Kriminalität

Salafismus als ideologisches Fundament des Islamischen Staats (IS)


Von Dr. Marwan Abou-TaamundAladdin Sarhan, Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz*

Gepaart mit der von salafistischen Predigern eingeforderten Unterwerfung unter den vermeintlichen Willen Gottes, schafft dieses Gebot den Nährboden für die Mobilisierung von Szenemitgliedern und Sympathisanten für den Jihad im In- und Ausland. Dabei vertritt die Szene eine Konzeption, die sowohl gewaltlose als auch gewaltsame Formen des Jihad beinhaltet. Entscheidend bei der Wahl der jeweiligen Form sind die Grenzen des Möglichen, nicht die religiösen Grundsätze. Letztere sind konstant und aus salafistischer Sicht nicht veränderbar. Die Form des Jihad, die von dem jeweiligen Rezipienten vertreten wird, ist stark von der Resonanzentfaltung der Propaganda, den sozialen Umständen und der persönlichen mentalen Situation abhängig. Die gewaltlose Variante des Jihad umfasst die Bemühung mit Worten um den Aufruf zur wahren Religion (ad-da’wa li-d-dîn al-haqq) bzw. um den Islam nach salafistischer Auffassung. So werden das seit 2012 laufende Koranverteilungsprojekt »Lies« und die damit verbundenen Anstrengungen der ehrenamtlich engagierten Personen von der Szene als “eine edle Form des Jihad” bezeichnet.

Trifft die salafistische Propaganda auf Mitglieder und Sympathisanten mit entsprechender Delinquenz, kann sie ebenso in die Mobilisierung für den Jihad im Sinne des militanten Kampfes münden. Dieser kann diverse modi operandi annehmen. Dabei reicht es von situativen Gewaltausbrüchen im öffentlichen Raum über die gezielte Liquidierung von vermeintlichen Feinden des Islam bis hin zu mörderisch indifferenten Terroranschlägen und Ausreisen zu Jihadschauplätzen in Afghanistan, Irak, Syrien, Somalia und anderenorts. Es ist zu beobachten, dass die salafistische Szene in Deutschland seit 2012 zunehmend militant agiert. Als eine wesentliche Ursache hierfür lässt sich die immer stärke werdende gewaltverherrlichende und volksverhetzende Propaganda salafistischer Prediger in Deutschland ausmachen.

Im Juli 2014 kam es zur Ausrufung eines “Islamischen Staats” auf den von der Terrormiliz IS in Irak und Syrien kontrollierten Gebieten. Abu Bakr Al-Baghdadi, Anführer Terrormiliz IS. Al-Baghdadi ernannte sich selbst zum alleinigen Kalifen aller Muslime weltweit und Oberhaupt eines rechtgeleiteten Kalifats. Das von Al-Baghdadi deklarierte Ziel des Kalifats ist die globale Expansion und die Unterwerfung der gesamten Staatengemeinschaft unter den Rechtsnormen eines vermeintlichen wahren Islam salafistischer Auslegung. Al-Baghdadi forderte in seiner Antrittspredigt von allen wahren Muslime weltweit die Anerkennung seines Kalifats und je nach Möglichkeit, das wiederbelebte Kalifat tatkräftig durch die Auswanderung in die vom IS kontrollierten Gebiete zu unterstützen. Die Etablierung einer islamisch-salafistischen Pseudo-Staatlichkeit in Syrien und Irak betrachten viele Salafisten – auch in Deutschland – mit Genugtuung. Sie sehen darin den Beginn der Verwirklichung ihrer ideologischen Ziele. Denn sowohl die Salafisten des IS als auch die Salafisten in Deutschland teilen dieselben Auffassungen – nicht nur hinsichtlich ihrer deckungsgleichen rigiden Leseart des Islam, sondern auch in Bezug auf die angestrebte vollständige Umgestaltung von Staat, Gesellschaft und individueller Lebensführung nach denselben rigiden religiösen Normen. Es wundert daher nicht, dass die Zahl der aus Deutschland in Richtung Syrien und Irak Syrien ausgereisten Salafisten seit der Ausrufung des Kalifats anhaltend zunimmt. Von über 600 Fällen ist derzeit die Rede. Die meisten ausgereisten Salafisten haben sich dem IS angeschlossen.

