Recht und Justiz

Die Strafbarkeit von Mitgliedern der „Letzten Generation“

Von Prof. Dr. Dennis Bock und Benjamin Mischke, Kiel



2.1.1.5 Rechtswidrigkeit


2.1.1.5.1 Allgemeine Rechtfertigungsgründe


2.1.1.5.1.1 § 32 StGB – Notwehr


Eine Notwehr gem. § 32 StGB kommt nicht in Betracht, da es sich beim normalen Straßenverkehr um kein rechtswidriges Verhalten15 handelt, das durch die Erfüllung eines Straftatbestands unterbunden werden dürfte.


2.1.1.5.1.2 § 34 StGB – Rechtfertigender Notstand


Möglicherweise ist das Handeln der Demonstranten allerdings nach § 34 StGB gerechtfertigt. Dies ist der Fall, wenn eine Tat begangen wird, um eine gegenwärtige Gefahr für Rechtsgüter einer Person oder für Kollektivrechtsgüter16 abzuwenden. Darüber hinaus muss die Tat zur Gefahrabwendung geeignet, erforderlich und angemessen sein und das geschützte Interesse muss das beeinträchtigte wesentlich überwiegen.


Als bedrohtes Rechtsgut kommt das menschengerechte Klima als Bestandteil der natürlichen Lebensgrundlagen i.S.d. Art. 20a GG in Betracht, mit dessen Beeinträchtigung auch langfristig die Verletzung von Individualrechtsgütern wie z.B. Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum einhergeht.17 Ein notstandsfähiges Rechtsgut ist daher gegeben. Dass eine Gefahr für dieses besteht, ist durch zahlreiche Klimastudien und -forschungen hinreichend erwähnt und bedarf keiner weiteren Klärung. Fraglich ist lediglich die Gegenwärtigkeit der Gefahr. Unter Gegenwärtigkeit gem. § 34 StGB versteht man eine weitergehende Zeitspanne als dies bei § 32 StGB der Fall ist.18 Es reicht aus, dass der Schadenseintritt zwar noch weit entfernt liegt, aber nur durch zeitnahes Handeln verhindert werden kann.19 Ein solch zeitnahes Handeln kann ausweislich des derzeitigen Forschungsstands eine solche Rechtsgutsbeeinträchtigung verhindern oder zumindest mildern, insofern ist von einer Gegenwärtigkeit der Gefahr – und damit von einer vorhandenen Notstandslage – auszugehen.


Die Blockade muss als den Anforderungen an die Notstandshandlung genügen, mithin geeignet und erforderlich sein, die Gefahr abzuwenden, der Interessenabwägung standhalten sowie ein angemessenes Mittel sein.


Geeignetheit setzt voraus, dass bei Ausführung der Notstandstat eine Abwendung des drohenden Schadens nicht ganz unwahrscheinlich ist.20 Zwar ist die einzelne Blockade für mehr unmittelbar wirkenden Klimaschutz grundsätzlich wirkungslos,21 jedoch kommt eine mittelbare Einflussnahme auf die entscheidungstragenden Personen durch jede einzelne Blockade in Betracht, sodass die theoretische Möglichkeit besteht, diese zum Handeln zu bewegen; eine Geeignetheit zur Erreichung von mehr Klimaschutz in der Politik ist daher anzunehmen.22


Erforderlichkeit setzt voraus, dass kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung steht, um die Gefahr abzuwenden.23 In Betracht kommen als mildere Mittel vorliegend Demonstrationen, die nicht mit einer Straftatbestandsverwirklichung einhergehen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass solche Formen der Demonstration in der Vergangenheit nicht zu einer stärkeren Klimapolitik der Bundesregierung geführt haben. Insofern erscheint auch die Erforderlichkeit gegeben zu sein.24 Das geschützte Interesse muss das beeinträchtigte wesentlich überwiegen. Dabei ist zunächst eine abstrakte Abwägung vorzunehmen.25 Deren Ergebnis ist, dass der Klimaschutz – und damit mittelbar Lebensschutz, Schutz der körperlichen Unversehrtheit, Eigentum etc. – der Beeinträchtigung der Willensfreiheit um ein Vielfaches überwiegt. Bei der nach § 34 StGB konkreten Betrachtung kommt man zu keinem anderen Ergebnis: Die zwar feststehende, aber nur kurzzeitige Beeinträchtigung der Willensbetätigung steht in keinerlei Verhältnis zu den durch die Protestaktion zwar kaum gemilderten Gefahren durch eine drohende Klimakrise.


