Rechtssprechung

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§ 152b Abs. 4 StGB – Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucken für Euroschecks, § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 StGB – Sexueller Übergriff; § 211 StGB – Mord; hier Heimtücke. § 249 StGB – Raub; hier: Wegnahme – Begründung neuen Gewahrsams bei leicht beweglichen Sachen durch Einstecken. (...)


Von EPHK & Ass. jur. Dirk Weingarten, Wiesbaden


Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist

 

I Materielles Strafrecht

 

§ 152b Abs. 4 StGB – Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucken für Euroschecks und § 267 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 StGB – Urkundenfälschung; hier: Fälschung von Prepaid-Kreditkarten; schwerer Fall der Urkundenfälschung, da große Zahl. Der Angeklagte verfälschte die Datensätze von 3 rechtmäßig auf seinen Namen ausgestellten Prepaid-Kreditkarten, indem er diese mit Datensätzen fremder Kreditkarten überschrieb. Darüber hinaus stellte er 2 Totalfälschungen von nicht näher spezifizierten Kreditkarten her und fertigte mindestens 22 ID-Karten verschiedener EU-Länder an. Mit diesen Falsifikaten sollte es zukünftigen Verwendern gefälschter Kreditkarten ermöglicht werden, sich auszuweisen, um so Bezahlvorgänge abzuwickeln.

Bei sog. Prepaid-Kreditkarten handele es sich um taugliche Tatobjekte i. S.d. § 152b Abs. 4 StGB, namentlich besteht die für § 152b StGB relevante Zahlungsgarantie im Valutaverhältnis bei Prepaid-Kreditkarten gleichermaßen wie bei der vergleichbaren aufladbaren Geldkarte mit Chip (sog. elektronische Geldbörse) und bei „klassischen“ Kreditkarten.

Taugliches Tatobjekt des § 152b StGB kann auch ein Falsifikat (hier: einer Prepaid-Kreditkarte) sein, das lediglich äußerlich den Anschein einer Karte mit Garantiefunktion erweckt, aus technischen Gründen aber nur für Transaktionen verwendet werden kann, bei denen keine Garantiefunktion des (vermeintlichen) Kartenausstellers ausgelöst wird.

Die „große Zahl“ von unechten oder verfälschten Urkunden i. S.d. § 267 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 StGB ist erst ab einer Menge von 25 Urkunden festzusetzen.

Trotz einer großen Zahl unechter oder verfälschter Urkunden kann im jeweiligen Einzelfall eine erhebliche Gefährdung des Rechtsverkehrs und damit das Regelbeispiel des

§ 267 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 StGB zu verneinen sein. Für die Beurteilung des Vorliegens einer derartigen Gefährdung kommt es maßgeblich auch auf Art und Qualität der Fälschungen an. (BGH, Beschl. v. 9.10.2018 – 5 StR 153/18)


§ 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 StGB– Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung; hier: Gemeinschaftlich begangene Vergewaltigung; keine eigenhändige Verwirklichung. Der Mitangeklagte hatte den Beischlaf mit der Geschädigten vollzogen, während der Angeklagte diese zur Ermöglichung der Vergewaltigung festhielt.

Das Regelbeispiel der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 6 S. 2

Nr. 1 StGB setzt keine eigenhändige Verwirklichung voraus. Es genügt, wenn ein Mittäter den Beischlaf mit dem Opfer vollzieht. (BGH, Beschl. v. 24.9.2018 − 5 StR 358/18)


§ 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB – Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung; hier: Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs (hier: narkotisierendes Mittel) bei Vergewaltigung. Die Geschädigte (G) befand sich wegen starker Kopfschmerzen zur Krankenbehandlung auf einer neurologischen Station. In der Nacht war sie dort dem Pfleger (A) anvertraut. In der Absicht, die G in einen Zustand der Bewusstlosigkeit zu versetzen und an ihr sodann sexuelle Handlungen vorzunehmen, legte er der in einem Mehrbettzimmer liegenden G eine Infusion mit dem Medikament Midazolam, einem Arzneistoff insbesondere in der Intensivmedizin und zur Narkosevorbereitung bei Operationen, an. Er tat dies in dem Wissen, dass die Verabreichung dieses Medikaments bei der Geschädigten weder ärztlich angeordnet noch sonst medizinisch indiziert war. Um mit der G dann möglichst ungestört zu sein, drückte er ihr die Midazolam-Infusion in die Hand und führte sie sogleich auf eine Toilette auf dem Gang der Station. Dort verlor sie das Bewusstsein, was der A seinem Tatplan folgend ausnutzte, um sich an ihr sexuell zu vergehen. Sodann legte er sie in ihr Bett zurück, wo sie erst am nächsten Morgen aus ihrem komatösen Schlaf erwachte und sich ab dem Toilettengang an nichts mehr erinnern konnte. (BGH, Beschl. v. 9.10.2018 − 1 StR 418/18)


