Kriminalprävention

Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt

– tatsächlich?


Dimensionen und Bedeutungsinhalte von Sicherheit

Kaum ein deutscher Innenminister versäumt es, bei der Vorstellung der neuesten Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik darauf hinzuweisen, dass sein Land bzw. Deutschland eines der sichersten Länder der Welt sei – was auch zutrifft, wenn unter Sicherheit die innere Sicherheit verstanden wird oder genauer: Zahl, Art und Entwicklung der polizeilich registrierten Straftaten. Hier nimmt Deutschland in der Tat einen Spitzenplatz ein.

Dr. Wiebke Steffen
Wissenschaftliche Beraterin
des DPT – Deutscher Präventionstag
Heiligenberg 

Sicherheit ist aber weit mehr als die Eindämmung oder Verhinderung von Kriminalität und anderer Schadensereignisse („innere Sicherheit“) oder der Schutz vor militärischen Gefahren („äußere Sicherheit“). Sicherheit bezieht sich auch – vor allem – auf die soziale und wirtschaftliche Sicherheit, auf die soziale Gerechtigkeit, auf die Verlässlichkeit und Planbarkeit des eigenen Lebens.
Gerade diejenigen, die sich beruflich mit Kriminalität befassen – wie etwa die Polizei, aber auch Kriminologen und Innenminister – neigen dazu, „Sicherheit“ durch die Brille der „inneren Sicherheit“ zu betrachten, was ja auch nicht verwunderlich ist. Sicherheit, das ist für sie in erster Linie die innere Sicherheit mit ihren Facetten Kriminalität, Kriminalitätsfurcht, Verhinderung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten. Schon weniger im Blickpunkt steht die Bedrohung der Sicherheit durch große Schadensereignisse wie Naturkatastrophen oder technische Großunglücke. Noch seltener im Fokus ist die schon oben genannte Tatsache, dass sich Sicherheit auch – vor allem – auf die soziale und wirtschaftliche Sicherheit bezieht, auf die soziale Gerechtigkeit, auf die Verlässlichkeit und Planbarkeit des eigenen Lebens.
Außerdem hängen innere Sicherheit und soziale Sicherheit zusammen: Einerseits ist auf der gesellschaftlichen wie auf der individuellen Ebene die Wahrnehmung von innerer Sicherheit in die soziale Sicherheit eingebettet – in diesem Sinne wird beispielsweise Kriminalitätsfurcht oft als Metapher für all das verstanden, was mit gesellschaftlichen Veränderungen und aktuellen Entwicklungen an negativen Erfahrungen und Befürchtungen verbunden ist (s. u.) – andererseits kann eine zunehmende soziale Unsicherheit, Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu einem Anstieg der Kriminalität und einer Zunahme der Kriminalitätsfurcht führen.
Entsprechend ist die (Wieder-)Gewinnung von Sicherheit durch die (Wieder-)Herstellung sozialer Gerechtigkeit nicht nur ein elementares menschliches Bedürfnis, sondern auch eine komplexe staatliche Aufgabe und Prävention in einem ganz umfassenden Sinne. Wie Sicherheit weit mehr ist als die Eindämmung oder Verhinderung von Kriminalität, ist auch Prävention, verstanden als die Schaffung von günstigen, sozial gerechteren Lebensbedingungen bzw. die Verhinderung sowie Minderung von Entwicklungen, die diese Gerechtigkeit bedrohen und beeinträchtigen können, weit mehr als Kriminalprävention.
Wegen dieser Dimensionen und Bedeutungsinhalten von Sicherheit und Prävention hat der 17. Deutsche Präventionstag, der am 16. und 17. April 2012 in München stattfand, „Sicher leben in Stadt und Land“ zu seinem Schwerpunktthema gemacht. Seit dem 12. Deutschen Präventionstag (2007 in Wiesbaden) wird zu dem Schwerpunktthema des jeweiligen Deutschen Präventionstages ein wissenschaftliches Gutachten erstellt. Das Gutachten zum 17. Deutschen Präventionstag „Sicherheit als Grundbedürfnis der Menschen und staatliche Aufgabe“ greift das umfassende Verständnis von Sicherheit und Prävention, die Bedeutung von sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit für die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl der Menschen auf und geht auf deren Auswirkungen auf Kriminalität und Kriminalitätsfurcht ein sowie auf die damit verbundenen Herausforderungen für die Kriminalprävention. Dieses Gutachten ist die Grundlage des vorliegenden Beitrages; in ihm finden sich auch die Literaturangaben.1

