Recht und Justiz

Das neue Recht der Vermögensabschöpfung

Auswirkungen auf die tägliche Ermittlungsarbeit (Teil 3)

Abwandlung:

Im Kofferraum des Pkw befinden sich ein Teil der Tatbeute sowie ein wertvoller, vermutlich dem Täter gehörender Laptop.
Die vorläufige Beschlagnahme der Diebesbeute gemäß § 111b StPO erfolgt im Hinblick auf eine spätere Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB. Bei eindeutiger Zuordnung darf jedoch § 111n StPO (vorzeitige Herausgabe an den Verletzten) nicht übersehen werden. Der Laptop sollte mit Hilfe eines Vermögensarrestbeschlusses nach § 111e StPO zur Sicherung der Wertersatzeinziehung gepfändet und ebenfalls in amtlichen Gewahrsam genommen werden. Zum Verfahren siehe § 111k StPO.

Merke:
Soweit ein Beweismittel zunächst nur gemäß § 94 StPO beschlagnahmt wurde, muss es vor Verwertung als Einziehungsgegenstand nach § 111b StPO beschlagnahmt werden.


Vorläufige Sicherungsmaßnahmen sind nicht nur in allen Verfahrensarten (auch z.B. im Privatklageverfahren) zulässig, sondern – unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit (§ 24 OWiG) – auch im Ordnungswidrigkeitenrecht (§§ 22 ff. OWiG); § 58 Abs. 3 S. 2 IRG ermöglicht zudem eine Vermögensabschöpfung im Ausland.
Anders als die materiellen Vorschriften der §§ 73 ff. StGB handelt es sich bei den §§ 111b ff. StPO nicht um zwingendes Recht12: Zur Sicherung des Vollstreckungs- und Entschädigungsverfahrens „kann“ die Staatsanwaltschaft bereits im Ermittlungsverfahren vorläufige Sicherungsmaßnahmen veranlassen (§§ 111b Abs. 1, 111e Abs. 1, jeweils S. 1 StPO). Liegen bereits in diesem Verfahrensstadium „dringende Gründe“ (wohl entsprechend § 112 Abs. 1 StPO) für die Annahme vor, dass die Voraussetzungen der Einziehung gegeben sind, „soll“ die Staatsanwaltschaft sichern (jeweils S. 2).
Der Gesetzgeber hat das Instrument der vorläufigen Sicherstellung mit der Reform (durch Entlastung von zivilrechtlichen Fragen) gestärkt und zugleich den Strafverfolgungsbehörden ein Ermessen belassen. Anders als bei der Einziehungsanordnung nach §§ 73 ff. StGB selbst findet in der Gesetzesbegründung der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zudem ausdrücklich Erwähnung. Danach müsse „das Übermaßverbot angesichts des möglichen intensiven Eingriffs in das Eigentumsrecht (Artikel 14 GG), aber von Verfassung wegen bereits bei der Anordnung und selbstverständlich auch bei der Fortdauer vorläufiger Sicherungsmaßnahmen besonders beachtet werden“13. Auch an anderer Stelle14 weist der Gesetzgeber – jedenfalls für die Frage der Dauer einer Beschlagnahme – auf den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hin.
Dies hat in der Praxis zur Folge, dass Sicherungsmaßnahmen fortwährend auf ihre Verhältnismäßigkeit hin überprüft werden müssen. Denn ob am Ende des Strafverfahrens in der Hauptverhandlung tatsächlich ein berechtigter Einziehungsgrund festgestellt werden kann, ist angesichts widerstreitender Positionen von Angeklagten, Staatsanwaltschaft, möglichen Nebenklägern und Gericht zu Anfang der Ermittlungen nicht immer verlässlich absehbar.


