Recht und Justiz

Steuerverwaltung und Geldwäsche

Von Dr. Karsten Webel, LL.M. (Indiana), Hamburg

2.4 Die Verletzung des Steuergeheimnisses

2.4.1 Allgemeines

Das Steuergeheimnis kann durch verschiedene Handlungen verletzt werden. Die häufigste und praxisrelevanteste Variante dürfte das (unbefugte) Offenbaren der Verhältnisse eines anderen oder von Geschäfts- oder Berufsgeheimnissen sein, also ein Verhalten, aufgrund dessen einem anderen geschützte Informationen bekannt werden können. Auf das tatschliche Bekanntwerden kommt es nicht an und auch ein Offenbarungswille ist nicht erforderlich. Ein solches Offenbaren liegt folglich nicht nur in ausdrücklichen verbalen oder nonverbalen (z.B. Kopfnicken) Äußerungen, sondern auch schon darin, die Akten offen auf dem Tisch liegen zu lassen und das Zimmer zu verlassen, so dass ein Dritter (z.B. ein nicht zuständiger Finanzbeamter oder Bürger) das Zimmer betreten und vom Akteninhalt Kenntnis nehmen kann. Sind die geschützten Informationen jedoch bereits bekannt, so liegt begrifflich kein Offenbaren vor.

Unbefugt ist das Offenbaren, wenn kein Offenbarungstatbestand eingreift, der die Offenbarung erlaubt. In § 30 Abs. 4 und 5 AO ist die Zulässigkeit der Offenbarung der geschützten Informationen abschließend geregelt. Die Finanzbehörde hat bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 30 Abs. 4 und 5 AO das Recht, aber nicht die Pflicht zur Offenbarung (Ausnahme: §§ 31, 31b Abs. 2 und 3 AO); insoweit handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Einer der zahlreichen Erlaubnistatbestände ist in § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO geregelt, wonach die Offenbarung durch eine spezifische bundesgesetzliche Regelung ausdrücklich zugelassen werden kann.9 Die allgemeine Verpflichtung zu Amtshilfe (Art. 35 Abs. 1 GG) reicht insoweit jedoch nicht aus.

Im Falle des Verdachts einer Geldwäsche greift die Sonderregelung in § 31b AO ein.

 

2.4.2 Die Offenbarungsbefugnis des § 31b AO

§ 31b AO eröffnet die Möglichkeit der Offenbarung von durch das Steuergeheimnis geschützten Daten zugunsten der Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung und begründet in seinen Abs. 2 und 3 sogar Meldepflichten. Bei den zu offenbarenden Daten des Betroffenen handelt es sich um solche, die der Durchführung eines Strafverfahrens wegen Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung bzw. der Verhinderung, Aufdeckung oder Bekämpfung derartiger Taten dienen. Dabei erstreckt sich die Offenbarungsbefugnis nicht nur auf solche Taten eines Täters, sondern auch auf die Verletzung von Meldepflichten bestimmter Meldepflichtiger und auf strukturelle Verbesserungen der Erkenntnismöglichkeiten der FIU. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen, ist zu unterscheiden zwischen § 31b Abs. 1 AO und den Absätzen 2 und 3 der Norm:

§ 31b Abs. 1 AO normiert die Berechtigung der Finanzbehörden, aufgrund eigenen Ermessens oder auf Ersuchen, die dem Steuergeheimnis unterliegenden geschützten Daten von Betroffenen an die jeweils zuständigen Behörden zu übermitteln, soweit ein nach Nr. 1 bis 5 festgelegter, legitimer Übermittlungszweck vorliegt. Die Finanzverwaltung geht sogar davon aus, dass für sie eine Pflicht besteht, die Auskunft zu erteilen, wenn ein begründetes Auskunftsersuchen der jeweils zuständigen Stelle vorliegt.10 Seit der Anpassung des steuerverfahrensrechtlichen Datenschutzrechts an die Anforderungen der EU-Datenschutzgrundverordnung mit Wirkung vom 25.5.2018 bezieht sich die Offenbarungsbefugnis nach § 31b Abs. 1 AO auf die nach § 30 AO „geschützte Daten“, so dass sie über die „personenbezogenen Daten“ des § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO hinaus nun auch auf die gesondert geschützten „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ des § 30 Abs. 2 Nr. 2 AO anwendbar ist.11

