Polizei

Eindrucksbildung und Stereotype bei Studierenden im Polizeivollzugsdienst

6.3 Personen, die überwiegend als kriminell beurteilt werden

Unter diesen vier Personen befindet sich lediglich eine kriminelle Person. Ein Migrationshintergrund lässt sich bei zwei der vier Personen an äußeren Faktoren erahnen, dieser kann also keine entscheidende Rolle spielen, da sich in den anderen Gruppen ebenfalls Personen mit erkennbarem Migrationshintergrund befinden.
Den Gruppenmitgliedern gemeinsam ist eine etwas düstere Mimik, außerdem befinden sich die einzigen beiden älteren Personen (> 60 Jahre) in dieser Gruppe. Die am kritischsten bewertete Person raucht außerdem. Von den beiden mittelalten Personen sind ältere Fotos gezeigt, diese tragen somit aus heutiger Sicht altmodische Kleidung, eine Person trägt eine „uncoole“ Brille. Möglicherweise hat die Bewertung somit etwas mit dem Begriffsfeld alt/altmodisch zu tun, eine Kategorie, die den im Durchschnitt sehr jungen Studierenden eher fern liegt.

6.4 Personen, die überwiegend als nicht-kriminell beurteilt werden

In dieser Kategorie verfügen drei von vier Personen rein optisch mutmaßlich über einen Migrationshintergrund. Zwei Personen, darunter eine jüngere und eine mittelalte Person, lächeln. Eine jüngere Person wird mit modernem T-Shirt bekleidet beim Sport gezeigt, die andere Person trägt einen Anzug. Es liegt nahe, dass hier positiv wahrgenommene und bewertete Attribute hineinspielen, die zu einer wohlwollenden Bewertung führen.

6.5 Personen mit insgesamt neutraler, ausgewogener Bewertung

Ausgewogen sind zwei kriminelle, noch eher jüngere Personen bewertet worden, Muhlis Ahri und Yehya El-Ahmad. Bei beiden ist ein Migrationshintergrund, obwohl vorhanden, nicht zwingend zuzuweisen. Sie verfügen über eher hellere Hautfarbe und sind keine Bartträger, haben aber eine dunklere Haarfarbe. Hier sind es wohl eher die gemischten Attribute, auf die die Betrachter unterschiedlich reagieren. Yehya präsentiert sich im Streetgang-Style hockend auf dem Dach eines Hochhauses, ist hip gekleidet und zeigt ein angedeutetes Lächeln. Muhlis wirkt in Hemd, Blouson in gartenähnlicher Umgebung beinahe bürgerlich, zeigt aber eine eher düstere Mimik.
Hypothese 3b kann somit als bestätigt gelten. Die Beurteilung geht mit äußeren Merkmalen einher. Die Hautfarbe hat den Entscheidungsfindungsprozess jedoch nicht beeinflußt.


6.6 Beurteilungsunterschiede aufgrund des Hintergrunds des Beurteilers

Kann die Einschätzung auch auf eigenen Merkmalen, etwa Alter, Geschlecht oder eigenem Migrationshintergrund beruhen? Es wurde untersucht, inwieweit diese Merkmale zur Bewertung beitragen.

Geschlecht
Hinsichtlich des Geschlechts treten bei Foto Nr. 10 statistisch signifikante Unterschiede in der Beurteilung auf. Weibliche Probanden attestieren häufiger einen kriminellen Hintergrund (p = .035). Ein Trend zeigt sich bei den Fotos Nr. 1 und Nr. 7. Der lächelnde Mörder (Nr. 1) wird von Frauen eher für unschuldig gehalten (p = .070), und auch der Serienmörder (Nr. 7) käme etwas leichter davon (p = .069). In beiden Fällen sind die Unterschiede jedoch nicht statistisch signifikant.

Migrationshintergrund
Ein Zusammenhang zwischen dem eigenen Migrationshintergrund und dem Urteilsverhalten gegenüber einer der dargestellten Personen konnte nicht gefunden werden.

Alter
Hierzu wurde die Population in die Altersgruppen 18 – 22 Jahre (N = 129) und 23 – 40 Jahre (N = 71) eingeteilt. Eine Person hatte ihr Alter nicht angegeben. Ein statistisch signifikanter Unterschied ergab sich hinsichtlich des Serienmörders Nr. 7. Dieser wurde von älteren Probanden häufiger als kriminell bezeichnet (p = .037). Auch wenn es sich hierbei nicht um ein bewusstes Wiedererkennen handelt, kann es sein, dass ältere Probanden einen Bericht oder eine Reportage zu dem Fall gesehen haben, so dass es hier die Gedächtnisfunktion mit hineinspielt.
Damit kann Hypothese 4 als teilweise bestätigt gelten. Es zeigt sich, dass mit Alter und Geschlecht, nicht aber mit dem Migrationshintergrund des Beurteilers eine Urteilstendenz gegenüber einzelnen Personen einhergeht.

7 Diskussion


Die Studie zeigt, dass Polizeistudierende nicht in der Lage sind, zutreffende Urteile über relevante Aspekte der Persönlichkeit des polizeilichen Gegenübers aufgrund eines kurzzeitigen ersten Eindrucks zu treffen. Sie zeigt aber auch, dass sie sich diese Aufgabe sehr wohl zutrauen und sich ihr stellen, wenn diese an sie herangetragen wird.
Tatsächlich waren die Ergebnisse, die aufgrund der kurzzeitigen Darbietung einer Person erzielt wurden, nicht nur nicht besser, sie waren im Durchschnitt signifikant schlechter als eine Zufallsauswahl. Als Erklärungsansatz lässt sich hier vermuten, dass entsprechend der Impression Management Theorie (Schlenker, 1980) gerade Personen, die über kriminelle Energie verfügen, sich bemühen, einen positiven Eindruck zu vermitteln, was ihnen auch gelingt.
Offensichtlich war es kein Zufall, ob die gezeigten Personen als (nicht) kriminell eingestuft wurden, sondern es hatte mit gängigen Bewertungen zu tun. Geringeres Alter, positive Mimik und moderne bzw. gehobene Kleidung schützten tendenziell vor dem Verdacht. Höheres Alter und kritische Mimik wirkten weniger positiv und wurden daher negativ bewertet. Dies entspricht dem Image, über das die Attribute in der Gesellschaft verfügen. Interessant ist in dem Zusammenhang jedoch, dass das Kriterium Migrationshintergrund keine Vorhersagekraft entwickelte. Er wurde von den Probanden nicht erkennbar als relevantes Merkmal herangezogen. Dies kann ein Hinweis auf eine wenig fremdenfeindliche Polizei sein (vgl. Krott et al., 2019).
Im Rahmen dieser Studie deutete sich bei drei Personen eine unterschiedliche Beurteilung durch Männer und Frauen an, wobei diese mit Affekten zu tun zu haben scheint. Von weiblichen Beurteilenden wurde der kritische Gesichtsausdruck einer Person deutlich stärker mit Kriminalität in Beziehung gesetzt, während die positiv-freundliche Mimik anderer Personen sich stärker entlastend auswirkten. Auf die Treffsicherheit beider Geschlechter hatte dies keinen Eindruck. Aber möglicherweise wirken sich situative Affekte, die das Gegenüber zeigt, bei weiblichen Beurteilern stärker aus im Verhältnis zu männlichen Beurteilern, die eher statische Merkmale wie Alter und Kleidung in ihr Urteil mit einbeziehen. Dieser Hypothese müsste weiter nachgegangen werden, um sie zu verifizieren.