§ 211 StGBMord; hier Heimtücke. Nach dem Scheitern seiner Intimbeziehung zu E beschloss der Angeklagte (A), diese zu töten. Dazu lockte er deren 12-jährigen Sohn unter einem Vorwand in die von ihm bewohnte Gartenlaube. Nachdem er das Kind gefesselt und geknebelt hatte, nahm er ihm die Wohnungsschlüssel ab. Sodann begab er sich zur nahen Wohnung des späteren Tatopfers. E rechnete nicht mit seinem Erscheinen. Als der A die Wohnungstür aufschloss, dachte sie, ihr Sohn käme. Sie war deshalb völlig überrascht, als der A plötzlich im Wohnzimmer stand, und hatte daher keine Verteidigungsmöglichkeit. Dies erkannte der A und setzte, wie geplant, unter Ausnutzung der Situation sein Tötungsvorhaben in die Tat um. Er zielte mit einer Schreckschusspistole auf E, die diese für eine echte geladene Schusswaffe hielt, und sagte zu ihr, sie solle leise sein und nichts Falsches machen, wenn sie ihren Sohn lebend wiedersehen wolle. Zur Verdeutlichung, dass sich der Sohn in seiner Gewalt befand, zeigte er ihr den Schlüssel. Wie vom A beabsichtigt, verhielt sich E aus Sorge um ihr eigenes und das Leben ihres Kindes ruhig. Sie fragte nur, was A da mache und wo ihr Sohn sei. A schlug ihr mit der flachen Hand gegen den Kopf und E weinte. Er holte aus der angrenzenden offenen Küche ein Messer mit einer circa 10 cm langen Klinge und tötete sie.

Die Heimtücke auf die Umstände im Augenblick der eigentlichen Tötungshandlung zu beschränken würde den Anwendungsbereich des § 211 StGB zu weit einengen. Bei einer von langer Hand geplanten und vorbereiteten Tat kann das Heimtückische jedoch gerade in den Vorkehrungen liegen, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, falls sie bei der Ausführung der Tat noch fortwirken. Das sind beispielsweise Fälle eines wohldurchdachten Lockens in einen Hinterhalt und des raffinierten Stellens einer Falle. Auch wenn der Täter seinem ahnungslosen Opfer in dessen Wohnung auflauert, um an dieses heranzukommen, ist nicht entscheidend, ob und wann das Opfer die Gefahr erkennt. In allen diesen Konstellationen kommt es für die Verwirklichung des Mordmerkmals der Heimtücke nicht darauf an, dass dem Opfer im Zeitpunkt der Vornahme der Tathandlung ein lebensbedrohlicher Angriff konkret vor Augen stand. (BGH, Beschl. v. 31.7.2018 − 5 StR 296/18)


§ 211 StGB – Mord; hier: Tötungsvorsatz und Verdeckungsabsicht mit suizidaler Motivation im Straßenverkehr („Hamburger Raser-Fall“). Der Angeklagte fuhr in Hamburg mit einem gestohlenen Taxi absichtlich auf die Gegenfahrbahn einer mehrspurigen innerstädtischen Straße mit möglichst hoher Geschwindigkeit, wobei ihm bewusst war, dass es mit hoher, letztlich unkalkulierbarer und nur vom Zufall abhängender Wahrscheinlichkeit zu einem frontalen Zusammenstoß mit entgegenkommenden Fahrzeugen kommen würde. Dabei war ihm auch bewusst, dass ein Frontalunfall mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod eines oder mehrerer direkter Unfallbeteiligter sowie eventuell zur Schädigung weiterer Personen führen würde. All dies, auch der eigene Tod, wurde von ihm gebilligt, weil er kompromisslos das Ziel verfolgte, der Polizei zu entkommen.

Die Billigung des eigenen Todes bei der Akzeptanz der Verursachung schwerer Unfälle mit nicht kalkulierbaren, dem Zufall überlassenen schwerwiegenden Folgen steht der Annahme bedingten Tötungsvorsatzes nicht zwingend entgegen. Der im Regelfall bestehende natürliche Selbsterhaltungstrieb des Menschen kann durch eine starke Motivation durchbrochen werden. Wenn feststeht, dass hinreichend starke Motive vorgelegen haben, ist es unschädlich, dass diese inhaltlich nicht genau bestimmt werden können. (BGH, Beschl. v. 16.1.2019 – 4 StR 345/18)


§ 249 StGBRaub; hier: Wegnahme– Begründung neuen Gewahrsams bei leicht beweglichen Sachen durch Einstecken. Nach der Verkehrsauffassung wird bei leicht beweglichen Sachen geringen Umfangs (hier: Bluetooth-Musikbox) neuer Gewahrsam durch das Einstecken in die eigene Kleidung (hier: Jackentasche) begründet. (BGH, Beschl. v. 13.11.2019 – 3 StR 342/19)



