Polizei

Jahrhundert-Katastrophe im Ahrtal

„Hölle und Himmel am selben Fleck"

 

6 Müllbeseitigung / gesundheitsgefährdende Stoffe


Schon nach wenigen Tagen ergaben sich Seuchengefahren und Gefahren durch gefährliche Stoffe. Friedhöfe waren durch die Flut freigelegt sowie Leichen und Gebeine weggespült. Tierkadaver verbargen sich unter den riesigen Müllmassen und große Mengen Heizöl aus den aufgebrochenen Öltanks sowie Fäkalschlamm aus den zerstörten Kläranlagen verteilten sich unaufhaltsam. Um Seuchen entgegenzuwirken aber auch den Verkehrsraum freizumachen war es notwendig, in einer Art Befreiungsschlag mit hunderten von Lastkraftwagen den besonders gesundheitsgefährlichen Müll abzutransportieren. Rund 300.000 Tonnen teils kontaminierten Sperrmülls, so viel wie in 40 Jahren. In einer konzertierten Aktion waren hierzu am 25. und 26. Juli 2021 unterstützend weitreichende Verkehrsmaßnahmen notwendig. In nur einer Nacht haben die Kräfte der Befehlsstelle zwei Ringstraßen mit Einbahnregelung auf einer Gesamtlänge von 58 Kilometern konzeptioniert und vorbereitet. Die Umsetzung erfolgte durch Kräfte des Frühdienstes. Auf jedem Verkehrsabschnitt galt es dabei zu gewährleisten, dass auch aus keiner noch so kleinen Seitenstraße oder Waldweg ein Verkehrsteilnehmer gefährlich entgegen der rettenden Einbahnstraße einfährt. Beispielhaft für vieles in diesem Einsatz: Hand in Hand - von der zu erkennenden Gefahr, einer Idee zur Abwehr, über die Planung, die Organisation und Versorgung der Kräfte bis hin zur taktischen Umsetzung vor Ort. Beeindruckend war dabei das arbeitsteilige und nahtlose geschlossene Vorgehen auch in Zusammenarbeit mit den unterstützenden Kräften des Bundes und den anderen Bundesländern. Dies zeigte sich in der Zusammenarbeit der Ministerien beim nationalen Kräftemanagement, des Führungsstabes, der Befehlsstellen, der Verbindungsbeamten, den Kräftesammelstellen, der Abteilung Polizeiverwaltung und insbesondere der Motivation, Leidenschaft und dem Pragmatismus der vor Ort eingesetzten Kolleginnen und Kollegen. Alle hatten länderübergreifend eine „geteilte Vorstellung“ von dem was zu tun ist, auch mentales Modell („shared mental model“) genannt, über die Art und Weise wie der polizeiliche Einsatz zu erledigen ist. Nur beispielhaft, aber beeindruckend! Unstreitig war diese Verkehrsmaßnahme nur eine von vielen schwierigen Aktionen im Gesamteinsatz und natürlich lief sie ob der Umstände auch nicht bis ins Detail reibungslos. Sie war aber im Ergebnis erfolgreich und das zählt am Ende.

Die Gefahrenquellen waren insgesamt vielschichtig. Weitere ergaben sich durch offenliegende Strom- oder abgerissene Gasleitungen. So berichtete eine Kollegin aus einem benachbarten Einsatzabschnitt, die mit der Leichenbergung aus einem Behindertenheim betraut war, dass sie gerade in hüfthohem Wasser stand, als sie durch einen Feuerwehrmann darauf aufmerksam gemacht wurde, dass just die zuvor ausgefallene Elektrizität in dem Gebäude nun wieder funktioniere. Viele Bomben und Munition aus dem 2. Weltkrieg (Anmerkung: Die Ahrtalbahn war Nachschublinie auch für die Kämpfe rund um die Brücke von Remagen), Gas- und Öltanks, legale und illegale Waffen aus Privatbesitz aber auch Geldautomaten bis hin zu Jetons aus der zerstörten Spielbank wurden von der Flut kilometerweit verteilt. Die Wasserversorgung und die Kanalisation waren in manchen Bereichen komplett zerstört. Eine mobile Kläranlage, die in internationalen Krisengebieten eingesetzt wird, wurde in der Ortslage Mayschoß aufgebaut und war auch wegen der darin verbauten wertvollen Hochleistungspumpen gefahrenabwehrend als kritische Infrastruktur einzustufen.

 

7 Veranstaltungen / Besuche von Schutzpersonen


Eine weitere Herausforderung stellten die Besuche von Amtsträgern / Schutzpersonen sowie Veranstaltungen rund um die Flutkatastrophe dar. Neben den regelmäßigen Besuchen von Landespolitikern waren insbesondere die Besuche eingestufter Vertreter aus der Bundespolitik polizeilich zu begleiten. Auch wenn zu diesen Anlässen seiner Zeit die BAO „Ahr“ um den Einsatzabschnitt „Besuche“ bzw. „Veranstaltung“ erweitert und damit verstärkt wurde, blieben der Schnelllebigkeit der Entwicklungen geschuldet dennoch deutliche Überhänge für den EA Ereignisort. Bis heute besuchen hochrangige Politiker das Ahrtal. So galt es zuletzt am 29. März 2022 die Sicherheit von Bundeskanzler Scholz, Bundesinnenministerin Faeser, Ministerpräsidentin Dreyer und Innenminister Lewentz in Ahrbrück durch die PD Mayen zu gewährleisten. Diese Besuche waren wichtig, um den politischen Raum über die Schwere der Katastrophe und die Notwendigkeit von großen Hilfen zu informieren.

Mit zeitlichem Abstand trat leider ein fast zu erwartendes Problem auf – Katastrophentourismus. Meist durch Auswärtige, häufig durch Motorradfahrer, die die tief getroffene Region fragwürdig als Ausflugsziel in ihre Freizeitgestaltung aufgenommen haben. Mal auch in guter Absicht, manchmal vielleicht bestenfalls gesehen nur naiv. Aus Sicht der Gefahrenabwehr jedenfalls kritisch erwähnenswert waren die in der Weihnachtszeit aufkommenden Traktor-Sternfahrten. Hunderte von geschmückten landwirtschaftlichen Fahrzeugen nutzten das belastete enge Ahrtal und damit gleichzeitig auch den Verkehrsraum für Rettungsahrzeuge. Symbolisch hätten weniger Traktoren auch gereicht. Zum Glück ist aus polizeilicher Sicht nichts passiert!

 

 

8 Zukunftskonferenzen und Einwohnerversammlungen


Der vollständige Wiederaufbau des zerstörten Gebiets entlang der Ahr wird voraussichtlich noch Jahre dauern. Frühzeitig wurde begonnen in Einwohnerversammlungen die Bürgerinnen und Bürger über den Wiederaufbau zu informieren. An den Einwohnerversammlungen nahmen die Landesbeauftragte für den Wiederaufbau, Sonderbeauftragte der Landesregierung, behördlich verantwortliche Stellen sowie zahlreiche Expertinnen und Experten teil. Über 200 Beteiligte aus Behörden, Unternehmen, Kommunen, Hilfsorganisationen und Kammern berieten und informierten bei Zukunftskonferenzen über das weitere Vorgehen. Auch die Polizei begleitet den Wiederaufbau und unterstützt die zuständige Verwaltung unbürokratisch dort, wo es möglich ist.