Wissenschaft  und Forschung

Erziehung auf Salafistisch

2 Erziehungsratgeber von Aisha Utz

Der Erziehungsratgeber von Aisha Utz mit dem Titel „Wie man den Glauben bei Kindern fördert“2 ist auf Deutsch erstmals 2011 erschienen. Utz ist US-Amerikanerin und studierte Psychologin. Seit einigen Jahren lebt sie in Saudi-Arabien und arbeitet dort an einer Klinik. Sie ist Autorin mehrerer Bücher, in denen die salafistische Ideologie vermittelt wird. In „Wie man den Glauben bei Kindern fördert“ geht sie zum Beispiel auf das Verbot von Musik ein, in denen Musikinstrumente zum Einsatz kommen oder Texte beinhalten, „die Verführung provozieren“. Aber auch das salafistische Konzept „al-Wala‘ wa-l-Bara‘“ (wortwörtlich etwa „Loyalität und Lossagung“) klingt an, wenn sie Eltern dazu aufruft, den Nachwuchs zu ermutigen, nur Freundschaften mit Kindern aus salafistischen Haushalten zu knüpfen.

Ihrem Erziehungsratgeber, der in Bibliotheken und auf Büchertischen salafistisch geprägter Moscheen in Deutschland zu finden ist, können wir zwei Grundsätze ihrer Erziehungsphilosophie entnehmen. Der erste Grundsatz betrifft die Methoden, die das Miteinander in der Familie regeln und unter dem Motto Liebe und Respekt stehen. So heißt es in ihrem Buch: „Eltern sollten ihren Kindern zeigen, wie sehr sie sie lieben und sich um sie sorgen. […] Der körperliche Kontakt ist wesentlich, inklusive solcher Dinge wie Umarmungen, Küssen, Streicheln und auf die Schultern klopfen.“ An anderer Stelle geht sie auf das Stillen ein und verweist darauf, dass die Eltern mit dem Tag der Geburt an der Beziehung zu ihren Kindern arbeiten sollen. Durch das Stillen würde das Baby Vertrauen zu seiner Umgebung aufnehmen, was die Erziehung erleichtere. Eng damit verknüpft ist auch ihr Aufruf zur Kommunikation zwischen Eltern und Kindern. Eltern sollten jeden Tag mit ihren Kindern sprechen, weil nur so eine tragfähige Beziehung entstehen könne und Eltern Möglichkeiten zum „Einfluss“ auf ihre Kinder hätten. Sie beschreibt darüber hinaus einen Erziehungsstil, der geprägt ist von „Lob und Güte“. Wenngleich Demütigung und Verspottung des Nachwuchses abgelehnt werden, propagiert Utz dennoch das Konzept von Gehorsam der Ehefrau gegenüber ihrem Ehemann und der Kinder gegenüber ihren Vater: „Den Kindern muss dieses Konzept von jungen Jahren an gelehrt werden.“

Der zweite Grundsatz erhebt den Islam als zentralen Bezugspunkt für die Erziehung. Das wird deutlich in Aussagen wie: „Den Kindern sollte gelehrt werden, dass der Islam bzw. ihre muslimische Identität vor allem anderen Vorrang hat.“ Oder: „Den Kindern sollte gelehrt werden, ihre Talente und Mittel in den Dienst Allahs zu stellen.“ Die Eltern werden darüber hinaus aufgefordert, die Kinder bei der Suche nach einem entsprechenden Freundeskreis zu unterstützen: „Freundschaften mit ehrlichen und rechtschaffenen muslimischen Gleichaltrigen“, mit Kindern, „die an die Prinzipien des Islams glauben, sich daran halten.“

Neben dieser grundsätzlichen Erziehungsphilosophie geht Utz auch auf verschiedene Bereiche des Erziehens ein. Dabei betont sie die Notwendigkeit, früh mit der Erziehung in diesen Bereichen zu beginnen, damit die Kinder bis zum Eintreten der Pubertät „über die notwendigen und grundlegenden Werkzeuge verfügen, um als verantwortungsbewusste Muslime zurechtzukommen, zu funktionieren und Entscheidungen treffen zu können.“ Weil Utz in einem Nebensatz darauf hinweist, dass der Eintritt in die Pubertät in Einzelfällen bereits mit neun Jahren erfolgt, wird deutlich, bis zu welchem Alter sie die Kinder vorbereitet haben möchte.

