Recht und Justiz

„Ein Freund, ein guter Freund“

Von den Besonderheiten des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen (Teil 2)

4.2.4 Kein Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit (nemo-tenetur-Grundsatzes)

Auch ein Verstoß gegen den nemo-tenetur-Grundsatz liegt im Fall des Landgerichts Berlin nicht vor. Die Selbstbelastungsfreiheit zählt zu den Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Nach der Kernaussage dieses Prinzips darf im Strafverfahren niemand gezwungen werden, sich selbst einer Straftat zu bezichtigen und damit zu seiner Überführung beizutragen.22 Im Einzelnen besteht über Inhalt und Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes keine Einigkeit. Für unzulässig gehalten wurde einerseits, die Ausübung von Zwang zur Aussage oder Mitwirkung am Strafverfahren und andererseits, das Hinwirken eines Verdeckten Ermittlers auf selbstbelastende Angaben des sich auf sein Schweigerecht berufenden Beschuldigten.23


Unzulässig ist es, einen Beschuldigten in gezielten und beharrlichen vernehmungsähnlichen Befragungen, die auf Initiative der Ermittlungsbehörden ohne Aufdeckung der Verfolgungsabsicht durchgeführt wurden, wie etwa durch Verdeckte Ermittler, selbstbelastende Angaben zur Sache zu entlocken, obwohl er in einem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren gegenüber den Ermittlungsbehörden erklärt hatte, schweigen zu wollen. Im sog. „Mallorca-Mord“-Fall des Bundesgerichtshofs24 lag der Sachverhalt so, dass der dort Angeklagte, der sich in anderer Sache in Strafhaft befand, den gegen ihn erhobenen Vorwurf, er hätte in seiner Wohnung auf Mallorca ein 15-jähriges Mädchen betäubt, das danach verstarb, gegenüber einem Kriminalbeamten abstritt und ausdrücklich erklärte, er werde von seinem Schweigerecht Gebrauch machen. Anschließend erfolgte über ein Jahr der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers, der den Angeklagten auf einem Gefangenentransport kennenlernte und in der Folgezeit wiederholt im Gefängnis besuchte. Im Rahmen eines Hafturlaubs bedrängte der Verdeckte Ermittler den Angeklagten unter Hinweis auf das zwischenzeitlich bestehende Vertrauensverhältnis, wahrheitsgemäße Angaben zum Tatvorwurf zu machen, woraufhin der Angeklagte die Tat schließlich detailreich einräumte. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs formulierte daraufhin deutliche Leitsätze: „Ein Verdeckter Ermittler darf einen Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hat, nicht unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses beharrlich zu einer Aussage drängen und ihm in einer vernehmungsähnlichen Befragung Äußerungen zum Tatgeschehen entlocken. Eine solche Beweisgewinnung verstößt gegen den Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst zu belasten, und hat regelmäßig ein Beweisverwertungsverbot zur Folge.“25


Ein Beweisverwertungsverbot nahm auch der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einer ähnlich gelagerten Konstellation an.26 Im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung stritt die Angeklagte den Vorwurf, ihre drei Kinder getötet zu haben, ab und erklärte, zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen nichts mehr sagen zu wollen. Nachdem die Angeklagte gegenüber einem anschließend eingesetzten Verdeckten Ermittler nach fast einem Jahr von sich aus keine Angaben zu Tat gemacht hatte, begann der Verdeckte Ermittler, auf die Angeklagte einzuwirken. Der Verdeckte Ermittler gab u.a. wahrheitswidrig vor, er habe seine Schwester getötet, um so die Angeklagte wiederum zu Angaben zum Tod ihrer Kinder zu bewegen. Die Angeklagte bezichtigte daraufhin ihren Ehemann der Tat. Als der Verdeckte Ermittler schließlich vorschlug, er könne die Polizei aufsuchen und angeben, dass der Ehemann die Tat begangen habe, vertraute die Angeklagte dem Verdeckten Ermittler schließlich die Tat in einem aufgezeichneten Gespräch an. Der Bundesgerichtshof hielt dies für verfahrensrechtlich unzulässig, da der Verdeckte Ermittler der Angeklagten unter Ausnutzung des Vertrauensverhältnisses Angaben entlockt hatte, obwohl diese sich im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung zum Schweigen entschieden hatte.27


Nach dem vom Landgericht Berlin festgestellten Sachverhalt liegt eine Verletzung des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit gemessen an den vorstehenden Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht vor. Der A wurde nämlich im Ermittlungsverfahren bis zu seiner Äußerung dem Verdeckten Ermittler VE-2 gegenüber nicht als Beschuldigter vernommen und insbesondere hatte er bislang nicht erklärt, sich auf sein Schweigerecht zu berufen. Insofern lag eine „Verdichtung“ des aus dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit folgenden allgemeinen Schutzes des Beschuldigten28 hier nicht vor.


