Zwangsverheiratung
– ein Überblick über tatsächliche und rechtliche Aspekte
Immer wieder befassen sich Gesetzgeber, Fachwelt und Öffentlichkeit mit Fragen der Zwangsverheiratung. Zwangsverheiratung verstößt unter anderem gegen das Menschen- und Grundrecht auf freie Partnerwahl und ist strafbar. Es handelt sich dabei um ein komplexes Geschehen in zahlreichen möglichen Varianten, das eine Reihe von Rechtsfragen berührt. Im Folgenden werden zunächst die tatsächlichen Aspekte dargestellt. Anschließend folgt ein Überblick die rechtlichen Aspekte der Zwangsverheiratung.
Dr. Florian Edinger
Ministerialrat
Hofheim am Taunus*
I. Formen und Verbreitung von Zwangsverheiratung in Deutschland
1. Zwangsverheiratung als Gewalt in engen sozialen Beziehungen
Zwangsverheiratung ist die Verheiratung gegen den Willen eines oder beider beteiligter Ehepartner. Ein Phänomen, das in Deutschland insbesondere mit der Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frau und der Ächtung innerfamiliärer Gewalt kaum mehr eine Rolle spielte, hat im Zuge der Einwanderung nach Deutschland wieder an Bedeutung gewonnen. Mit der Einwanderung aus Herkunftsgebieten, in denen noch ein archaisch-patriarchalisches Familienverständnis herrscht, in dem die Rechte der Frauen und Kinder nicht ausreichend geachtet werden und Gewalt als Erziehungsmittel eingesetzt wird, haben Fälle von Zwangsverheiratung genauso zugenommen wie Fälle von Gewalt in engen sozialen Beziehungen insgesamt. Frauen mit Migrationshintergrund erfahren im Durchschnitt häufiger Dominanz, Unterdrückung und Gewalt in ihrer Partnerschaft als einheimische deutsche Frauen. Das gilt beispielsweise für Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion und noch mehr für Frauen mit türkischem Hintergrund. Zu den Ursachen dafür zählt unter anderem die geringere Kenntnis der einschlägigen Hilfsangebote.1 Dazu kommen oft die hohen sozialen Kosten einer Trennung, weil Ehe und Familie vielfach die wichtigsten, manchmal sogar einzigen Netzwerke der Betroffenen in der Einwanderungsgesellschaft darstellen.
Zwangsverheiratung oder die Drohung mit ihr ist nur eineder damit verbundenen Erscheinungen. Wenn es um die gewaltsame Durchsetzung des Willens der Eltern – oder meist, aber nicht immer, des männlichen Familienoberhauptes – geht, finden sich im Umfeld Kindesmisshandlung und Misshandlung und Vergewaltigung der Ehefrau bis hin zu so ge-
nannten Ehrenmorden, die richtigerweise als Unterdrückungsmorde bezeichnet werden.2 Die Opfer von Zwangsverheiratung sind ganz überwiegend Frauen, vereinzelt aber auch Männer. Gleichzeitig muss man in der Regel auch die Kinder, die aus solchen Zwangsehen hervorgehen, als Opfer gewalttätiger Familienverhältnisse ansehen. Gewalt spielt ferner
nicht nur bei der Wahl des Ehepartners eine Rolle, sondern auch bei der Abwehr unerwünschter Beziehungen von Familienangehörigen, nicht nur, aber insbesondere wenn es sich um homosexuelle Beziehungen handelt.3 So sind oft auch die von der Familie nicht erwünschten Partner von Gewalt bedroht.4
Man muss sich allerdings vor Augen halten, dass es innerfamiliäre Gewalt – mit Ausnahme der eigentlichen Zwangsverheiratung – häufig genug auch in nicht zugewanderten Familien gibt, bis hin zum Mord am Partner. Eine weitere Quelle innerfamiliärer Unterdrückung und Gewalt, die mit Zuwanderung verbunden ist, ist der „Import„ ausländischer Ehepartner (meist Frauen) durch Deutsche (meist Männer), die auf dem heimischen Heiratsmarkt nicht zum Zuge kamen: Frauen, die zum Teil per Katalog aus Russland, Asien oder Südamerika bestellt und regelrecht eingekauft werden. Sie sind nach ihrer Ankunft in Deutschland zunächst meist auf Gedeih und Verderb ihren deutschen Ehemännern ausgeliefert, weil ihr Aufenthaltrecht von der Ehe abhängt (dazu unten unter II.4). Asymetrische Heiratsmärkte sind insgesamt ein Treiber für Heiratsmigration5 und damit auch für bestimmte Formen von Zwangsverheiratung (insbesondere den „Braut-Import„). Wenn beispielsweise die Integration junger Männer in Bildung und Arbeitsmarkt misslingt und sie dazu in überholten Männlichkeitsbildern verharren, sinken ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt in Deutschland – auch bei Frauen derselben Ethnie, deren Bildungsniveau zudem oft über dem gleichaltriger männlicher Migranten liegt.