8.2 Sonderproblem: Wirtschaftsstrafsachen

Auch und gerade in Wirtschaftsstrafsachen werden sich die Ermittlungsbehörden nicht mehr – wie in der Vergangenheit noch oft der Fall – auf eine Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume zur Erlangung von Beweismitteln beschränken, sondern mit Hilfe des neuen Einziehungsrechts auch – quasi flankierend – eine Sicherung von Vermögenswerten veranlassen, beispielsweise durch Pfändung von Geschäftskonten, Beschlagnahme von Bargeldern oder gar Eintragung von Sicherungshypotheken bei entsprechendem Grundbesitz. Es liegt auf der Hand, dass ein solch „scharfes Schwert“ unter Umständen zu einer massiven Einschränkung oder gar Erliegen des Geschäftsbetriebs führen kann.
Verbindliche Vorgaben hierzu existieren nicht. Die nachfolgenden Fallkonstellationen sind beispielhaft und sollten – selbst bei Vorliegen dringender Verdachtsgründe – ggfs. Anlass dafür sein, von vermögenssichernden Maßnahmen abzusehen:
Die auf Grundlage des Bruttoprinzips zu erfolgende Sicherungsmaßnahme gefährdet den am Wirtschaftsleben teilnehmenden Betrieb in seiner Existenz; Ausn.: Fälle massiver Betrügereien.
Es ist bereits im Zeitpunkt etwaiger Sicherungsmaßnahmen absehbar, dass die strafrechtlichen Ermittlungen einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen werden.
Ein Sicherungsbedürfnis ist nicht erkennbar, weil dem Betroffenen bereits seit längerer Zeit die Tatsache eines Ermittlungsverfahrens bekannt ist, ohne dass sich Anhaltspunkte für Vermögensverschiebungen ergeben haben.
Der Betroffene ist ausreichend vermögend.
In Steuerstrafverfahren werden die strafrechtlichen Ermittlungen nach § 393 AO regelmäßig durch ein eigenständiges Nachsteuerungsverfahren der Finanzbehörden flankiert, in welchem – anders als nach §§ 73 ff. StGB – nicht das Bruttoprinzip, sondern das steuerrechtliche Nettoprinzip nach § 2 EStG Anwendung findet, vgl. auch § 111e Abs. 6 StPO. Staatsanwaltschaft bzw. Gericht sollten hier angesichts der „Vollstreckungskompetenz auf Augenhöhe“ prüfen, ob nicht nach der Regelung des § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO von einer Einziehung und folglich – mangels Sicherungsgrund – auch von einer Sicherung nach §§ 111b ff. StPO abgesehen werden kann.

8.3 Sicherstellungsmaßnahmen und deren Anordnung

Als wesentliche Sicherungsmaßnahmen kommen die Beschlagnahme (§ 111b Abs. 1 StPO; Hauptfall: § 73 und § 74 StGB) und der Vermögensarrest (§ 111e Abs. 1 StPO; Hauptfall: Einziehung des Wertersatzes nach § 73c StGB) in Betracht. Welche von beiden einschlägig ist, orientiert sich daher (wg. der Anknüpfungsnormen § 73 bzw. § 73c StGB) nicht daran, ob es sich bei dem Sicherungsgegenstand um eine (bewegliche) Sache handelt oder nicht. Entscheidend ist, WAS der Täter ursprünglich erlangt hat und OB dieses noch in seiner ursprünglichen Form vorhanden ist. Hat dieser durch die Tat eine (bis dato unveränderte) Forderung erlangt, so ist diese zu beschlagnahmen (siehe § 111c Abs. 2 StPO) und zwar durch Pfändung. Umgekehrt kann im Falle einer beabsichtigten Wertersatzeinziehung (quasi ersatzweise) eine bewegliche Sache arrestiert werden (siehe § 111f Abs. 1 S. 1 StPO), indem die mit der Pfändung beauftragte Person (so z.B. neben Rechtspfleger auch Ermittlungsperson oder Gerichtsvollzieher) die Sache in Besitz nimmt bzw. – mit Hilfe eines amtlichen Siegels – vor Ort belässt.
Voraussetzung sind der Anfangsverdacht einer zumindest rechtswidrigen Tat (§ 152 Abs. 2 StPO), die Prognoseentscheidung, dass die betreffenden Gegenstände oder Vermögenswerte der Einziehung unterliegen15 sowie ein besonderes Sicherungsbedürfnis, dies abhängig z.B. vom Verdachtsgrad, der Schwere der Tat bzw. der möglichen Schadenshöhe. Allein die Tatsache, dass Vermögenswerte aus einer Straftat stammen, reicht hierfür nicht aus. Es muss vielmehr zu erwarten sein, dass der staatliche Einziehungsanspruch bei einem Zuwarten nicht mehr beigetrieben werden kann16.
Die Anordnungskompetenz liegt beim Ermittlungsrichter, § 111j StPO, außer bei Gefahr im Verzug: Die generelle Eilkompetenz steht dann der Staatsanwaltschaft bzw. – bei Beschlagnahme beweglicher Sachen – auch der Polizei (Ermittlungsperson) zu. Grundsätzlich ist in den Fällen einer Eilanordnung binnen einer Woche die richterliche Bestätigung einzuholen (§ 111j Abs. 2 S. 1 StPO); Ausnahme: Bei dem gesicherten Gegenstand handelt es sich (wiederum) um eine bewegliche Sache, § 111j Abs. 2 S. 2 StPO.
Sicherungsmaßnahmen ergehen unter folgenden Voraussetzungen: Bei der Beschlagnahme nach den Vorgaben des § 111b StPO je nach Dringlichkeitsstufe unter Angabe des Sicherungsgrundes und Benennung des konkreten Gegenstandes (bewegliche Sache, Forderung, Immobilie, Schiff, Flugzeug); bei dem Vermögensarrest gemäß § 111e Abs. 1 StPO unter den vorgenannten beiden Voraussetzungen. Zusätzlich muss der zu sichernde Anspruch der Höhe nach bezeichnet werden. Berücksichtigt werden dürfen – neben dem Wert des Erlangten – auch eine spätere Geldstrafe sowie die zu erwartenden Verfahrenskosten, § 111e Abs. 2 StPO.