Polizei

Irreguläre Migration und Schleusungskriminalität – die unheilvolle Allianz



Ermittlung und Fahndung im Spannungsfeld zwischen Zuständigkeitsgrenzen und Souveränitätsvorbehalten


Irreguläre Migration und Schleusungskriminalität sind ein ubiquitäres und damit grenzüberschreitendes Phänomen. Sowohl diese Feststellung als auch die damit verbundene Forderungen nach Optimierung der nationalen und internationalen Kooperation, die nicht an Zuständigkeitsgrenzen und Souveränitätsvorbehalten scheitern darf, sind Binsenweisheiten. Wer allerdings lautstark den Abbau der grenzüberscheitenden Schnittstellenprobleme und Ermittlungsbarrieren fordert, muss zunächst vor der eigenen Tür kehren. Weder besteht zurzeit national ein länderüberreifendes polizeiliches Fallbearbeitungsprogramm noch ein einheitliches polizeiliches Informationssystem. Viele Migranten sind unregistriert unterwegs oder werden mehrfach erfasst oder wegen Parallelzuständigkeiten zweimal erkennungsdienstlich behandelt. Ein unmittelbarer Datenaustausch zwischen den Polizeien von Bund und Ländern und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist wegen Inkompatibilität der Datenverarbeitungsgeräte nicht möglich, erfolgt papiermäßig und ist damit wesentliche Ursache für die Überlänge der Asylverfahren. Gleiches gilt für die Registrierstellen der Länder, die nur in wenigen Fällen wegen fehlender Vernetzung einen Datenabgleich mit dem Bundeskriminalamt, den Landeskriminalämter oder mit der euroweiten Eurodac-Datei in Luxemburg vornehmen können. Ähnliche Defizite gibt es auch in anderen Bereichen. Wenn der Bundesinnminister jetzt eine europäische Küstenwache zum besseren Schutz der EU-Außengrenzen fordert, ist dies nicht ohne eine gewisse Prise Blauäugigkeit, scheitert doch die seit den fünfziger Jahren u.a. auch von Bundesrechnungshof geforderte Einrichtung einer nationalen Küstenwache an Ressorteitelkeiten und kleinlichen Vorbehalten der beteiligten Einrichtungen.


Seenotrettungseinsatz im Mittelmeer (Mediathek Bundeswehr)