Im Hinblick auf den Umfang der Offenbarungsbefugnis bzw. -pflicht ist allerdings zu berücksichtigen, dass nur punktuell solche Daten mitzuteilen sind, die mit dem verdachtsbegründenden Sachverhalt im Zusammenhang stehen. Folglich ergibt sich aus § 31b AO weder die Möglichkeit zur Übersendung vollständiger Steuerbescheide, Außenprüfungs- oder Fahndungsberichte, noch ein Recht der Ermittlungsbehörde auf Akteneinsicht.12 Mitzuteilen ist darüber hinaus nur das, was die Finanzbehörde in einem der in § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO genannten Verfahren und mit Hilfe der dort geltenden Ermittlungsbefugnisse erfahren hat. Weitergehende Ermittlungen zur Sammlung oder Schärfung von Erkenntnissen über Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung – z.B. im Wege einer steuerlichen Außenprüfung – sind dadurch nicht gedeckt.

Neben Abs. 1 des § 31b AO, der die Offenbarung von Verhältnissen des Betroffenen in den Fallgruppen der Nr. 1 bis 5 für zulässig erklärt, regeln die Abs. 2 und 3 entsprechende Pflichten. Diese sind aber – ebenso wie die Offenbarungsbefugnisse des Abs. 1 – durch ihren Wortlaut und ihren speziellen Schutzzwecken inhaltlich beschränkt. Die Mitteilungspflichten enthalten jedoch keine vom Aufwand für die Finanzbehörde abhängige Beschränkungen,13 so dass sie dementsprechend stets und in vollem Umfang zu erfüllen sind.

 

2.4.3 Praktische Umsetzung des § 31b AO

Im Hinblick auf die praktische Anwendung des § 31b AO wird kritisiert, dass die Umsetzung dieser Norm durch einen „normalen“, nicht speziell dafür geschulten Finanzbeamten im Massenvollzug der Steuergesetze wenig praktikabel sei.14 Dieser zutreffenden Kritik wird allerdings in der Praxis versucht dadurch Rechnung zu tragen, dass Verdachtsanzeigen erst nach Prüfung durch qualifizierte Fachkräfte und nicht unmittelbar durch jeden Finanzbeamten weitergeleitet werden. Weiterhin muss in Auskunftsersuchen an Finanzbehörden die ersuchende Stelle versichern, dass die erbetenen Daten den in § 31b Abs. 1 Nr. 1 bis 5 AO genannten Zwecken dienen.15 In diesen Fällen soll sich der jeweilige offenbarende Amtsträger auf den Sachverstand und die Einschätzungsfähigkeit der zuständigen anfragenden Behörde verlassen dürfen und müssen. Dieser Ansatz ist jedoch unter mehreren Gesichtspunkten zumindest fragwürdig:

So ist im Hinblick auf § 31b Abs. 1 Nr. 5 AO i. V. m. § 28 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 GwG zu berücksichtigen, dass ein Informationssammelauftrag der FIU als solcher eine Mitteilung der Finanzbehörden ohne weitere den Geldwäsche- und Terrorismusfinanzierungsverdacht begründende Anhaltspunkte nicht rechtfertigen kann.

Aber auch im Hinblick auf Ersuchen i.S.d. § 31 Abs. 2 und 3 ergeben sich erhebliche Probleme. Damit eine den Anforderungen entsprechende Zusicherung überhaupt zustande kommen kann, müssen die anfragenden Stellen umfassend mit den §§ 30, 31b AO vertraut sein. Ferner muss ein solches Ersuchen auch nachvollziehbar begründet sein.16 Da es sich trotz der Zusicherung der anfragenden Stelle bei der Offenbarung der Daten darüber hinaus um eine eigenständige strafbewährte Entscheidung des Amtsträgers der Steuerverwaltung handelt, dürfte es sich weiterhin bei der Zusicherung rechtlich wohl lediglich um eine Verbesserung der Entscheidungsgrundlage für den zuständigen – und weiterhin verantwortlichen – Finanzbeamten handeln.

