Polizei

Coronakrise und die Auswirkungen auf Polizei, Kriminalität und Freiheitsrechte

Interviewreihe. Von Prof./Ltd. Regierungsdirektor a.D. Hartmut Brenneisen, Preetz/Worms



KD Rolfpeter Ott: „COVID-19 wird auch die kriminalpolizeiliche Arbeitswelt nachhaltig verändern“


Am 26. Mai 2020 kam es zu einem Austausch mit dem Leiter der Abteilung 1 des LKA Schleswig-Holstein Rolfpeter Ott. Der Kriminaldirektor ist zentraler Ansprechpartner für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes für Fragen im Zusammenhang mit dem „Coronavirus SARS-CoV-2“.

 

Kriminalpolizei: In der Presse wird zum Teil über negative Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Kriminalität berichtet. Vor einigen Tagen hieß es z.B. in einer Tageszeitung: „Das LKA warnt: Betrüger nutzen Corona-Not aus“. Haben sich seit Februar 2020 neue Kriminalitätsschwerpunkte herausgebildet?

Rolfpeter Ott: Ja, allerdings haben sich diese neuen Schwerpunkte erst im Laufe der Pandemie entwickelt. Zunächst war das öffentliche Leben ja nahezu vollständig stillgelegt. In dieser Phase konnten wir naturgemäß keine relevanten Auswirkungen erkennen. Im Zusammenhang mit dem „Corona-Schutzschild“ und hier den Subventionen für kleinere Betriebe kam es in der Folgezeit jedoch zu Betrugsversuchen. Auch über sog. Fake-Seiten im Internet wurde durch Aussagen wie „… hier können Sie unberechtigt erhaltene Subventionszahlungen zurückgeben!“ versucht, an das Geld der Menschen zu kommen – im Einzelfall sogar erfolgreich. Zusammengefasst ist also festzustellen, dass uns insbesondere der Betrugssektor besonders beschäftigt hat.

Kriminalpolizei: Unter dem Motto „Kriminalität in der Krise“ wird die Frage aufgeworfen, ob sich bestimmte kriminelle Gruppen nicht selbst in einer Krisensituation befinden. Einbruchsdiebstähle, Raub- und Körperverletzungsdelikte sollen deutlich zurückgegangen sein. Können Sie diese Entwicklung bestätigen?

Rolfpeter Ott: Das kann ich vollkommen bestätigen. Die Zahlen sind gerade zu Beginn der Krise massiv zurückgegangen, zum Teil im zweistelligen Prozentbereich. Dies gilt insbesondere für die angesprochenen Delikte. Für mich war das aber eine logische Folge, denn die Menschen hielten sich eben nicht auf der Straße und in der Öffentlichkeit, sondern zu Hause auf. Damit waren schlichtweg weniger Tatgelegenheiten für Raub- und Körperverletzungsdelikte, aber auch für den Wohnungseinbruch vorhanden. Aktuell stellen wir fest, dass die Zahlen mit dem Ende des „Lockdowns“ und dem aufkommenden öffentlichen Leben wieder zunehmen. Wir haben allerdings noch nicht wieder das Kriminalitätsniveau erreicht, das wir vor der Pandemie hatten.

Kriminalpolizei: Straftäter wollten sich in den letzten Wochen zum Teil mit dem Hinweis auf eine Corona-Infektion der Festnahme entziehen. Ist dieses Phänomen neu oder auch bereits im Zusammenhang mit anderen Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis aufgetreten?

Rolfpeter Ott: Das ist in der Tat nicht neu. Vergleichbare Phänomene gab es beim erstmaligen Auftreten des HI-Virus in den 1980er und 1990er Jahren sowie im Zusammenhang mit Hepatis-Infektionen. Mit an Hepatitis-CErkrankten habe ich während meiner Tätigkeit im Kriminaldauerdienst auch persönlich Erfahrungen machen müssen. Ähnliche Erkenntnisse gibt es nun mit dem Coronavirus – jedoch keinesfalls in überbordendem Maße. Zu Beginn der Pandemie gab es einige Fälle, über die auch in der Presse berichtete wurde. Zuletzt haben wir dieses Phänomen jedoch nicht mehr festgestellt. Hinweisen möchte ich aber auf besondere Schwierigkeiten bei Einsätzen mit infizierten Personen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Festnahmen, Ingewahrsamnahmen oder sonstige Maßnahmen wie Blutprobenentnahmen oder Personendurchsuchungen handelt. Streifenwagen, Dienst- und Gewahrsamsräume müssen in diesen Fällen sorgfältig desinfiziert werden und Kollegen sich testen lassen. Durch mögliche Quarantänemaßnahmen können sie zudem zeitweise ausfallen.

Kriminalpolizei: Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die kriminalpolizeiliche Arbeit? Eine Tatortaufnahme oder Vernehmungen aus dem Homeoffice heraus sind doch kaum möglich.