Spitzenplatz bei der inneren Sicherheit, aber allenfalls mittelmäßige Positionen bei Aspekten der sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit

Während Deutschland hinsichtlich der inneren Sicherheit tatsächlich einen Spitzenplatz in Europa einnimmt – Deutschland ist nach wie vor eines der sichersten Länder der Welt –, trifft das für die anderen Dimensionen von Sicherheit, für die soziale und wirtschaftliche Sicherheit, keineswegs zu – im Gegenteil: Wie die jüngsten Studien der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung belegen, ist in Deutschland die Einkommensungleichheit in den letzten Jahren erheblich stärker gewachsen als in den meisten anderen OECD-Mitgliedsstaaten; Deutschland liegt jetzt nur mehr im OECD-Mittelfeld. Die soziale Kluft ist deutlich größer geworden und nähert sich den Verhältnissen in den USA an, Armut verfestigt sich in einem Ausmaß, das es in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nicht gegeben hat. Armut bedeutet nicht nur für die davon Betroffenen existentielle Unsicherheit und soziale Ausgrenzung, zumindest aber deutliche Einschränkungen der Teilhabe am sozialen Leben, sondern führt ganz allgemein, also auch bei den nicht von Armut Betroffenen, zu Wohlstandssorgen und Abstiegsängsten: Umfragen zeigen, dass nennenswerte Teile der Bevölkerung in Deutschland den Glauben an langfristigen Wohlstandsgewinn und kollektiven Aufstieg verloren haben und Zukunftsunsicherheit weit verbreitet ist.
Auch bei anderen Aspekten sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit hat Deutschland klare Defizite: Nach wie vor ist in Deutschland keine Bildungsgerechtigkeit vorhanden, wird der Bildungserfolg der nachwachsenden Generation in hohem Maße von sozialer Herkunft und Migrationsstatus bestimmt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus einem sozial schwachen Umfeld durch Bildung befähigt wird, am gesellschaftlichen Wohlstand teilzuhaben, ist in Deutschland deutlich geringer als in vielen anderen entwickelten Staaten. Folglich besteht eine zentrale Herausforderung darin, allen jungen Menschen über ein angemessenes Bildungsniveau die soziale und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.
Ebenfalls nur mäßige Noten erhält Deutschland bei der Integration von Zuwanderern. Zwar hat sich in zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens die soziale Teilhabe von Personen mit Migrationshintergrund – den haben in Deutschland mehr als 16 Millionen Menschen, rund 20% der Bevölkerung – verbessert, aber noch bestehen Ungleichheiten zu ihrem Nachteil bei der frühkindlichen Bildung wie bei Bildung und Ausbildung generell – mit den bekannten Auswirkungen auf die Arbeitsmarktintegration, auf soziale Integration und Einkommen. Die Armutsrisikoquote der Bevölkerung mit Migrationshintergrund liegt deutlich über derjenigen der Gesamtbevölkerung. Selbst in den Bundesländern und Kommunen mit den besten Integrations-Ergebnissen wird das Ziel einer Annäherung zwischen Migranten und Einheimischen nirgends erreicht.
Ohne jede Frage ist die deutsche Gesellschaft erheblich ungleicher geworden, haben Desintegrationserfahrungen und die damit einhergehenden Unsicherheitsgefühle zugenommen, werden die Chancen auf soziale Teilhabe und Integration geringer, sind die Solidarität, das gute Miteinander gefährdet. Diese Entwicklungen haben die ohnehin vorhandenen Auswirkungen der Modernisierung unserer Gesellschaft mit ihren Merkmalen der funktionalen Differenzierung, der Individualisierung und der sozialen Desintegration, die für die Gesellschaft insgesamt wie für den Einzelnen Chancen, aber auch Risiken gebracht haben, noch verstärkt. Zu diesen Risiken zählen auch Beeinträchtigungen der inneren Sicherheit durch Kriminalität und Kriminalitätsfurcht.

Moderne Zeiten sind unsichere Zeiten – Kriminalität und Kriminalitätsfurcht als Risiken gesellschaftlicher Modernisierung und sozialer Unsicherheit?