Als weitere in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannte Ausprägung beinhaltet der nemo-tenetur-Grundsatz das Verbot von Zwang. Niemand darf gezwungen werden, sich selbst durch eine Aussage einer Straftat zu bezichtigen und damit zu seiner Überführung beizutragen oder sonst wie an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken.29 Die Freiheit von Irrtum fällt hingegen nicht in den Anwendungsbereich des nemo-tenetur-Grundsatzes. In der Entscheidung des Großen Senats zur sog. „Hörfalle“ heißt es dazu: „Gegenstand des Schutzes des nemo-tenetur-Grundsatzes ist die Freiheit von Zwang zur Aussage oder Mitwirkung am Strafverfahren. Die Freiheit von Irrtum fällt nicht in den Anwendungsbereich dieses Grundsatzes.“30


Kritisch sind Fälle zu beurteilen, in denen Situationen des Beschuldigten ausgenutzt werden, in welchen dieser weder widerstehen noch ausweichen kann, wie etwa in Fällen der U-Haft.31 Demgegenüber kann es den Ermittlungsbehörden nicht verwehrt sein, Äußerungsmotive zu schaffen, um den bislang schweigenden Beschuldigten zum Reden zu bringen,32 sofern dieser sich nicht bereits im Rahmen eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens gegenüber den Ermittlungsbehörden auf sein Schweigerecht berufen hat. Im Rahmen des Einsatzes eines Verdeckten Ermittlers ist die Grenzziehung zwischen (noch) zulässiger Motivation zur Einlassung des Tatverdächtigen einerseits und unzulässigem Zwang und Druck zur Aussage andererseits jeweils im konkreten Einzelfall zu bestimmen. Maßgeblich sind dabei die Schwere des Tatvorwurfs und die Art der Beziehung des Verdeckten Ermittlers zum Tatverdächtigen unter Berücksichtigung der von dem Ermittler verwendeten Legende.


Im Fall des Landgerichts Berlin befand sich der A zwar im Irrtum über die Verfolgungsabsicht des Verdeckten Ermittlers VE-2, er hatte sich indessen gerade freiwillig zur Sache geäußert. Durch Nachfragen des VE-2 übte dieser auch weder einen unerlaubten Zwang aus, noch drängte er den A gezielt oder beharrlich zu einer Aussage. Vielmehr äußerte der A sich insoweit „von sich aus“, weil er dem VE-2 „nunmehr zu 100% vertraue“.

4.2.5 Keine Straftat des Verdeckten Ermittlers

Grundsätzlich darf der Verdeckte Ermittler keine Straftaten begehen.33 Im Fall des Landgerichts Berlin hat der VE-2 insbesondere keine Straftat begangen, indem er – als Teil seiner Legende – die Tötung seiner vermeintlichen (ehemaligen) Freundin in Aussicht nahm und mit dem A diesbezügliche Pläne erörterte, um diesen so Angaben zur Ermordung des Mädchens G zu entlocken. Insoweit hat der VE-2 lediglich eine Straftat vorgetäuscht, was ihm nach allgemeiner Meinung erlaubt ist.34

 

4.2.6 Keine Tatprovokation

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine solche – Art. 6 EMRK verletzende – Tatprovokation vor, wenn eine nicht verdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt.35


Das Landgericht Berlin verurteilte den A hingegen nicht wegen einer staatlicherseits provozierten Tat. Vielmehr war Gegenstand des Urteils die zurückliegende Tat bezüglich G, welche mithilfe einer vorgetäuschten weiteren Tat, nämlich der Ermordung der fiktiven Freundin des VE-2, aufgeklärt werden sollte. Ein Fall polizeilicher Tatprovokation, die an den Leitlinien höchstrichterlicher Rechtsprechung zu messen wäre, liegt demnach nicht vor.