Recht und Justiz

Untreue

Die Tatbestandsalternativen des § 266 StGB

 

Von Jan Pinkepank, Kiel1

 

1 Überblick


In regelmäßigen Abständen zeugt die mediale Berichterstattung von der hohen praktischen Relevanz der Untreue: Sei es der Verdacht der Untreuestrafbarkeit gegen Führungspersönlichkeiten von Automobilkonzernen2 oder gegen den Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt3, die Untreue ist – auch im Jahr 2019 – „in aller Munde“.4 Mit diesem Beitrag sollen die grundlegenden Strukturen und Wertungen dieses Delikts vermittelt werden.

 

1.1 Strafgrund und geschütztes Rechtsgut


Die Untreue ist nach § 266 StGB strafbar. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass der Täter fremdes Vermögen schädigt und dies dergestalt, dass er eine ihm übertragene Vertrauensstellung ausnutzt.5 Die Übertragung muss gerade zum Zwecke der Vermögensbetreuung im Interesse des Geschäftsherrn erfolgt sein.6

Durch die Untreue wird allein das Rechtsgut Vermögen – die Gesamtheit der geldwerten Güter einer Person – geschützt7 und folglich nicht die Dispositionsbefugnis des Vermögensinhabers.8 Zwar ist die Untreue durch enttäuschtes Vertrauen und Pflichtverletzung geprägt, dabei handelt es sich aber nicht um eigenständige Schutzgüter; der Taterfolg der vollendeten Untreue ist der Vermögensnachteil.9Die Untreue gehört zu den Vermögensdelikten im engeren Sinne wie bspw. der Betrug (§ 263 StGB) und die Erpressung (§ 253 StGB).10 Allerdings schützen der Betrug und die Erpressung das Vermögen gegen täuschende bzw. nötigende Zugriffe von außen.11 Die Untreue hingegen schützt vor Gefahren von innen, die von derjenigen Person ausgehen, die das Vermögen gerade im Interesse des Vermögensinhabers bewahren soll.12 Kurzum: Das Unrecht der Untreue besteht in der vorsätzlichen Schädigung fremden Vermögens von innen heraus“.13

 

1.2 Grundstruktur

Der Gesetzgeber konfrontiert den Rechtsanwender mit einem recht langen und komplizierten Normtext (Abs. 1). Zusätzlich sind oftmals „Abstecher“ in das Zivilrecht notwendig, um die sich stellenden Fragen beantworten zu können. Daher ist es ratsam und zum Verständnis dieser Norm notwendig, sich sorgfältig mit ihrer Struktur auseinanderzusetzen. Diese lässt sich zunächst „grob“ dargestellt in zwei Tatbestandsalternativen unterteilen, den Missbrauchstatbestand (Abs. 1 Alt. 1) einerseits und den Treuebruchstatbestand (Abs. 1 Alt. 2) andererseits.14 Innerhalb des Normtextes werden beide Varianten durch das hinter dem „missbraucht“ befindliche „oder“ getrennt; fraglich ist allerdings, ob der anschließende Halbsatz „und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt“ für beide Varianten gilt, also gemeinsame Voraussetzungen aufstellt.15

Der Missbrauchstatbestand ist im Verhältnis zum Treuebruchstatbestand als lex specialis einzuordnen, damit der speziellere Tatbestand.16 Die Prüfung des Missbrauchstatbestands erfolgt damit grundsätzlich vorrangig gegenüber der des Treuebruchstatbestands, da die Voraussetzungen der Alt. 1 enger ausgestaltet sind.17 Diese strenge Vorrangigkeit wird aber zumindest dadurch „relativiert“, dass die h.M. für beide Varianten eine sog. Vermögensbetreuungspflicht voraussetzt.18 Damit wird der Charakter der allgemeineren Alt. 2 als Auffangtatbestand – für die Fälle, in denen die Voraussetzungen der Alt. 1 nicht vorliegen – deutlich.19 Wegen der in der Praxis bedeutsameren allgemeineren Alt. 2 beginnen die Ausführungen mit dem Treuebruchstatbestand.20Die versuchte Untreue hat der Gesetzgeber nicht mit Strafe bedroht (§§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 2 StGB). Die Untreue (§ 266 StGB) ist von der Veruntreuung (§ 246 Abs. 2 StGB) zu unterscheiden; für letztere bedarf es keines besonderen Treueverhältnis iSv § 266 StGB.21

 

1.3 Sonderdelikt

Täter des § 266 StGB kann nach der h.M. nur ein Vermögensbetreuungspflichtiger sein.22 Es werden besondere Anforderungen an die Person des Täters gestellt, bei deren Nichtvorliegen eine Strafbarkeit ausscheidet; damit ist § 266 StGB kein Allgemeindelikt, welches grundsätzlich jede natürliche Person als Täter begehen kann, sondern ein Sonderdelikt.23 Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, scheidet eine Täterschaft (§ 25 StGB) aus und es kommen nur noch eine Anstiftung (§ 26 StGB) bzw. eine Beihilfe (§ 27 StGB) in Betracht, also Teilnahme.24

 

 

2 Objektiver Tatbestand

 

2.1 Treuebruchstatbestand (Abs. 1 Alt. 1)

2.1.1 Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses

Trotz des grundsätzlich unterschiedlichen Wortlauts „Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen“ und „Vermögensinteressen er zu betreuen hat“ sind damit nicht zwei inhaltlich unterschiedliche, sondern eine identische Pflicht gemeint; es besteht somit nicht neben der Vermögensbetreuungspflicht noch eine anders ausgestalte Vermögenswahrnehmungspflicht.25

Im Gegensatz zum Missbrauchstatbestand sind beim Treuebruchstatbestand auch sonstige Treueverhältnisse erfasst: Täter kann auch sein, wer nicht rechtswirksam im Außenverhältnis handelt oder nur rein tatsächlich zur Vermögensfürsorge verpflichtet ist.26 Ein tatsächliches Treueverhältnis setzt die Einräumung einer tatsächlichen Herrschaftsmacht über fremdes Vermögen voraus.27

 

Beispiel: Der Vorstand einer AG ist durch einen nicht vorschriftsmäßig besetzten Aufsichtsrat bestellt worden.28

 


Hinsichtlich des Ursprungs der Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags oder Rechtsgeschäfts gelten die Ausführungen unter 2.2.1 entsprechend.

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