Auch wenn Sicherheit weit mehr ist als innere Sicherheit, sind Kriminalität und innere Sicherheit zentrale gesellschaftspolitische Themen in einem demokratischen Staat – und das Bedürfnis nach innerer oder auch öffentlicher Sicherheit gehört zu den wenigen Grundbedürfnissen, über die es einen allgemeinen Konsens gibt.
Kriminalität gilt als Folge und als Risiko gesellschaftlicher Modernisierung und prekärer Lebenslagen, als Warnzeichen für wachsende soziale Ungleichheit und soziale Unsicherheit – und es ist mehr als erstaunlich, dass die zunehmende soziale Ungleichheit, die fehlende soziale Gerechtigkeit, die erodierende Gesellschaftsintegration bislang nicht zu einem Anstieg des Kriminalitätsniveaus geführt hat, auch nicht zu dem des Gewaltniveaus und auch nicht zu einer Zunahme der Kriminalitätsfurcht.
Im Gegenteil: Die Zahl der insgesamt polizeilich registrierten Straftaten geht seit Jahren kontinuierlich zurück und auch die Delikte der Gewaltkriminalität, die oft besondere (mediale) Aufmerksamkeit erhalten, werden nach erheblichen Zunahmen inzwischen seltener angezeigt. Diese günstige Entwicklung zeigt sich nicht nur im Hellfeld der polizeilich registrierten Straftaten, sondern auch – und dort sogar schon länger – im Dunkelfeld der zwar verübten, aber nicht bei der Polizei angezeigten Delikte. Rückläufig sind in den letzten Jahren auch die Tatverdächtigenbelastungszahlen (Tatverdächtige pro 100.000 der jeweiligen Bevölkerungsgruppe) für alle Altersgruppen, also auch für die jungen Menschen.
Diese für Deutschland insgesamt festzustellende günstige Entwicklung schließt natürlich nicht aus, dass sich – im Hell- wie im Dunkelfeld – auf regionaler, kommunaler oder Stadtviertelebene auch ungünstigere, problematischere Entwicklungen zeigen können und zeigen. Aber zu einer „gewaltförmigen Desintegration“2 ist es in unserer Gesellschaft bislang nicht gekommen, sie scheint auch nicht unmittelbar bevorzustehen, so dass für die zukünftige Entwicklung eher Gelassenheit angesagt ist, vielleicht sogar vorsichtiger Optimismus.
Diese Aussage gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch die Befunde zum Sicherheitsgefühl, zur Kriminalitätsfurcht eher positiv ausfallen – obwohl allgemeine gesellschaftliche Verunsicherung, soziale Unsicherheit, die Furcht vor Kriminalität erhöhen können, ohne dass sich an der Kriminalitätslage selbst etwas – zum Schlechteren – geändert hat. Denn bei Kriminalitätsfurcht handelt es sich oft nicht um eine spezifische Reaktion auf Kriminalitätsrisiken, sondern um eine Projektion sozialer, ökonomischer und existentieller Ängste. Kriminalität dient dabei als Metapher, um anders gelagerte Unsicherheiten artikulierbar zu machen.
Für Deutschland zeigen Befragungen jedoch, dass die Kriminalitätsfurcht im Vergleich zu anderen Ängsten – etwa den sozialen und wirtschaftlichen Sorgen – nicht nur ohnehin eine eher untergeordnete Rolle spielt, sondern seit etlichen Jahren sogar noch weiter abnimmt.
Diese Befunde zu Kriminalität und Kriminalitätsfurcht bedeuten auch, dass es in Deutschland bislang nicht – wie etwa in den USA – zu der Verschiebung von einer sozialpolitischen zu einer kriminalpolitischen Bearbeitung von Unsicherheit, Armut und Ausgrenzung gekommen ist, zur Herausbildung einer Sicherheitsgesellschaft, in der die Idee des Gesellschaftsschutzes mit der Zunahme exkludierender, insbesondere strafender Maßnahmen einhergeht. Der „punitive turn“ vom Sozialstaat zum Strafstaat lässt sich für Deutschland bislang nicht nachweisen.

