Recht und Justiz

Lebensmittelstrafrecht

Ein nicht alltägliches Sanktionssystem

5 Anwendbarkeit des allgemeinen Strafrechts


Es versteht sich von selbst, dass neben den §§ 58, 59 LFGB auch weiterhin die Vorschriften des allgemeinen Strafrechts anwendbar sind, so z.B. typische Begleitdelikte wie Betrug (§ 263 StGB), Urkundsdelikte (§§ 267 ff. StGB) oder aber die Tatbestände der Körperverletzung (§§ 223 ff. StGB).

5.1 Irrtum leichtgemacht?

Besondere Bedeutung kommt angesichts der gelegentlich endlos erscheinenden Vorschriftenkette der Irrtumsproblematik, insbes. dem Verbotsirrtum (§ 17 StGB) zu. Die Beschuldigten geben gelegentlich vor, keine Kenntnis von der Gesetzeswidrigkeit ihrer Tat gehabt zu haben; in der Hoffnung, mangels Schuldvorwurf straffrei auszugehen. Zugleich bringen sie vor, dass die lebensmittelgesetzlichen Vorschriften, EU- oder nationale Vorschriften, selbst Sachkennern nicht unbedingt geläufig seien.

Diese Bemühungen sind in der Praxis regelmäßig von wenig Erfolg gekrönt. Das Unrechtsbewusstsein setzt nicht die exakte Kenntnis der Strafvorschrift bzw. Strafbarkeit des Verhaltens voraus. Inhalt des Unrechtsbewusstseins ist lediglich die Einsicht des Täters, dass sein Verhalten rechtlich verboten ist. Die h.M. lässt ein potentielles Unrechtsbewusstsein genügen. Der Täter muss bei dem ihm zumutbaren Einsatz seiner Erkenntniskräfte und Wertvorstellungen die Einsicht in das Unrecht der Tat gewinnen können.

Hersteller und Händler haben also laufend dafür zu sorgen, dass sie von Änderungen bestehender Bestimmungen rechtzeitig Kenntnis erlangen. Es sind alle denkbaren Mittel, um zu einer Kenntnis der einschlägigen Vorschriften zu gelangen, erschöpfend anzuwenden. Als Erkenntniskräfte stehen dem Verantwortlichen Lebensmittelkontrolleure und Veterinärärzte als anerkannte und im Regelfall gesetzeskundige Kontrollpersonen zur Verfügung, ebenso z.B. die Landwirtschaftskammer oder ein mit Lebensmittelrecht betrauter Rechtsanwalt. Sowohl das regelmäßige Lesen einer Fachzeitschrift als auch der Besuch von Versammlungen der Innung bzw. Verbänden, ggfs. auch der Einblick in Gesetzblätter (Suchmaschinen helfen ebenfalls!) werden als zumutbar angesehen.

In Zweifelsfällen darf sich ein Händler oder Hersteller nicht auf sein eigenes Urteil verlassen; er muss vielmehr die erforderlichen Auskünfte einholen (BGHSt 4, 1, 5; 344, 352). Ansonsten handelt er schuldhaft. Wer z.B. mit Kosmetika handelt, muss sich versichern, dass er die für diese geltenden gesetzlichen Vorschriften beachtet (vgl. §§ 26 - 29 LFGB, KosmetikVO).

Von dem Verbotsirrtum streng zu unterscheiden ist der Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB). Während es sich bei einem Verbotsirrtum um eine fehlerhafte Bewertung des zutreffend erkannten Sachverhalts handelt (Frage des Unrechtsbewusstseins auf der Schuldebene), liegt ein Tatbestandsirrtum – grob ausgedrückt – bei einem Irrtum über den Sachverhalt und damit die Tatbestandsebene vor.

  • Beispiel: Wer irrigerweise den überhöhten Fettgehalt bei Wurstwaren nicht kennt (aus denen sich dann eine Wertminderung i.S.d. § 11 Abs. 2 Nr. 2 b LFBG ergibt)
  • Gegenbeispiel: Wer irrigerweise meint, die Wurstware trotz des von ihm festgestellten überhöhten Fettgehalts bei Preisminderung ohne weitere Kenntlichmachung in den Verkehr bringen zu dürfen.

Schwierig wird es dann, wenn es um normative Tatbestandsmerkmale geht. Solche sind auch aus dem StGB bekannt – man denke an „fremd“ (§ 242 StGB), welches auf die Eigentumserwerbsvorschriften z.B. der §§ 929 ff BGB Bezug nimmt. Entscheidend für die Vorsatzfrage ist hier nach der Rspr. die „Parallelwertung in der Laiensphäre“. Solche sog. normativen – d.h. nur mit Hilfe einer Wertung zu gewinnenden – Tatbestandsmerkmale gibt es im Lebensmittelrecht allerdings zuhauf. Zum Beispiel „Lebensmittel“, „Zusatzstoff“, „irreführend“ oder „Schmelzkäse“ erfordern ein spezielles Fachwissen, welches nicht in die Strafnorm integriert ist, sondern sich in anderen Vorschriften (siehe z.B. die Begriffsbestimmungen in §§ 2, 3 LFGB), z.T. auch in Regelungswerken außerhalb des LFGB findet (z.B. KäseVO) und zu denen die Rspr. bereits vielfach Stellung genommen hat.

5.2 Wer ist denn nun strafrechtlich verantwortlich?

Im Lebensmittelstrafrecht wird eine Tat häufig nicht nur von einer, sondern von mehreren Personen begangen; sei es, dass mehrere voneinander unabhängige Personen handeln (z.B. einzelne Mitglieder des Vorstands); sei es, dass mehrere Personen auf unterschiedlichen Hierarchiestufen eines Unternehmens zusammenwirken (z.B. bei einer Bäckereifiliale: Inhaber, QM-Beauftragter, Zweigstellenleitung, vertikale Ebene).

Im Ordnungswidrigkeitenrecht ist es einfach: Beteiligen sich mehrere an einer Tat, so handelt jeder von ihnen ordnungswidrig, ohne dass zwischen Täterschaft oder Teilnahme unterschieden wird (§ 14 Abs. 1 OWiG). Im Strafrecht erscheint es komplexer, wenngleich die Frage der Täterschaft schon vielfach Gegenstand der Rechtsprechung war. Diese greift hier den Aspekt des Verantwortungsbereiches heraus und hinterfragt, wer innerhalb einer Firma bzw. eines Betriebes für welchen Bereich konkret verantwortlich ist. So wurde in der Lederspray-Entscheidung ein Geschäftsführer freigesprochen, da ihm auf Grund seines beschränkten Funktions- und Verantwortungsbereichs keine Rechtspflicht traf, die übrigen Geschäftsführer zu einer Rückrufaktion anzuhalten (BGHSt 37, 106).