Polizei

Irreguläre Migration und Schleusungskriminalität – die unheilvolle Allianz



Schengen auf dem Prüfstand


Die Regelwerke von Schengen versprachen den Wegfall der Binnengrenzkontrollen ohne Sicherheitseinbußen und freie Fahrt für 400 Millionen Bürger. Vieles hat sich jedoch zum Schlechten gekehrt, die Akzeptanz bei der Bevölkerung ist gefährdet. Erste Warnzeichen waren die Kollateralschäden bei der vorübergehenden Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen nach Artikel 32 Schengener Grenzkodex aus Anlass des G-7-Gipfels in Elmau. Die Polizei kontrollierte 362 25 Personen, nahm 3.517 Personen vorläufig fest, stellte 13 800 Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht fest, vollstreckte 151 Haftbefehle und stellte 237 Drogendelikte sowie 151 Urkundenfälschungen fest. Dabei waren lediglich 3.000 Beamte des Gesamteinsatzvolumens von 18.000 Personen für wenige Tage zur Grenzkontrolle eingesetzt. Mit der politischen Entscheidung, Flüchtlinge aus Ungarn unkontrolliert und unregistriert einreisen zu lassen, geriet die Entwicklung außer Kontrolle. Insbesondere Bayern stellte zunächst Schengen auf den Prüfstand und fordert dann eine Auszeit. Auch intern schaffte der Freistaat vollendete Tatsachen. Nachdem Innenminister Herrmann bei der letzten Innenministerkonferenz mit seinem Vorschlag, die Schleierfahndung bundesweit einzuführen, bei den SPD-Innenministern nicht durchdrang, besann sich der Freistaat auf seine eigenen Fähigkeiten und stellte bereits frühzeitig 500 Polizeibeamte aus dem Bereich der Bereitschaftspolizei und der Ermittlungsgruppen im Inland zur Verstärkung der ohnehin mit großem Erfolg in Bayern betriebenen Schleierfahndung ab. Allerdings blieb das Grollen des bayerischen Löwen nicht ohne Wirkung auf die Bundesregierung. Am 13. 9.2015 verkündete Bundesinnenminister de Maizière vollkommen überraschend als Reaktion auf die außer Kontrolle geratene Zuwanderungsflut die vorübergehende Aussetzung des Schengener-Abkommens und die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen an den südlichen Landesgrenzen. Als Begründung wurde die Begrenzung des Zustroms nach Deutschland und die Rückkehr zu einem geordneten Einreiseverfahren angegeben, da dies aus Sicherheitsgründen erforderlich sei. Für diese überraschende Kehrtwendung musste die Bundespolizei, ohnehin schon im Dauereinsatz, die letzten Reserven mobilisieren und setzte mehrere Hundertschaften und Mobile Überwachungs- und Kontrolleinheiten an die Südostgrenze in Marsch. Für die anderen Grenzen wurden Stichprobenkontrollen angeordnet. Für die gebeutelten Beamten war es nur ein schwacher Trost, dass die Große Koalition in großer Eile die Bereitstellung von zusätzlichen 3.000 Planstellen in den nächsten drei Jahren ankündigte, ist doch in Gewerkschaftskreisen die personelle Unterbesetzung der Bundespolizei ein Dauerthema und wird mit mindestens 2.000 Polizeivollzugsbeamten beziffert.
Besonders professionell wurden die temporären Grenzsicherungsmaßnahmen nicht verkauft, denn der überwiegende Tenor „Deutschland mach die Grenzen dicht“ in den Schlagzeilen der meisten Medien traf den Sachverhalt höchst unvollkommen. Die Grenzen wurden weder geschlossen noch die nach Deutschland strebenden und Asyl begehrenden Personen abgewiesen. Vielmehr wurde an den Hauptübergängen wieder systematisch, aber nur an den Hauptverkehrsadern kontrolliert, Ausländer, die kein Asylbegehen vortrugen, zurückgewiesen und beweissicher nach Schleusern gefahndet. Die Hauptarbeit leisteten die Bundespolizisten jedoch als Verwaltungshelfer für das überlastete Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, indem sie die Asylsuchen nach den Maßnahmen des Ersten Angriffs, Registrierung und Erstbefragung den eingerichteten „Bearbeitungsstraßen“ zuführten, in der die weitere Sachbearbeitung, die erforderlichen Datenabgleiche und die nach dem Asylverfahrensgesetz vorgeschriebene erkennungsdienstliche Behandlung erfolgte und mit der Aushändigung einer Anlaufbescheinigung zu einer Erstaufnahmerichtung endete.