Entsprechend der absoluten Ausrichtung der Erziehung am Islam betont Utz den Vorrang von „religiösen Themen“ beim Lernen. Dabei verweist sie auf altersgerechte Methoden, wie das Erzählen von Geschichten als „eine brillante, genussvolle und effektive Methode, um Kindern den Glauben, Werte und Moral beizubringen.“ Sie bezeichnet das religiöse Wissen, das auf diese Weise aufgebaut wird als „solides Fundament“, das wiederum als Grundlage für „andere Arten von Wissen“ dient. Dabei sei es wichtig, dass das weltliche Wissen nicht im Widerspruch zum Islam und seinen Prinzipien stehe: „Es ist im Islam verboten, Philosophien und Glaubenslehren zu erlernen, die den Prinzipien des Islams widersprechen.“ Als Beispiel nennt sie hier die Anschauung, dass Religion nur einen Teil des Lebens abbilde und es Lebensbereiche gebe, die auch ohne Bezug zum Islam verstanden werden können. In diesem Zusammenhang äußert sich Utz auch ablehnend gegenüber „säkularen Schulen“: Dort bestehe die „ernsthafte Gefahr“, dass Kinder falschen Überzeugungen ausgesetzt sind und sie folglich negativ beeinflusst werden.

3 Pierre Vogel und seine Lehrvideos

Auch Pierre Vogel widmet sich in mehreren Videos dem Thema Erziehung.3 Die Klick-Zahlen seiner YouTube-Videos variieren zwischen knapp 100 und 12.000 (jeweils nach einem Jahr). Im Gegensatz zu dem Erziehungsratgeber von Utz finden wir in seinen Videos jedoch kaum Bezüge zur salafistischen Ideologie.

Der Prediger skizziert unter anderem die Bedeutung der Erziehung: Sie sei zum einen wichtig, weil das Kind „ein Kapital“ sei, „das für uns du’a [Bittgebet] macht, wenn wir gestorben sind, und das inshallah [so Gott will] unsere Rente ist.“ Zum anderen habe die Erziehung des einzelnen Kindes eine Bedeutung für die gesamte islamische Gemeinschaft. Denn eine „starke Gemeinschaft“ bedinge ein „starkes Individuum“, womit er eine Person meint, die „eine starke Erziehung genossen hat.“

Doch was meint Vogel mit einer „starken Erziehung“? Auch in seinen Videos finden wir hierzu zunächst Gedanken zu einer grundsätzlichen Erziehungsphilosophie. Ein zentraler Punkt sei hier die Liebe zum Kind. Er fordert dazu auf, dem Kind diese Liebe zu zeigen und so eine „Vertrauensbasis“ zu schaffen. Eltern sollen sich für ihre Kinder interessieren, mit ihnen reden und ihnen Zeit widmen. Besondere Bedeutung misst Vogel darüber hinaus der Kommunikation bei Fehlverhalten des Kindes und Verboten bei. Dabei plädiert er grundlegend für eine Form der Erziehung, in der das Erklären an erster Stelle steht. Gebote und Verbote sollen klar kommuniziert und erklärt werden: „Das ist verboten aus Grund A, B, C und D.“ Von Beleidigungen und Anschreien hält er hingegen nichts, denn durch diese Methoden, so Vogel, könne man niemanden motivieren. Und schließlich misst er der Erziehung eine aktionistische Bedeutung bei. Eltern, die unzufrieden seien mit den Angeboten in der Umgebung, sollen sich selbst aktiv einbringen, anstatt zu jammern: „dann mach selber eine Zeitung auf, dann mach selber einen Fernsehkanal auf, dann mach selber etwas für die Kinder bei dir zu Hause, lade sie aus dem Umfeld ein, oder was auch immer.“

