Rechtssprechung

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist

 

II Prozessuales Strafrecht

 

§§ 100h, 163f StPO – Weitere Maßnahmen außerhalb von Wohnraum; Längerfristige Observation; hier: Langzeit Videoüberwachung nicht beschuldigter Bewohner eines Hauses. Im Stadtgebiet Tübingen wurden vier Pkw in Brand gesetzt. Aufgrund von Bekennerschreiben sowie eines in Tatortnähe angebrachten Graffiti-Schriftzuges „R94“ mit Herzsymbol werteten die Strafverfolgungsbehörden die Brandstiftungen als Resonanzstraftaten (Räumung R.-Straße 94/Berlin) und rechneten diese daher der linksautonomen/linksextremistischen Szene zu. Bei der StA wurde die verdeckte Videoüberwachung zweier Wohnhäuser beantragt. Als Begründung wurde angeführt, dass es sich bei den Wohnhäusern „um einschlägig bekannte linke Szeneobjekte, in welchen Angehörige der linksautonomen/linksextremen Szene wohnhaft sind“ handele. Zudem befänden sich die Häuser in fußläufiger Entfernung zu einem der Tatorte.

Wird im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Brandstiftung gegen Unbekannt ermittelt und erfolgt im Zuge dessen eine verdeckte Videoüberwachung des Zugangsbereiches eines Wohnhauses mit dem Ziel, im Falle eines weiteren Brandes die neue Tat, aber auch die bereits begangene Tat mit Personen in Verbindung zu bringen, die das überwachte Gebäude tatzeitnah verlassen oder betreten, handelt es sich hierbei um eine längerfristige Observation gem. § 163f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO, die nur durch den Ermittlungsrichter angeordnet werden darf, § 163f Abs. 3 StPO. Es liegt nicht nur eine – nicht dem Richtervorbehalt unterliegende – Maßnahme gem. § 100h StPO vor, weil sich das Verfahren gegen Unbekannt richtet. (LG Tübingen, Beschl. v. 11.3.2020 – 9 Qs 28/20)


§§ 103, 105, 110 StPO – Durchsuchung bei anderen Personen; Durchsicht von Papieren und elektronischen Speichermedien; hier: Mitnahme einer Gesamtheit von Papieren und Datenspeichern zur Durchsicht. Der Generalbundesanwalt führte gegen mehrere Beschuldigte sowie weitere unbekannte Mittäter ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verabredung zum Mord in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des BGH die Durchsuchung der Person und der von ihm genutzten Räumlichkeiten des Zeugen A nach näher umschriebenen Beweismitteln (Speichermedien, die der Zeuge zur Kommunikation mit dem Beschuldigten nutzt oder genutzt hat, mitsamt der entsprechenden Dateien sowie schriftliche Aufzeichnungen zur Kommunikation des Beschwerdeführers) angeordnet. Die Durchsuchung wurde am 31.1.2019 vollzogen; die Durchsicht der aufgefundenen Papiere und Datenträger sodann teilweise abgeschlossen, so dass zwei Mobiltelefone und mehrere schriftliche Unterlagen wieder ausgehändigt werden konnten. Die Auswertung der einbehaltenen Unterlagen sowie die Durchsicht weiterer Speichermedien dauerte zum Entscheidungszeitpunkt noch an.

Eine Ermittlungsdurchsuchung, die Unverdächtige betrifft, setzt nach § 103 Abs. 1 S. 1 StPO voraus, dass Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich das gesuchte Beweismittel in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Es müssen konkrete Gründe dafür sprechen, dass der gesuchte Beweisgegenstand in den Räumlichkeiten des Unverdächtigen gefunden werden kann. Eine solche Durchsuchung setzt überdies voraus, dass hinreichend individualisierte (bestimmte) Beweismittel für die aufzuklärende Straftat gesucht werden. Diese Gegenstände müssen im Beschluss so weit konkretisiert werden, dass weder beim Betroffenen noch bei dem die Durchsuchung vollziehenden Beamten Zweifel über die zu suchenden und zu beschlagnahmenden Gegenstände entstehen können. Ausreichend ist dafür, dass die Beweismittel der Gattung nach näher bestimmt sind; nicht erforderlich ist, dass sie in allen Einzelheiten bezeichnet werden. Papiere und elektronische Speichermedien unterliegen vor ihrer Beschlagnahme oder sonstigen Sicherstellung nach § 110 Abs. 1 StPO der Durchsicht durch die StA oder von ihr beauftragte Ermittlungspersonen. Um diese Durchsicht zu gewährleisten, kann auch die Mitnahme einer Gesamtheit von Daten zur Durchsicht zulässig sein. (BGH, Beschl. v. 5.6.2019 – StB 6/19)


§ 261 StPO – Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung; hier: Rechtswidrig von Privaten erlangte Beweismittel. Der A wurde u.a. wegen Nötigung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition verurteilt. Als Beweismittel wurden Videoaufnahmen von der Tatbegehung verwertet, die unter Verstoß gegen die Vorgaben der DS-GVO erlangt worden sind, weil der Inhaber eines Ladengeschäfts mit seiner davor angebrachten Videokamera über 50 Meter ins öffentliche Straßenland hineingefilmt hat.

Auch rechtswidrig von Privaten erlangte Videoaufnahmen sind grundsätzlich im Strafverfahren verwertbar. Durch das Inkrafttreten der DS-GVO hat sich daran nichts geändert. (BGH, Beschl. v. 18.8.2021 – 5 StR 217/21)

 

 

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