Eine Rechtfertigung nach § 34 StGB scheitert schließlich an der fehlenden Angemessenheit der Notstandshandlung. In der Angemessenheit wird u.a. geprüft, ob für die Abwendung der bestehenden Gefahr rechtlich geordnete Verfahren existieren.26 Um politische Ziele zu erreichen, gibt es andere Wege der politischen Einflussnahme als die Begehung von Straftaten. Beispielsweise kommt ein Engagement in einer politischen Partei in Betracht, die sich dann am demokratischen Willensbildungsprozess beteiligt und die Politik in ihrem Interesse gestaltet.


Eine Rechtfertigung der Straßenblockade nach § 34 StGB kommt damit mangels Angemessenheit nicht in Betracht.


2.1.1.5.2 Verwerflichkeit


Nach § 240 II StGB ist die Tat rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Auch wenn der Wortlaut der Norm lediglich eine Verwerflichkeitsprüfung hinsichtlich der Zweck-Mittel-Relation nahelegt, hat sich eine dreistufige Prüfung durchgesetzt, die die Verwerflichkeit des Zwecks und des Mittels einzeln betrachtet voranstellt.27


Die Verwerflichkeit des Mittels allein lässt sich zwar nicht aus der bloßen Tatbestandsverwirklichung entnehmen.28 Dass allerdings durch die angewandte Gewalt erhebliche Staus zustande kommen, die u.a. zu Verdienstausfällen der im Stau stehenden Kfz-Führer führen, spricht für eine Verwerflichkeit des Mittels. Darüber hinaus kann es ebenso zu Gefährdungen von Personen (ggf. an ganz anderer Stelle) kommen, da ihnen zur Hilfe eilende Personen durch die Blockade am schnellen Erreichen des Einsatzortes gehindert werden können. Eine Verwerflichkeit des Mittels ist daher gegeben.


Ausweislich der Erwähnung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen in Art. 20a GG und des Klimabeschlusses des BVerfG29 kann der Zweck, diese Lebensgrundlagen zur Vermeidung von massenhaften Individualrechtsgüterschäden schützen zu wollen, keinesfalls als verwerflich angesehen werden.30 Problematisch dabei ist jedoch, dass derartige Fernziele vom BGH31 keine Berücksichtigung in der Beurteilung der Verwerflichkeit des Zwecks finden, sondern mit Zweck allein der Nötigungszweck gemeint ist, vorliegend also das Ziel, den Verkehr an der blockierten Stelle zum Erliegen zu bringen. Nach dieser – für die Praxis maßgeblichen32 – Rechtsprechung liegt eine Verwerflichkeit des Zwecks vor, da eine Straßenblockade zur Behinderung anderer keinen positiven ethischen Gehalt aufweist.33


Da sowohl das Nötigungsmittel als auch der Nötigungszweck als verwerflich anzusehen sind, kann für die Zweck-Mittel-Relation nichts anderes gelten: Auch diese ist als verwerflich einzustufen.


2.1.1.6 Zwischenergebnis


Eine Strafbarkeit wegen Nötigung gem. § 240 StGB ist daher gegeben.


2.1.2 Sachbeschädigung gem. § 303 StGB


Sollten es nur durch Herausschneiden von Straßenteilen möglich sein, die mit Sekundenkleber fixierten Aktivisten von der Fahrbahn zu entfernen, liegt eine Sachbeschädigung gem. § 303 I StGB vor. Ebenso ist die Qualifizierung gem. § 305 I StGB erfüllt, da es sich bei der Fahrbahn um eine gebaute, also von Menschen künstlich errichtete,34 Straße handelt. Dass die Aktivisten die Straße nicht selbst beschädigen, ist für ihre Strafbarkeit unerheblich: Es liegt eine mittelbare Täterschaft gem. § 25 I Var. 2 StGB vor, bei der die Person, die die Aktivisten entfernt, als gerechtfertigt handelndes Werkzeug35 fungiert.

 


Sprühaktionen der „Letzten Generation“ im Juni 2023 auf der Insel Sylt