Recht und Justiz

„Vertrauen ist gut“

Von der Verwertbarkeit erlangter Daten bezüglich sogenannter Kryptohandys



Dem Bundeskriminalamt wurden in der Folgezeit über Europol Erkenntnisse zugleitet, wonach in Deutschland eine Vielzahl schwerster Straftaten, insbesondere Einfuhr und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen von EncroChat-Nutzern begangen würden. Bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität, wurde ein Verfahren gegen Unbekannt u.a. wegen des Verdachts von Betäubungsmittelstraftaten eingeleitet. In diesem Verfahren erging am 2. Juni 2020 eine an Frankreich gerichtete Europäische Ermittlungsanordnung mit dem Antrag, die Deutschland betreffenden EncroChat-Daten zu übermitteln und deren unbeschränkte Verwendung in deutschen Strafverfahren zu erlauben. Beides genehmigte ein französisches Gericht am 13. Juni 2020. Die im Rahmen des Rechtshilfeersuchens übermittelten Informationen könnten dabei von den deutschen Behörden im Rahmen eines jeden Ermittlungsverfahrens und im Hinblick auf ein jedwedes Gerichts-, Strafverfolgungs- oder Untersuchungsverfahren oder Urteil verwendet werden.7


Auf Bitte der französischen Behörden übermittelte Europol der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main die zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 auf den EncroChat-Servern erfassten Daten, die sich auf Geräte bezogen, die zu einer Auslösung von Mobilfunkantennen auf deutschem Boden geführt hatten. In diesem Zeitraum wurden auch die Landeskriminalämter, der Zoll und die Bundespolizei über das Vorliegen der EncroChat-Daten informiert. Mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main wurden ihnen die Daten zur Verfügung gestellt, um eine gemeinsame Auswerte- und Ermittlungstätigkeit unter der Sachleitung der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main zu realisieren. Die Schwierigkeit bestand dabei darin, die Identität der Nutzer der Krypto-Handys zu ermitteln, da bisher ja ausschließlich deren „Nicknames“ bekannt waren. Dabei wurden die Nutzer anhand ihrer Geodaten den örtlich zuständigen Ermittlungsbehörden vorläufig zugeordnet. Durch eine solche Zuordnung sollte zunächst die Erstbearbeitung eines Nutzers erfolgen und der Datenbestand koordiniert gesichtet werden. Eine endgültige Festlegung der örtlichen und sachlichen Zuständigkeiten erfolgte erst nach inhaltlicher Auswertung der EncroChat-Daten. Für die inhaltliche Auswertung war es in der Folgezeit in einer Vielzahl von Verfahren erforderlich, mehrere zigtausend Chatzeilen in die deutsche Sprache zu übersetzen. Sodann mussten die Chatverläufe akribisch mit erheblichem Aufwand nach Anhaltspunkten für eine Identifizierung des jeweiligen Nutzers durchsucht werden. Eine Identifizierung konnte dabei vielfach durch versandte Lichtbilder (der Person des Nutzers selbst, ihrer PKW, Strafzettel, Wohnungen etc.) oder durch Hinweise auf den Wohnort, die persönlichen/familiären Verhältnisse sowie verbüßte Freiheitsstrafen erfolgen. Es kann dabei nicht oft genug betont werden, dass hierbei eine effektive Bearbeitung nur möglich war, da keine der involvierten Ermittlungsbehörden starr auf örtlichen Zuständigkeiten beharrte. Denn die Taten eines Nutzers erstreckten sich typischerweise auf zahlreiche Städte. Ferner waren oftmals mehrere Personen beteiligt, welche ebenfalls an unterschiedlichen Orten aufhältig waren. Insofern kann der Encrochat-Komplex wohl als eines der erfolgreichsten Beispiele deutscher Strafverfolgung bezeichnet werden, an welchem Ermittlungsbehörden nahezu aller Bundesländer beteiligt waren.

 

3 Erwägungen des Bundesgerichtshofes


Im Weiteren werden die rechtlichen Erwägungen des Bundesgerichtshofs hinsichtlich der Verwertbarkeit der erlangten EncroChat-Daten dargestellt.

