Kriminalitätsbekämpfung

Assistierter Suizid – Ein Problem für die Polizeiarbeit?

Von KHK a.D. Rolf Strehler, Aschersleben

 

3 Konsequenzen für den 1. Angriff der Polizei


Das Standardprozedere bei Todesursachenermittlungen ist klar umrissen. Kriminalistischen Routineschritten sowie juristischen Vorgaben folgend werden die Umstände des

vorliegenden Sachverhalts ergründet. In seiner kriminalpolizeilichen Praxis hatte der Autor selbst mit verschiedenen Suizidfällen zu tun. Man kann sie nach allgemeinen Merkmalen in unterschiedliche Schubkästen einsortieren. Dennoch gleicht keiner dieser Fälle haargenau einem anderen. Dies schon allein deshalb, weil sich dahinter immer eine ganz spezifische individuelle Geschichte verbirgt. Wie und warum die verstorbene Person, die wir fortan mit dem Status „Leiche“ versehen haben, ihr Leben selbst beendet hat, ist zu klären. Wenn alle vorliegenden Informationen, einschließlich der ärztlichen Leichenschau, eine krankhafte innere Ursache – also einen natürlichen Tod – ausschließen, kommt im Grunde nur „nicht-natürlich“ als Todesart in Betracht. Es ist u.a. zu klären, ob es sich tatsächlich um eine bewusste Selbsttötung gehandelt hat. Es könnte sich aber auch um einen Unfall oder gar um eine Straftat gegen das Leben gehandelt haben.


Der Verdacht, eine sog. dritte Hand sei im Spiel gewesen, rückt die Version eines Tötungsdelikts in den Fokus. Gemäß Abschnitt I, Ziff. 4, Pkt. 33 und 36 RiStBV, muss eine Straftat von vornherein ausgeschlossen sein, ansonsten ist eine Leichenschau „mit größter Beschleunigung herbeizuführen“.Wenn aber ein Dritter auf Wunsch des Sterbewilligen völlig legal am Suizid mitgewirkt hat, weil diese Mitwirkung gesetzlich zulässig ist? Wie ist dann vorzugehen? Gemäß § 159 Abs. 1 StPO ist die Polizei grundsätzlich zuständig und verpflichtet, Ermittlungen zur Todesursache aufzunehmen, sobald es Anzeichen für einen nicht-natürlichen Tod gibt.5 Davon ist auch auszugehen, wenn noch nicht eindeutig zwischen natürlich und nicht-natürlich abgegrenzt werden kann. Es ist u.a. zu klären, ob die Identität der Person stimmt, was letztlich den Tod ausgelöst hat, ob eine dritte Hand im Spiel war und ob die vorgefundenen Umstände vernünftige Zweifel am mutmaßlichen Geschehensablauf ausschließen können. Das polizeiliche Vorgehen wird grundsätzlich vom Standardprogramm des 1. Angriffs bei Todesursachenermittlungen gesteuert. Das zu erwartende Ergebnis bei einem Suizid läuft auf „nicht-natürlicher Tod“, also eine Todesursache die von außen eingewirkt hat, hinaus.


Wer das genannte TV-Kammerspiel gesehen hat, wird die vielen juristischen Wortungetüme zur Kenntnis genommen haben, die zur Abstrahierung aller denkbaren Suizid-Szenarien erfunden worden sind. Dem Polizeibeamten, der hin und wieder zum Leichenfundort beordert wird, dürfte klar geworden sein, dass unser Berufsstand auf einen grundsätzlichen politischen Paradigmenwechsel zum Thema „Begleiteter Suizid“ nicht wirklich vorbereitet wäre. Werden wir vor dem begleiteten Suizid in Kenntnis gesetzt? Fahren wir ohne Vorinformationen zu einem völlig unbekannten Sachverhalt, was bedeuten würde, in voller Bandbreite zu ermitteln? Welche Dokumente und Beweismittel stehen zur Verfügung? Nach welchen Kriterien müssen wir den Suizid beurteilen? Wie wird sichergestellt, dass der beschriebene Vorgang des Suizids zweifelsfrei ein Tötungsdelikt ausschließt? Übernimmt die Polizei grundsätzlich nur die Absperrung des Leichenfundortes und stellt den vorgefundenen Status Quo sicher, bis Spezialisten erscheinen?


Es wäre denkbar, dass eine speziell rechtsmedizinisch ausgebildete Person6 den Fall übernimmt. Vielleicht kommt irgendwann auch der7 staatlich bestellte Leichenbeschauer zum Einsatz, den die GdP schon seit Jahren fordert, um die Quote der klassischen Fehler am Leichenfundort weitestgehend zu senken?


Im Kammerspiel „GOTT“ ging es um einen gesunden Menschen, der trotz einer optimistischen Lebensprognose den Wunsch hatte, man möge ihm dabei helfen sein Leben zu beenden. Wer soll hier die finalen Entscheidungen treffen?


