Kriminalität

Kinder im Dienst der (Organisierten) Kriminalität

Kinderhandel und Ausbeutung von Kindern – ein gern ignoriertes, aber erhebliches, deutsches Problem

Von Manfred Paulus, Erster Kriminalhauptkommissar a. D., Ulm/Donau

„Wer sein noch nicht achtzehn Jahre altes Kind oder seinen noch nicht achtzehn Jahre alten Mündel oder Pflegling unter grober Vernachlässigung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht einem anderen auf Dauer überlässt und dabei gegen Entgelt oder in der Absicht handelt, sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft…“

Der Tatbestand des § 236 Strafgesetzbuch (StGB) –Kinderhandel- beinhaltet längst nicht alles, was die realen und schmutzigen europäischen Märkte mit der Ware Kind zu bieten haben und er beinhaltet auch nur einen verschwindend kleinen Teil dessen, was den Handel mit Kindern in Deutschland betrifft und was auf deutschem Boden geschieht.
Kinderhandel aber ist immer auch Menschenhandel. Deshalb sind bei der strafrechtlichen Würdigung des Handels mit Kindern auch die Tatbestände der §§ 232 (Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung) und 233 (Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft) des StGB zu sehen. Doch auch sie beinhalten nur einen Bruchteil dessen, was im Bereich des Kinderhandels in Europa und auch in Deutschland wirklich geschieht.
Das deutsche Strafrecht schützt Kinder vor Handel und Ausbeutung nur in Teilbereichen. Eine spezielle und umfassende, den gegenwärtigen Herausforderungen angepasste Strafvorschrift fehlt.
So wie der inzwischen seit Jahrzehnten boomende Frauenhandel in die (Zwangs-)Prostitution zeigt sich heute auch der Handel mit Kindern in modernen Kleidern, ganz den Verhältnissen in den ost- und südosteuropäischen Rekrutierungsländern und den Bedürfnissen der westlichen Industrienationen angepasst.
Und dieser europäische und auch Deutschland betreffende Kinderhandel hat verschiedene, zumeist sehr hässliche Gesichter. Er hat zudem in Teilbereichen Formen und Ausmaße angenommen, die nicht nur auf eine Antwort in Form einer Spezialvorschrift im deutschen Strafrecht sondern auch auf angemessene(re) und wirksame(re) Bekämpfungsstrategien warten.