Innere Sicherheit in Zeiten von IS: Globale Konflikte und lokale Auswirkungen


Die Auswirkungen der Ausrufung des „Islamischen Staats“ auf die innere Sicherheit europäischer Staaten muss im Kontext der neuen Qualität des Globalisierungsprozesses interpretiert werden. Dieser hat eine Transformation von Raum und Zeit herbeigeführt. Wir können eine Intensivierung weltweiter transnationaler sozialer Beziehungen beobachten, was dazu führt, dass weit entfernte Ereignisse uns heute unmittelbar und schneller als je zuvor betreffen. Dies impliziert nicht nur eine Zunahme von Reibungsmomenten und Konfliktsituationen. Eine der Auswirkungen der Globalisierung lässt sich darin ausmachen, dass daraus resultierende komplexe Interdependenzen die Grenze zwischen Innenpolitik (innerer Sicherheit) und Außenpolitik auflösen. Die innere Sicherheit westlicher Demokratien kann nur dann gewährleistet werden, wenn diese Staaten sich mit dem Phänomen des Salafismus und seiner militanten Spielart Jihadismus an deren Entstehungsorten, also innerhalb der islamischen Zivilisation und im Kontext der soziokulturellen Ereignisse vor Ort auseinandersetzen. Hierbei wird die Komplexität bei der Gestaltung des Sicherheitssektors deutlich, denn die vermeintliche Aufteilung der Welt in Friedenszonen demokratischer Wohlfahrtsstaaten und Kriegszonen, die durch chaotische Zustände charakterisiert sind, wird durch die Realität ad absurdum geführt. Geographische oder gar politische Grenzen sowie räumliche Entfernung zu Konfliktherden stellen keinen ausreichenden Schutz mehr dar. Erschwerend wirkt die Unüberschaubarkeit von Konfliktstrukturen, in denen die kulturellen und zivilisatorischen Faktoren überbetont und als hauptsächliche Konfliktmotivation angegeben werden. Konflikte werden zunehmend entlang kultureller, religiöser oder ethnischer Bruchlinien interpretiert, was den unvoreingenommenen Zugang blockiert und polarisierend wirkt. Als Konsequenz daraus kann die Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland, die durch den Salafismus hervorgerufen wird, nicht damit abgetan werden, dass nur eine kleine Minderheit der Muslime in Deutschland salafistisch orientiert und eine noch kleinere Minderheit militant ist. Die wirkliche Gefahr resultiert aus der polarisierenden Wirkung dieser Gruppen auf der Grundlage einer gemeinsamen weltanschaulichen Wahrnehmung von Konfliktmomenten, was zu Radikalisierung der muslimischen Mehrheiten führen könnte. Seinem Wesen nach ist der Salafismus eben kein Traditionalismus, sondern ein moderner Totalitarismus. In diesem Zusammenhang kommt den salafistischen Strukturen in Deutschland eine womöglich größere Relevanz in ihrer Funktion als Mobilisierungsagenturen einer politisch vermittelten Gegen-Akkulturation zu.
Mit der Ausrufung des Islamischen Staates erreicht der internationale islamistische Terrorismus erneut einen Höhepunkt. Dabei spiegelt die mediale Inszenierung der Gewalt auf brutalster Weise die neue sicherheitspolitische Komplexität wieder. Diese Entwicklung nimmt durch die Globalisierung stetig an Ausmaß zu und erfordert eine weitreichende, angemessene Transformation im sicherheitspolitischen Denken. Die deregulierte Gewaltausübung von nicht-staatlichen Akteuren, wie der IS, stellt nunmehr die größte Bedrohung für die internationale Stabilität dar. Ein Netzwerk gleichgesinnter Jihadisten, die sich auf der Basis einer salafistischen Glaubens- und Weltanschauung organisieren und von der Aussicht inspiriert, für Gott als Märtyrer zu sterben, verursachen mit den einfachsten Mitteln, mehrere tausend zivile Opfer und Schäden in Milliardenhöhe für die Weltwirtschaft. Sie destabilisieren eine ganze Region. Ihre religiöse Weltanschauung erlaubt ihnen eine gewisse Transzendenz des Menschen, in der nicht die Tötungsabsicht der Kämpfer, sondern deren Opferungs- bzw. Todesbereitschaft für höhere Ziele maßgebend ist. Auf der Grundlage ihrer Weltanschauung unterscheiden sie nicht zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten, sondern zwischen mu´minun (Gläubigen) und kafirun (Ungläubigen). Kombiniert mit der Tatsache, dass religiöse Loyalitäten und Einstellungen viel tiefer in den Menschen verankert sind als rein politische Bindungen, werden durch eine gewaltbejahende Weltanschauung mobilisierte Menschen zu unvorstellbaren Grausamkeiten verleitet.
Von einer religiösen Weltanschauung geleitete Gewalt kennzeichnet den Jihadismus, als „action directe“ des Salafismus. Ihre deklarierten Ziele bedrohen den modernen Staat in seiner Existenz, weil sie ambitioniert den universalistischen Anspruch einer Religion mit aller Radikalität durchsetzen und die Westfälische Ordnung durch eine göttliche Ordnung ersetzen will. Denn die salafistische Glaubens- und Weltanschauung liefert eine spezifische Deutung der Welt, sie bildet einen strukturellen Zusammenhang, in welchem auf der Grundlage eines Weltbildes die Fragen nach Bedeutung und Sinn der Welt entschieden und hieraus Ideal, höchstes Gut und oberste Grundsätze für die Lebensführung abgeleitet werden.
Der Salafismus Speist sie sich in erster Linie aus religiösen Quellen, so wirken die darin inkorporierten Bewertungs- und Deutungsschemata leitend auf das Handeln von Menschen. Somit ist diese Weltanschauung in der alltäglichen Praxis der Gläubigen fundiert. Da Religion in vormodernen Gesellschaften als die selbstverständliche Grundlage menschlichen Denkens gilt, bestimmt sie ihre zivilisatorische Wahrnehmung. Werden weltanschauliche Unterschiede entlang zivilisatorischer Bruchlinien von radikalisierten Gruppen instrumentalisiert, so droht eine Politisierung von Zivilisationsbewusstsein, die eine neue Qualität der Konfliktaustragung in sich birgt. Ihre Zerstörungskraft und die Schadenshöhe führen uns die große Intensität asymmetrischer Kriegsführung vor Augen und manifestieren das sicherheitspolitische Dilemma, in dem sich Staaten befinden.
Salafistische Jihadisten durchdringen geplant und zielgerichtet offene Gesellschaften zwecks Verwirklichung von politischen Zielen, wobei Opfer unter der zivilen Bevölkerung hingenommen und sogar verstärkt im Kontext einer globalen Mediengesellschaft inszeniert werden.

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