Wissenschaft  und Forschung

Banker zwischen Bestrafung und Bewährung


Sie stellt sich nicht nur wegen der des Falles Kirch. Das Umfeld der Bank ist auch durch Stichworte wie „Libor“, „Forex“, „CO2“ oder „Subprime“ charakterisiert. Es geht u. a. um die Manipulation von Zinsen und Devisenkursen, um Steuertricks beim Handel mit Verschmutzungsrechten3 und zweifelhafte Hypothekengeschäfte in den USA. Man scheint sich nicht mehr an einen Satz des ermordeten Vorstandssprechers der Deutschen Bank (1985 bis 1989) zu erinnern. Alfred Herrhausen hatte vorausgesagt hatte, dass ein Unternehmen an dem Tag zu sterben beginnt, an dem die Manager vergessen, dass es nicht weiter bestehen kann, wenn die Gesellschaft seine Nützlichkeit nicht mehr empfindet oder sein Gebaren als unmoralisch betrachtet.4 Es ist also klärungsbedürftig geworden, wieviel Unmoral sich die Deutsche Bank erlauben kann und was es bedeutet, wenn immer mehr Deutsche dieses Geldhaus nicht mehr als nützlich empfinden, weil es all die Ermittlungen, Skandale und Milliardenstrafen gibt. Die Unschuldsvermutung gilt natürlich für alle Angeklagten. Auf die Einzelheiten des Verfahrens soll deshalb vorerst auch nicht weiter eingegangen werden.
In einem weiteren Verfahren, das in Frankfurt betrieben wird, geht es um den Handel mit Verschmutzungsrechten (CO2-Zertifikate). Sieben Händler der Deutschen Bank und ihrer Mitarbeiter, die in diesem Bereich arbeiteten, waren Ende April 2015 bereits suspendiert. Mittlerweile wurden auch schon mehrere neue Anklagen erhoben. Der Handel mit diesen Zertifikaten sollte eigentlich den Ausstoß von Schadstoffen verteuern und so der Umwelt helfen. Stattdessen hintergingen kriminelle Banden aus Deutschland und anderen Staaten den Fiskus, indem sie sich Umsatzsteuern erstatten ließen, die sie gar nicht gezahlt hatten. Die teuren Emissionsrechte wurden über viele Stationen im In- und Ausland so schnell im Kreis an- und verkauft, teils innerhalb von Sekunden, so dass die Finanzbehörden gar nicht mehr durchblickten.Bei diesen Geschäften war die Deutsche Bank mittendrin. In einem ersten großen Prozess waren vor einigen Jahren sechs Geschäftsleute, die mit ihren Handelsfirmen den Staat ausnahmen, als erste von mehr als 150 Beschuldigten zu teils langen Haftstrafen verurteilt worden. Dies kam schon damals einer Abrechnung der Justiz mit der Deutschen Bank gleich, die übrigens früh vom britischen Fiskus vor entsprechenden betrügerischen Deals gewarnt worden war. Angeblich haben das Jain und andere Top-Leute auch gewusst.5
In einem anderen Bereich braucht man dagegen auf rechtliche Würdigungen und Entscheidungen nicht mehr zu warten. Am 23. April 2015 wurde bekannt, dass Aufsichtsbehörden aus Großbritannien und den USA gegen die Deutsche Bank eine Strafe von 2,5 Milliarden Dollar verhängt haben. Nach einer Erklärung des amerikanischen Justizministeriums haben deren Mitarbeiter rund um den Globus illegal Zinssätze manipuliert. Es handelt sich um die bislang höchste Strafe, die gegen eine Bank im Zusammenhang mit Absprachen bei der Festlegung von Referenzzinsen verhängt wurde (wie etwa beim Libor, dem Zinssatz, zu dem sich Banken untereinander Geld leihen). Der Libor wird in London notiert und war leicht zu manipulieren, weil er aus einer Umfrage von acht bis 16 Großbanken ermittelt wurde, die täglich um elf Uhr an den Britischen Bankenverband meldeten, zu welchem Zins sie sich von anderen Banken Geld liehen. Dieser Zinssatz hat weltweit eine enorme Bedeutung, weil Finanzprodukte in Höhe