Rechtssprechung

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist

 

II Prozessuales Strafrecht

 

§§ 102, 105 StPO – Wohnungsdurchsuchung beim Verdächtigen; hier: Selbst herbeigeführte Gefahr im Verzug; Beweisverwertungsverbot. Nach Vernehmung der beiden Zeugen, eine Polizeikommissarin und ein Polizeikommissar, konnte festgestellt werden, dass die beiden Ordnungshüter aufgrund eines Hinweises eines Mitmieters des Mehrfamilienhauses am 7.12.2018 (Freitag) gegen 12.30 Uhr das Mehrfamilienhaus aufgesucht haben. Die beiden stellten bereits im Hausflur Cannabisgeruch fest. Vor der Wohnungstür des Angeklagten (A) sei der Geruch sehr massiv gewesen. Ohne zuvor einen Durchsuchungsbeschluss (Freitag, 12.30 Uhr!) zu erwirken haben die beiden Polizeibeamten sodann an der Wohnung des A geklingelt und dieser hat die Tür geöffnet. In diesem Moment habe sich der Geruch auch noch verstärkt. Anlässlich der Durchsuchung der Wohnung des A wurden neben bereits abgeerntetem 459,89 Gramm Marihuana acht Cannabissetzlinge in einer professionell betriebenen Indoor-Planatage vorgefunden und sichergestellt.

Im vorliegenden Fall stellt die Vorgehensweise der Polizeibeamten wegen einer willkürlichen und zielgerichteten Umgehung des Richtervorbehalts eine gröbliche Missachtung dieses Vorbehalts dar. Den beiden Polizeibeamten war klar, dass der Geruch aus der Wohnung des A stammt. Darüber hinaus war ihnen auch klar, dass in dem Moment, in dem sie an der Tür klingeln und der A erkennt, dass Polizei vor seiner Tür stehe, sie sofort die Wohnung betreten müssen, da in diesem Moment die Gefahr des Beweismittelverlustes durch Vernichtung der Betäubungsmittel drohe. Es war unzweifelhaft und leicht zu erkennen, dass in einer solchen Situation zuvor ein Durchsuchungsbeschluss eingeholt werden muss und man nicht die Gefahr im Verzug selbst provozieren darf, um sich sodann auf sie zu berufen. Auch die Tatsache, dass im vorliegenden Fall ein Durchsuchungsbeschluss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erlassen worden wäre, ändert nichts daran, dass hier ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist. Der Hypothese eines möglichen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs kommt bei grober Verkennung von Bedeutung und Tragweise des Richtervorbehalts im Rahmen der Abwägungsentscheidung über ein Beweisverwertungsverbot nämlich keine Bedeutung zu. Das Beweisverwertungsverbot erstreckt sich auf alle in der Wohnung vorgefundenen Beweismittel und auch auf die Angaben, die der A nach dem Betreten seiner Wohnung durch die Polizeibeamten im Rahmen der Durchsuchung gemacht hat bzw. die Bekundungen der Polizeibeamten, die sich zu diesen Angaben des A verhalten. (AG Osnabrück, Urt. v. 17.3.2021 – 207 Ls (1366 Js 67580/18) 365/20)


§ 136a StPO – Verbotene Vernehmungsmethoden; hier: Beweisverwertungsverbot durch Fortwirken einer verbotenen Vernehmungsmethode. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gilt das Verwertungsverbot des § 136a Abs. 3 StPO grundsätzlich nur für die Angaben des Angeklagten oder Zeugen, die unter Missachtung des § 136a Abs. 1 StPO herbeigeführt worden sind. Eine spätere Aussage, bei der seine Willensfreiheit nicht mehr beeinträchtigt war, ist regelmäßig verwertbar. Wirkt jedoch der Verstoß gegen § 136a Abs. 1 StPO dergestalt fort, dass hierdurch auch bei einer zeitlich nachgelagerten Vernehmung die Aussagefreiheit des Beschuldigten oder Zeugen in rechtserheblicher Weise beeinträchtigt ist, umfasst das Verwertungsverbot des § 136a Abs. 3 StPO auch die spätere Beweiserhebung. Als Indizien für eine derartige Fortwirkung kommen ein naher zeitlicher Zusammenhang zwischen der Anwendung der verbotenen Vernehmungsmethode und der neuen Befragung sowie die Schwere der Beeinträchtigung der Willensfreiheit in Betracht. (BGH, Beschl. v. 13.1.2021 − 3 StR 410/20)


§ 147 StPO – Akteneinsichtsrecht; hier: Umfang der Akteneinsicht des Verteidigers. Nach § 147 Abs. 1 StPO ist der Verteidigung Einsicht in die dem Gericht vorliegenden oder ihm im Falle der Anklage nach § 199 Abs. 2 StPO vorzulegenden Akten zu gewähren und sie ist berechtigt, die Beweismittel zu besichtigen. Der Umfang des Rechts auf Akteneinsicht richtet sich nach dem Normzweck des § 147 StPO, der dem Angeklagten eine wirksame Verteidigung ermöglichen soll. Nach dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit und -wahrheit, der das Recht auf lückenlose Information über das gesamte dem Strafverfahren zugrundeliegende Material sichern soll, gehört dazu regelmäßig der gesamte Akteninhalt. Das Akteneinsichtsrecht umfasst die Befugnis der Verteidigung, in eigener Verantwortung zu prüfen, welche Aktenbestandteile (zu Haft- und Fahndungsakten, die zur Akte genommen wurden) verteidigungsrelevant sein könnten. (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 21.12.2020 − 3 Ws 852/20)

 

III Sonstiges


Einen sehr gelungenen Aufsatz von Dr. Mohamed El-Ghazi zu dem Thema Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung finden Sie in Der Strafverteidiger, StV 05/21, S. 314-322, unter dem Titel „Fünf Jahre Reform des Sexualstrafrechts – eine erste Bestandsaufnahme“. Auch sehr lesenswert ist die strafrechtliche Prüfung des sog. Catcalling (Verbale sexuelle Belästigung) durch Dipl.-Jur. Till Pörtner in der Neuen Zeitschrift für Strafrecht, NStZ 6/2021, S. 336 – 341, unter dem Titel „Das sog. Catcalling – Strafwürdiges Unrecht oder bloße Bagatelle“. Im Übrigen war in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW-aktuelle, 26/2021, S. 7) als Randnotiz zu lesen, dass erstmals der Bund eine „Steuerdaten-CD“ von einem anonymen Informanten für 2 Mio. Euro erworben haben soll.

 

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