Recht und Justiz

Kurzbeitrag: Teilnehmerrechte bei demonstrativen Klimaschutzaktionen

Von Hartmut Brenneisen, Worms/Preetz

2.2 Grundrechtsmündigkeit

Auch Kinder und Jugendliche nehmen an Versammlungen teil oder veranstalten und leiten diese sogar.13 Ein aktuelles Beispiel dafür sind gerade die Schüler- und Studentendemonstrationen der „Fridays-for-Future-Bewegung“,durch die nachdrücklich auf die Bedrohung durch den Klimawandel aufmerksam gemacht wird. Insofern stellt sich die Frage, ob in diesem Fall eine besondere Grundrechtsmündigkeit zu beachten ist.


Grundsätzlich findet sich für eine Einschränkung keine verfassungsrechtliche Basis.14 Im Verhältnis zum Staat ist jede Person, gleich welchen Alters, berechtigt, Grundrechte selbständig auszuüben. Minderjährige werde dazu zwar faktisch nicht immer in der Lage sein, dies ist jedoch ein anderes Problem, das durchaus auch bei Erwachsenen bestehen kann. Die Grundrechtsmündigkeit darf insofern nicht mit der Prozessfähigkeit verwechselt werden.15


Zu beachten ist allerdings, dass die Versammlungsfreiheit von Minderjährigen in einem Spannungsverhältnis zum Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 II Satz 1 GG und zum staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 I GG stehen kann. Insbesondere der Schulbesuchspflicht ist im Regelfall Vorrang einzuräumen, zumindest dann, „wenn sich das mit der Demonstration geförderte Anliegen ebenso nachhaltig außerhalb der Unterrichtszeit verfolgen lässt.“ 16


Dennoch wird im Zusammenhang mit Art. 8 GG teilweise ausdrücklich auf eine eingeschränkte Grundrechtsmündigkeit bei Kindern abgestellt. So argumentiert Kniesel17 unter Hinweis auf die §§ 106 ff. BGB, dass sich diese Frage „nur im Einzelfall nach der jeweils gegebenen persönlichen Entwicklung und Reife zur selbständigen Grundrechtsrealisierung auch unter Berücksichtigung des Versammlungsthemas beantworten“ lässt.


Keinesfalls dürfen die Regelungen aus § 9 II BVersG, Art. 4 II BayVersG und § 8 I SächsVersG, nach denen Ordner volljährig sein müssen, unreflektiert auf Veranstalter, Leiter und Teilnehmer übertragen werden.Veranstalter und Leiter haben durch ihre deutlich stärkeren Rechte zwar auch ein höheres Maß an Verantwortung, gleichwohl legen die VersG des Bundes und der Länder für sie kein Mindestalter fest.18


Zudem ist wohl davon auszugehen, dass auch die Volljährigkeitsklausel für Ordner keine stringente Vorgabe ist, denn sie würde die Gestaltungsfreiheit von Veranstaltern und Leitern übermäßig einschränken. Diese Restriktion ist somit verfassungsrechtlich fragwürdig und dürfte mit dem hohen Stellenwert des Art. 8 GG nicht in Einklang zu bringen sein.19 Zugleich hat die Fragestellung eine hohe praktische Relevanz, denn der Verzicht auf die Volljährigkeit würde es der Leitung einer Schülerversammlung ermöglichen, auch Kinder und Jugendliche als Ordner einzusetzen.


Den Minderjährigen steht das Grundrecht der Versammlungsfreiheit also grundsätzlich in jedem Lebensalter zu. Gerade bei Kleinkindern wird aber die erforderliche innere Verbundenheit fehlen, so dass Teilnehmerrechte nicht gegeben sind. Werden sie allerdings z.B. von ihren Eltern zu einer politischen Versammlung mitgenommen, kann der Grundrechtsschutz der Erwachsenen auch die Mitnahme der Kinder umfassen.20 Dies gilt insbesondere dann, wenn damit ein bestimmtes Ziel bekräftigt werden soll. Die Kinder werden indes keine eigenständig handelnden Teilnehmer sein.21

2.3 Missliebige Personen

Der Stellenwert des Art. 8 GG zeigt sich insbesondere dann, wenn es um den Umgang mit Andersdenkenden oder sogar missliebigen Personen geht, denn die Achtung von Gegenpositionen ist stets auch ein Gradmesser der Demokratie.22 Der Grundrechtsschutz kommt insofern auch denjenigen zugute, die den in der Versammlung verkündeten Meinungen ablehnend gegenüberstehen und ihre Auffassung mit kommunikativen Mitteln zum Ausdruck bringen wollen.23


Kritisch wird dies indes von Ullrich bewertet, der zwischen „meinungsbildenden“ und „meinungskundgebenden“ Versammlungen unterscheiden und im Fall einer ausdrücklichen Meinungskundgabe Gegner des Versammlungsziels nicht als Teilnehmer einstufen will.24 Er hält es zudem für fraglich, ob die anderslautenden „einschlägigen BVerfG-Entscheidungen aus den 90er Jahren heute noch eine Richtschnur für alle Versammlungstypen sein können“.25


Für die Inanspruchnahme der grundgesetzlich geschützten Versammlungsfreiheit kommt es hingegen nicht an, „ob die Teilnehmer einer Versammlung die Ziele der Versammlung oder die dort vertretenen Meinungen billigen, oder ihnen kritisch bzw. ablehnend gegenüberstehen. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Teilnehmer […] bereit sind, die Versammlung in ihrem Bestand hinzunehmen und ihre Ziele allein mit kommunikativen Mitteln zu verfolgen.“ Dies hat das OVG Lüneburg26 im Zusammenhang mit teilnehmenden Mitgliedern der MLPD27 an einer „Fridays-for-Future-Demonstration“ in Oldenburg überzeugend zum Ausdruck gebracht und dabei das Mitführen von Plakaten, Fahnen und Flugblättern mit den Insignien der unliebsamen politischen Splitterpartei nicht als Hinderungsgrund angesehen.

 



Auch Personen, die von außen auf eine Versammlung einwirken, können sich als Teilnehmer im Schutzbereich des Art. 8 GG befinden, wenn sie sich friedlich verhalten und die Versammlung als solche nicht verhindern wollen. Besteht das Ziel der Opponenten allerdings ausschließlich darin, durch unfriedliches Verhalten die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung zu verhindern, so können sie keine Teilnahmerechte für sich in Anspruch nehmen.

 

3 Zum Abschluss


Im umweltspezifischen Demonstrationsgeschehen sind durchaus auch Zweifelsfälle vorstellbar. Dies gilt für die grundlegende Eröffnung der Verfassungsnorm des Art. 8 GG ebenso wie für die Frage bestehender Teilnehmerrechte. In streitigen Fällen ist dabei stets auf das durch die Rechtsprechung entwickelte dreistufige Prüfungs- und Bewertungsverfahren abzustellen.28 Bestehen Bedenken, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass der Schutzbereich anzuerkennen ist. Es gilt der Grundsatz „in dubio pro libertate“.


Bildrechte: H. Immel/GdP, picture alliance.