Darüber hinaus besteht im Hinblick auf § 31b AO ein verfassungsrechtliches Problem, das sich aus dem „nemo-tenetur-Grundsatz“ ergibt, wonach niemand gehalten ist, sich selbst zu belasten. Dieser Grundsatz ist einerseits im Rechtsstaatsprinzip verankert und wird von dem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG umfasst. Andererseits ist der Schutz vor einem Zwang zur Selbstbezichtigung als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG anerkannt.17

Zu einem Konflikt mit dem „nemo-tenetur-Grundsatz“ könnte es kommen, wenn sich aus einer Steuererklärung – zu deren wahrheitsgemäßer und vollständiger Abgabe der Steuerpflichtige unter Strafandrohung verpflichtet ist – die konkreten Verdachtsmomente für Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung ergeben.18 Dementsprechend wird die Ansicht vertreten, dass § 31b AO dahingehend (einschränkend) verfassungskonform auszulegen sei, dass die jeweilige Behörde die vom Erklärenden mitgeteilten Informationen nicht weiterleiten darf.19 Diese Ansicht weiß jedoch insbesondere im Hinblick auf den klaren Wortlaut des § 31b Abs. 2 und 3 AO nicht zu überzeugen20 und spätestens seit der Einfügung der Nr. 5 in den Abs. 1 des § 31b AO ist eindeutig, dass der Gesetzgeber eine „niedrige Meldeschwelle“ festgelegt hat. Damit ist allerdings noch nicht geklärt, wie z.B. das BVerfG den § 31b AO unter dem Gesichtspunkt „nemo tenetur“ beurteilen wird.

 

2.5 Betroffene Dienststellen der Finanzverwaltung

Im Unterschied zu Finanzinstituten, die wissentlich oder unwissend zur Geldwäsche ge- bzw. missbraucht werden, nehmen die Bediensteten der Finanzämter in aller Regel nur bereits abgeschlossene, in der Vergangenheit liegende Sachverhalte im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit wahr. Daraus ergibt sich, dass sie nicht strafrechtlich relevant in eine Geldwäsche verstrickt werden können, sondern lediglich Gefahr laufen, entgegen § 31b AO Verdachtsfälle pflichtwidrig nicht zu melden oder pflichtwidrig eine durch § 31b AO nicht gerechtfertigten Meldung abzugeben.

Zur Kenntnisnahme von potentiellen Verdachtsfällen kann es in nahezu sämtlichen Dienststellen der Finanzämter kommen.

 

2.5.1 Außenprüfung und Steuerfahndung

Naturgemäß bekommen die Prüfungsdienste der Steuerverwaltung den tiefsten Einblick in die wirtschaftlichen und tatsächlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen, so dass insoweit auch die größte Wahrscheinlichkeit der Entdeckung einer Geldwäsche besteht. Ein typisches Beispiel ist eine Darlehensgewährung ohne wirtschaftlichen Hintergrund, wenn z.B. ein Geschäftsbetrieb – häufig der Handel mit hochwertigen Gütern – durch Privatdarlehen verschiedener Geldgeber aus dem In- und Ausland finanziert wird, ohne dass entsprechende Sicherheiten gestellt werden. Dasselbe gilt für Zahlungen ohne vertragliche oder sonstige plausible Grundlage, z.B. die Zahlung hoher Provisionen und Beratungsleistungen. Diese Fallkonstellationen werden im Wege einer eingehenden Analyse der betrieblichen Zahlungsströme deutlich. Aus einer Ortsbesichtigung oder Prüfung in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen ergeben sich ferner Ansatzpunkte, um zu erkennen, wenn die erklärten Umsätze – z.B. in Restaurants – deutlich über die tatsächlichen Umsätze hinaus gehen.

 

2.5.2 Neugründungsstellen

Bereits bei der steuerlichen Anmeldung einer neu gegründeten Firma können sich zahlreiche Indizien dafür ergeben, dass es sich um eine Scheinfirma zum Zweck der Geldwäsche handelt. Bei diesen Indizien kann es sich z.B. handeln um die Adresse des Unternehmens, bei der es sich nur um eine Briefkastenanschrift oder ein Büroserviceunternehmen handelt, die Tatsache, dass das Unternehmen nur über Mobilfunk/Fax erreichbar ist, die Angaben zu Unternehmenssitz sowie Art und Umfang der unternehmerischen Tätigkeit oder die Ausbildung und persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen passen nicht zum angemeldeten Betrieb. Ebenso ist zu berücksichtigen, ob Vorerkenntnisse über den Steuerpflichtigen im eigenen oder einem anderen Finanzamt vorhanden sind.