3.1 Rechtsgrundlage für die Verwertung der Daten

Der Bundesgerichtshof stellt seiner Entscheidung voran, dass die verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung von Beweisen im Strafprozess § 261 StPO (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) bildet. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Beweise im Inland oder auf sonstige Weise – etwa im Wege der Rechtshilfe – erlangt worden sind. Eine ausdrückliche Regelung, dass im Wege der Rechtshilfe aus dem Ausland erlangte Daten nur eingeschränkt verwendet werden dürfen, enthält das deutsche Recht nicht, insbesondere ist § 100e Abs. 6 StPO hierauf nicht unmittelbar anwendbar.8


Ein von der Revision des Angeklagten in Einklang mit großen Teilen des Schrifttums und vereinzelter Rechtsprechung9 geltend gemachtes Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der erlangten EncroChat-Daten besteht nach Auffassung des Bundesgerichtshofs unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt. Ein solches ergibt sich weder aus rechtshilfespezifischen Gründen (vgl. 3.2) noch aus nationalem Verfassungs- oder Prozessrecht (vgl. 3.3). Auch die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) stehen einer Beweisverwertung nicht entgegen (vgl. 3.4).

 

3.2 Kein Beweisverwertungsverbot aus rechtshilfespezifischen Gründen

Im Rahmen der Entscheidung erfolgen umfangreiche Ausführungen bezüglich eines potentiellen Beweisverwertungsverbotes unter rechtshilfespezifischen Aspekten. Hierbei handelt es sich zwar um eine vergleichsweise spezielle Materie, welcher Staatsanwälten und Polizeibeamten bei der täglichen Arbeit noch eher selten begegnen. Dessen ungeachtet soll im Folgenden auf die wesentlichen Problempunkte eingegangen werden. Denn zum einen nimmt die internationale Zusammenarbeit von Ermittlungsbehörden (glücklicherweise) stetig zu, weshalb auch die praktische Relevanz der diesbezüglichen Vorschriften exponentiell steigt. Zum anderen werden diese vom Bundesgerichtshof dargestellten Grundsätze auch für zukünftige vergleichbare Verfahren vollumfängliche Gültigkeit beanspruchen können.


Zunächst soll aufgrund der für einige Leser wohl eher unbekannten Materie kurz auf die Grundsätze der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen innerhalb der Europäischen Union eingegangen werden. Prägend für diese ist das Prinzip gegenseitiger Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen der Mitgliedstaaten.10 Hieraus folgen zahlreiche Aspekte, welche eine Rechtshilfe innerhalb der Europäischen Union stark vereinfachen. Etwa eine grundsätzlich bestehende gegenseitige Unterstützungspflicht. Sowie ein weitreichender Verzicht auf die sachliche Überprüfung ausländischer Entscheidungen. Am 3. April 2014 sind diese Grundsätze in der Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung (RL-EEA) manifestiert worden - 2014/41/EU -, deren Vorschriften der deutsche Gesetzgeber in den §§ 91a ff. des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) am 22. Mai 2017 im Wesentlichen übernommen hat.11 Seitdem kooperien die Mitgliedstaaten mittels der Europäischen Ermittlungsanordnung, wie es auch die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich auf die beschriebene Weise im Juni 2020 getan haben. Der Bundesgerichtshof befasste sich daher mit der Frage, ob die Übermittlung der Encrochat-Daten an die Bundesrepublik Deutschland von den bezeichneten Rechtsgrundlagen getragen wird.


Zunächst wird dabei auf einen möglichen Verstoß gegen den sog. orde-public-Grundsatz eingegangen, welcher unter anderem in § 91b IRG und § 73 IRG Eingang gefunden hat. Dieser besagt im Wesentlichen, dass eine Rechtshilfe zu unterbleiben hat, wenn eine solche gegen elementare rechtstaatliche Grundsätze verstoßen, insbesondere eine erhebliche Grundrechtsverletzung darstellen würde.12 Der Bundesgerichtshof führt diesbezüglich aus, dass allein aufgrund der beschriebenen Verwendung der Encrochat-Kryptohandys ein Anfangsverdacht gegen die Nutzer wegen schwerer Straftaten aus dem Bereich der Betäubungsmittelkriminalität gegeben war. Insofern habe gerade keine rechtswidrige verdachtslose Telekommunikationsüberwachung stattgefunden. Vielmehr waren die französischen Ermittlungsbehörden angesichts der Verdachtslage und aufgrund des staatlichen Auftrags zum Schutz der Bürger vor den von organisierter Betäubungsmittelkriminalität ausgehender Gefahren sowie des verfassungsrechtlichen Gebots einer funktionsfähigen Strafrechtspflege zur Vornahme von Ermittlungsmaßnahmen befugt. Grundlegende Rechtsstaatsdefizite oder Verstöße gegen menschen- bzw. europarechtliche Grundwerte wären hierin nicht zu erkennen.13