Rechtssprechung

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist


Der Rechtsbeistand eines von einer Durchsuchung Betroffenen hat i.d.R. ein Anwesenheitsrecht bei der Durchsicht der vorläufig sichergestellten Datenträger, wenn ein Großteil der sichergestellten Daten für das Ermittlungsverfahren nicht von Relevanz ist und es zu Differenzen zwischen der Steuerfahndung und dem Rechtsbeistand des Betroffenen über die Art und Weise sowie den Umfang der Durchsicht gekommen ist. Hat der B ein gewichtiges Interesse daran, dass sein Rechtsanwalt der Durchsicht beiwohnen darf, sind damit einhergehende gewisse zeitliche Einschränkungen und erforderlich werdende organisatorische Maßnahmen im Rahmen der Sichtung durch die Strafverfolgungsbehörden hinzunehmen. (LG Kiel, Beschl. v. 18.6.2021 – 3 Qs 14/21)

§ 110 StPO – Durchsicht von Papieren und elektronischen Speichermedien; hier: Akteneinsichtsrecht der Verteidigung. Der Angeklagte (A) soll als Betriebsleiter einer Firma, welche im Wesentlichen im Bereich der Briefkonsolidierung, also der Abholung und Sortierung von Briefen im Vorfeld der Weiterbeförderung tätig ist, ein betrügerisches System errichtet haben. Im Rahmen von zahlreichen Durchsuchungen erfolgte die Sicherstellung zahlreicher Datenträger bzw. teilweise die Sicherung derselben, wobei eine Datenmenge von ca. 12 TB gesichert wurde, was in Dokumentenseiten gerechnet in etwa dem Inhalt von 15.600 gefüllten Aktenschränken entspricht.

Die Durchsicht beschlagnahmter Papiere bzw. elektronischer Speichermedien ist gem. § 110 Abs. 1 StPO Aufgabe der Staatsanwaltschaft und auf deren Anordnung ihrer Ermittlungspersonen, nicht der Verteidigung. Zu Beweisstücken i.S.d. § 147 Abs. 1 StPO werden im Rahmen der Durchsuchung vorläufig sichergestellte Datenträger bzw. Schriftstücke erst, wenn die Durchsicht gem. § 110 Abs. 1 StPO abgeschlossen und eine Beschlagnahmeanordnung ergangen ist. Ein Besichtigungsrecht der Verteidigung entsteht erst nach erfolgter Durchsicht und entsprechender Beschlagnahme.

Damit korrespondiert die Verpflichtung der Ermittlungsbehörden, die Auswertung vorläufig sichergestellter Schriftstücke und Daten im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Rechte eventuell Dritter zügig vorzunehmen, um abhängig von der Menge des sichergestellten Materials und der Aufwändigkeit der Auswertung in angemessenere Zeit zu entscheiden, was als potentiell beweiserheblich dem Gericht zur Beschlagnahme vorgelegt werden und was an den Beschuldigten oder Dritte herausgegeben werden soll. Die Ressorts der Polizei- und Justizverwaltung sind insoweit gehalten, die erforderlichen personellen und technischen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die eine Bewältigung entsprechender Datenmengen gegebenenfalls auch mittels entsprechender Software und unter Hinzuziehung externen Sachverstands ermöglichen. Durch die zügige Auswertung soll insbesondere verhindert werden, dass nicht noch während bereits laufender Hauptverhandlung zuvor nicht ausgewertete Beweismittel aus dem sichergestellten Datenbestand nachgeschoben werden, welche den übrigen Beteiligten noch unbekannt sind. Ein mit der Durchsicht umfangreicher Datenbestände verbundener erhöhter Auswertungsaufwand rechtfertigt keine andere Vorgehensweise.

