Kriminalitätsbekämpfung

Geld(un-)wesen

– Bedrohung der inneren und äußeren Sicherheit? –

V. Schulden ohne Geld

Im Prozess der Geldschöpfung entstehen Schulden. Geldausgeben bedeutet Einnahmen. Wachstum wird durch Aufnahme neuer Schulden generiert. Der Prozess von mehr Schulden über mehr Geld zu mehr Umsatz und mehr Gewinn treibt sich selbst voran. Er führt möglicherweise zu einem Problem, wenn die Wirtschaft nicht weiter wächst, weil der Kredit sich nicht erhöht. Wieder nur zirkulär mutet die Aussage an, dass Geld das ist, was Geld tut (Bezahlen, Bewerten, Speichern). Die Funktionen des Geldes scheinen unveränderbar, weil sie zugleich das Geld sind. Variabel sind nur Geschwindigkeit und Volumina der Zirkulation. Der Satz „Zeit ist Geld“ bekommt durch die elektronische Kommunikationstechnologie eine atemberaubende Aktualität und Intensität. Die Finanzinnovationen sind ohne moderne Medialität nicht denkbar. Das provoziert die Frage, ob die Digitalisierung des Geldes den entscheidenden Bruch darstellt. Sie steht mindestens in einem funktionellen Zusammenhang mit unterschiedlichen Geldsorten (Bargeld, Konsumgeld, Finanzgeld). Schon das Konsumgeld ist in den Zustand digitaler Information übergetreten. Es fließt über Bankkonten. Die Zahl muss einem Besitzer zugeordnet sein, sonst wäre sie kein Geld. Die bekannte Identität des Konsumenten ermöglicht staatlichen Zugriff. Anders ist das beim Finanzgeld. Die Summen werden in transnationalen Konzernen über Staatsgrenzen hinweg verschoben. Teils werden sie in „Finanz-Staaten“ gehalten, die eher Banken als Staaten sind und heimliche Speicherung anbieten. Geld und Besitzer bleiben anonym.
Das Geld des Schattenbanksystems bildet als digitalisierte Verrechnungsform eine eigene Art. Die Festlegung der Geldnähe der jeweiligen Anlagen erfolgt auf verschiedenen Ebenen. Auf der ersten sind noch Preise feststellbar, auf der zweiten nur noch abgeleitet und auf der dritten besitzt nicht einmal der Basiswert einen Preis. Das zeigen etwa die Kreditausfallversicherungen. Sie zirkulieren in einem sich stetig aufblähenden Markt an Stelle der Anleihen, werden nur zwischen den Banken („Over-the-Counter“) gehandelt und beziehen sich auf einen dritten Besitzer einer anderen Summe. War Geld bis jetzt noch eine Zahl mit Besitzer, so geht es jetzt um Geld als eine Zahl, die davon ausgeht, dass eine andere Zahl in Zukunft von jemandem besessen wird: „Derivat-Geld“.
Zur Erwirtschaftung höherer Renditen ist Vermögen, das übrigens nie ungleicher verteilt war als heutzutage, zumeist „gehebelt“ angelegt. Der Investor nimmt einen günstigen Kredit auf, der gleichzeitig den „Löwenanteil“ der Investition ausmacht. Das rechnet sich, wenn der Zins für den Kredit geringer ist als die Rendite der Investition. Mittlerweile übersteigt die Menge der Kredite die Vermögensmengen um ein Vielfaches. Das „Leverage“, also die Hebelung durch Kreditaufnahme, ist der archimedische Punkt der Weltfinanzordnung geworden. Der Hebel vergrößert das Risiko. Derivate sollen Anlagen sichern. Das Risiko eines Verlustes wird an Dritte verkauft. Die (scheinbare) Absicherung erweitert den Kreditrahmen. Der Hebel wird noch länger. Das Zeitalter der „Securitization“ ist eröffnet.
Die Zirkularität von Vertrauen, Risiko, Verschuldung und Abwälzung führt letztlich zur wechselseitig garantierten Gefährdung, wenn nicht zur Vernichtung unter dem Etikett der Sicherheit. Zur Erinnerung: Es begann mit der Deregulierung der Finanzmärkte. Dann folgte ein Berechnungsmodell für Derivate. Schließlich kamen die „Finanzinnovationen“. Der unübersehbare Markt an Futures, Optionen und Swaps war eröffnet. Dort erfolgte der Weiterverkauf von Risiken zumeist rechnerisch korrekt. Der Teufel steckt hier weniger im Detail als in den Ausfallrisiken der Gegenseite, die den Kreditausfall eigentlich versichern soll. Im Mangel an Deckungsmöglichkeiten liegt das systemische Risiko.
Auf den Finanzmärkten findet unterdessen weiter das alte Spiel statt:
Mehr! Mehr! Mehr!
Man schöpft in unglaublichem Maße neue Kredite. Die „Geldproduktion“ steigt exzessiv. Damit wird „Wachstum“ geschaffen. Kreditausweitung und Krisenentwicklung haben nun die Vorstellung hervorgerufen, das Bankensystem müsse Hebel, Risiken und damit Kredit verringern. Damit ist jedoch kein Problem gelöst. Die Verringerung von Kredit ist nämlich gleichbedeutend mit der Vernichtung von Geld.
Der utopische Gedanke einer schuldenfreien Wirtschaft fordert konsequenterweise die Abschaffung des Geldes in seiner heutigen Form. Damit gerieten aber Grundfesten in Gefahr. Das heutige Finanzkapital unterscheidet sich von demjenigen von vor hundert Jahren nämlich in fundamentaler Weise. Damals ging es vor allem um Güterproduktion. Heute ist die Herstellung durch Kommunikation im weitesten Sinne ersetzt. Modernes Banking entstand wegen des mit der Industrialisierung verbundenen ungeheuren Geldbedarfs. Die „Securitization“ führte zu einer Auslagerung der entsprechenden Versorgungsfunktionen der Banken an den Finanzmarkt und verwandelte sie selbst zu Agenten an diesem Markt. Mit jeder Kreditaufnahme findet Geldschöpfung statt. Die „Securitization“ hat eine Veränderung des Rahmens dieses Verfahrens bewirkt. Früher hielten die Banken den Kredit in ihren Büchern und legten eine Reserve an („Originate-and-Hold“). Heutzutage halten sie den Kredit nicht, sondern verkaufen ihn an einen Dritten („Originate-and Distribute“). Dieser erwirbt das Recht auf die Rückzahlungen und gibt der Bank dafür (sofort) Geld. Der Kredit befindet sich nicht mehr in den Büchern der Bank. Nach seiner „Erzeugung“ wird er sofort verteilt. Damit ist übrigens im Prinzip schon die Immobilienblase beschrieben, die ihren Ausgang in den USA nahm.