Recht und Justiz

Neue Risiken für den Rechtsstaat – Anmerkungen zum Stand der inneren Sicherheit in Deutschland

Von Dr. jur. Bijan Nowrousian, Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft Kiel

1. Neue und bestehende Risiken


Deutschland erlebt in diesen Tagen Kriminalität, wie es sie in dieser Form noch nie gesehen hat.
Zunächst schwappt eine Welle rechtsextremer Straftaten übers Land, zumeist in Form von volksverhetzenden Äußerungen über das Internet, aber vermehrt auch mit Brandanschlägen gegen geplante Unterkünfte von Asylbewerbern.1 Das Neue: Viele Täter sind bis dahin weder als Straftäter noch als Rechtsextremisten in Erscheinung getreten. Es scheinen oft ganz normale Bürger.2
Und dann erlebt Deutschland in der Silvesternacht von 2015 auf 2016 in vielen deutschen Großstädten, vor allem aber auf dem Bahnhofsvorplatz in Köln, wie sich massenhaft junge Männer in großen Gruppen um Frauen scharen, diese sexuell nötigen, ausrauben und in einigen Fällen sogar vergewaltigen.

Das Ganze geschieht mitten im belebten öffentlichen Raum und jedenfalls in Köln vor den Augen einer personell viel zu schwach aufgestellten Polizei, die beschimpft und wie die Opfer verhöhnt wird. Die Täter: junge Muslime aus Nordafrika und dem Nahen Osten. Wahrscheinlich viele von ihnen eingereist als Flüchtlinge. Die Taten: bisher nur aus der arabischen Welt bekannt, vor allem aus Ägypten. Und erkennbar mit dem Hauptziel, zugleich die Minderwertigkeit der Opfer, die Verachtung gegenüber ihnen und dem Staat sowie dessen Unfähigkeit zu demonstrieren, die Opfer zu schützen. Das Resultat: Angstzonen in deutschen Großstädten und ein gutes Drittel der Bevölkerung, das nun größere Menschenansammlungen meiden wolle.3
Freilich stehen beide neuen Kriminalitätsphänomene in einem Kontext bereits bekannter drängender Probleme:
Zum einen erlebt Deutschland insgesamt verfestigte und teils sogar wachsende und immer offensiver agierende Szenen politisch motivierter Straftäter.
Neben den benannten Rechtsextremisten – bei denen vor allem eine zunehmende Militanz alarmiert4 – besteht zum einen das wachsende Feld des Islamismus und des Salafismsus. Namentlich letzterer, aus dessen Ideologie heraus Terrorismus oft erst entsteht, erlebt kontinuierlichen Zulauf.5 Und Islamismus wie islamistischer Terrorismus bekämpfen, wie sich insbesondere bei den Anschlägen in Paris im Jahre 2015 sowie zuletzt in Brüssel am 22.03.2016 gezeigt hat, gerade das, was den Westen ausmacht: das offene Wort und das freie Leben.
Ferner bereiten Linksextremisten Sorge, vor allem die sogenannte Antifa, die in hohem Maße kampagnenfähig ist und politische Gegner kontinuierlich mit Straftaten überzieht.6 Dies ist gleich aus zwei Gründen ein als solcher viel zu wenig beachteter Großangriff auf die Demokratie: Zum einen ist es dies schon deshalb, weil sich hier Private anmaßen, bestimmen zu wollen, was im politischen Meinungskampf überhaupt gesagt werden darf und was nicht. Dies ist entschieden abzulehnen, gleich gegen wen sich solche Aktionen auch richten. Zum anderen ist es deshalb ein Angriff auf die Demokratie selbst, weil sich derartige Aktionen weit überwiegend gegen Ziele richten, die ihrerseits gar nicht rechtsradikal oder verfassungsfeindlich sind.7 Keiner Demokratie und keinem Demokraten kann dies bedeutungslos oder gar begrüßenswert erscheinen.
Zum anderen erweisen sich Täter aus muslimischen Parallelgesellschaften, welche in Deutschland schon seit Längerem bestehen, der Mehrheitsgesellschaft und ihren Repräsentanten gegenüber ganz allgemein immer häufiger offen ablehnend und aggressiv. Dies äußert sich etwa darin, dass in vielen deutschen Städten jede Polizeiarbeit dadurch unmöglich gemacht zu werden versucht, dass sich selbst bei Ahndung bloßer Ordnungswidrigkeiten sogleich Scharen junger Männer um die Beamten zusammenrotten und die Maßnahme durch Geschrei und bedrohliche Gesten stören.8 Es äußert sich aber auch darin, dass Angehörige zumeist libanesischer Familienclans, die in den Achtzigern als Bürgerkriegsflüchtlinge ins Land kamen, offen Herrschaftsansprüche für ganze Straßenzüge oder Viertel reklamieren.9
Neben diesen Kriminalitätsformen erlebt Deutschland auch sonst anhaltend hohe Aktivitäten im Bereich der organisierten Kriminalität sowie einen sprunghaften Anstieg von für die Opfer besonders belastenden Taten des Wohnungseinbruchsdiebstahls.10 Die Aufklärungsquote ist hier mit 15,9 % im Jahre 2014 11 so gering, dass die Bundesregierung den Bürgern privaten Einbruchsschutz nahelegt.12 Als weiteres Kriminalitätsfeld mit einer hohen Zahl an schweren Taten und zumindest in den Großstädten erheblicher Beeinträchtigung der Sicherheit des öffentlichen Raumes besteht ferner das Problemfeld der jugendlichen Intensivtäter.13
Auch wenn in anderen Feldern die Kriminalität teilweise rückläufig ist: Gerade besonders gefährliche Formen von Kriminalität und rechtsfeindlichem Verhalten sowie für das Sicherheitsempfinden der Bürger besonders gravierende Kriminalitätsformen nehmen zu oder entstehen gar neu.

2. Charakteristika der Bedrohungen


So unterschiedlich die genannten Deliktsfelder auch sein mögen, sie haben gleichwohl zwei nahezu durchgängig bestehende Gemeinsamkeiten:
Zum einen zeichnen sich die Täter häufig dadurch aus, nicht einfach nur das Recht zu brechen, sondern sich bewusst gegen ein gesetzestreues Leben und damit gegen die Regeln der Mehrheitsgesellschaft zu stellen und diese expressis verbis abzulehnen.14 Bei politisch motivierten Straftätern ist dies, wenn sie nicht nur Mitläufer sind, erklärtes Programm. Gleiches gilt für Täter aus Parallelgesellschaften, da Parallelgesellschaften ja gerade durch das Leben nach eigenen Regeln definiert werden.15 Aber auch viele Gruppen der organisierten Kriminalität besitzen eigene, für die Mitglieder verbindliche Regelwerke, die anstelle des geltenden Rechts zu befolgen sind.16 Und jugendlichen Intensivtätern sind Regeln und Ansichten von Staat und Gesellschaft zumindest egal, falls diese nicht auch dort in der Art eines weltanschaulichen Aktes bewusst abgelehnt werden.17

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