Wissenschaft  und Forschung

Cyberkriminalität und Risiken in der „digitalen Sphäre“

Aktuelle und zukünftige Bedrohungslagen sowie tragfähige Präventionsmaßnahmen


Von Dr. Viktoria Schäfer und Dr. Yvonne Zimmermann, Montabaur1

 

1 Inhalte und Kontext des Beitrags

 

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit dem Thema Cyberkriminalität und geeigneten Präventionsstrategien. Im Hinblick auf die Prävention werden in Unternehmen und anderen Organisationen mittlerweile entsprechende Schulungen von Mitarbeitern entwickelt und gezielte Weiterbildungsangebote umgesetzt. Solche Maßnahmen bilden einen wesentlichen inhaltlichen Gesichtspunkt des Beitrags, der insbesondere an Schwerpunktthemen der Ausgabe 2/2022 der Zeitschrift Die Kriminalpolizei anknüpft. In dieser Ausgabe wurden Herausforderungen der Cyberkriminologie ausführlich erläutert. Handlungsleitend ist demnach die Erkenntnis, dass bei der Digitalisierung nicht primär an die Nutzung technischer Möglichkeiten und Geräte gedacht werden sollte, sondern an die „Etablierung eines globalen digitalen Raumes – besser vermutlich einer globalen digitalen Sphäre – der grenzfreien Interaktion und Kommunikation zwischen Menschen auf der ganzen Welt und aus jedem Kulturkreis“.2 Die Folgerung, dass die Komplexität dieser digitalen Sphäre mit den sich hierin stellenden Deliktsmöglichkeiten der Entwicklung einer zukunftstragenden Polizeistrategie bedarf, ist vollauf nachvollziehbar. Der für eine solche Polizeistrategie relevante Präventionsgedanke wurde in der oben genannten Ausgabe auch in einem Fachartikel zur Sensibilisierung für Gefahren im Netz und zur Bekämpfung der verschiedenen Formen der Computerkriminalität unter besonderer Berücksichtigung der Schutzbelange von Kindern und Jugendlichen vertieft.3 Erläutert wurden in weiteren Fachartikeln ferner Entwicklungen, Begehungsformen sowie Präventionserfordernisse und strafrechtliche Anforderungen im Deliktfeld „Identitätsdiebstahl und -missbrauch im Internet“.4

 

 

2 Präventionsorientierung möglichst früh vollziehen

 

Die Notwendigkeit der Präventionsorientierung in der digitalen Sphäre wurde unter dem forensischen und strafrechtlichen Blickwinkel in den angeführten Fachartikeln ausdrücklich hervorgehoben. Faktisch ist (leider) davon auszugehen, dass die Ausprägung und Deliktsrelevanz der verschiedenen Facetten der Cyberkriminalität auch zukünftig zunehmen werden. In Forschung und Praxis herrscht Konsens dahingehend, dass man solch einer problematischen Entwicklung durch eine möglichst früh, also bereits in der Schule erfolgende Verankerung von Präventions- und Abwehrstrategien begegnen sollte. Ein aktuelles Beispiel dafür ist „ChatScouts“, ein Projekt des LKA Niedersachsen. Dieses in Kooperation mit den Regionalen Landesämtern für Schule und Bildung (RLSB) und der Zentralstelle Jugendsachen des Landeskriminalamtes (LKA) Niedersachsen entwickelte Projekt erfuhr überdies die Unterstützung der kriminologischen Forschungsstelle des LKA Niedersachsen und spezialisierter Kräfte der Polizei Niedersachsen. Als Präventionsangebot richtet es sich an Kinder und verfolgt unter anderem das Ziel, Themen wie Cybermobbing und Mediensicherheit altersgerecht aufzubereiten. Hierzu werden neben Informationen, Unterrichtsmaterialien sowie Empfehlungen für pädagogische und polizeiliche Fachkräfte altersentsprechende Videoinhalte für die Kinder bereitgestellt. In seiner Gesamtheit beinhaltet das Projekt über die für Kinder entwickelten Elemente hinaus auch Empfehlungen für pädagogische Fachkräfte sowie, begleitend zu den Präventionsangeboten der Polizei an Schulen, Maßnahmen zur Einbeziehung und Sensibilisierung der Elternschaft.5

 

 

3 Transfer der Präventionsausrichtung auf den Berufsalltag – Bedrohungslage für KRITIS


Das LKA-Projektbeispiel zeigt einen Weg, wie die möglichst frühzeitige Aufklärung über Risiken in der digitalen Sphäre und die Vermittlung eines verantwortungsvollen Umgangs mit digitalen Medien realisiert werden kann. Solch eine – sinnvollerweise kontinuierlich angelegte – Präventionsarbeit kann entscheidend dazu beitragen, dass die Bewusstseinsbildung für die genannten Risiken und die erforderliche Verantwortungsherausbildung auch über die weitere Lebensspanne erfolgen und dann im Erwachsenenalter bzw. bei der Berufsausübung in Organisationen, Unternehmen usw. wirksam werden. Letzteres Ziel ist umso wichtiger, da – neben den die Betroffenen oftmals psychisch schwer belastenden „Individualattacken“ von Cyberkriminellen (wie etwa Identitätsdiebstahl im Internet, Cybermobbing oder Cyberstalking)6 – die gegen Unternehmen, Behörden und andere öffentliche Einrichtungen ausgeübte Cyberkriminalität immer mehr zunimmt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „Big Game Hunting“, also von Cyberattacken auf herausragende Wirtschaftsunternehmen sowie Einrichtungen der sog. Kritischen Infrastrukturen (KRITIS). KRITIS repräsentieren „Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden“.7 KRITIS finden sich insbesondere in Bereichen wie der Energie- und Wasserversorgung, der medizinischen Versorgung und des öffentlichen Verkehrs. Fakt ist, dass in jüngster Zeit KRITIS, zu denen neben der Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Leistungen auch Verwaltungen mit großen Mengen an gespeicherten persönlichen Daten gehören, immer stärker in den Fokus von Cyberkriminellen geraten. Laut Expertenmeinung hat sich diese Situation seit dem Einmarsch russischer Streitkräfte in die Ukraine verschärft: „Gerade der Ukraine-Konflikt hat hier eine neue Komponente noch einmal in Erinnerung gerufen: Angriffe auf die Netzwerke öffentlicher Verwaltungen tragen dazu bei, einen Staat und eine Regierung massiv zu destabilisieren und das Vertrauen von Menschen in den Staat zu schwächen“.8

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