassen, dass die Strafverfolgungsbehörden deren Identität auch in einer Hauptverhandlung notfalls umfassend geheim halten können, ohne ein Beweisverwertungsverbot befürchten zu müssen. Entgegen der in der jüngeren Vergangenheit geäußerten Kritik kann daher auch zukünftig grundsätzlich an der Praxis der „Rekrutierung“ und verdeckten Ermittlungshandlungen von Vertrauenspersonen festgehalten werden. Angesichts dieser Umstände erscheint es kaum vertretbar, bei geeigneten Sachverhalten nicht unverzüglich auf Vertrauenspersonen zurückzugreifen. Wer nicht handelt, macht zwar grundsätzlich auch weniger Fehler. Es werden dabei jedoch auch zahlreiche vielversprechende Chancen zur Aufklärung von Straftaten vertan. Dies widerspricht nicht nur dem gesunden Menschenverstand, sondern auch den in §§ 152 Abs. 1, 163 Abs. 1 StPO geregelten Aufgaben der Ermittlungsbehörden. Laut übereinstimmenden Presseberichten liegt dem Bundesinnenministerium seit Juli 2023 der „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen sowie zur Tatprovokation“ des Bundesjustizministeriums vor. Es bleibt zu hoffen, dass die diesbezügliche höchstrichterliche Rechtsprechung hierdurch nicht konterkariert werden wird. Die dargestellte Entscheidung jedenfalls legt dem Einsatz von Vertrauenspersonen keine Steine in den Weg.