Nachhol- und Verbesserungsbedarf in Sachen sozialer Gerechtigkeit

Dass in Deutschland Kriminalpolitik (noch) nicht zum Ersatz für fehlende oder brüchig werdende Sozialleistungen geworden ist, hat vor allem mit zwei Faktoren zu tun: Damit, dass der im Grundgesetz verankerte Sozial- und Wohlfahrtsstaat noch wirkt und damit, wie bei uns auf Kriminalität reagiert wird – nämlich nicht in erster Linie durch Repression, durch Strafe, sondern durch Prävention, durch Vorbeugung.
Der Sozial- und Wohlfahrtsstaat gehört zu den wichtig-
sten Einrichtungen, um Desintegrationsfolgen abzumildern, soziale wie wirtschaftliche Sicherheit und Gerechtigkeit herzustellen, den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern. Dass der Staat auch in unsicheren Zeiten seiner Sicherungspflicht nachkommt, sein Sicherheitsversprechen einlöst, entspricht den Erwartungen der Bürger und ihren Hoffnungen auf mehr soziale Gerechtigkeit. Deshalb sollte an dem im Grundgesetz verankerten Sozialstaatsprinzip festgehalten und kein weiterer neoliberaler Um- und Abbau des deutschen Sozialstaates zugelassen werden. Durch eine sozial gerechte Politik müssen ökonomische und soziale Teilhabe- und Verwirklichungschancen für alle Mitglieder unserer Gesellschaft ermöglicht und jeder Einzelne im Rahmen seiner persönlichen Freiheit zu einem selbstbestimmten Leben und zu einer breiten gesellschaftlichen Teilhabe befähigt werden.
Obwohl der Sozial- und Wohlfahrtsstaat in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern noch wirkt, gibt es auch bei uns einigen Nachhol- und Verbesserungsbedarf in Sachen sozialer Gerechtigkeit. Die Herstellung gleicher Teilhabechancen ist nicht nur eine ethisch-soziale Verpflichtung im Sinne gesellschaftlicher Solidarität und gegenseitiger Verantwortung, sondern auch eine grundlegende Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft.
Um das zu erreichen, muss die Wurzel aller sozialen Probleme angegangen werden, die soziale Ungleichheit. Ungleichheit teilt eine Gesellschaft und reibt sie auf, verstärkt die sozialen Ängste und zersetzt die soziale Struktur. Dabei kommt der wirksamen Vermeidung von Armut eine Schlüsselrolle zu: Unter den Bedingungen von Armut sind soziale Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben schwer möglich.

Mehr Prävention, aber nicht mehr Präventionsstaat!

