Recht und Justiz

Die Verständigung im Strafverfahren

Von Staatsanwalt Dr. Sören Pansa, Kiel

 

Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Institut der Verständigung im Strafverfahren, insbesondere den Vorschriften i.S.d. §§ 243 Abs. 4, 257c StPO. Zunächst erfolgt ein Überblick hinsichtlich der Gründe für die Schaffung der gesetzlichen Regelungen im Jahr 2009.2 Anschließend soll anhand der Darstellung dreier exemplarischer Fehlerquellen die Schwierigkeit des Umgangs mit diesen Regelungen in der Praxis aufgezeigt werden. Hierbei wird im Besonderen auf die Sicht „der Staatsanwaltschaft“ hinsichtlich dieser Problemfelder eingegangen.

 

 

1 Hintergründe


Absprachen zwischen den Verfahrensbeteiligten haben schon seit vielen Jahrzehnten Einzug in Strafverfahren, insbesondere vor den Großen Strafkammern gehalten. Diese Vereinbarungen werden grundsätzlich getroffen, um eine ansonsten drohende umfangreiche und langwierige Beweisaufnahme abzuwenden. Zentral für eine solche Verfahrensabsprache ist deshalb ein Geständnis des Angeklagten, von welchem dieser sich wiederum einen erheblichen Strafnachlass verspricht. Vor dem Jahr 2009 sind diesbezügliche Absprachen grundsätzlich außerhalb der Hauptverhandlung zwischen den „Profis“, also Berufsrichter, Staatsanwalt und Verteidiger getroffen worden, wobei in der anschließenden Hauptverhandlung lediglich das Geständnis des Angeklagten erfolgte, nicht aber ein gesonderter Hinweis durch den Vorsitzenden auf die getroffene Absprache. Dies erscheint fragwürdig, da laut des Öffentlichkeitsgrundsatzes i.S.d. § 169 S. 1 GVG die gesamte Hauptverhandlung in (potentieller) Anwesenheit von Zuschauern zu erfolgen hat. Auch die sog. Amtsaufklärungspflicht des Gerichts i.S.d. § 244 Abs. 2 StPO könnte im Rahmen derartiger Absprachen beeinträchtigt werden, da die Gefahr besteht, die Verfahrensbeteiligten könnten allein anhand der Aktenlage einen Sachverhalt konstruieren, auf dessen Grundlage dann das Geständnis erfolgt. Da es an gesetzlichen Vorschriften fehlte, oblag die Art der Durchführung solcher Absprachen grundsätzlich dem Gutdünken der Verfahrensbeteiligten, weshalb keine einheitliche Handhabung in der gerichtlichen Praxis erfolgte. Im Jahr 1982 wies Hans-Joachim Weider in einem Beitrag, den er unter dem Pseudonym Detlef Deal verfasste auf diese Schwierigkeiten hin: „Fast jeder kennt es, fast jeder praktiziert sie, nur keiner spricht darüber“.3 Nach Schätzungen prominenter Angehöriger von Justiz und Jurisprudenz dürften um das Jahr 2000 herum in mindestens der Hälfte der Strafverfahren Absprachen vorgenommen worden sein.4

Es könnte die Frage gestellt werden, warum dieses „System“ der ungeregelten Verfahrensabsprachen problematisch sein sollte. Eigentlich gibt es doch nur Gewinner. Die Justiz wird nicht mit unnötig umfangreichen Verfahren belastet und der Angeklagte bekommt für sein Geständnis eine mildere Strafe. Diese Sichtweise griffe jedoch etwas zu kurz. Denn die von dem Gericht in Aussicht gestellte, ermäßigte Strafe geht auch zumindest konkludent mit der Drohung einher, dass die Strafe bei fehlender Kooperation des Angeklagten sehr viel strenger ausfallen würde. Ferner impliziert die Bereitschaft des Gerichts zu einer Verfahrensabsprache, dieses gehe von der Schuld des Angeklagten aus. Insofern wird gerade aus Sicht eines Angeklagten, der unschuldig ist, oder sich zumindest dafür hält, die Objektivität des Gerichts nachhaltig infrage gestellt. Des Weiteren darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass die Gerichte, um eine für sie erstrebenswerte Verfahrensabkürzung zu erreichen, in nicht ganz seltenen Fällen die Angeklagten durchaus „zu ihrem Glück gezwungen“ haben dürften5. So könnte ein nicht völlig untypisches Gespräch des Vorsitzenden einer Großen Strafkammer mit dem Verteidiger des Angeklagten außerhalb der Hauptverhandlung über den zu erwartenden Ablauf des Verfahrens durchaus in etwa so abgelaufen sein:


Vor.: Was haben wir denn von dem Angeklagten zu erwarten?


Ver.: Mein Mandant hat mir mitgeteilt, er hätte den Kiosk nicht überfallen und das wird er in der Hauptverhandlung auch angeben.


Vor.: Das ist natürlich sein gutes Recht. Aber die den Angeklagten belastenden Beweise sind ja durchaus beachtlich. Immerhin geben drei Zeugen an, dass Ihr Mandant der Täter gewesen wäre.


Ver.: Das mag ja sein, aber deren Aussagen sind doch voller Widersprüche. Außerdem habe ich ja bezüglich der Videoaufnahmen bereits in meinem letzten Schriftsatz das Erfordernis eines Sachverständigengutachtens dargelegt.


