Recht und Justiz

Die Polizeipräsenz bei Versammlungen

Polizeibeamte haben sich dem Leiter zu erkennen zu geben; bei Versammlungen unter freiem Himmel genügt es, wenn dies die polizeiliche Einsatzleitung tut.

Art. 4 BayPAG gilt damit für Versammlungen unter freiem Himmel und in geschlossenen Räumen, differenziert jedoch bei den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen. Gemäß Art. 21 Abs. 1 Nr. 1 BayVersG kann
mit Geldbuße bis zu dreitausend Euro belegt werden, wer als Leiter entgegen Art. 4 Abs. 3 Satz 1 Polizeibeamten keinen Zugang oder keinen angemessenen Platz einräumt.
Damit wird durch den Gesetzgeber zunächst anerkannt, dass der polizeilichen Präsenz bei Versammlungen Eingriffsqualität zukommen kann und es werden die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Maßnahme geschaffen. Schlüssig wird zwischen Versammlungen unter freiem Himmel und Versammlungen in geschlossenen Räumen differenziert. Grund dafür ist die verfassungsrechtlich höhere Schwelle aufgrund des geringeren Gefahrenpotenzials bei Versammlungen in geschlossenen Räumen.35 Im Gegensatz zu Versammlungen unter freiem Himmel steht das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG hier nicht unter einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt.36 Eine Einschränkung des Rechts, sich in geschlossenen Räumen zu versammeln, kommt vielmehr nur im Rahmen der verfassungssystematischen Schranken in Betracht.37
Bei Versammlungen unter freiem Himmel wird allein auf die polizeiliche Aufgabenerfüllung Bezug genommen. Die Befugnisnorm ist damit nahezu tatbestandslos38 und im Gegensatz zum Bundesrecht sowie zur Erstfassung des BayVersG grammatikalisch auch nicht ausdrücklich an versammlungsspezifische Tätigkeitsfelder geknüpft. Nach Sinn und Zweck der Norm dürfte es indes nur um eine Verbindung zu versammlungsbezogenen Aufgaben gehen, zumal nach wie vor der Grundsatz der Polizeirechtsfestigkeit der Versammlungsfreiheit anzunehmen ist.39 Bei Versammlungen in geschlossenen Räumen besteht ein Zugangsrecht für Polizeibeamte hingegen nur, wenn entweder tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten vorliegen oder eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu besorgen ist. Tatsächliche Anhaltspunkte verlangen konkrete Fakten; Vermutungen oder allgemeine Erfahrungssätze sind nicht ausreichend.40 Beweispflichtig ist die Polizei.41
In Art. 4 Abs. 3 Satz 2 BayVersG wird die Form der Legitimationspflicht konkretisiert. Dabei ist durch den Gesetzgeber ausdrücklich herausgestellt worden, dass es bei Versammlungen unter freiem Himmel ausreicht, „wenn dies die polizeiliche Einsatzleitung tut“. Im Umkehrschluss ist allerdings bei Versammlungen in geschlossenen Räumen eine Offenbarung durch jede eingesetzte Person geboten.42
Zur Legitimation gehört auf Verlangen auch die Ausweispflicht, und zwar nach wohl herrschender Meinung in der Literatur sowohl für uniformierte Beamtinnen und Beamte als auch für Zivilkräfte.43 Allgemeine Hinweise auf eine Erkennbarkeit durch die Uniform bzw. eine Identifizierungsmöglichkeit durch numerische Kennzeichnung44 bei geschlossenen Einsätzen sollen nicht ausreichen, da „der Leiter ein Interesse daran hat, den Namen und die Dienststellen der Beamten zu erfahren“.45 Eine Bestätigung durch die Rechtsprechung für diese weite Interpretation der Offenbarungspflicht steht allerdings noch aus.46