Die Märkte


Wir glaubten und wir glauben noch immer all zu gerne, der Handel mit Menschen, so auch der mit Kindern, wäre ein Phänomen längst vergangener Zeiten. Und so ordnen wir den Menschen- oder Kinderhandel in Gedanken dem Römischen Reich zu. Einer Zeit, in welcher vor 2000 Jahren Männer, Frauen und Kinder ganz selbstverständlich auf Sklavenmärkten feilgeboten und verkauft wurden: Muskelbepackte Männer als Arbeitskräfte. Nackt zur Schau gestellte Frauen und Kinder als Sexsklav(inn)en. Einer Zeit, in der dem Tod Geweihte als Gladiatoren anzutreten hatten oder gleich den Raubtieren zum Fraß vorgeworfen wurden, zur Unterhaltung und zum Vergnügen der Mächtigen. Einer Zeit, in der Sklaven und Sklavinnen nicht als Menschen mit (Menschen-)Rechten sondern als Gegenstände galten, die man erwerben, benutzen und nach Gebrauch auch wieder wegwerfen konnte.
Wir ordnen den Menschen- und Kinderhandel auch der Zeit zu, in welcher der transatlantische Handel mit Männern, Frauen und Kindern stattfand und diese vom afrikanischen Kontinent nach Amerika verschifft wurden, um in der neuen Heimat versklavt zu werden.
Wir erinnern uns beim Thema Menschenhandel vielleicht auch an das Dritte Reich und daran, dass Himmler frühzeitig erkannte, dass Juden lebend nützlicher sein können als tot und die sogenannten „Austauschjuden“ bei teuflischen Geschäften gegen Gut und Geld verscherbelte.
Oder wir erinnern uns daran, dass sich auch die DDR gut bezahlen ließ – für die Freilassung inhaftierte Menschen. Auch das war Menschenhandel.
Menschen aber werden noch immer gehandelt. Hier, heute, mitten unter uns. Mehr als wir wahrhaben und mehr als wir wahrnehmen wollen. Teilweise nicht rücksichtsvoller und nicht weniger brutal als damals, vor 2000 Jahren, im Römischen Reich.
Europa ist neben anderen Nahtstellen zwischen Arm und Reich (zum Beispiel USA-Mexiko oder Kambodscha-Thailand ) gegenwärtig eines der bedeutendsten Menschenhandelszentren dieser Welt.
Es sind neben jungen Frauen vermehrt Kinder, die auf diesen schmutzigsten aller europäischen Märkte angeboten, gehandelt und der Ausbeutung zugeführt werden. Und Deutschland und Deutsche sind daran nicht unwesentlich beteiligt. Indem sie die Plattform für die Ausbeutung der Schwachen und Schwächsten zur Verfügung stellen, indem täterfreundliche und opferfeindliche Rahmenbedingungen geschaffen und lange beibehalten wurden – oder noch immer beibehalten werden. Vor allem aber stellt Deutschland die Ausbeuter oder es lässt diese gewähren: Die Antreiber und Ausbeuter von Kindern, die klauen, betteln und betrügen, die Zuhälter, die Freier, die Pädokriminellen, die Perversen…
Europa und Deutschland sind seit vielen Jahren und in hohem Maße mit unterschiedlicher, menschenverachtender und ausbeuterischer Kriminalität zum Nachteil von Kindern konfrontiert, ohne dass bislang Mittel und Wege gefunden wurden, das einzudämmen und zu ändern.
Werfen wir einen Blick auf die Vielfalt dieses innereuropäischen Handels mit der „Ware“ Kind, der in weiten Teilen auch Deutschland betrifft:
Im September 2009 wurde von der rumänischen Polizei eine namhafte Klinik mitten in der rumänischen Hauptstadt Bukarest gestürmt und geschlossen. Dort tätige Ärzte wurden festgenommen. Den Ermittlungen zufolge wurden in dem Krankenhaus junge Frauen über lange Zeiträume hinweg für ein Entgelt von jeweils 200.- Euro mit Hormonen vollgepumpt, um Eizellen zu produzieren, die dann auf dunklen Handelswegen in die ganze Welt hinaus verkauft wurden. Eizellen sind sehr gefragt und die Klinik machte gute Geschäfte. Die nicht unerheblichen gesundheitlichen Risiken und Folgen für die Spenderinnen hatten diese freilich allein zu tragen. Kinder, so könnte man diese illegalen Praktiken rumänischer Ärzte interpretieren, werden in Europa bereits (in illegaler Weise) gehandelt bevor sie das Licht der Welt erblicken.
In Moldawien hält sich hartnäckig das Gerücht, dass es innerhalb der mit Grenzen abgesicherten Enklave Transnistrien ( offiziellen Angaben zufolge weitgehend in russischer Hand, offensichtlich jedoch auch und vor allem in Händen der Organisierten Kriminalität) eine Einrichtung gibt, in der Kinder fabrikartig erzeugt werden, um dann illegal und für gutes Geld als „Namenlose“ in alle Welt hinaus verkauft zu werden.
In den letzten Jahren verlassen Beobachtungen der bulgarischen Sicherheitsbehörden zufolge vermehrt junge und schwangere Bulgarinnen ihr Land, um später wieder allein und mit 20.000 Euro ( so der gängige Preis für ein Mädchen) oder 30.000 Euro (der Preis für einen Jungen) in der Rocktasche wieder zurückzukehren.
Während auch der Handel mit Kindern als Soldaten ein großes, vor allem jedoch lateinamerikanisches und afrikanisches und kein europäisches oder gar deutsches Problem darstellt, ist der Handel mit kindlichen Arbeitskräften ein weltweites Phänomen, das auch Europa und Deutschland betrifft. Zum einen sind wir Abnehmer und Konsumenten von (Billig-)Produkten, die bekanntermaßen von Kinderhänden erzeugt werden, womit Kinderarbeit unterstützt und gefördert wird. Zum anderen wird auch hierzulande immer wieder kräftig „in die Händchen gespuckt“. Das allerdings geschieht in den meisten Fällen freiwillig und mit Einverständnis der Eltern und Erziehungsberechtigten ( man denke nur an die kleinen Helfer in der Landwirtschaft oder auch in kleinen, familiären Handwerksbetrieben ), was nicht bedeutet, dass es damit legal wäre. Es ist eine der großen europäischen und deutschen Errungenschaften der Vergangenheit, sich von der Kinderarbeit losgesagt zu haben. Wachsamkeit aber scheint nach wie vor angebracht. Auch und vor allem in Branchen, die sich vermehrt der Kinder bedienen, ohne dass sie zwangsläufig mit Kinderarbeit in Verbindung gebracht wierden: Film- und Fernsehproduktionsgesellschaften, Modelagenturen, die Werbebranche…

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