In Deutschland sind Ermittlungen im Phänomenfeld Schleusungskriminalität wegen der häufig mit anderen Deliktsfeldern verbundenen Begehungsweise Mischfälle und daher auf unterschiedliche Polizeien und Staatsanwaltschaften verteilt, wodurch es häufig zu Parallelermittlungen kommt. Die zwischenzeitlich eingerichteten gemeinsamen Ermittlungsgruppen, in denen unterschiedliche Sicherheitsbehörden mit beachtlichem Erfolg zusammenarbeiten, haben sich als probates Korrektiv im Zuständigkeitsdschungel erwiesen. Auch länderübergreifend wurde man tätig. Zur Koordinierung und Steuerung länderübergreifender Fahndungsmaßnahmen gegen Schleusernetzwerke und zur schnelleren Umsetzung von Ermittlungserkenntnissen wurde in der ersten Septemberhälfte die „Gemeinsame Informationssammel- und Auswertestelle“ (GISA) bei der Kriminalpolizeiinspektion Passau eingerichtet. In dieser Fachdienststelle arbeiten Experten der bayerischen Polizei, der deutschen Bundespolizei, des österreichischen Bundeskriminalamtes und des Schweizer Grenzwachtkorps zusammen, die auf die Informationen ihrer jeweiligen Datenbanken zurückgreifen können.
Für die Strafverfolgung bei Straftaten nach den Vorschriften des Passgesetzes, des Aufenthaltsgesetzes oder des Asylverfahrensgesetzes, die im Zusammenhang mit einem Grenzübertritt stehen, ist nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 Bundespolizeigesetz die Bundespolizei zuständig. Obwohl jüngst erst wieder ein Vertreter einer Standesorganisation im Bundeskriminalamt der Bundespolizei die Ermittlungsreife im Bereich der Schleusungskriminalität absprach und eine Zuständigkeit des BKA reklamierte, fand dieser Ruf in der Fachwelt keinen Widerhall, zumal sich die Bundespolizei im Bereich der ihr obliegenden Kriminalitätsbekämpfung einen vorzüglichen Ruf erworben hat. Selbst der Bundesnachrichtendienst ist in die Bekämpfung Schleusungskriminalität eingebunden. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 Artikel 10-Gesetz darf er unter bestimmten Voraussetzungen Informationen zum gewerbs- oder bandenmäßig organisierten Einschleusen von ausländischen Personen in das Gebiet der Europäischen Union in Fällen von erheblicher Bedeutung mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland sammeln.
Anders die Situation in Österreich, das schon vor Jahren sein Polizeiwesen vereinheitlicht hat. Für Schleusungsermittlungen ist die Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität, des Menschenhandels und des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels im österreichischen Bundeskriminalamt zuständig. Diese Organisationseinheit, deren Leiter übrigens als leitender Kriminalbeamter die Amtsbezeichnung Oberst trägt, hat ein vierstufiges Modell zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität – so der österreichische Terminus – entworfen. So entsendet Österreich Dokumentenberater in Drittstaaten, beteiligt sich an Grenzeinsätzen der EU-Agentur Frontex und setzt österreichische Polizisten in bi- und multinationalen Streifen in Kooperation mit den Nachbarländern ein. Die vierte Stufe sind Ausgleichsmaßnahmen, bei denen über 1.300 Polizisten in 36 Dienststellen eingesetzt sind. Die Umsetzung obliegt dem Operativen Zentrum für Ausgleichsmaßnahmen, das ganzheitlich Daten zur Bekämpfung der illegalen Migration, der Schlepperei, des illegalen Suchgiftschmuggelns und Waffenhandels erfasst und analysiert und auf Grundlage der Analyseergebnisse landesweit zielgerichtete Ermittlungs- und Fahndungsmaßnahmen initiiert.
Auf EU-Ebene strebt man nunmehr an, zur Generierung belastbarer Informationen die Koordination und einen effizienter Informationsaustausch mit alle systemrelevanten Institutionen, von der UN über die Arabische Liga bis hin zu anderen Drittstaaten unter Einbindung von Europol, Interpol, Eurojust und Eurosur sowie relevanten EU-Auslandsoperationen zu vertiefen. Dies wird in vielen Fällen nur ein Treffen auf dem kleinsten Nenner sein, denn viele Staaten kennen die in der EU üblichen Straftatbestände im Bereich des Ausländer-, Pass- und Asylrechts gar nicht. Die vorgesehenen Operationen können auf auf dem Joint Operation Team (JOT) MARE aufbauen. Dieses europäische Projekt steht unter der Leitung von Europol und vereinigt ein Team nationaler Experten der Mitgliedstaaten im Rahmen des EU Policy Cycle-Empact, einer Kooperationsplattform, die sich mit der Bedrohung durch die internationale schwere und organisierte Kriminalität beschäftigt. Ein Schwerpunkt ist die Erkenntnissammlung in Bezug auf kriminelle Organisationen, die für die Verbringung von Migranten auf dem Seeweg in die EU und die anschließende illegale Binnenmigration verantwortlich sind. Die enge Zusammenarbeit mit Frontex und Interpol ist Teil der Strategie. Das Unternehmen dient der Gewinnung von Erkenntnissen, hat aber keine Ermittlungszuständigkeiten für den exekutiven Schutz der Außengrenzen. Hierfür bleiben die Mitgliedstaaten verantwortlich. Aktuell wird der kapriziöse Vorschlag geprüft, dass Europol zusätzlich im Internet nach Werbung für Schleusungsmöglichkeiten recherchieren und für deren Entfernung sorgen soll. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass die überwiegende Organisation von Schleusungen über das Darknet, der Dunkelkammer des Internets, abgewickelt wird. Hierbei handelt es sich um einen privaten und überschaubaren Verbund mehrerer Computer, in denen der Datenaustausch mehrfach verschlüsselt erfolgt. Der mehrfach abgesicherte Zugriff ist nur über geheime Internet-Protokoll-Adressen unter Nutzung spezieller Software möglich ist und garantiert die Anonymität der Verbindungsdaten.