§ 249 StGBRaub; hier: Zueignungsabsicht bei Entwendung eines Handys zum Löschen darauf befindlicher Daten. Die Angeklagten (M und K) bestiegen eine S-Bahn. Wenig später betrat die Geschädigte (G) das Abteil und setzte sich lautstark telefonierend wenige Meter vom M entfernt auf einen Sitzplatz. Nachdem dieser die G aufgefordert hatte, das laute Telefonieren zu unterlassen, entwickelte sich ein Wortgefecht mit gegenseitigen Beleidigungen. Als sich die Angeklagten zum Ausstiegsbereich begaben, belebte sich das Wortgefecht aufs Neue, in dessen Verlauf die G den M bespuckte. Zudem fertigte sie mit ihrem Handy Bildaufnahmen von den Angeklagten an. M fasste nunmehr den Entschluss, sich in den Besitz des Handys der G zu bringen, um die Bilder zu löschen. In dieser Absicht führte er einen Tritt in ihre Richtung aus, um ihr das Handy aus der Hand zu treten, traf jedoch das Gesicht der G. Unmittelbar darauf zog die K eine mit Bleikugeln gefüllte CO2-Pistole und feuerte zwei Schüsse auf die G ab, welche diese an Nasenflügel und Unterarm trafen. Da die G weiterhin ihr Handy in der Hand hielt, wurde ihr mehrmals mit wuchtigen Faustschlägen auf Oberkörper und in das Gesicht geschlagen, wodurch es gelang, das Handy in Gewahrsam zu nehmen. Die G erlitt hierbei erhebliche Verletzungen. Sodann verließen M und K die S-Bahn mit dem Handy der G. Danach löschten sie die auf dem Handy befindlichen Bilder, auf denen sie abgebildet waren, und legten es unter eine Tanne.

Zueignungsabsicht im Sinne von § 249 StGB ist gegeben, wenn der Täter im Zeitpunkt der Wegnahme die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers körperlich oder wirtschaftlich für sich oder einen Dritten erlangen und sie der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen oder dem eines Dritten „einverleiben“ oder zuführen will. An dieser Voraussetzung fehlt es dagegen in Fällen, in denen der Täter die fremde Sache nur wegnimmt, um sie „zu zerstören”, „zu vernichten”, „preiszugeben”, „wegzuwerfen”, „beiseite zu schaffen” oder „zu beschädigen”. Nimmt der Täter dem Opfer ein Handy allein deswegen weg, um dort gespeicherte Bilder zu löschen, fehlt es an der nach § 249 StGB erforderlichen Zueignungsabsicht, sofern er sich anschließend der Sache entledigt. (BGH, Beschl. v. 11.12.2018 − 5 StR 577/18)

II Prozessuales Strafrecht

 

§ 100a StPOTelekommunikationsüberwachung; hier: Falsche Sachverhaltsdarstellung. Liegen dem Beschluss des Ermittlungsrichters nach § 100a StPO falsche Sachverhaltsdarstellungen der Ermittlungsbehörden zur Begründung des Tatverdachts vor, sind die Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung unverwertbar. (AG München, Urt. v. 15.11.2018 – 1117 Ls 364 Js 106646/18)


§ 102 StPO– Durchsuchung bei Beschuldigten, hier: Verhältnismäßigkeit einer Wohnungsdurchsuchung. Der Beschwerdeführer (K) ist alleiniger Geschäftsführer der K GmbH, die seit 1998 ein international tätiges Unternehmen für Krantechnik betreibt. Sie stand in langjähriger Geschäftsbeziehung mit der Firma B, von der sie Kräne anmietete. Zwischenzeitlich zeigte B den K an, da dieser keine Mietzahlungen mehr leiste und trotz der Kündigung der Mietverträge nur einen der sechs in seinem Besitz befindlichen Kräne herausgegeben habe und die Standorte der übrigen Kräne nicht mitgeteilt. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wegen Insolvenzverschleppung wurde bei K durchsucht.


Der Anfangsverdacht für eine Durchsuchung muss auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus. Eine Durchsuchung darf somit nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind. Die Durchsuchung muss in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein. Der Grundrechtseingriff nach § 102 StPO ist unverhältnismäßig, wenn naheliegende grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen ohne greifbare Gründe unterbleiben oder zurückgestellt werden und die vorgenommene Maßnahme außer Verhältnis zur Stärke des in diesem Verfahrensabschnitt vorliegenden Tatverdachts steht. Im vorliegenden Fall dar damit die Durchsuchungsmaßnahme rechtswidrig. (BVerfG, Beschl. v. 10.1.2018 – 2 BvR 2993/14)