Wie oben schon gesagt, gibt es noch einen weiteren Faktor, der wesentlich dazu beigetragen hat, dass es in Deutschland bislang nicht zur Herausbildung einer Sicherheitsgesellschaft gekommen ist: Die Art und Weise, wie bei uns auf Kriminalität reagiert, wie bei uns Kriminalität verhindert oder zumindest verringert wird. Nicht in erster Linie durch Repression, durch Strafe, also durch exkludierende Maßnahmen, sondern durch Prävention, durch Vorbeugung, also durch inkludierende Maßnahmen.
Diese kriminalpolitischen Ausrichtung sollte beibehalten und ausgebaut werden – allerdings ohne auf dem Weg zum Präventionsstaat weiter zu gehen. Zwar ist es in Deutschland bislang nicht zur Herausbildung einer Sicherheitsgesellschaft gekommen, in der Kriminalpolitik zur Ersatz für fehlende oder brüchige Sozialleistungen wird, wohl aber ist Deutschland auf dem Weg zum Präventionsstaat: Zu einem Staat, der seine Bürger, um Sicherheitsrisiken zu minimieren, Misstrauens- und Überwachungsmaßnahmen aussetzt, die auf keinem konkreten Verdacht beruhen. In einem solchen Präventionsstaat ist jeder Bürger nicht nur potenziell gefährlich – und muss sich entsprechende Überprüfungen gefallen lassen – , sondern auch potenziell gefährdet – und damit Ziel und Objekt der Gefahrenvorsorge durch prinzipiell unbegrenzte und unbestimmte Präventionsmaßnahmen. Denn mit zunehmender Sicherheit erhöht sich das Sicherheitsbedürfnis, es kann nie genug Sicherheit geben, die Nachfrage nach Sicherheit ist unbegrenzt – mit der Konsequenz, das der Staat seine Sicherheitsversprechen grundsätzlich nicht einlösen kann.
Wenn es als öffentliche Aufgabe gesehen wird, schon die Furcht vor vermeintlichen Bedrohungen wahrzunehmen und zu beschwichtigen, dann ist eine solche Entwicklung weder im Sinne des Rechtsstaates, noch im Sinne einer Reduzierung von Kriminalitätsfurcht und Stärkung des Sicherheitsgefühls: Wenn überall der Kriminalität vorgebeugt werden muss, selbst einer vermeintlichen Bedrohung, dann kann das für den Einzelnen eben auch bedeuten, dass er überall mit Kriminalität rechnet und Nirgends vor Niemandem mehr sicher zu sein glaubt.
Wenn Kriminalprävention nicht zur (weiteren) Herausbildung eines Präventionsstaates beitragen soll, sondern zum Abbau von Unsicherheit und zu mehr sozialer Teilhabe und eine kriminalpolitische Bearbeitung sozialpolitischer Probleme vermieden werden soll, dann muss auf jeden Fall dem Trend zur Entgrenzung und Vorverlagerung des präventiven Tuns entgegengewirkt und Kriminalprävention eng verstanden werden.
Es sollten nur die Strategien, Maßnahmen und Projekte als kriminalpräventiv verstanden werden, die direkt oder indirekt die Verhinderung bzw. Verminderung von Kriminalität zum Ziel haben und von denen erwartet werden darf, dass sie in einem begründbaren und nachvollziehbaren Zusammenhang darauf gerichtet sind, Kriminalität zu verhindern bzw. zu vermindern – entweder auf der Basis überzeugender empirischer Belege oder an Hand von plausiblen theoretischen Annahmen.
Maßnahmen der universellen oder sozialen Prävention, wie etwa die Wiederherstellung sozialer Gerechtigkeit durch den Abbau der Einkommens-, Bildungs- und Integrationsarmut mit dem Ziel einer gleichberechtigten wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen sind unverzichtbar, müssen aber als Sozialpolitik verstanden und eingefordert werden und nicht als Kriminalprävention, auch wenn sie sich ohne Frage durchaus kriminalpräventiv auswirken können. Aber das ist nicht ihr Ziel, schon gar nicht ihr primäres und deshalb sollten sie auch nicht für Zwecke der Kriminalprävention instrumentalisiert werden – zumal das der Bedeutung dieser Maßnahmen nicht gerecht wird.
Die Aussage „Sozialpolitik ist die beste Kriminalpolitik“ findet zwar viel Zustimmung, bedeutet aber auch die Annahme einer Verknüpfung von sozialer Lage und Kriminalität. Das ist eine Annahme, die dazu führen kann, dass bei einem Abbau sozialstaatlicher Leistungen sicherheitsstaatliche Instrumente zur Bewältigung unliebsamer Folgen für notwendig erachtet werden. Dann ist der Weg vom Sozialstaat zum Strafstaat nicht mehr weit. Außerdem wird dabei mit einem ungerechtfertigten Generalverdacht gearbeitet und den von den Maßnahmen betroffenen Personen per se eine mögliche negative Entwicklung unterstellt (wenn etwa Programme zur Förderung sozialer Kompetenz im Kindergarten als „Gewaltprävention“ bezeichnet werden und man damit im Sinne eines Generalverdachts indirekt allen Kindern dieser Gruppe unterstellt, zumindest potenzielle Gewalttäter oder Gewaltopfer zu sein).
Um solche und andere riskante Aspekte von Kriminalprävention zu vermeiden, sollten außerdem möglichst keine standardisierten Programme ohne Prüfung auf ihre Notwendigkeit und Eignung hin übernommen werden. Vielmehr sollten die kriminalpräventiven Programme, Projekte und Maßnahmen die lokalen, sozialen und kulturellen Bedingungen und Kontexte von Kriminalität in Betracht ziehen, auf einer sorgfältigen Problem- und Ursachenanalyse vor Ort beruhen und natürlich auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden.
Wenn Kriminalprävention so verstanden und eingesetzt wird, dann kann sie ihren Beitrag zum Abbau von Unsicherheit und Exklusion leisten und zur Förderung von sozialer Teilhabe, Integration und Solidarität.

Anmerkungen
Das Gutachten ist auf der Kongresswebseite des 17. Deutschen Präventionstages www.praeventionstag.de/nano.cms/17-DPT/Seite/3 veröffentlicht. So die Prognose von Wilhelm Heitmeyer und seiner Forschungsgruppe, zuletzt aufgestellt in der von ihm herausgegebenen Analyse: Deutsche Zustände. Folge 10. Berlin 2012, S. 26 ff.