Damit wird deutlich: Zwangsverheiratung ist nur ein Teil der umfassenden Problematik innerfamiliärer Gewalt, das heißt von Gewalt in engen sozialen Beziehungen, die es in der heutigen deutschen Gesellschaft in vielfältigen Erscheinungen gibt. Keinesfalls darf der Eindruck entstehen, familiäre Gewalt und Zwangsverheiratung seien typisch für Einwandererfamilien. Das würde Einwanderer bewusst oder unbewusst mit einem negativen Etikett versehen oder gar diskriminieren.6 Innerfamiliäre Gewalt ist keine Frage der ethnischen Herkunft.
2. Zwangsverheiratung und Religion
Der Zusammenhang zwischen Zwangsverheiratung und Religion, insbesondere dem Islam, ist umstritten. Fälle von Zwangsverheiratung kommen keinesfalls nur in religiös geprägten Familien vor. Soweit die Familien religiös geprägt sind, ist zwar der Islam besonders oft vertreten, weil ein Großteil der Einwanderer aus islamisch geprägten Ländern stammt, insbesondere aus der Türkei, daneben aber auch das Jesidentum, das Christentum und der Hinduismus.7
Das Jesidentum beispielsweise ist eine sehr alte Religion insbesondere unter Kurden, deren Anhänger diskriminiert und unterdrückt wurden und oft noch werden. Um die bedrohte Religionsgemeinschaft zu sichern, gilt die Regel, dass Jesiden – ähnlich wie Juden - nur untereinander heiraten sollen (Endogamie).8 Diese Regel rechtfertigt zwar weder Zwangsverheiratung noch die gewaltsame Abwehr unerwünschter Partner, kann sie aber offenbar in patriarchalisch-gewaltsamen Familienverhältnissen begünstigen. Der Islam wiederum ist sehr heterogen. Neben aufgeklärten-liberalen Richtungen belegen Berichte über Einzelschicksale9 auf erschütternde Weise, dass es – wie in anderen Religionen – auch im Islam einzelne rückschrittliche Strömungen gibt, die eine untergeordnete Stellung der Frauen, Unterdrückung und Gewalt in Familie und Erziehung bis hin zur Zwangsverheiratung religiös-ideologisch zu rechtfertigen versuchen.10
Gleich wie die Begründung für Unterdrückung, Gewalt und Zwangsverheiratung lauten mag, sie sind in unserer Gesellschaft nicht akzeptabel und können weder rechtlich noch moralisch in irgendeiner Weise gerechtfertigt werden, auch nicht durch die Religionsfreiheit.11 Umgekehrt eignet sich Zwangsverheiratung keinesfalls dazu, eine Religion, etwa den Islam, als Ursache von Zwangsverheiratung zu diffamieren.
3. Formen von Zwangsverheiratung
Folgende Formen von Zwangsverheiratung lassen sich unterscheiden:
Alle beiden Partner oder Opfer der Zwangsverheiratung leben bereits in Deutschland.
