Opferschutz und Opferhilfe bei der Polizei
Von EKHK a.D. Klaus Kemper, Duisburg
1 Allgemeines
Im Rahmen des Aufgabenspektrums der Polizeibehörden in der Bundesrepublik Deutschland fällt der Bereich Strafverfolgung, also die Ermittlung und Überführung von Tatverdächtigen, in großen Teilen in den Zuständigkeitsbereich der kriminalpolizeilichen Fachdienststellen. Für das Jahr 2020 veröffentlichte das Bundesministerium des Innern im Rahmen der Jährlichen Kriminalstatistik die Anzahl von insgesamt 5.319.621 begangenen bzw. bekannt gewordenen Straftaten, was im Übrigen einen Rückgang von 2,3% gegenüber der für das Vorjahr erfassten Zahl bedeutet.2 Die Aufklärungsquote lag bei 58,4%. Nach dem Motto „Wo Rauch ist, da ist auch Feuer“ bedeutet das zwangsläufig, dass bei so gut wie jedem dieser Delikte auch entweder mindestens eine natürliche oder eine juristische Person in irgendeiner Form Schaden genommen hat. Die in diesem Zusammenhang vom BMI im letzten Jahr veröffentlichte Anzahl von 1.011.462 erfassten Opfern3 ist dabei nur bedingt aussagekräftig, da hier lediglich Personen erfasst werden, deren Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre oder sexuelle Selbstbestimmung durch die Taten tangiert wurden. Zudem fließen Personen, die im Berichtszeitraum mehrfach geschädigt waren, auch entsprechend häufig in die „Opfer-Erfassung“ ein.
2 Kriminalprävention
Neben der Strafverfolgung gehört die Gefahrenabwehr zu den Grundpfeilern polizeilicher Arbeit. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben obliegt in Deutschland als föderalem Staat den einzelnen Bundesländern und ist deshalb auch in jeweils eigenständigen Landesgesetzen geregelt. So heißt es z.B. in § 1 PolG NRW: „Die Polizei hat die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr). Sie hat im Rahmen dieser Aufgabe Straftaten zu verhüten sowie vorbeugend zu bekämpfen...“
Bei den folgenden Ausführungen bezieht sich der Autor auf seine Erfahrungen der Entwicklungen im Land NRW, sowie en detail in der KPB Duisburg, wobei überörtliche Kontakte allerdings immer wieder gezeigt haben, dass die Aufgabenwahrnehmung in Behörden anderer Bundesländer ähnlich erfolgt.
Die bei der Kriminalpolizei lange Zeit vorherrschende Ansicht „Repression ist die beste Prävention“ schien sich auf Dauer trotz guter Polizeiarbeit nicht zu bewahrheiten. Im Rahmen einer Neuorganisation der Kreispolizei- und Landratsbehörden in NRW wurden eigenständige, für polizeiliche Präventionsmaßnahmen zuständige Dienststellen geschaffen. In anderen Bundesländern wurde ähnlich reagiert, oft wurde die Vorbeugung auch beim jeweiligen Landeskriminalamt angesiedelt. Zudem wurde im Jahr 1997 die Zentrale Geschäftsstelle des Programms Polizeiliche Kriminalprävention (ProPK) gegründet, die ihren Sitz beim LKA in Stuttgart hat und die bundesweit die Beratungsstellen mit Medien zu den angebotenen Präventionsthemen unterstützt.
Die Vorbeugungsdienststellen leisten im Rahmen ihrer Tätigkeiten aktiven Opferschutz, indem sie den Bürgern auf verschiedene Art und Weise vermitteln, was sie tun können, um zu vermeiden, Geschädigte von Straftaten zu werden. Dies geschieht z.B.
im Rahmen von Hinweisen auf den Polizeidienststellen oder auch unmittelbar vor Ort, welche technischen Möglichkeiten existieren, mit denen man sich vor Einbruchsdiebstählen schützen kann. Die Anzahl von 46,7% im Versuchsstadium steckengebliebenen Wohnungseinbrüchen bei insgesamt 75.023 derartigen Taten im Jahr 2020 lässt zumindest die Effektivität solcher durch die Bürger umgesetzten Vorbeugungsmaßnahmen erahnen.
durch Einzelberatungen oder Vorträge zu Themen wie Computerkriminalität oder gängigen Betrugsmaschen, letztere insbesondere im Zusammenhang mit älteren Menschen.
in Einzel- oder Gruppengesprächen durch Verhaltenshinweise zur Vermeidung oder zumindest Minimierung der Gefahr von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder sexuellen Missbrauch.
3 Polizeilicher Opferschutz
Wie bereits dargelegt, sahen die Sachbearbeiter der Kriminalpolizei ursprünglich den Schwerpunkt ihrer Arbeit in der Aufklärung angefallener Straftaten. Dabei fungierten die bei diesen Vorfällen als Opfer beteiligten Bürger zunächst einmal vorrangig als wichtigste Tatzeugen, die möglichst schnell und detailliert zum Geschehen befragt werden mussten. Nach diesen oft belastenden Vernehmungen wurden die Geschädigten dann in der Regel mit dem Hinweis, dass sie möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal für ergänzende Angaben vorgeladen oder aufgesucht würden, wieder entlassen oder auch nach Hause gebracht. Dort mussten sie dann mit ihren Eindrücken und Gedanken im Zusammenhang mit den möglicherweise traumatisierenden Erlebnissen alleine fertig werden.
Vor diesem Hintergrund setzte sich in den 1990er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts nach einer in der Gesellschaft intensiv geführten Diskussion die Überzeugung durch, dass eine Möglichkeit geschaffen werden sollte, durch die Menschen, die zu Opfern krimineller Handlungen geworden sind, zeitnah aufgefangen werden können. Durch die möglichst schnelle Einbindung und Intervention von mit dem Thema betrauten Fachdisziplinen sollten demnach eventuell daraus resultierende Ängste oder sogar Traumata beim Opfer bearbeitet werden, um mögliche Spätfolgen zu vermeiden.
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