Recht und Justiz

Untreue

Die Tatbestandsalternativen des § 266 StGB

2.1.2 Vermögensbetreuungspflicht des Täters

Die bestehende Vermögensbetreuungspflicht ist der „Angelpunkt“ bei der Bestimmung von möglichen Tätern des § 266 StGB.29 Nach h.M. liegt eine Vermögensbetreuungspflicht dann vor, wenn eine Pflicht besteht, deren Inhalt die Vermögensfürsorge für einen anderen in einer (wirtschaftlich) nicht ganz unbedeutenden Angelegenheit ist und ein gewisser Grad an Eigenverantwortlichkeit besteht.30 Dem Täter wird eine „Machstellung“ innerhalb der Vermögenssphäre des Vermögensinhabers (Opfer) anvertraut.31

Die Pflicht bezieht sich also auf die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen.32 Der Täter ist – als Ausdruck seiner Eigenverantwortlichkeit – nicht zu einer bestimmten Handlung verpflichtet (Handlungsalternativen).33 Bei unerheblicher wirtschaftlicher Bedeutung wird eine (schwer zu bestimmende) Bagatellgrenze nicht überschritten und eine Strafbarkeit nach § 266 StGB scheidet aus.34 Ob eine Vermögensbetreuungspflicht vorliegt, bestimmt sich nach den gesamten Umständen des in Frage stehenden Falls.35

Entscheidend ist, dass die Vermögensbetreuungspflicht eine Hauptpflicht des Grundverhältnisses – genauer: die fremdnützige Vermögensfürsorge wesentlicher Inhalt36 – sein muss, sodass sonstige Vertragspflichtverletzungen zwar zu Vermögensschäden führen können, die Strafbarkeit nach § 266 StGB aber nicht auf diese gestützt werden kann;37 schlichte Vertragspflichtverletzungen sollen nicht kriminalisiert werden.38

Die arbeitsrechtliche Treuepflicht eines Arbeitnehmers allein genügt nicht, vielmehr muss die Möglichkeit zur selbstständigen Entscheidung in einem Pflichtenkreis von einiger Bedeutung bestehen.39

 

Beispiele: Leiter einer Verkaufsfiliale40 oder Kassierer, die eigenverantwortlich die Tagesabrechnung erstellen.41

 


Angestellte des öffentlichen Dienstes, Amtsträger, Beamte oder sonstige Amtswalter sind vermögensbetreuungspflichtig, soweit sie nach ihrem Aufgabengebiet selbstständig über fremdes Vermögen (insbesondere der öffentlichen Hand) entscheiden.42

 

Beispiel: Polizeibeamter gegenüber dem Dienstherrn in Bezug auf erhobene Verwarnungsgelder.43

 

2.1.3 Verletzung der dem Täter obliegenden Vermögensbetreuungspflicht

Der Täter muss die ihm obliegende Vermögensbetreuungspflicht verletzen. Dazu genügt jedes Tun oder Unterlassen, welches im Widerspruch zur Vermögensbetreuungspflicht steht.44 Dieses pflichtverletzende Verhalten muss – anders als bei Alt. 1 – keinen rechtsgeschäftlichen Charakter haben, sodass grundsätzlich auch tatsächliches Handeln oder Unterlassen den Tatbestand der Untreue erfüllen können.45 Dabei genügt nicht jede, sondern nur eine „gravierende“ oder „evidente“ Pflichtverletzung:46 Anwendungsbereich können bspw. Spenden sein, die zum Zwecke der Kunst-, Wissenschafts- oder Sportförderung durch Vorstände von Gesellschaften getätigt werden.47 Überdies bedarf es eines sachlich-funktionalen Zusammenhangs zwischen Pflichtverletzung und Vermögensbetreuungspflicht: Ist in einem ersten Schritt die Verletzung einer dem Täter obliegenden Pflicht bejaht worden, so schließt sich in einem zweiten Schritt die Feststellung darüber an, ob diese verletzte Pflicht gerade zu den Vermögensbereuungspflichten des Täters gehört.48 Dazu muss Gegenstand der verletzten Pflicht die Vermögensbetreuung sein.49

 

Beispiel: Es stellt keine iSv § 266 StGB einschlägige Pflichtverletzung dar, wenn der verärgerte Prokurist das Geschirr der Werkskantine zu Bruch schlägt; dies stellt nur ein (vermögensschädigendes) Handeln bei Gelegenheit dar, welches ihm zwar aufgrund seiner betrieblichen Stellung erst möglich ist, aber nicht in seinen vermögensbezogenen Aufgabenkreis fällt.50

 


Ist der Vermögensinhaber mit dem – grundsätzlich pflichtverletzenden – Verhalten des Täters vorab einverstanden, so entfällt nach h.M. ausnahmsweise die Pflichtwidrigkeit und der Tatbestand des § 266 StGB ist nicht erfüllt.51

 

2.1.4 Vermögensnachteil bei dem zu betreuenden Vermögen

 

Aufgrund der Pflichtverletzung muss ein Vermögensnachteil bei der Person eingetreten sein, deren Vermögensinteressen der Täter zu betreuen hatte.52 Der Begriff des Vermögensnachteils iSv § 266 StGB deckt sich mit dem des Vermögensschadens iSv § 263 StGB:53 Nach der h.M. liegt ein solcher vor, wenn der Verlust einer Vermögensposition nicht durch den Zugewinn einer entsprechend gleichwertigen Vermögensposition wieder ausgeglichen wird, sodass das Vermögen eine Wertminderung erfahren hat.54 Sind Anfangs- und Endbestand des Vermögens gleich, so fehlt es an einem Vermögensnachteil.55 Mittelbare Schädigungen Dritter begründen keinen Vermögensnachteil iSv § 266 StGB, es genügt allein die Nachteilszufügung an dem zu betreuenden Vermögen („und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt“):56 Zu betreuendes und verletztes Vermögens müssen identisch sein.57 Das Vorliegen eines Vermögensnachteils muss positiv festgestellt werden und darf nicht mit der Pflichtverletzung gleichgesetzt bzw. automatisch aus dieser gefolgert werden; es droht sonst die Gefahr der Verletzung von Art. 103 Abs. 2 GG.58 Dabei soll nach der Rechtsprechung und der h.M. das Vorliegen einer sog. schadensgleichen konkreten Vermögensgefährdung – entsprechend zum Betrug (§ 263 StGB) – ausreichen:59 Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise reicht auch die hohe Wahrscheinlichkeit späterer Verluste zur Annahme eines Vermögensnachteils- bzw. -schadens.60

 

Beispiel: Die mangelhafte Dokumentation von Zahlungen kann eine schadensgleiche Vermögensgefährdung darstellen, wenn im Einzelfall mit einer doppelten Inanspruchnahme zu rechnen und auf Grund der unzureichenden Buchhaltung eine wesentliche Erschwerung der Rechtsverteidigung zu besorgen ist.61 Allerdings fehlt es insoweit am rechtsgeschäftlichen Charakter, sodass der Treuebruchstatbestand zu prüfen ist und diese Frage sich dort stellt.62