von mehreren Hundert Billionen Euro an ihn gekoppelt sind. Es geht dabei auch um Derivate, also Wetten auf Aktien, Anleihen oder Währungen, die sich auf einen Basis-Zinssatz beziehen. Das gilt häufig auch für Sparprodukte von Banken mit einem flexiblen Zinssatz. Inzwischen wurde dem Britischen Bankenverband die Verantwortung für die Feststellung des Libor entzogen. Dafür ist jetzt seit gut einem Jahr eine unabhängige Organisation zuständig. Zudem drangen die internationalen Aufseher darauf, dass die Feststellung der Zinsen in den Banken besser kontrolliert wird. Angeblich hat die Deutsche Bank der Überwachung durch einen behördlich entsandten Aufpasser zugestimmt.6 Die einschlägigen Manipulationen haben sich mindestens in dem Zeitraum zwischen 2003 und 2011 abgespielt. Die Motive sind relativ klar: Zum einen wollten die Banker insbesondere auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 die eigene Situation beschönigen. Sie meldeten deshalb einen niedrigeren Zinssatz, als sie eigentlich zahlen mussten, da ein hoher Zins als Alarmsignal gilt. Zum anderen verfolgten sie schlicht eine Bereicherungsabsicht: Wer weiß, wie ein Zins sich entwickelt, kann die Handelsposition der Bank darauf abstellen und Wetten abschließen. Das nutzt natürlich auch den Händlern selbst: Je mehr Gewinn sie erzielen, umso höher ist ihr Bonus.
Die Bezifferung des dadurch entstandenen Schadens ist sehr schwierig. Es müsste bekannt sein, in welche Richtung der Libor in welchem Zeitraum manipuliert wurde. Erst dann könnten Bankkunden anhand ihrer damaligen Wertpapier-Positionen sagen, welchen Schaden sie erlitten haben. Eine Reihe von Investoren möchte klagen. Anwälte sind mit Analysen beschäftigt, wie sich der Libor ohne die Manipulationen entwickelt hätte. Nach Schätzungen soll Bankkunden ein Schaden von rund 17 Milliarden Dollar entstanden sein.
Der Deutschen Bank werden auch von der britischen Financial Conduct Authority (FCA) Fehlinformation und Verzögerungstaktik vorgeworfen. Sie hat sich bislang von zwölf Händlern getrennt, die mit der Feststellung des Zinssatzes Libor betraut waren. Neun weitere wurden versetzt. Im April 2015 drängten die Behörden darauf, dass die Bank mindestens sieben weitere Mitarbeiter entlässt. Für Rechtsrisiken musste die Deutsche Bank alleine im ersten Quartal 2015 etwa 1,5 Milliarden Euro aufwenden. Schon Ende 2013 hatte sie wegen Zinsmanipulationen 725 Millionen Euro an die EU-Kommission zahlen müssen.
Jenseits der Frage, ob der angekündigte „Kulturwandel“ ein notwendiges und schon lange überfälliges Zwischenstadium auf dem Weg zu einem auch nur halbwegs akzeptablen Compliance-Niveau im größten deutschen Geldinstitut ist, steht fest, dass die Vorwürfe internationaler Aufsichtsorgane nicht zu der hehren Absicht passen, auf diese Weise das Vertrauen unter den Kunden wiederherzustellen. Bei den Investmentbankern in London oder New York ist von einem Kulturwandel immer noch wenig zu spüren. Es ist bis jetzt nicht hinreichend deutlich geworden, dass man im Kreise der Investmentbanker eine Kultur einrichten konnte, die sich in nennenswerter Weise vom bisherigen Comment krimineller und pathologischer Bereicherungsgier unterscheidet. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn immer nur Händler aus den unteren Ebenen gefeuert werden, die Führungskräfte aber verschont bleiben, die letztlich sowohl für „Governance“ als auch für „Compliance“ verantwortlich sind. Ihr umfassendes Versagen hat die Deutsche Bank in geradezu strategische Nöte geführt.