Das sonstige Repertoire – viele Überlegungen, wenig Wirkung


Das derzeitige Arsenal an Gegenstrategien hat einen gemeinsamen Schönheitsfehler: Es ändert nichts an der Grundproblematik oder benötigt wie zum Beispiel die Beseitigung der Fluchtursachen in den Ausgangsstaaten einen langen Atem. Die Forderung nach Verstärkung des Grenzschutzes an den Außengrenzen selbst unter Einbeziehung des ungeliebten Nato-Partners Türkei zur Abriegelung der Ägäis ist wohlfeil. Boote der türkischen und griechischen Küstenwache sollen gemeinsam unter der Koordination von Frontex die östliche Ägäis überwachen, gegen Schleuser vorgehen und Migranten zurückführen. Wenn die Bundeskanzlerin der Forderung nach einem Aufnahmestopp für Migranten mit dem Hinweis begegnet, die Sicherheitskräften reichten für eine lückenlose Kontrolle der deutschen Grenzen nicht aus, so gilt das erst recht für die ausgedehnten Außengrenzen, wobei insbesondere die Seegrenzen im Mittelmeer die eigentliche Achillesferse sind. Dies gilt auch vor den medienwirksamen Vorstoß des Bundesinnenministers, Aufnahmezentren mit integrierten EU-Außendienststellen in Nordafrika zu errichten, in denen über den Zugang nach Europa entschieden werden und Fluchtwilligen angeblich ein legale Zugangsweg eröffnet werden soll. Diese Auffanglager, euphemistisch als „Willkommens- und Ausreisezentren“ bezeichnet, werfen viele Fragen auf. Diese reichen von den Finanzierungsmöglichkeiten bis hin zum Umstand, dass auch dann die abgelehnten Bewerber den illegalen Weg nach Europa suchen werden.
Erfolgversprechender scheint die Einrichtung sogenannter Hot Spots in Griechenland und Italien zu sein. Hierbei handelt es sich um Anlaufstellen, die von nationalen Experten sowie Vertretern von Europol, Frontex und dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) gemeinsam betrieben werden sollen, und der Identifizierung und Registrierung von Migranten dienen sollen. Allerdings sind weder Organisation noch Rechtsfragen geklärt, noch ist sicher, ob sich Migranten freiwillig dem Verfahren unterwerfen. Insbesondere ist nicht geklärt, wer die zusätzlich erforderlichen 775 Grenzschutzbeamten stellen soll. Die Bundespolizei konnte bei einer ersten Anfrage lediglich ein Kontingent von 30 Beamten melden. Besondere Turbulenzen erwarten den Innenminister bei seinen Ambitionen, als Konsequenz aus den bayerischen Forderungen nach Eindämmung der Zuwanderungsflut die Flughafenregelung nach § 18a Asylverfahrensgesetz auch in Transitbereichen an der Landgrenze einzuführen. Die Regelung besagt, dass bei Ausländern, die aus sicheren Herkunftsstaaten auf dem Luftwege einreisen oder sich nicht ausweisen können, das Asylverfahren vor der Einreise durchzuführen ist.
Auch der Aufbau von Informationszentren in den Fluchtländern, mit denen Migrationswillige von der Vergeblichkeit ihres Tuns unterrichtet werden sollen, verspricht allenfalls nur punktuelle Erfolge. Ähnliches wird bereits mit teilweisem Erfolg von Spanien praktiziert, das durch bilaterale Gespräche mit Senegal und Marokko unter Einsatz von Streitkräften und Guardia Civil erfolgreich irreguläre Migration gestoppt hat. Nun prüft die EU hauptsächlich auf Betreiben von Deutschland und Frankreich die Einrichtung eines multifunktionalen Zentrums in Agadez in Niger, einem der ärmsten Staaten der Welt. Nach Beobachtungen der Internationalen Organisation für Migration laufen meisten Routen aus Westafrika über diesen Staat. In dem Zentrum sollen die Migranten über die Chancen und Risiken einer möglichen irregulären Migration aufgeklärt werden.


Das andere Gesicht der "Krise" (Bundesbereitschaftspolizei)