Die eigentliche Crux liegt jedoch woanders. Grundsätzlich fehlt es an einem internationalen Kooperationsgerüst. Eine Zusammenarbeit generell, speziell aber im Bereich der Strafverfolgung, mit Staaten ohne stabile und zuverlässige Regierungen ist weder politisch noch tatsächlich möglich. Auch wenn z.B. der italienische Geheimnisdienst Erkenntnisse über Schleusergruppierungen in Libyen gesammelt hat, fehlt es den europäischen Ermittlungsbehörden an Ansprech- und Kooperationspartner in den Brennpunktbereichen. Im Dreiländerdreieck Mali, Algerien und Niger, in dem sich viele Anlaufpunkte für irreguläre Migranten aus der Subsahara befinden, ist ein rechtsfreier Raum entstanden, in dem Schleuserorganisationen unterschiedlicher Provenienz und rebellierende Tuareg lageabhängig die unterschiedlichsten Allianzen zur Förderung krimineller Aktivitäten eingehen.
Auch hinsichtlich der Rechercheergebnissen von Verbindungsbeamten in Ausgangs- und Transitländern ist Vorsicht geboten. Ihre Erkenntnismöglichkeiten sind beschränkt, da sie weitgehend auf das Entgegenkommen der Gastländer und ihre eigene Findigkeit angewiesen sind. Hingegen sind eigene Nachforschungen kaum möglich, die Zusammenarbeit mit teilkorrupten Sicherheitsbehörden nicht immer erfolgreich.
Auch gestalten sich Finanzermittlungen und die Verfolgung von Geldströmen „rückwärts“ schwierig, wobei nach deutschen Vorstellungen eine stärkere Einbindung von Interpol als Plattform für Informationen über Herkunfts-, Transit- und Zielländer wünschenswert wäre. Allerdings muss bei den Finanzermittlungen berücksichtigt werden, dass ein Großteil der Geldflüsse im Schleusermilieu über Hawala abgewickelt wird, ein bis ins Mittelalter zurückreichende und über 1000 Jahre altes vertrauliches, kostengünstiges und informelles Überweisungs- und Zahlungssystem, bei dem aufgrund fehlender Aufzeichnungen bei den Beteiligten eine staatliche Nachverfolgung der Geldflüsse nicht möglich ist, da die Kundenidentität und der Verlauf der Transaktionen nicht festgestellt werden kann. Bei der Transferierung bedienen sich zwei Personen einer dritten Person, meistens Kleinhändler, die sich durch absolute Diskretion und Zuverlässigkeit auszeichnen. Folglich erfreut sich das „Underground Banking“, das in der Mehrzahl der Länder illegal ist, aber auch keiner Finanzaufsicht unterliegt, bei Terrororganisationen und der russischen Mafia großer Beliebtheit. Polizeiliche Befragungen irregulärer Migranten sind häufig ergebnislos, da die Betreffenden kein sonderliches Interesse für eine Zusammenarbeit mit der Polizei zeigen, ihre Schleuser häufig als Wohltäter empfinden, sie zur Nachholung von Familienmitgliedern nutzen wollen und selten die eigentlichen Zusammenhänge ihrer Verbringung kennen. Überdies befürchten sie, sich selbst zu belasten oder in ihre Heimatländer oder in einen der Transitsaaten auf ihrem Fluchtweg abgeschoben zu werden. Ohnehin werden bei den polizeilichen Kampagnen nur die Letzten in einer langen Kette gefasst. Es sind die sogenannten Transportschleuser: Der auf das schnelle Geld fixierte Taxifahrer im Zielland, Kleinkriminelle, kurzfristig angeworbene Hilfskräfte, die den Kleinbus steuern, Landsleute, die bei ihrem langen Marsch hängengeblieben sind oder jene Mittelmeeranrainer, die für die Zusage freier Überfahrt die Schlauchboote steuern oder bei größeren Schiffe eine Summe erhalten, die ihr jämmerliches Jahresgehalt übersteigen. Alle haben sie ein Merkmal gemeinsam: Bei einem Ausfall werden sie umgehend ersetzt. So täuscht der knallige Titel „Zahl der Schleuser auf Rekordniveau“, mit der die Bundespolizei für das erste Halbjahr 2015 die Festnahme von 1420 Tatverdächtigen meldet und von über 800 in Untersuchungshaft einsitzenden Schleusern nur vordergründig einen echten Mehrwert bei der Bekämpfung dieses Kriminalitätsphänomens vor. Viele werden erst auch gar nicht dem Haftrichter vorgeführt, da es sich um ahnungslose Taxifahrer oder zur Abholung bestellte Verwandte handelte. Ohnehin sind in Bayern die Justizbehörden schon wegen Überfüllung der Haftanstalten nicht mehr in Lage, alle festgenommenen Schleuser in Untersuchungshaft zu nehmen. Dies wird vielmehr auf besonders schwere Fälle beschränkt, z.B. wenn Schleuser Leib und Leben der Geschleusten gefährdet haben.