4.2 Niedersächsisches Versammlungsgesetz (NVersG)


In Niedersachsen ist das Zugangsrecht in § 11 und § 16 NVersG verankert. In § 11 NVersG heißt es:
Die Polizei kann bei Versammlungen unter freiem Himmel anwesend sein, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich ist. Nach Satz 1 anwesende Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte haben sich der Leiterin oder dem Leiter zu erkennen zu geben.
Hingegen ist § 16 NVersG im Einklang mit den grundgesetzlichen Vorgaben enger gefasst und orientiert sich an der verfassungsunmittelbaren Gewährleistungsschranke der „Friedlichkeit“47 aus Art. 8 Abs. 1 GG:
Die Polizei kann bei Versammlungen in geschlossenen Räumen anwesend sein, wenn dies zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die Friedlichkeit der Versammlung erforderlich ist. Nach Satz 1 anwesende Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte haben sich der Leiterin oder dem Leiter zu erkennen zu geben.
Eine Ordnungswidrigkeit ist mit der Versagung des Zutritts durch den Leiter im Gegensatz zum Bundesrecht und zum bayerischen Landesrecht indes nicht verbunden. Die Anwesenheit nach dem NVersG ist, im Gegensatz zum BayVersG, ausdrücklich nur im Rahmen der versammlungsgesetzlichen Aufgaben zulässig.48 Damit ist die Polizeipräsenz zu anderen Zwecken nicht ausgeschlossen, allerdings auf besondere Normen zu stützen.49
Außerdem sind die §§ 11,16 NVersG wohl so zu interpretieren, dass sich die anwesenden Polizeibeamten persönlich zu legitimieren haben und eine Bekanntgabe durch den Einsatz- oder Einsatzabschnittsleiter nicht in Betracht kommt. Damit scheidet ein Einsatz von Zivilkräften ohne Kenntnis des Versammlungsleiters mit der Zielstellung der versammlungsbezogenen Gefahrenabwehr im Schutzbereich des Art. 8 GG nahezu aus.50 Die Offenbarungspflicht besteht allerdings nicht für Beamtinnen und Beamten, die aus anderen als versammlungsspezifischen Gründen anwesend sind.51 Der Pflicht, sich zu erkennen zu geben, wird nach Auffassung des Gesetzgebers52 grundsätzlich dadurch Genüge getan, dass die Polizeikräfte Uniform tragen.53


4.3 Sächsisches Versammlungsgesetz (SächsVersG)


Das SächsVersG, das aktuell bereits in der dritten Fassung vorliegt,54 regelt in § 11 Abs. 1 zunächst für Versammlungen in geschlossenen Räumen:55
Polizeibeamte können in eine öffentliche Versammlung entsandt werden, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht oder eine solche Gefahr zu befürchten ist.
In § 11 Abs. 2 SächsVersG heißt es sodann:
Werden Polizeibeamte in eine öffentliche Versammlung entsandt, so haben sie sich dem Leiter zu erkennen zu geben. Es muss ihnen ein angemessener Platz eingeräumt werden.
Die Norm findet gemäß § 18 Abs. 1 SächsVersG auch für Versammlungen unter freiem Himmel entsprechend Anwendung und gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 9 SächsVersG handelt ordnungswidrig, wer
als Leiter den in eine öffentliche Versammlung entsandten Polizeibeamten die Anwesenheit verweigert oder ihnen keinen angemessenen Platz einräumt.
Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße von bis zu 2.500 Euro geahndet werden.56
Damit wird die Eingriffsqualität der polizeilichen Anwesenheit zunächst anerkannt, allerdings bei den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen nicht zwischen Versammlungen unter freiem Himmel und Versammlungen in geschlossenen Räumen unterschieden. In beiden Fällen soll die Befürchtung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit genügen. Verfassungsrechtlich bedenklich ist dies im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 und 2 GG, der die Versammlungsfreiheit bei Versammlungen in geschlossenen Räumen normtextlich vorbehaltlos gewährleistet. Insofern spricht vieles dafür, § 11 Abs. 1 SächsVersG verfassungskonform so auszulegen, dass es sich in geschlossenen Räumen um eine Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut handeln muss. Hinsichtlich der erforderlichen Legitimation knüpft § 11 SächsVersG an das bestehende Bundesrecht an.