Für in Deutschland lebende werden Partner aus dem Ausland geholt, in der Regel aus dem Heimatland, um sie in Deutschland zu verheiraten: entweder werden Frauen als Braut importiert oder aber für Frauen in Deutschland ein Ehemann aus dem Herkunftsland geholt, oft um ihm die legale Einwanderung zu ermöglichen. Bekannt geworden ist beispielsweise aber auch der Versuch von Eltern, ihre in Deutschland aufgewachsene Tochter als Braut zu verkaufen.12
Die Betroffenen werden im Ausland zwangsweise verheiratet. In diesen Fällen sind es meist junge Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben und unter dem Vorwand, im Heimatland Urlaub zu machen, dort überraschend verheiratet werden (die sogenannte Heiratsverschleppung).13
4. Zwangsverheiratung und arrangierte Ehe
Eine Zwangsverheiratung hat mit einer arrangierten Ehe gemeinsam, dass Eltern oder Familie die Ehepartner auswählen. Wie jene folgen arrangierte Ehen weniger dem modernen Leitbild der romantischen Ehe oder Liebesheirat, sondern pragmatischen Überlegungen im Hinblick auf die Versorgung des Ehepartners und der künftigen Kinder, auf eine standesgemäße Verbindung usw. Diese Art der Eheanbahnung ist in vielen Ländern der Erde verbreitet. Der Unterschied zur Zwangsverheiratung liegt darin, dass bei der arrangierten Ehe die vorgesehenen Partner die Eheschließung ablehnen können; der ausgesuchte Partner ist insoweit nur ein Vorschlag. Der Übergang zwischen beiden Formen der Eheschließung ist mitunter fließend, die Unterscheidung kann dementsprechend schwierig sein, etwa wenn die Erwartungshaltung der Eltern in massiven psychischen Druck umschlägt oder so empfunden wird.14
5. Häufigkeit von Zwangsverheiratungen
Die exakte empirische Erfassung von Zwangsverheiratungen hat sich als praktisch nicht durchführbar erwiesen, insbesondere weil eine wissenschaftlich begründbare Abgrenzung der zu befragenden Bevölkerungsgruppe kaum möglich wäre und weil die Unterscheidung zwischen Zwangsverheiratung und arrangierter Ehe schwierig ist.15 Eine bundesweite Befragung ausgewählter Beratungsinstitutionen im Auftrag des Bundesfamilienministeriums, die 2011 veröffentlicht wurde, erfasste 3443 Beratungsfälle im Jahr 2008. Diese Zahl ist aber weder exakt noch repräsentativ, weil nur eine Auswahl an Beratungsstellen befragt wurde und Mehrfachnennungen nicht ausgeschlossen werden konnten.16 Immerhin zeigt sich, dass (drohende) Zwangsverheiratung zwar kein Massenphänomen ist, es aber durchaus eine nennenswerte Zahl von Fällen gibt.
II. Rechtliche Aspekte der Zwangsverheiratung
1. Grund- und Menschenrechte
Wie bereits eingangs erwähnt, verstößt Zwangsverheiratung gegen Grund- und Menschenrechte wie die freie Wahl des Ehepartners,17 das Recht auf Gleichberechtigung und das Verbot von Diskriminierung. Daraus wird die Verpflichtung der staatlichen Organe abgeleitet, Zwangsverheiratung nicht nur rechtlich unter Strafe zu stellen, sondern darüber hinaus auch Maßnahmen zu ergreifen, um ihr in der Praxis vorzubeugen, die Taten zu verfolgen und die Opfer zu unterstützen.18
2. Strafrecht und Strafprozessrecht
Der Bundesgesetzgeber hat im Jahr 2011 Zwangsverheiratung als eigenständigen Straftatbestand ins Strafgesetzbuch eingefügt.19 Er kam damit einer langjährigen Forderung des Bundesrats nach.20
§ 237 StGB „Zwangsheirat„ lautet:
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung
der Ehe nötigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.(2) Ebenso wird bestraft, wer zur Begehung einer Tat nach Absatz 1 den Menschen durch Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List in ein Gebiet außerhalb des räumlichen Geltungsbereiches dieses Gesetzes verbringt oder veranlasst, sich dorthin zu begeben, oder davon abhält, von dort zurückzukehren.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
Der Straftatbestand der Zwangsheirat in Absatz 1 ist als Nötigungstatbestand ausgestaltet, er setzt den Einsatz von Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel voraus. Das ist insoweit keine Neuerung, als Zwangsverheiratung schon immer strafbar war, sofern sie die Tatbestandsmerkmale der Nötigung erfüllte (§ 240 StGB). Darüber hinaus hatte der Gesetzgeber bereits 2005 Zwangsverheiratung als einen besonders schweren Fall der Nötigung hervorgehoben (§ 240 Abs. 4 Nr. 1, 2. Alternative, Nötigung zur Eingehung der Ehe)21 – eine Vorschrift, die er mit Erlass des neuen § 237 StGB wieder aufhob.
