Polizei

Irreguläre Migration und Schleusungskriminalität – die unheilvolle Allianz

Marine auf Schleuserjagd – eine fragwürdige Alternative


Da gemeinhin die Schleusungskriminalität der Organisierten Kriminalität zugerechnet wird, sollte man annehmen, dass die Interventionsstrategien zuvörderst kriminalpolizeilicher, allenfalls nachrichtendienstlicher Art sind. Der Ansatz der EU indes sieht indes anders aus. Die verzweifelte Suche der Akteure europäischer Sicherheit nach Strategien, die zumindest eine Kontrolle der irregulären Migration ermöglichen, gipfelte letztendlich in einem Beschluss, gegen die Schleusungsaktivitäten im Mittelmeer mit einer militärischen Operation im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik (GASP) vorzugehen. Hierzu entwickelte die EU-Außenbeauftragte Mogherini auf Grundlage von Art. 42 Abs. 4 und 43 Abs. 3 des EU-Vertrages ein Krisenmanagementkonzept, das mit Ratsbeschluss vom 18. Mai 2015 umgesetzt wurde.2 Die militärische maritime Operation unter dem Titel EUNAVFOR MED3 wurde mit Beschluss (GASP) 2015/972 des Rates am 22. Juni 2015 eingeleitet und deckt das Seegebiet südlich Siziliens vor der Küste Libyens und Tunesien innerhalb der Region des mittleren und südlichen Mittelmeeres und den dortigen Luftraum ab. Sie beinhaltet einen Stufenplan, der in der ersten Phase neben Seenotrettungsmaßnahmen Patrouillen auf Hoher See zur Beobachtung und Aufdeckung der Schleusungslage im Mittelmeer umfasste. In der zweiten Phase sollen neben der Aufdeckung und Beobachtung von Migrationsnetzwerken als Tatobjekte identifizierte Schiffe auf Hoher See oder in Hoheitsgewässern angehalten, durchsucht, beschlagnahmt und umgeleitet werden. Hierzu sollen auch Aufklärungsflugzeuge, U-Boote, Satellitenüberwachung und Drohnen eingesetzt werden. In der dritten Phase letztlich sollen auf dem Hoheitsgebiet des betroffenen Küstenstaates alle erforderlichen Maßnahmen bis hin zur Unbrauchbarmachung oder Zerstörung von Schleusungsbooten und der dazugehörigen Infrastruktur getroffen werden. Für die letzte Phase wäre allerdings eine Resolution des UN-Sicherheitsrates und die Zustimmung des betroffenen Küstenstaates bzw. bei Schiffen der beteiligter Flaggenstaaten erforderlich.
Die Beteiligung Deutschlands erfolgte in der ersten Phase mit zwei Schiffen der Deutschen Marine aufgrund einer bilateralen Vereinbarung mit Italien, in der folgenden Phase als Teil eines Systems gegenseitiges kollektiver Sicherheit nach Art. 24 Abs. 2 GG. Hierzu war nach §§ 1, 2 Abs.1 Parlamentsbeteiligungsgesetz die Zustimmung des Bundestages erforderlich, da der bewaffnete Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland zu erwarten war. Unter dem Eindruck der sich zum Menetekel auswachsenden Flüchtlingskrise beschloss die Bundesregierung, wohl um Entschlossenheit zu demonstrieren, am 16. September 2015 durch Kabinettsbeschluss, der durch das Auswärtige Amt und das Bundesverteidigungsministerium vorbereitet wurde,4 ein Bundestagsmandat zur Ausweitung des Einsatzes zu erwirken. Nunmehr sollen in der zweiten Phase durch Entsendung von bis 950 Soldaten in internationalen Gewässern vor der nordafrikanischen Küste Schmuggelschiffe identifiziert, aufgebracht, beschlagnahmt und zerstört oder umgeleitet werden. Es handelt sich nach Afghanistan und Kosovo um den personaldrittstärksten Einsatz der Bundeswehr. Die Zustimmung des Parlaments erfolgte am 1.10.2015.
Bis jetzt blieb wohl der Zunft schreibwütiger Vertreter der reinen Lehre, die bei jeder Gelegenheit die Trennung von Polizei und Streitkräften im Bereich der Eingriffsverwaltung beschwören, verborgen, dass nunmehr Soldaten die Wahrnehmung polizeilicher Eingriffsbefugnisse übertragen werden, die von der Durchsuchung und Beschlagnahme von Schleusungsbooten als Tatmittel bis zur Erhebung personenbezogener Daten und ED-Behandlung reichen. Die hierzu erforderlichen Ermächtigungen zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben sind den veröffentlichten Papieren, die lediglich pauschal auf UN-Konventionen und EU-Ratsbeschlüsse verweisen, nicht zu entnehmen.


