Innere Sicherheit weiterdenken:

Ausgrenzung, Hass und Gewalt mit einem Bericht zur 65. Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (Teil 1)

 

Von Prof. Ralph Berthel, Frankenberg/Sa.1

 

 

Am 27. und 28. November 2019 fand in Wiesbaden die 65. Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA) statt. Mit der Thematik Hasskriminalität griff das BKA im Rahmen dieser traditionsreichen Tagungsreihe ein politisch hoch aktuelles und für die Sicherheitsbehörden herausforderndes Themenfeld auf. Wie auch in den vergangenen Jahren folgte die inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltung einem übergreifenden Betrachtungsansatz. So kamen im Rahmen der 2019er Ausgabe der Herbsttagung sowohl Referenten aus kriminalwissenschaftlichen und angrenzenden Disziplinen, der Praxis der Polizei und anderer Sicherheitsakteure als auch der Zivilgesellschaft zu Wort. Alle (dem BKA als Dateien) vorliegenden Redebeiträge zur Tagung sind auf der Homepage des BKA einzusehen.2 Im ersten Teil des Beitrages erläutert der Autor einige Begrifflichkeiten und stellt das Themenfeld Hass- bzw. Vorurteilskriminalität zudem im kriminal- und sozialwissenschaftlichen Kontext dar. Im zweiten Teil, der in Heft 2/2020 erscheinen wird, werden die wesentlichen Inhalte der 65. Herbsttagung dargestellt.

 

Hass ist ein Gefühl, keine Straftat –  Begriffliche Einordnungen


Es erscheint zunächst sinnvoll, eine begriffliche Einordnung von Hass und Hass- bzw. Vorurteilskriminalität vorzunehmen und zugleich die Strafrechtsnormen kurz darzustellen, die im Kern mit Hasskriminalität verbunden werden.

Bei Hass handelt es sich aus psychologischer Sicht um ein intensives (intentionales) Gefühl der Abneigung bzw. Feindseligkeit. Dabei ist eine Steigerung bis hin zum sog. tödlichen Hass, also zur Vernichtung der Person(en), auf die sich der Hass bezieht, möglich. Hass wird regelmäßig als Gegenpol zu Liebe bezeichnet.3 Hinsichtlich der Entstehungsmechanismen für Hass führt Stangl aus: „Hass ist eine menschliche Emotion scharfer und anhaltender Antipathie und entsteht, wenn tiefe und lang andauernde Verletzungen nicht abgewehrt und/oder bestraft werden können. Hass ist in den meisten Fällen somit eine Kombination aus Vernunft und Gefühl, wobei die Vernunft das Ende der Verletzung und eine Bestrafung des Quälers fordert. Das Gefühl des Hasses ist manchmal auch mit dem Wunsch verbunden, den Gehassten zu vernichten. Robert Sternberg, der Begründer der Positiven Psychologie, liefert auch zentrale Aspekte der Ursachen, Erscheinungsformen und Bedingungen des Hasses, wobei Hass zwar viele Facetten besitzt, aber letztlich auf drei Komponenten basiert: Einer emotionalen Komponente: plötzlich aufflammende, instinktähnliche, reaktive oder ‚nackte‘ Wut, wobei eine solche Wut zur road rage mit Schimpfen, Drohen, Handgreiflichkeiten eskalieren kann; einer sozialen Komponente: Verweigerung von Nähe, etwa aus Ekel, Verachtung oder Abneigung wird der Kontakt zu einem Menschen oder einer Gruppe abgelehnt; einer kognitiven Komponente: eine tiefsitzende permanente Abwertung anderer erfolgt aus einer Überzeugung heraus und wird als ideologisch, politisch oder religiös motivierter Hass manifest.“4Die intensive kriminalwissenschaftliche Befassung mit der Begriffskategorie Hassdelikte erfolgte in Deutschland ab etwa 2001 u.a. durch Schneider, Füllgrabe und Bannenberg.5 Begrifflich und inhaltlich lehnte und lehnt man sich dabei an das Mitte der 1980-er Jahre in den USA entwickelte Modell Hate Crimes und den daraus hervorgegangenen Hate Crimes Statistics Act von 1990 an. Das FBI definiert Hat Crime wie folgt: „Ein Hassverbrechen ist eine Straftat wie Mord, Brandstiftung oder Vandalismus mit einem zusätzlichen Aspekt der Voreingenommenheit.“ Für statistische Erhebungen hat das FBI Hassverbrechen als „Straftaten gegen eine Person oder einen Gegenstand, die ganz oder teilweise durch die Voreingenommenheit eines Täters gegen eine Rasse, Religion, Behinderung, sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht oder Geschlechtsidentität motiviert sind“ definiert. Weiter hebt das FBI in diesem Kontext hervor: „Hass selbst ist kein Verbrechen und das FBI achtet darauf, die Meinungsfreiheit und andere bürgerliche Freiheiten zu schützen.“6


