Kriminalitätsbekämpfung

Mafia als Staatsmacht?

– Russische Perspektiven –

Die Ermordung des stellvertretenden Chefs der russischen Zentralbank Andrei Kozlov im Jahre 2006 hat faszinierende Fragen im Hinblick auf Geldwäscheaktivitäten und Verbindungen zu „Silowiki“ und besonders dem Inlandsgeheimdienst FSB hervorgerufen. Zunächst schien der Fall durch die Verurteilung des Bankers Alexei Fenkel gelöst. Im Vorfeld gab es aber Vorkommnisse, die anwachsende offizielle Verbindungen zwischen der ROK und Geldwäscheaktivitäten erkennen ließen und Beklommenheit auslösten. Dazu gehört der Widerruf der Lizenz für die Moskauer Kreditbank Diskont. Mitarbeiter der Bank wurden beschuldigt „Frontgesellschaften“ für Geldwäschezwecke gegründet zu haben. Es gab Bezüge zu der von Kozlov verfügten Lizenzentziehung und dem Einfrieren von Vermögenswerten der Diskont Bank. Diese Bank zeichnete sich durch einige Besonderheiten aus. Sie hatte relativ wenige Kunden, war aber in umfangreiche Geldgeschäfte mit „Off-shore-Firmen“ verwickelt. Siebzehn Firmen, darunter manche, die dem Kreml und dem russischen Geheimdienst FSB nahestanden, hatten Einlagen in der Diskont Bank, darunter der stellvertretende Direktor des FSB Alexander Bortnikov.
In Deutschland ist manches dagegen etwas eleganter. Dort heuerte der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Ernst Uhrlau (SPD), kurz nach seiner Pensionierung als „Berater“ bei der Deutschen Bank an, einem Geldinstitut, bei dem die Frage, ob es sich um eine kriminelle Vereinigung handelt, noch nicht zufriedenstellend beantwortet ist.15 Dies geschah mit der Zustimmung des ehemaligen Kanzleramtschefs Ronald Pofalla (CDU), der sich seinerzeit selbst um eine gut bezahlte Tätigkeit bei der Deutschen Bahn bemühte und Anfang des Jahres 2015 dort seinen Dienst als „Generalbevollmächtigter für politische und internationale Beziehungen“ antreten sollte.
Wie auch immer: In den angedeuteten russischen Zusammenhängen lagen Indizien dafür vor, dass die Erträge aus der Bestechung von Amtsträgern über Privatbanken gewaschen wurden. Einiges ging sogar über Geldwäsche hinaus. Es gab beweiskräftige Anzeichen, dass die russische Regierung ROK-Strukturen für „private“ Zwecke eingesetzt hat, darunter Waffenschmuggel.16 Andere Fälle legen die Vermutung nahe, dass im Zuge vielfältiger Privatisierungen die Grenzen zwischen der russischen Regierung, kriminellen Netzwerken und dem Geheimdienst FSB verwischt wurden. Es fehlt jedoch an konkreten Beweisen dafür, dass es eine direkte Beziehung zwischen diesen Gruppen gibt. Dies ist typisch für die Gesamtlage. Die diversen Allianzen können auch deshalb so erfolgreich sein, weil die erforderliche Beweisführung häufig nicht gelingt und gelegentlich sogar lebensgefährlich für diejenigen ist, die sich darum bemühen. Den „Mann auf der Straße“ in Russland erschüttert das alles nicht allzu sehr. Die Infiltration durch die ROK ist ja auch nicht neu. Aus der Sicht normaler Russen hat sich Lage verbessert, weil sie derzeit weniger Gewalt auf den Straßen fürchten müssen. Die Furcht vor der ROK hat insgesamt deutlich nachgelassen. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ROK weiterhin Betrug aller Art und Korruption fördert und verstärkt und dem russischen Steuerzahler enorm hohe Summen vorenthält. Noch beunruhigender ist die Tatsache, dass es nach wie vor intakte Verbindungen zwischen der ROK und dem Machtapparat, auch den Strafverfolgungsbehörden, gibt.17 Die ROK wird bleiben, solange es die Korruption im Staatswesen gibt. Auch und gerade der „normale“ russische Bürger wird weiter leiden, solange Amtsträger mit dem organisierten Verbrechen verbunden sind und bestimmte Allianzen fortbestehen.