Das aktuelle Bild der Grenzkontrolle an der deutsch-österreichischen Grenze (Bundespolizdirektion München)


Am Sinn des Unternehmens bestanden von Anfang veritable Zweifel. So ist z. B. für die letzte Phase, die einen Einsatz auf libyschen Hoheitsgebiet vorsieht, eine Resolution des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, das Maßnahmen bei Bedrohungen oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen regelt, sowie das Einvernehmen mit der hauptbetroffenen libyschen Regierung erforderlich. Die zurzeit von der EU anerkannte Regierung Libyens hat bereits erklärte, einen Einsatz auf libyschem Hoheitsgebiet als Verstoß gegen die eigene Souveränität zu bewerten.
Trotz aller Medienwirksamkeit hat das Szenario einen Schönheitsfehler. Es ist lediglich ein Herumdoktern an den Symptomen und beschränkt sich auf eine aktuelle Schleusungsroute, die sich sich alsbald ändern kann. Außerdem suggeriert es, dass ein konsequentes Vorgehen gegen Schleuser die irreguläre Migration eindämmt, eine Illusion, der selbst der Kommissionspräsident Juncker erlegen ist. Die Reaktionen sind entsprechend und reichen vom spöttischen „Schiffe versenken im Mittelmeer“ bis hin zum hämischen „Ratlosen retten Hilflose“. Durch die Zerstörung der Boote einen nach haltigen Unterbrechungseffekt zu erreich, ist eine verzweifelte Illusion. Zum einem können sie in nennenswertem Umfang nicht aufgeklärt werden, zum anderen sind sie im Falle der Zerstörung schnell ersetzt, zumal unverändert hohe Gewinnmargen locken.
Aus sicherheitspolitische Sicht am schwersten wiegt aber der Zweifel, ob die eingesetzten Kräfte ihrem Auftrag gerecht werden können, durch Patrouillen auf hoher See Informationen zur Aufdeckung von Schleusernetzwerken zu sammeln, um damit zu einer „Lagebildverdichtung“ beizutragen.5 Nicht nur der Fachmann fragt sich, warum die kriminalpolizeilichen Maßnahmen auf den Einsatzschiffen nicht durch die Spezialisten der Bundespolizei mit ihrem reichen Erfahrungsschatz bei Schleuserermittlungen abgearbeitet werden, zumal auch das Bundeskriminalamt nicht mit der Mission zusammenarbeitet. Lediglich der Bundesnachrichtendienst hat ein Unterstützungselement Militärisches Nachrichtenwesen bereitgestellt. Durch den Verzicht des Einsatzes auf kriminalpolizeiliche Spezialisten werden evidente Chancen vertan, bereits bei der Erstbefragung echte Erkenntnisse über die vorangegangenen Modi Operandi zu gewinnen, straffällige Personen, z.B. Schleuser, zu identifizieren und etwaige strafprozessuale Maßnahmen z.B. bei Verdacht der Teilnahme an Straftaten einzuleiten. Immerhin waren Schleuser in mehreren Fällen für den Tod von Migranten verantwortlich. So wurden Mitte August bei einer Seenotrettungsoperation vor der italienischen Küste über 50 Personen festgestellt, die im Laderaum eines überladenen Bootes erstickten.
Alles in allem muss befürchtet werden, dass die vorgesehene Operation über kurz oder lang zur bloßen Drohgebärde verkommt, deren geringer sicherheitspolitischer Mehrwert die Schleuserorganisationen in ihrem Tun noch bestärken wird. Weder seitens des UN-Sicherheitsrates, der beteiligten Länder und letztlich Russland besteht Bereitschaft, einen Einsatz in den Ausgangsländern zuzulassen. Die verstärkten Seenotrettungseinsätze werden vielmehr als zusätzlicher Pull-Faktor den Strom der Migrationswilligen noch anschwellen lassen, wird ihnen doch vermehrt von den Schleusern suggeriert, dass sie von einem Schiff aufgenommen werden.
Allein sinnvoll wäre gewesen, wie vom italienischen Außenmister Gentiloni vorgeschlagen, das Auslaufen der Schleuserboote durch eine Seeblockade zu verhindern. Spanien hatte dies bereits erfolgreich im Zusammenwirken mit mehreren westafrikanischen Staaten im Rahmen der Operation Seahorse praktiziert und den Strom der Migranten hauptsächlich von Mauretanien auf die Kanarischen Inseln zum Versiegen gebracht. Überlagernd dazu wurden gemeinsame See- und Landpatrouillen in den Hoheitsbereichen von Mauretanien, Senegal, Kap Verde, Gambia und Guinea-Bissau abgesprochen.