Kriminalität

Ein Indikatoren-Faktoren-Modell zur Analyse rechtsextremistischer Terrorismusrelevanz

4. Indikatoren und Gefahrenfaktoren auf der Ebene der Rahmenbedingungen

Neben den Push- („soziale Empörung“) und Pull-Faktoren (angestrebte Ziele, erhoffte Gratifikationen und Nutzenkalküle) lassen sich auch [Ermöglichungsfaktoren] und [Prozessbedingungen] des (Rechts-)Terrorismus unterscheiden. Die „soziale Empörung“ als Antriebskraft des Rechtsextremismus resultiert dabei aus der perzipierten, fraternalen Deprivation bzw. Abstiegsangst, die das Gefühl der Unterprivilegierung und „Unsicherheit“ steigert, so die Annahme.
Es bestehen zwar keine Zweifel daran, dass die gefühlte sowie die objektive Benachteiligung und Desintegrationserfahrungen psychosoziale Impulse im Sinne einer verstärkten Hinwendung zu rechtsextremen Identitätskonstruktionen freisetzen können.33 Zugleich bestehen aber zahlreiche Gründe für die Annahme, dass „die Wahrnehmung der Benachteiligung […] eher einen Ausdruck der fremdenfeindlichen Ressentiments als deren Erklärung darzustellen“34 scheint, denn die in zahlreichen Untersuchungen hervorgehobene Korrelation deutet nicht zwangläufig auf ein kausales Verhältnis zwischen den beiden Variablen hin. Nach einer detaillierten Auswertung verschiedener quantitativer und qualitativer Studien kam Sommer zu dem Schluss, dass die im Untersuchungszeitraum festgestellte Zunahme des Prekarisierungsniveaus „nicht in einer allgemeinen Zunahme des rechtsextremen Einstellungspotentials mündet“.35 Ein ausgeprägter statistischer Zusammenhang zwischen Prekarisierung und rechtsextremen Einstellungen liegt somit nicht vor. Eher handelt es sich bei der Verbreitung rechtsextremer Ideologeme um spezifische Sinn- und Identitätsangebote, die sich des „psychologischen Rohstoffs“ bedienen. Diese Sinnangebote definieren soziale „Bedrohungen“ und bieten gleichzeitig Mittel zur Selbstwertstabilisierung durch Aufwertung der Eigengruppe und Teilhabe am Gruppencharisma.36 Im makrosozialen und historischen Kontext zeigt der Autor der zitierten Studie, wie „eine vergleichsweise starke Trennung zwischen ‚Deutschen‘ und sog. Ausländern reproduziert wurde“, um auf die Rolle der institutionellen Arrangements und des gelebten Wissens hinzuweisen: „Nicht eine Ideologie der Minderwertigkeit liegt der Ausgrenzung und Abwertung von bestimmten Gruppen zugrunde, sondern eine bestimmte soziale Praxis begründet die Ressentiments“,37 so sein Fazit.Somit nimmt die extreme Rechte ressentimentgeladene Themen für sich in Anspruch, um einen Deutungsrahmen aufrechtzuerhalten, in dem die vorhandenen sowie teilweise institutionalisierten sozialen Konflikte verabsolutiert werden. Es scheint unumstritten, dass die extreme Rechte zu reüssieren vermag, wenn das rechtsextreme Framing unintendierte Unterstützung durch die Politik erfährt. Vor dem Hintergrund der „Asylantendebatte“ Anfang der 1990er Jahre oder infolge der Instrumentalisierung politischer Vorurteile in den Leitkultur- und „Multikulti“-Diskursen erscheinen die rechtsextremen Problemdefinitionen anschlussfähig an politische Diagnosen. In solchen Kontexten können die Sinnangebote von rechtsaußen mit dem psychosozialen Potential der (vermeintlich) Benachteiligten umso stärker übereinstimmen. Ihre Mobilisierungswirkung resultiert aus dem Aufeinandertreffen der salonfähigen Problemdefinitionen mit den ideologisierten, d.h. verallgemeinerten, problemverschärfenden Diagnosen und Lösungsvorschlägen.
Damit sind auch jene [politischen Ermöglichungsfaktoren]angesprochen, die dem demokratischen Verfassungsstaat im Allgemeinen eigen sind: Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantieren im Unterschied zu totalitären Herrschaftspraktiken politische Frei- und Schutzräume für sozialen Protest. Zudem vermögen Terroristen vor allem in Gesellschaften zu schockieren, in denen Gewalt nicht alltäglich ist.38 Einerseits gelten die politischen Ermöglichungsfaktoren als Risiken, da die Radikalisierungsprozesse in rechtsextremen Milieus unerkannt bleiben können. Andererseits „stellt ein solches ambiente, in dem der friedliche Protest normal ist, – in der Regel [M.L.] – den gewaltsamen, terroristischen Protest in Frage“.39 Davon zu unterscheiden sind radikalisierungsfähige gesellschaftliche Konstellationen sowie soziale Praktiken, die die rechtsextreme Gewalt fördern. Planungen gewalttätiger Aktionen können im Windschatten des allgemeinen „Verbalradikalismus“ voranschreiten. In den 1990er Jahren entstanden Konstellationen, die zu einem „Klima des permanenten Kleinkrieges“40 und einer „Atmosphäre alltäglichen Terrors gegen linke Jugendliche und Menschen mit Migrationshintergrund“41 führten. Die Überforderung der Politik und der Sicherheitsbehörden, denen Ressourcen und Konzepte zur Bekämpfung des Rechtsextremismus fehlten, trug ebenfalls dazu bei, dass der Rechtsextremismus sich als Bewegung etablieren konnte, von der sich radikalere Gewaltgruppen abspalteten. Nicht minder kontraproduktiv sind jedoch Überreaktionen der Politik und der Sicherheitsbehörden, die zur massiven Stigmatisierung führen.