Zwischenzeitlich hat man auch von Australien gelernt, das mit großangelegten Informationskampagnen mit Hilfe von Multimedia, Anzeigen in Zeitung und Internetauftritten von der Rigorosität des Landes kündet, Flüchtlinge vom Betreten des Kontinentes abzuhalten. Boote werden entweder auf hoher See zum Umkehren gezwungen. Im Seenotfall werden Fluchtwillige gezwungen, auf bereitgehaltene seetüchtige Boote umzusteigen und die Rückfahrt anzutreten. Hilft dies alles nichts, werden sie außerhalb des Landes in Lagern auf Nauru oder in Papua-Neuguinea interniert.
Auch Deutschland setzt jetzt auf abschreckende Botschaften. Die Bundespolizei stellt im Auftrag des Bundesinnenministeriums einen fünfminütigen Videospot zum Einsatz in den deutschen Auslandsvertretungen auf dem Westbalkan her. Er soll potentiellen Migranten verdeutlichen, dass sie in der Regel keine Chance auf Asyl in Deutschland haben und Schleuserorganisationen ihnen unter Vortäuschung falsche Versprechen die letzten Habseligkeiten abnehmen. Ob derartige Kampagnen unter dem Aspekt, dass z.B. der Landkreis Lörrach eine „Rückkehrprämie“ von 600 Euro zahlt und bei den mehrmonatigen Asylverfahren eine Sozialhilfe gezahlt wird, die das Monatsgehalt eines albanischen Polizisten deutlich übersteigt, muss bezweifelt werden zumal im Internet Tabellen kursieren, in denen die Aufnahmebedingungen und die Sozialleistungen in skandinavischen Ländern und in Deutschland mit anderen Ländern verglichen werden.
Auch vom sogenannten Khartoum-Prozess, an dem 58 Staaten aus Europa und Afrika beteiligt sind und der am 28. November 2014 unterzeichnet wurde, kann nicht allzu viel erwartet werden. Er soll der Bekämpfung der irregulären Migration, des Menschenhandels und der Schleusungskriminalität in den Herkunftsländern Äthiopien, Eritrea, Sudan, Somalia und Kenia und in den Transitländern Libyen, Ägypten und Tunesien dienen. Gesprächspartner auf Augenhöhe sind damit Eritrea, eine Militärdiktatur, und Somalia, ein failed state, in dem die staatliche Organisation völlig zusammengebrochen ist. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass nunmehr der Auslagerungsprozess des europäischen Grenzschutzes bis zum Extrem betrieben wird und dabei das Zusammengehen mit Staaten in Kauf genommen wird, die weder die Menschenrechte respektieren noch die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert haben.

Ein eher negatives Fazit


In der aktuellen Fortschreibung des Programm Innere Sicherheit wird zwar zutreffend festgestellt, dass angesichts offener Grenzen auch künftig ein wesentlicher Augenmerk auf den internationalen Terrorismus, die grenzüberscheitende Kriminalität sowie die illegale Migration und die damit einhergehenden Kriminalitätsfelder zu richten ist. Auch die richtigen Schlussfolgerungen werden gezogen. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und der grenzüberschreitende Informationsaustausch sollen intensiviert und die Grenzsicherheit soll zum Inhalt von Forschungsprojekten werden. Ferner soll die Zusammenarbeit der EU-Mitliedstaaten in den Bereichen Polizei, Grenzschutz, Aufenthalts- und Asylfragen sowie in der Visapolitik verstärkt werden, wobei insbesondere die Fortentwicklung von FRONTEX insbesondere im deutschen Interesse liegt.
Die derzeitige sogenannte Flüchtlingskrise zeigt jedoch, dass abermals die Realität die Theorie blamiert hat. Europa ist weit davon entfernt, die honorigen Selbstverpflichtungen einzulösen, die einst in vielen Papieren niedergelegt wurden; vielmehr zeigen sich allerorten Risse im Gebälk einer Sicherheitsarchiekur, die lange Zeit für zukunftsfähig gehalten wurde. Der Schengenprozess, der den Grenzschutz an die Außengrenzen verlegte, weist erste Erosionserscheinungen auf, die Dublin-III-Verordnung, die die Bearbeitung von Asylanträgen dem ersten sichereren Aufnahmeland zuweist, hat sich als Ernstfall untauglich erwiesen. Die Mindeststandards des vom Europaparlament im Jahre 2013 verabschiedeten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems werden nicht eingehalten. Überlagert werden diese Dilemmata durch eine disparate europäische Flüchtlingspolitik, in der politischer Wille zur gemeinsamen Problemlösung nicht erkennbar ist. Das endlose Gezerre um eine mögliche Quotierung von Flüchtlingen hat den mangelnden Reifegrad europäischer Solidarität hinreichend bewiesen. Nunmehr soll in aller Eile repariert werden, was lange Jahre bei der Kommission, im Rat und auch beim Europäischen Parlament als ausreichend bewertet wurde, aber den Bruchtest nicht bestanden hat. Besser wäre gewesen, man hätte den alten Gemeinspruch beherzigt, wonach man Krisen am besten dadurch beherrscht, dass man ihnen zuvor kommt.

Anmerkungen


  1. Art. 3 Zusatzprotokoll v. 15. November 2000 gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg zum Übereinkommen der VN vom 15. November 2000 gegen die grenzüberscheitende organisierte Kriminalität
  2. Beschluss (GASP) 2015/778 des Rates vom 18. Mai 2015 über eine Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EUNAVFOR MED) AB l. l 122/31 v. 19.5.2015.
  3. European Union Naval Force – Mediterranean.
  4. BT-Drs. 18/6013So die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE BT-Drs. 18/5543 v. 6.7.2015, S. 5.