Für Nachsicht ist kein Raum.7Jain hatte das Investmentbanking bis Juni 2012 verantwortet. Er hätte sich also auch um ordentliche Führung (Governance) und Regelbefolgung (Compliance) in diesem Bereich kümmern müssen. Das geht nicht ohne eine seriöse Kontrolle. Wie mittlerweile veröffentlichte E-Mail-Protokolle zeigen, war es damit nicht weit her. Aus den Unterlagen geht hervor, wie sich Händler der Deutschen Bank ohne jede Skrupel darüber abgesprochen hatten, in welche Richtung die Referenzzinsen getrieben werden sollten. Sie beruhten lange Zeit nur auf Meldungen der Banken zu ihren Finanzierungskonditionen und nicht auf unabhängigen Preisen wie Börsenkursen. Die Deutsche Bank behauptete aber weiterhin unverdrossen, dass kein gegenwärtiges oder ehemaliges Vorstandsmitglied Kenntnisse über das Fehlverhalten im Handelsbereich gehabt hätte. Eine Beteiligung an derartigen Aktivitäten habe man auch nicht feststellen können.
Ende Juni 2015 stellte sich die Sachlage schon etwas anders da. Die Frage, was der vor kurzem ausgeschiedene Ko-Vorstandsvorsitzende Jain über die Zinsmanipulationen wusste, brachte die Deutsche Bank noch mehr als bisher in Bedrängnis. Am letzten Wochenende des genannte Monats wiesen Jain und die Bank Vorwürfe zurück, wonach er die Bundesbank in einem Gespräch 2012 getäuscht habe. Damals soll Jain auf die Frage, wann er zum ersten Mal von Gerüchten über Manipulationen von Referenzzinsen wie dem Libor gehört habe, geantwortet haben: im Jahr 2011. Tatsächlich gab es erste Berichte über Absprachen aber schon drei Jahre zuvor. Die zuständige Abteilungsleiterin der Bafin wirft Jain schwerwiegende Verfehlungen vor. Er habe ein Umfeld geschaffen, in dem das Ausnutzen von Interessenkonflikten gefördert worden sei. Die bisherigen Antworten des früheren Chefs des Investmentbankings der Deutschen Bank können mindestens als irreführend angesehen werden, gab es doch schon 2008 Medienberichte über Absprachen bei der Festlegung von Interbankenzinsen. Jain hält die Vorwürfe aber immer noch unverzagt für „gegenstandslos“. Er habe die Bundesbank 2012 natürlich nicht täuschen wollen. Die ihm gestellte Frage auf mögliche Manipulationen habe er auf die Deutsche Bank bezogen, nicht aber auf allgemeine Manipulationsgerüchte am Markt. Jain scheint also dabei bleiben zu wollen, dass er über die Verwicklung von Mitarbeitern der Deutschen Bank in die Zinsmanipulationen erst im Jahr 2011 erfahren hatte.
In einem neueren Bafin-Bericht ist gleichwohl die Rede davon, dass ein Händler der Deutschen Bank zum Nachteil des Kunden Pimco, einer auf Anleihen spezialisierten Fondsgesellschaft, einen Referenzzins für Zinstauschgeschäfte manipuliert habe.
Der Nachfolger von Jain wird sich übrigens nicht nur mit diesen Hinterlassenschaften befassen müssen. Die Deutsche Bank wird demnächst womöglich von amerikanischen Aufsichtsbehörden wieder einmal wegen Hypothekenanleihen herangezogen werden, bei denen es um falsche Angaben gegenüber Investoren beim Verkauf dieser mit riskanten Immobilienkrediten unterlegten Wertpapiere geht.
Bemerkenswerterweise ist die Deutsche Bank in den Untersuchungen wegen Manipulationen am Devisenmarkt aber immer noch ungeschoren geblieben, obwohl Mitarbeiter in New York und London bereits entlassen wurden.8 Der Nachfolger Jains wird jedenfalls einige Zeit brauchen, um das desaströse Bild zu verarbeiten, das sein neuer Arbeitgeber bietet. Die Deutsche Bank stand in ihrer fast 150-jährigen Geschichte wohl noch nie so schlecht da wie heute. Alles liegt am Boden: das Ansehen der Bank in der Öffentlichkeit, der Aktienkurs, die Rendite, die Kapitalisierung, das Vertrauen der Investoren. Man spricht von einem „Ur-Fehler“, der die Bank dort hin gebracht habe:


Die Berufung des früheren Investmentbanking-Chefs Anshu Jain zum Gesamtchef vor drei Jahren.