Neben der grundsätzlichen Erziehungsphilosophie beschäftigt sich Vogel in seinen Lehrvideos mit verschiedenen Bereichen der Erziehung – er unterscheidet drei: Religion, Weltliches Lernen und „Akhlaq“. Der arabische Begriff „Akhlaq“ bedeutet in etwa Charakter oder gute Sitten. Vogel selbst erörtert welche Eigenschaften er konkret darunter subsumiert und die den Kindern folglich vermittelt werden sollen: Verantwortung, Geduld und Standhaftigkeit, Sanftmütigkeit, die Fähigkeiten mit unterschiedlichen Menschen umgehen zu können, ein bescheidenes Leben führen, Mut und Wachsamkeit. Ein besonderes Augenmerk hat er dabei auf das Verantwortungsbewusstsein, das in verschiedenen Videos thematisiert wird. Interessanterweise bezieht er sich in diesem Zusammenhang wiederholt auf Deutschland als positives Beispiel. Kinder würden hier Verantwortungsbewusstsein bereits im Kindergarten und an den Schulen, zum Beispiel durch Pausen- und Mülldienste, lernen: „Und das ist eine Sache, die hier in Deutschland sehr sehr positiv und sehr islamisch ist.“ Und nicht nur die Schulen und Kindergärten hebt Vogel hervor. Er äußert sich auch positiv über Freizeitangebote in Deutschland, die den Kindern Aktivitäten ermöglichen mit denen „Akhlaq“ trainiert werden kann. Er selbst wollte seinen Sohn gar einmal bei der Freiwilligen Feuerwehr anmelden. Denn es sei wichtig, dass Kinder selbst aktiv werden. Dass es in solchen Kreisen durchaus auch Feste gebe, auf denen Alkohol ausgeschenkt wird, sieht Vogel nicht als Ausschlusskriterium: Von solchen Feierlichkeiten könne der Muslim sich fernhalten.

In Hinblick auf die „pure Religion“ gehe es darum, so Vogel, den Kindern die explizit religiösen Regeln zu vermitteln, zum Beispiel in Hinblick auf das Gebet oder das religiöse Fasten. Vogel kritisiert in diesem Zusammenhang die Moscheen als wesentlichen Ort für diesen Bereich der Erziehung. In den hiesigen Moscheen würden Schläge und Strafen für die Kinder dominieren. Weil Kinder die Moschee mit dem Islam verbinden, würden sie aufgrund dieser Erfahrungen Angst vor der Religion bekommen. Vogel spricht sich stattdessen für eine altersgerechte und liebevolle Herangehensweise an die religiösen Inhalte aus, bei der das Lernen durch Spiele aufgelockert wird. Zentral sei dabei eine Vertrauensbasis zwischen den Kindern und denjenigen, die ihnen die Religion näherbringen, ohne Schläge und ohne Angst.

Den dritten Bereich, das weltliche Lernen, fasst Vogel mit einer einzigen Aufforderung zusammen: „Geht in die Schule und versucht Abitur zu machen!“Vogel argumentiert, dass der Islam „Spezialisten“, „Zukunftswissenschaftler“ und „Ingenieure“ brauche. Wenn ihn jemand um Rat zur Studienwahl bitten würde, wäre seine Antwort: „Erneuerbare Energien“. Dass er die deutschen Lehranstalten in dieser Hinsicht für einen guten Ort hält, spricht Vogel in einem anderen Video an. Die guten Aspekte der deutschen Einrichtungen, allen voran das Schulen des Verantwortungsbewusstseins und das weltliche Lernen, würden die negativen Aspekte dieser Orte (Vogel nennt hier „Aufruf zu anderen Religionen“ oder „Unzucht“) überlagern.