Rolfpeter Ott: Das ist ein wichtiges und zugleich sehr vielschichtiges Thema, mit dem ich mich in den letzten Wochen hauptsächlich beschäftigt habe. Wir hatten zu Beginn der Pandemie eine hohe Verunsicherung in der Kollegenschaft festgestellt. Das war auch verständlich, denn der Informationsfluss war diffus und keiner wusste, was da genau auf uns zukommt. Viele haben zunächst auf sich selbst geachtet, denn keiner wollte sich infizieren und unter Umständen schwer erkranken. Dann kam aus der Staatskanzlei das Signal an die Behörden und Dienststellen der Landesverwaltung, möglichst alle Mitarbeiter ins Homeoffice zu schicken. Dies ist für eine Organisation wie die Polizei aber kaum umsetzbar, denn wir können keine Wachen schließen und wir können auch nicht den Streifendienst einstellen. Die Bürger erwarten von uns berechtigt Präsenz und Hilfe auch in schwierigen Zeiten. Im LKA mit seinen knapp 800 Mitarbeitern haben wir aber tatsächlich auf das Homeoffice gesetzt und bis zu 25% der Kollegen nach Hause geschickt. Unter Homeoffice in diesem Sinne verstehen wir dabei eine Tätigkeit, die an mehr als zwei Tagen in der Woche in der eigenen Wohnung stattfindet. Damit waren dann zunächst erhebliche technische Probleme verbunden. Wir hatten nicht genügend Laptops und mussten zudem sichere Datenverbindungen schaffen. Das Polizeinetz war schnell überlastet und die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter dadurch stark eingeschränkt. Vernehmungen und Durchsuchungen haben wir soweit es ging geschoben und andere Schwerpunkte gesetzt.

Kriminalpolizei: Welche Schwerpunkte und Tätigkeitsfelder meinen Sie damit?

Rolfpeter Ott: Wir haben uns die Frage gestellt, welche Arbeiten zuletzt liegengeblieben und wo Halden entstanden sind. Diesen Halden haben wir uns nun intensiv gewidmet. Dabei ging es z.B. um die zeitintensive Auswertung sichergestellter elektronischer Medien – bis hin zur Priorität 3. Wir waren damit in einfacheren Betrugssachen teilweise mehrere Monate im Rückstand. Endlich hatten wir nun Zeit, diese Auswertetätigkeiten vorzunehmen. Und das konnten wir auch im Homeoffice erledigen – zumindest zum Teil, denn Original-Asservate konnten natürlich nicht mit nach Hause genommen werden. Insofern war die Abarbeitung liegengebliebener Vorgänge sogar ein positiver Effekt der Corona-Pandemie, wenngleich damit umfangreiche organisatorische Maßnahmen verbunden waren. Diese haben viel Kraft und Zeit gekostet. Zudem war dieser Ansatz natürlich nicht durchgehend umsetzbar. Ein kriminaltechnisches Labor kann eben nicht in das Homeoffice verlegt werden. Insofern war die Umsetzung des Homeoffice nicht so stark umsetzbar wie in anderen Verwaltungsbereichen, so dass im Schnitt 75% über den ganzen Tag verteilt präsent waren.

Kriminalpolizei: Wie wurde der Präsenzdienst organisiert und konnten die wichtigsten Verhaltensregeln zum Schutz vor dem Virus berücksichtigt werden?

Rolfpeter Ott: Wir haben im LKA, um die Büros möglichst nur durch eine Person zu nutzen, die regelmäßige Anwesenheitszeit auf 06.00 bis 22.00 Uhr ausgeweitet und dann in zwei Schichten gearbeitet – von 06.00 bis 13.59 Uhr und von 14.01 bis 22.00 Uhr. Das kam zumindest bei einigen Mitarbeitern sogar gut an, da dadurch die Kinderbetreuung besser zu gewährleisten war. Denn die Schulen, Kindergärten und Kitas hatten den Betrieb ja weitgehend eingestellt und auch heute stockt die Betreuung noch. Aktuell fahren wir, beraten durch Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsmediziner, den Regelbetrieb wieder langsam hoch, und es kehrt etwas mehr Normalität in den Arbeitsalltag ein. Allerdings sind dazu gezielte Schutzmaßnahmen erforderlich, wie z.B. der Einbau von Plexiglasscheiben in kleineren Büroräumen, die durch mehrere Personen genutzt werden sollen. Die Schutzpolizei hat indes ungleich größere Probleme, denn die Streifenwagen müssen nun einmal besetzt werden und ein Abstand von 1,50 Meter zwischen den Beamten ist dort einfach nicht möglich. Es gibt insofern keine Alternative. Festzustellen ist aber auch, dass noch heute – also Ende Mai – eine Verunsicherung der Kollegen zu spüren ist. Dies gilt insbesondere für Angehörige der von den Virologen definierten Risikogruppen.

Kriminalpolizei: Welche Erkenntnisse aus den letzten Wochen sind für Sie auch in Zukunft von Bedeutung?

Rolfpeter Ott: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Tätigkeiten bei gleicher Qualität im Homeoffice erledigt werden können und damit viel Flexibilität in der Arbeitswelt möglich ist. Dadurch kann zudem ein Motivationsschub entstehen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wesentlich gefördert werden. Das Homeoffice wurde von vielen Kollegen zunächst verteufelt, frei nach dem Motto: Ich muss als Polizist doch immer präsent sein! An vielen Stellen ist dies auch tatsächlich zwingend geboten, aber das gilt eben nicht für alle Bereiche gleichermaßen. Insofern werden wir hier umdenken müssen und dies sicher auch tun, wobei ein komplettes Arbeiten im Homeoffice kaum vorstellbar ist. Insgesamt sind hier einzelfallbezogene Lösungen gefragt, bei denen die Aspekte Geeignetheit der Aufgabe, persönliche Voraussetzungen des Mitarbeiters aber auch Ansprechbarkeit der Organisationseinheit abzuwägen sind.


Anmerkung

Rolfpeter Ott ist seit 1989 Kriminalbeamter. Nach einer sechsjährigen Tätigkeit beim BKA ist er 1995 zur Landespolizei Schleswig-Holstein gewechselt und dort zurzeit als Kriminaldirektor Leiter der Abteilung 1 des LKA.