Geografische Ermöglichungsfaktoren sorgen dafür, dass terroristische Akteure über geographische Rückzugs-, Schutz- und Mobilisierungsräume verfügen, in denen sie ihren Planungen nachgehen und sich der Strafverfolgung entziehen können. Unter den ökonomischen Ermöglichungsfaktoren lassen sich Finanzierungsmöglichkeiten terroristischer Aktivitäten subsumieren. Neben der Beschaffungskriminalität sind Zuwendungen aus dem Milieu sowie milieuübergreifende kriminelle Aktivitäten (beispielsweise Verflechtungen der rechten Szenen mit dem Rocker- bzw. Hooliganmilieu) hervorzuheben.
Die verschiedenen Strömungen der extremen Rechten in Deutschland sind nicht leicht auf einen Nenner zu bringen. Doch ist eine rassistisch motivierte Fremdenfeindlichkeit immer noch bedeutsam, auch wenn ein ethnopluralistisch grundierter Kulturalismus in intellektuellen Zirkeln an Bedeutung gewonnen hat. Am Topos des jüdisch-christlichen Abendlandes, wie er von muslimfeindlichen Rechtspopulisten verfochten wird, scheiden sich die Geister. Alte Konfliktlinien finden so in gewandelten Formen ihre Fortsetzung.42 Verbindend bleibt das Motiv der Abwehr eines „Volksfeindes“, wobei Freund wie Feind als homogene Einheiten gefasst sind. Unterschiedlich sind wiederum die zur Abwehr der Feinde propagierten Mittel. Rechtsterroristen zogen es vor, neben Sachen und Personen fremder Herkunft („Deutsche Aktionsgruppen“) und Vertretern der Politik und US-Soldaten (die „Hepp-Kexel-Gruppe“) vor allem „andersstämmige“ Personen und Gruppen anzugreifen. Der Fokus des Rechtsterrorismus auf weiche Ziele, deren Schutz im Fall eines gefassten Tatentschlusses enorm schwierig ist, macht die „Gegner“ des Rechtsterrorismus und somit den demokratischen Verfassungsstaat verwundbar. Einzeltäter bzw. Kleingruppen erwiesen sich als eine schwer zu meisternde Herausforderung für Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden. Netzwerke wurden hingegen schnell Observations- und Infiltrationsobjekt des Verfassungsschutzes und der Polizei. Zwar können Rechtsterroristen generell mit Unterstützung durch Einzelpersonen und einschlägige Netzwerke rechnen; auch ist nicht auszuschließen, dass Verbindungen in die allgemeinkriminellen Milieus ihren Beitrag zur Verbesserung der Ressourcenlage rechtsextremer Akteure leisten können. Doch das Unterstützerumfeld sowie seine Kapazitäten waren in der Vergangenheit vergleichsweise bescheiden, weshalb die Verfügbarkeit strategischer Ressourcen grundsätzlich als gering einzuschätzen war und ist.