Kriminalitätsbekämpfung

Es geht nicht allein um Cybercrime –

Fallzahlen, Devianz, Delinquenz und Handlungsbedarf in der Corona-Pandemie

 

4 Ängste – Fakenews – Querdenkerdemonstrationen – Spannungsfeld zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und Nährboden für Kriminalität


Grundsätzlich erscheint das Erkennen und Abwägen von Gefahren, um entsprechende „Gegenmaßnahmen“ ergreifen zu können, in der menschlichen Evolutionsgeschichte als sinnvoll und sogar erforderlich. In diesem Zusammenhang ist es auch durchaus nachvollziehbar, dass sich Menschen ein eigenes Bild von der Realität versuchen zu schaffen. Basiert dieses allerdings auf Falschmeldungen bzw. -interpretationen und stoßen die subjektiven Realitäten an die Grenzen des gesellschaftlich Akzeptierten bzw. Tolerablen und wird es handlungsleitend, dürften wir es wohl mit deviantem, bisweilen auch delinquentem Verhalten zu tun haben.


Die Falschmeldungen oder alternative Fakten im Zusammenhang mit dem Gefahrenpotenzial der Pandemie, den staatlichen Maßnahmen, Impfungen und Einschränkungen von Freiheitsrechten sind derart mannigfaltig, dass allein schon der Versuch, die wesentlichsten aufzuführen, scheitern würde. Sie reichen von dem Vorwurf, die Weltgesundheitsorganisation habe die Pandemiephasen geändert, damit sie die Pandemie ausrufen könne19 über Behauptungen, Corona-Impfstoffe schädigten das menschliche Erbgut20 bis hin zu Behauptungen, die Einführung des 5G-Mobilfunkstandards würde Strahlungen verursachen, die menschliche Zellen schädigten und wehrlos gegen COVID-19 machten.


Im Zusammenhang mit der kriminalistischen Bewertung der exemplarisch dargestellten Falschmeldungen und sog. alternativen Fakten ist weniger das evolutionär sinnvolle menschliche Verhaltensmuster, sondern das Aktivierungspotenzial für radikales und strafrechtlich relevantes Handeln von Bedeutung. Und die Frage tut sich auf, was wir darüber wissen.

 

5 Corona-Proteste, Radikalisierungspotenziale – Was ist bisher bekannt?


Es sind nicht nur die Demonstrationen, deren Bild sowohl durch Reichskriegsflaggen,21 wirre und hasserfüllte Reichsbürger-, Impfgegner- und G5-Gegnersprüche genauso geprägt sind wie auch durch Antifa- oder Regenbogenfahnen22. Es sind bisweilen fast schon bizarr wirkenden Auftritte von Wissenschaftlern und vermeintlichen Experten im Bereich der Epidemiologie,23 die einerseits das Gefühl von Daueralarm24, Angst und notwendiger Abwehr- bzw. Verteidigungsmentalität stützen. Es ist andererseits auch die Frage, wo das Potenzial für Hass- und Gewaltdelikte, die im Umfeld solcher Aktionen bzw. Auftritte existent sind, herrührt. Und die Rede ist hier u.a. von Angriffen auf Impfbusse (vgl. Foto), Bedrohungen von Virologen, Politikern wegen deren „CORONA-Politik“25, Journalisten26 sowie von Angriffen auf Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen (vgl. Ausführungen zur PKS.).


In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2020 wird das Thema „Alternative Fakten“ bzw. „Fakenews“ für Deutschland damit verbunden, dass deren „Produktion“ meist auf „ein spezifisches rechtspopulistisches Milieu“ abziele.27 Nicht nur mit Blick auf die durch eine kaum noch überschaubare Anzahl von Falschmeldungen zur Corona-Pandemie und den Maßnahmen zu deren Eindämmung28 angeheizte Stimmung in sozialen Medien und auf den Straßen deutscher Städte erscheint diese Fokussierung auf das rechtspopulistische Milieu ergänzungswürdig. Das Spektrum derer, die derartige alternative Fakten aufbringen, verbreiten und derer, die diese nicht nur konsumieren, sondern diese als handlungsleitend für ihr zunehmend häufiger aggressives, nicht selten strafrechtlich relevantes Handeln nutzen, dürfte deutlich über das rechtspopulistische Spektrum hinaus reichen. Die Frage drängt sich auf, welche wissenschaftlichen Befunde es dazu gibt und inwieweit die Kriminalwissenschaften, namentlich die Kriminologie, dabei einen Beitrag leisten.

 


Beschmierter Impfbus des DRK im Vogtland - April 2021 (Quelle: DRK in Sachsen)


Erste analytische Ansätze zum Protestspektrum und dem sich dar-aus ableitenden Radikalisierungspotenzial und letztlich auch kriminogenen Tendenzen wurden im Rahmen der im März 2021 veröf-fentlichen Studie „Alles Covidioten? Politische Potenziale des Corona-

Protests in Deutschland“ des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozial-forschung dargestellt.29 Die Autoren der Studie gelangen dabei u.a. zu der Feststellung: „Das Mobilisierungspotenzial des Corona-Protests besteht folglich nicht nur aus den radikalen Rändern der Gesellschaft, sondern zu erheblichen Teilen aus einer von den etablierten Parteien nicht repräsentierten politischen Mitte, die der staatlichen Politik insgesamt misstrauisch gegenübersteht. Diese misstrauische Mitte besitzt aufgrund ihrer Nähe zu Verschwörungstheorien ein erhebliches Potenzial für eine weitere politische Radikalisierung.“30


Eines der bemerkenswerten Analyseergebnisse dieser Studie ist, dass Protestbefürworter ein starkes Misstrauen gegenüber der Bundesregierung und die Sorge um Freiheitseinschränkungen eint. Zudem stellten die Autoren fest, dass die Befragten, die das Mobilisierungspotenzial für den Corona-Protest bilden, sich mehrheitlich in der politischen Mitte verorten. Sie kommen allerdings auch zu dem Schluss, dass diese „misstrauische“ Mitte im Mobilisierungspotenzial für den Corona-Protest aufgrund ihrer Nähe zu Verschwörungstheorien ein erhebliches Potenzial für eine weitere politische Radikalisierung besitze. Und auch zu dieser Radikalisierungsgefahr des Mobilisierungspotenzials trifft die Studie bemerkenswerte Aussagen. So stellen die Autoren fest, dass sich der „Querdenken-Protest“ nicht auf dem für die neuere deutsche Protestgeschichte charakteristischen Weg der „Normalisierung“31 zu befinden scheine, sondern auf dem Weg der Radikalisierung.32


Ausgehend von diesen Befunden könnten sich Hypothesen sowohl mit Blick auf Neutralisationstechniken nach Sykes und Matza (im Sinne von Misstrauen und Verurteilen staatlichen Han-delns als autoritär und antidemokratisch) als auch die Anomie-theorie nach Durkheim und Merton bzw. Agnews General Strain Theory (also die Ableitung von deviantem/delinquentem Handeln aus Stresssituationen und/oder durch das Schwinden „sicherer“ Struktur- und Ordnungsprinzipien, das zu Schwächung gesell-schaftlicher Bindungskräfte führen kann.) ableiten lassen. Hier anzusetzen, dürfte namentlich für die kriminologische Forschung eine wesentliche und insbesondere hoch aktuelle Aufgabe sein.