Ergänzend wurde im Beschluss angemerkt, dass trotz der Streichung der Regelung eines Anwesenheitsrechts des Inhabers der durchzusehenden Papiere und Daten in § 110 Abs. 3 StPO a. F. (Gesetz zur Modernisierung der Justiz 2004), es im Einzelfall von Verfassungs wegen geboten und insbesondere auch zweckdienlich sein kann, den Inhaber der sichergestellten Daten in die Prüfung der Verfahrenserheblichkeit einzubeziehen. Gerade hinsichtlich umfangreicher Datenmengen können konkrete, nachvollziehbare und überprüfbare Angaben vor allem Nichtverdächtiger zur Datenstruktur und zur Relevanz der jeweiligen Daten deren materielle Zuordnung vereinfachen und den Umfang der sicherzustellenden Daten reduzieren. (OLG Koblenz, Beschl. v. 30.3.2021 – 5 Ws 16/21)


§ 110 StPO – Durchsicht von Papieren und elektronischen Speichermedien; hier: Modalitäten inhaltlicher Durchsicht. Der Beschuldigte (B) wird verdächtigt, sich im Irak der Vereinigung „Islamischer Staat“ als Mitglied angeschlossen zu haben und dort für den IS tätig gewesen zu sein. Auf der Basis eines Durchsuchungsbeschlusses wurden die Wohnräume des B durch Beamte eines LKA durchsucht. Dabei wurden zwei Mobiltelefone, ein Laptop sowie ein USB-Stick aufgefunden. Diese Speichermedien wurden gem. § 110 Abs. 1 StPO zur Durchsicht vorläufig sichergestellt und zur polizeilichen Auswertung mitgenommen.

Das sichergestellte Mobiltelefon durfte als elektronisches Speichermedium, dessen Durchsicht auf Beweisrelevanz im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung vor Ort nicht möglich war, zur Auswertung mitgenommen und hierfür einstweilen sichergestellt werden. Da die Durchsicht des Mobiltelefons noch Teil der Durchsuchung ist, ist ihre (weitere) Zulässigkeit allerdings davon abhängig, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Wohnungsdurchsuchung gem. § 102 StPO nach wie vor gegeben sind. Im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung nach § 110 Abs. 1 StPO i.V.m. § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog hat der nach § 98 Abs. 2 S. 3 StPO zuständige Richter allein darüber zu befinden, ob zum Entscheidungszeitpunkt die vorläufige Sicherstellung des betreffenden Gegenstandes für eine (weitere) Durchsicht zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln rechtmäßig und insbesondere noch verhältnismäßig ist. Eine eigenständige prognostische Bewertung des erforderlichen und verhältnismäßigen sachlichen und zeitlichen Umfangs noch ausstehender beziehungsweise möglicher weiterer Auswertungen ist ihm versagt. Die Entscheidung, in welchem Umfang eine inhaltliche Durchsicht potentieller Beweismittel nach § 110 StPO notwendig ist, wie sie im Einzelnen zu gestalten und wann sie zu beenden ist, obliegt vielmehr dem Ermessen der Staatsanwaltschaft. Die Rechtskontrolle durch den Ermittlungsrichter beschränkt sich deshalb darauf, ob die Staatsanwaltschaft im Entscheidungszeitpunkt die Grenzen des ihr zukommenden Ermittlungsermessens überschritten hat. Jedwede gerichtliche Entscheidung über einen Zeitpunkt, bis zu dem die Durchsicht eines vorläufig sichergestellten Gegenstandes abgeschlossen sein muss, enthielte notwendigerweise eigene Wertungen des Ermittlungsrichters hinsichtlich des Umfangs der in der Sache gebotenen Ermittlungen und griffe daher in den Ermessenspielraum der Staatsanwaltschaft ein. (BGH, Beschl. v. 20.5.2021 − StB 21/21)


§ 261 StPO – Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung; hier: Unverwertbarkeit polizeirechtswidriger Videoaufnahmen. Die Polizei führte während eines Fußballspiels de facto anlassunabhängig – und damit von der landesrechtlichen Eingriffsnorm des Polizeirechts nicht gedeckt – mehr oder weniger durchgängig Videoaufzeichnungen eines Fanblocks durch. Auf den allermeisten Videosequenzen ist legales Fanverhalten zu sehen. Lediglich in einer kurzen Sequenz hört man strafbare Beleidigungen.

Videoaufnahmen, die unter vorsätzlichem oder zumindest grob fahrlässigem Verstoß gegen polizeirechtliche Ermächtigungsgrundlagen von der Polizei aufgenommen werden, sind jedenfalls bei Tatvorwürfen aus dem Bereich der Kleinkriminalität (hier: Beleidigung) im Strafverfahren unverwertbar. (LG Köln, Beschl. v. 1.4.2021 – 157 Ns 8/20)

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