Wenn es richtig ist, dass der Kreml nach seinen Kriterien bestimmte kriminelle Aktivitäten „erlaubt“, dann stellt sich aber doch Frage, warum die ROK in erheblichem Umfang bemüht ist, ihre illegal erlangten Gewinne ins Ausland zu schaffen. Vor dem Hintergrund der Unberechenbarkeit Putins und des volatilen Charakters des russischen Marktes kommen folgende Überlegungen in Betracht:
Zum einem fühlt man sich angesichts des unvorhersagbaren politischen Klimas in Russland nicht sicher. Gegenwärtig ist auch die ROK den Launen des Kremls ausgeliefert. Putin selbst scheint immer schwerer berechenbar. Sollte sich der Kreml wie im Fall Barsukov zum Angriff eine ROK-Gruppe entschließen, sind die kriminell erworbenen Vermögensbestände im Ausland natürlich sicherer. Solange Russland als „sicherer Hafen“ gilt, wird es dem Kreml gelingen, mehr und bessere Informationen über bestimmte Kriminelle und die Wege des Geldes zu sammeln und so besser in der Lage sein, dieses Geld zu beschlagnahmen. Im Ausland sind entsprechende Vermögensteile schwieriger zu lokalisieren und zu konfiszieren. Zum anderen sind Identifizierungen und Konfiszierungen komplizierter, wenn das Geld über mehrere Länder gelaufen ist und verteilt wurde. In dem zitierten Steuerbetrugsfall aus dem Jahre 2007 ist das von den Steuerbehörden erlangte Geld über ein halbes Dutzend russischer Banken geleitet worden und wurde später nach Moldawien, Zypern, UK und auf die Britischen Jungfraueninseln verbracht. Dabei gibt es mindestens zwei erfolgsträchtige Wege für Geldwäsche, besonders in Ländern, die nicht der EU angehören und deren Rechtshilfesysteme nicht existent oder mangelhaft sind.
Der eine Weg ist Eigentumserwerb (Grundstücke, Autos, Boote, Flugzeuge, etc.). Das Wiederauffinden ist u. a. wegen der schwachen Regulierung von Institutionen, die nicht zu den Finanzinstitutionen gehören, schwierig. Der andere Weg ist der Transfer des Geldes zunächst an und über Länder, die nicht der EU angehören und dann die anschließende Weiterleitung in die EU zur „Legalisierung“. Unter diesen Auspizien akzeptieren viele westliche Banken Geld jeglicher Herkunft.
Die Verwicklung der Familie Katsyv (Peter Katsyv war der stellvertretende Minister für Transport in Russland) in Geldwäscheaktionen von Russland nach Israel ist nur eines von vielen beeindruckenden Beispielen.18 Daran lässt sich gut erkennen, dass die Internationalisierung eine strategische Entscheidung der ROK war, um sich besser in das legale Geschäft und die Finanzwelt zu integrieren.
Die Zusammenarbeit mit anderen kriminellen Gruppierungen im Ausland wurde ebenfalls erleichtert. Die Aufmerksamkeit wird so von den russischen Tätern auf Ausländer abgelenkt. Die Integration in legale Strukturen geschieht mit der Beschäftigung von Rechtsanwälten, Bankmanagern und Buchhaltern. Die ROK beschäftigt nicht mehr vornehmlich „schmierige“ und gewalttätige Ganoventypen, sondern qualifizierte Personen auf mittlerer und hoher Ebene, die in der Lage sind, „auf Augenhöhe“ mit Topmanagern, führenden Beamten und Politikern umzugehen.
Inzwischen etabliert sich die dritte Generation russischer Krimineller. Zur ersten gehörte die erwähnte „Gulag Schule“. Die zweite hat sich ihren Weg in das System freigekauft. Die dritte wird von einem Typus verkörpert, dem es gelungen ist, sich versteckt mitten im politischen und wirtschaftlichen Apparat zu platzieren. Die Angehörigen dieser Generation kommen aus dem Innern der „Elite“, sind im Westen erzogen und ausgebildet worden und „bewaffnet“ mit wichtigen Verbindungen überall in der EU. So konnte ein kriminelles „Empire“ entstehen. Die „Vanagel-Gruppe“ ist nur ein Teil davon, verkörpert aber die mittlerweile entstandenen komplexen Netzwerke. Es handelt sich dabei um ein „Off-shore-Netzwerk“, das vornehmlich in baltischen Staaten residiert, aber neben Russland auch Länder wie die Ukraine, Moldawien, UK und Zypern umfasst und dort komplexe Geldwäschetransaktionen orchestriert.19