Neben dem Begriff „Hasskriminalität“ wird in Deutschland auch der Begriff „Vorurteilskriminalität“ bzw. „vorurteilsmotivierte Kriminalität“ verwendet, da die Tathandlungen nicht in jedem Fall hassgeleitet sein müssen. Das entspricht dem in den USA ebenfalls verwendeten Begriff Bias (Vorurteil, Voreingenommenheit) Crime.7

Das BKA definiert Hasskriminalität im Lagebild Politisch motivierte Kriminalität wie folgt: „Der Begriff Hasskriminalität ist an den international eingeführten Begriff Hate Crime angelehnt. Straftaten der Hasskriminalität sind vorurteilsgeleitete Straftaten. Die Straftat richtet sich gegen eine Person bzw. ein Objekt, welche(s) vom Täter einer der oben genannten gesellschaftlichen Gruppen (Gemeint sind z. B. Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe Religionszugehörigkeit, sozialer Status, physischer und/oder psychischer Behinderung oder Beeinträchtigung, sexuelle Orientierung bzw. Identität, äußeres Erscheinungsbild ... .) zugerechnet wird. Antisemitische und fremdenfeindliche Straftaten sind Teilmengen der Hasskriminalität.“8Im Laufe der Herbsttagung wurde mehrfach die Bedeutung des Internets für die Verbreitung von strafrechtlich relevanten Hassbotschaften thematisiert. Daher scheint es geboten, auch den Begriff Hassposting zu definieren. Das BKA stellt dazu fest: „Was ein Hassposting ist, muss immer im Einzelfall beurteilt werden. Insbesondere bei implizierten konkreten Bedrohungssachverhalten ist eine Einzelfallprüfung unabdingbar. Hasspostings sind nicht per se strafrechtlich relevant und können auch unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit liegen. Die Polizei verfolgt ausschließlich strafrechtlich relevante Inhalte. Hasspostings werden der Politisch motivierten Kriminalität zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person oder eine Gruppe wegen ihrer/ihres zugeschriebenen oder tatsächlichen

  • politischen Haltung,
  • Einstellung und/oder Engagements,
  • Nationalität,
  • ethnischen Zugehörigkeit,
  • Hautfarbe,
  • Religionszugehörigkeit,
  • Weltanschauung,
  • sozialen Status, physischen
  • und/oder psychischen Behinderung oder Beeinträchtigung,
  • sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität oder
  • äußeren Erscheinungsbildes

gerichtet sind und die Tathandlung im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.9

Das Internet, insbesondere Social Media bedeutet menschliche Kommunikation, besser Interaktion auf einem völlig neuen Level. Das betrifft sowohl die Geschwindigkeit, mit der Botschaften, Diskussionen, Meinungen verbreitet werden. Das betrifft aber auch eine Verschmelzung von analoger und digitaler Interaktion. Das Wirkliche und das Mediale, das Hassen und das Haten (In der Social-Media-Sprache svw. jemanden schlecht machen, verunglimpfen oder disliken, also ablehnen oder nicht mögen.) wird häufig kaum noch unterschieden. Daher ist es auch nicht selten, dass bei Facebook und Co. mit Klarnamen beleidigt oder gehetzt wird und sich digitaler Hass in Straftaten, etwa der Körperverletzung oder Sachbeschädigung aus Voreingenommenheit widerspiegelt.

Ähnlich wie die zitierten Ursachen für die Entstehung von Hass aus psychologischer Perspektive geht der Soziologe Dirk Manske davon aus, dass es sich bei Hass um eine besondere Form der Verteidigung gegen existentielle Bedrohungen des Selbst handelt.10 Ursächlich sind also spezifische sozialstrukturelle Konfigurationen, die regelmäßig von tatsächlichen oder vermeintlichen Benachteiligungen bzw. Verletzungen gekennzeichnet sind.

Diese Darstellungen erscheinen wichtig, da sie Ansatzpunkte für Bekämpfungs- und Präventionsmaßnahmen bieten.11

 

Seite: 12weiter >>