Vor.: Sie können zweifellos versichert sein, dass die Kammer die Beweisaufnahme unvoreingenommen und mit der größten gebotenen Sorgfalt durchführen wird. Aber ich sehe es natürlich als meine Pflicht an, Ihren Mandanten, für den ja insbesondere als Familienvater viel auf dem Spiel steht, auf die erhebliche strafmildernde Wirkung eines Geständnisses hinzuweisen.


Ver.: Dem will ich mich ja auch grundsätzlich gar nicht verschließen. Aber ich kann meinen Mandanten doch auch nicht…


Vor.: Wir haben das in der Kammer verständlicherweise noch nicht in allen Details vorberaten. Ich lehne mich aber sicherlich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich Ihnen mitteile, dass bei einem Geständnis durchaus noch etwas im bewährungsfähigen Bereich möglich wäre.


Ver.: Und wenn er nicht gesteht?


Vor.: Nun, dann wäre im Fall einer Verurteilung sicherlich vieles gegeneinander abzuwägen. Ich kann Ihnen aber versichern, die Kammer wird sich bemühen, die Freiheitsstrafe im einstelligen Bereich zu halten.


Dem im vorliegenden Fall betroffenen Angeklagten dürfte es wohl sehr schwer fallen, weiterhin einen Freispruch erreichen zu wollen. Insofern besteht in solchen Konstellationen, die erhebliche Gefahr falscher Geständnisse, um eine ansonsten drohende langjährige Freiheitsstrafe abzuwenden. Aufgrund derartiger und vergleichbarer Praktiken sah sich der Bundesgerichtshof im Jahr 1997 zu einem Grundsatzurteil gezwungen, in welchem auch das eben beschriebene Vorgehen im Wege der sog. angedrohten Sanktionsschere aufgegriffen worden war.6 Einen weiteren bedeutsamen Aspekt bei Verfahrensabsprachen bildet die Frage, ob der Angeklagte auf Rechtsmittel verzichten darf. Hierbei wurde vor Einführung der gesetzlichen Regelungen seitens der Gerichte großer Wert auf die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts durch den Angeklagten gelegt.7 Denn was wäre eine zwar abgekürzte Beweisaufnahme wert, wenn trotzdem die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Verfahrens im Rahmen der Rechtsmittelinstanz drohen würde? Ferner sind bei getroffenen Absprachen die anschließenden Beweisaufnahmen oftmals lediglich rudimentär ausgefallen. Das Verfassen eines sog. „langen“ Urteils i.S.d. § 267 Abs. 1-3 StPO konnte da mangels festgestellter Tatsachen durchaus nicht unerheblichen Schwierigkeiten begegnen, während ein rechtskräftiges Urteil gemäß § 267 Abs. 4 StPO mit abgekürzten Gründen versehen werden kann. Diesbezüglich sah sich daher sogar der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs veranlasst, gerichtlicher Einwirkungen hinsichtlich der Erklärung des Rechtsmittelverzichts durch den Angeklagten enge Grenzen zu setzen.8

B 1: Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft.


Im Jahr 2009 entschied sich der Gesetzgeber dann zum Handeln, da „eine bedeutsame und auch umstrittene Vorgehensweise im Strafprozess dringend klarer Vorgaben bedarf, die der Rechtssicherheit und der gleichmäßigen Rechtsanwendung dienen“.9 Ferner müsste sich der Gesetzgeber „dem, was insoweit in der deutschen Rechtspraxis seit mehrere Jahrzehnten vorzufinden ist und sich in immer stärkerem Maße ausgebreitet hat, […] mit einer klaren Position stellen. Ließe er diese Entwicklung weiterhin ungeregelt, würde er seine verfassungsrechtliche Pflicht, das Wesentliche zu regeln, versäumen“.10 Dieser Pflicht ist dann auch durch eine Vielzahl von Regelungen nachgekommen worden, die die Möglichkeiten für Absprachen in jedem Verfahrensstadium regeln. Gemäß § 160b StPO kann die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren mit den Verfahrensbeteiligten den Verfahrensstand erörtern und dies aktenkundig machen. Eine erhebliche Relevanz hat diese Norm in der Praxis nach Erfahrung des Verfassers bisher jedoch nicht entwickeln können. Eine Entsprechung für das Gericht findet diese Norm in § 202a StPO, § 212 StPO und § 257b StPO bezüglich des Zwischenverfahrens und des Hauptverfahrens sowie unmittelbar für die Hauptverhandlung. Das Herzstück der gesetzlichen Regelung bildet § 257c StPO der vorsieht, dass sich jede Verständigung auf ein Geständnis beziehen soll und eine solche zustande kommt, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem gerichtlichen Verständigungsvorschlag zustimmen. Ein vereinbarter Strafrahmen muss dabei mit Unter- und Obergrenze bezeichnet werden. Flankierend schließt § 302 Abs. 1 StPO bei Zustandekommen einer Verständigung den Verzicht und die Zurücknahme eines Rechtsmittels aus. Ferner muss das Gericht in öffentlicher Hauptverhandlung über den Inhalt einer Verständigung i.S.d. § 257c StPO oder verständigungsbezogener Erörterungen i.S.d. §§ 202a, 212, 257b StPO gemäß § 243 Abs. 4 StPO Mitteilung machen. Dies ist erforderlich, da diese Gespräche typischerweise zunächst allein zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger erfolgen. Des Weiteren sind sämtliche dieser Mitteilungen als wesentliche Förmlichkeiten der Hauptverhandlung gemäß § 273 Abs. 1a) StPO protokollierungspflichtig.

Ob der Gesetzgeber mit diesen Regelungen die Probleme der Verfahrensverständigungen in der Hauptverhandlung zu lösen vermocht hat, soll im Folgenden erläutert werden.

 

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