Ein Ausweg wäre sicher ein Beratungsgespräch vor einer Kommission. Im Ergebnis könnten dem Sterbewilligen mehrere Optionen aufgezeigt oder aber seinem Anliegen entsprochen werden. Was passiert aber, wenn dem Antragsteller die Suizidbegleitung verweigert wird und dieser die Entscheidung nicht akzeptiert? In diesem Fall wird er wahrscheinlich sein Leben selbst und ohne Hilfe beenden, zumindest soweit es vorher nicht gelungen ist, ihn aufzufangen.

Wäre ein mutmaßlicher Suizid legal begleitet worden, müsste die Polizei zunächst von einer „ungeklärten Todesart“ ausgehen. Aus heutiger Sicht würde das zu einer „Todesursachenermittlung“ führen, um der Staatsanwaltschaft die Freigabeentscheidung zu ermöglichen.


In den Ermittlungen würden z.B. nachfolgende und weitere Fragen zu klären sein: Was war das Motiv des Verstorbenen? Hat er die Entscheidung wirklich selbst und ohne Druck von außen getroffen? Wer hat seinen letzten Weg begleitet? Wer hat ihn mit dem gewünschten Todescocktail versorgt?


Wenn all diese Dinge vor dem Akt des Suizids feststehen würden, dann sollte eine entsprechend beglaubigte Dokumentation zeitnah der Polizei übergeben werden. Es müssen eindeutig auslegbare, klar verständliche Regelungen geschaffen werden. Die Rolle der Polizei im Zusammenhang mit dem begleiteten Suizid müsste klar fixiert werden.

 

 

4 Ein kurzer Blick zu unseren Nachbarn8


In den BENELUX-Staaten und in der Schweiz ist es bereits vor Jahren gelungen, tragbare Kompromisse zu finden und diese klar gesetzlich zu regeln. Man hat damit den assistierten Suizid, wie man ihn dort bezeichnet, aus der Illegalität befreit. Inzwischen können unsere Nachbarn auf Erfahrungen und belastbares Statistikmaterial bauen.


Als erstes Land weltweit haben die Niederlande 1993 ein entsprechendes Gesetz in Kraft gesetzt. Belgien (2002) und Luxemburg (2009) zogen später nach. Alle drei Länder haben klare Kriterien, auf die hier im Detail nicht eingegangen werden soll. Insbesondere geht es – verallgemeinert dargestellt – um den überlegten, freiwilligen und ohne Druck schriftlich formulierten Sterbewunsch. Dieser muss u.U. mehrfach wiederholt werden. Zentrales Kriterium ist eine medizinisch aussichtslose, unerträgliche Situation des Patienten. Der sterbewillige Mensch aus dem Kammerspiel „Gott“ würde dieses Kriterium in den drei Ländern nicht erfüllen, sein Wunsch, ihm beim Sterben zu helfen, dürfte mit Sicherheit abgelehnt werden. Beispielsweise in den Niederlanden werden Fälle des assistierten Suizids streng überprüft.9 Dafür gibt es Sicherungen, wie die 2. Meinung eines Arztkollegen und die Meldung an eine regional zuständige Prüfungskommission aus Juristen, Ärzten und Ethikern. Insbesondere die Fragen, ob sorgfältig gehandelt wurde ist und ob strafrechtliche Verfolgung erforderlich ist, stehen dabei im Mittelpunkt. Jeder Fall wird also geprüft. Soweit sich die Befürworter in Deutschland durchsetzen, sind sicher vergleichbare Regelungen zu erwarten.


Unser Sterbewilliger müsste sich um professionelle Sterbehilfe an eine Organisation in der Schweiz wenden. Die Schweiz gilt hier als Hochburg. Erlaubt ist dort die „indirekte aktive Sterbehilfe“, wobei dem Patienten ein tödliches Medikament übergeben wird, das er persönlich und ohne fremde Hilfe einnimmt. Suizidhilfe darf nicht aus „selbstsüchtigen Beweggründen“ erfolgen, was strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Vereinfacht dargestellt, wird in der Schweiz nach einem vollzogenen „assistierten Suizid“ von einem sog. „außergewöhnlichen Todesfall“ ausgegangen. Die Polizei wird informiert und kommt an den Leichenfundort. Die Staatsanwaltschaft wird ebenfalls informiert. Hinzu kommt die Rechtsmedizin, welche Dokumente und Leichnam abgleicht sowie die Leichenschau vornimmt. Weitere vorgeschriebene Prüfungen werden vorgenommen und fließen in ein rechtsmedizinisches Protokoll ein. Bei berechtigten Zweifeln, Nichtübereinstimmung zwischen Dokumenten und der vorgefundenen Situation werden weitere Ermittlungen (z.B. Obduktion, toxikologische Untersuchungen) durchgeführt. Die Leichenfreigabe erfolgt nach Abschluss dieses Prozesses.

 


Fernglas, mit dem der herannahende Zug beobachtet wurde.