Es geht nicht allein um Cybercrime –
Fallzahlen, Devianz, Delinquenz und Handlungsbedarf in der Corona-Pandemie
2.3 Spezifische Betrugsdelikte mit CORONA-Bezug
Beispiele für Betrugsdelikte, bei deren Tatausführung sich die Täter staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und/oder die Verunsicherung von Teilen der Bevölkerung in diesem Zusammenhang zunutze machen, sind etwa das Anbieten medizinischer Geräte und Atemschutzmasken über Fake-Shops. Dabei ist es das Ziel der Täter, Geldbeträge zu erlangen. Waren werden hingegen nicht geliefert. Oder sie geben sich als infizierte Angehörige aus, um Geld bei ihren Opfern zu erschleichen. In anderen Fällen gaben sich die Täter als Ärzte aus, riefen Bürger an und teilten diesen mit, dass Angehörige schwer an Corona erkrankt seien und auf der Intensivstation lägen. Angeblich könne nur ein noch nicht zugelassenes Medikament diese Verwandten retten, welches vorfinanziert werden müsse.9 Bei einer anderen Begehungsweis geben Täter vor, als Amtspersonen zu handeln, die vor allem bei älteren Menschen Tests auf das COVID-19-Virus durchführen wollten. Mit diesem Vorgehen wurde zumeist das Ziel verfolgt, in die Wohnung ihrer Opfer zu gelangen, um dort nach Bargeld, Schmuck oder anderen Wertsachen zu suchen und sich diese anzueignen.
Eine spezifische Form des Abrechnungsbetrugs wurde im Mai 2021 bekannt. Mehrere Betreiber von Corona-Teststellen hatten gegenüber Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) in den jeweiligen Bundesländern mehr Tests in Rechnung gestellt, als tatsächlich vorgenommen worden waren.10 Auffällig waren in diesem Zusammenhang weniger der Modus Operandi oder die öffentliche Empörung, sondern aus kriminalistischer Sicht vielmehr, dass es im Vorfeld sowohl bei den politisch Verantwortlichen, dem Bundesgesundheitsministerium als Verordnungsgeber für die einschlägige sog. Coronavirus-Testverordnung11 als auch den ausführenden Stellen, insbesondere den KV und dem Bundesamt für Soziale Sicherung, das für die Auszahlung der Beträge Verantwortung trug, offenbar keinerlei Problembewusstsein in Bezug auf Sicherheit und entsprechender Kontrollen gab.12
„Corona-Mobil“ in Schleswig-Holstein: In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle wurde von den Betreibern der Teststellen ordnungsgemäß abgerechnet
3 Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 202013
In der PKS 2020 heißt es einleitend: „Bei der Betrachtung der Anstiege und Rückgänge im Vergleich zum Vorjahr werden die vielfältigen Einflüsse der Corona-Pandemie, insbesondere im Zusammenhang mit dem Lockdown im Frühjahr 2020, auf die Kriminalitätsentwicklung deutlich. Die damit verbundenen Einschränkungen hatten beispielsweise Einfluss auf die Mobilität, auf die Präsenz im öffentlichen Raum und führten somit auch zu einer Veränderung von Tatgelegenheiten. Wegen der ausgangsstatistischen Erfassung in der PKS werden die mit der zweiten Welle der Pandemie und dem damit verbundenen Lockdown ab November im Zusammenhang stehenden Veränderungen überwiegend erst anhand der PKS-Tabelle 08 Tatzeitstatistik für das Berichtsjahr 2020 im Vergleich zu 2019 ersichtlich werden.“14
In postfaktischen und von Behauptungen statt Wissen geprägten Zeiten erscheint eine solche unaufgeregte und faktenbezogene Bewertung abgebildeten Datenmaterials hervorhebenswert.
3.1 Eigentumskriminalität – Wenn die Tatgelegenheiten fehlen
Während bei der Gesamtkriminalität im Vergleich zum Jahr 2019 ein Rückgang der Fallzahlen von insgesamt 2,3% zu verzeichnen ist, wird (wie auch in den Vorjahren) deutlich, dass dieser sich nicht gleichmäßig auf die Deliktsbereiche verteilt. Zum Teil signifikante Anstiege sind etwa bei Straftaten der Computerkriminalität (+6,2% = 7.605 Fälle) sowie bei Tätlichen Angriffen auf Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen (+5,9% = 878 Fälle) festzustellen.
Der Rückgang der Fallzahlen wird insbesondere durch folgende Delikte//Deliktsgruppen geprägt. Zu nennen sind etwa der Rückgang bei Erpressung um 32,4% (= 5.133 Fälle), ausländerrechtlichen Verstößen (-11,2 Prozent = 18.534 Fälle) und Beförderungserschleichung (-10,5% = 20.867 Fälle). Mit 139.602 Fällen (-7,7%) ist im Diebstahlsbereich der zahlenmäßig deutlichste Rückgang zu verzeichnen. In der PKS wird dafür folgende Erläuterung gegeben: „Gründe (Verf.: für den Rückgang der Fallzahlen im Bereich Diebstahlskriminalität) dürften auf die durch die Corona-Maßnahmen veränderten Tatgelegenheitsstrukturen zurückzuführen sein, wie bspw. Einschränkungen des öffentlichen Lebens, höhere Zeitanteile ‚zu Hause‘. Relevanz dürften hier auch verstärkte Grenzkontrollen haben. Eine Zunahme von 10.245 Fällen gab es bei Diebstahl in/aus Boden-, Kellerräumen und Waschküchen um +10,6% auf 107.344 Fälle. Evtl. handelt es sich um eine Verlagerung mangels Möglichkeit zum Wohnraumeinbruch durch höhere Anwesenheitszeiten der Bewohner.“15
Hingegen dürften die optimistischen Aussagen von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht zur PKS, in denen sie den Rückgang der Fallzahlen im Bereich Wohnungseinbruchsdiebstahl mit den Worten „Die harte Gangart gegen Wohnungseinbrüche wirkt, die wir in den letzten Jahren mit Strafverschärfungen, erweiterten Ermittlungsmöglichkeiten und einem konsequenten Vorgehen der Polizei eingeschlagen haben.“16 begründet, zu hinterfragen sein. Das nicht nur vor dem Hintergrund der ausgangsbeschränkenden Maßnahmen und der damit verbundenen deutliche Verringerung von Tatgelegenheiten, sondern auch mit Blick auf den bereits von Cesare Beccaria im 18. Jahrhundert formulierten Grundsatz, dass nicht die Schwere der Strafe bzw. der Strafandrohung, sondern vielmehr deren Unabwendbarkeit, also deren konsequente Anwendung für die gesellschaftliche Wirksamkeit des Strafrechts von Bedeutung sei.
3.2 Straftaten aus dem Umwelt- und Verbraucherschutzsektor
Die Zunahme der Straftaten aus dem Umwelt- und Verbraucherschutzsektor um 27,9% auf 40.192 Fälle resultiert aus dem Anstieg der Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz von 61 Fällen im Berichtsjahr 2019 auf 6.779 Fälle im Berichtsjahr 2020 und steht im Zusammenhang mit der Kontrolle der Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie, wie u.a. Quarantäneverstöße.17
3.3 Angriffe auf Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen
Auffällig, wenngleich auch nach Aussagen von BKA-Präsident Münch in der Pressekonferenz zur PKS nicht eindeutig den Anti-Corona-Demonstrationen zuordenbar, ist der Anstieg der tätlichen Angriffe auf Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen um immerhin fast 6%.18 Dieser Umstand verdient sicher einer gerade kriminologischen Betrachtung.
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