Neu ist die in § 237 Abs. 2 StGB ausdrücklich geregelte Strafbarkeit der Heiratsverschleppung.22
Die Hervorhebung der Zwangsverheiratung als eigenständiger Straftatbestand hat im Wesentlichen symbolische Bedeutung. Sie macht sowohl den potentiellen Tätern als auch den Opfern deutlich, dass Zwangsverheiratung in Deutschland nicht geduldet wird. Der Straftatbestand ist aber auch ein Signal an die Strafverfolgungsbehörden und die Justiz: Es darf heute keinerlei falsch verstandenen „Kultur„-Bonus für derartige Straftaten mehr geben. Die Berufung auf Kultur, Herkunft, Tradition oder Religion ist in keinerlei Weise geeignet, die Schuld der Täter zu mindern.
In der Praxis waren und sind einschlägige Verurteilungen allerdings selten. Der Grund liegt zum einen in strafprozessualen Hindernissen wie dem, dass es vielfach um den Nachweis innerer Tatsachen geht und dass Familienangehörige oft die Aussage verweigern können. Zum anderen geht es den Opfern (drohender) Zwangsverheiratung, insbesondere jungen Frauen und Mädchen, in erster Linie um Hilfe, Rat und Unterstützung, nicht aber um die Bestrafung der Täter – nämlich ihrer Familienangehörigen. Gerade dieser Gruppe von Opfern fällt es oft genug ohnehin äußerst schwer, sich Unterstützungs- und Beratungseinrichtungen oder gar Polizei und Staatsanwaltschaft zu offenbaren, ist doch die Familie für sie in der Regel ein zentraler Bezugspunkt – und auch eine zentrale Ressource – ihres Lebens. Frauen- und Mädchenorganisationen berichten, dass gerade jüngeren Frauen und minderjährige Mädchen eine Loslösung von ihrer Familie – trotz drohender Zwangsverheiratung, trotz drohender psychischer und physischer Gewalt – vielfach nicht oder nicht gleich im ersten Schritt gelingt.23 In dieser Situation ist die Aussicht auf ein Strafverfahren gegenüber Familienangehörigen dann kontraproduktiv, wenn es die Opfer davon abschreckt, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zunächst sind die Opfer auf einfühlsame, gut geschulte Intervention und Unterstützung angewiesen, die für ihre individuelle Situation Verständnis aufbringt, sie zu keiner Entscheidung gegen ihren Willen drängt und gleichzeitig alle Möglichkeiten der Hilfe bereit hält. Dazu gehört auch eine professionelle Einschätzung, ob eine Lösung kraft Einsicht gemeinsam mit der Familie möglich ist oder nur gegen sie und ob das Opfer gegebenenfalls aus der Familie herausgenommen und geschützt werden muss – eine Fehleinschätzung kann im Zweifel das Opfer in Lebensgefahr bringen. In schwerwiegenden Fällen der Gefahr für Leib und Leben des Opfers kann auch ein präventiv-polizeiliches Einschreiten erforderlich sein, etwa in der Form einer Gefährder-Ansprache. Für alle staatlichen Organe, die Opfern (drohender) Zwangsverheiratung begegnen, muss es deshalb selbstverständlich sein, diese auf entsprechende Hilfsangebote hinzuweisen und sich bei diesen im Zweifel selbst Rat zu holen.24
Opfer von Zwangsverheiratung können Nebenklage erheben (§ 395 Abs. 1 Nr. 5 StPO); ihnen kann auf Antrag ein Nebenklägervertreter („Opferanwalt„) bestellt werden (397a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StPO).
3. Ehe- und Familienrecht
3.1 Ehe
Eine Ehe kann aufgehoben werden, wenn „ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist„ (§ 1314 Abs. 2 Nr. 4 BGB). Darunter fällt erst recht der Fall, wenn die Ehe mit Gewalt erzwungen wurde.25 Die Antragsfrist wurde für Zwangsheiraten, die nach dem 1.7.2011, dem In-Kraft-Treten des Zwangsverheiratungsbekämpfungsgesetzes, geschlossen wurden, von einem auf drei Jahre verlängert (§ 1317 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Eine zwanghaft herbeigeführte Ehe kann nach deutschem Recht auch vor Ablauf des Trennungsjahres geschieden werden, denn Zwangsverheiratung ist regelmäßig eine unzumutbare Härte gemäß § 1565 Abs. 2 BGB.
3.2 Familiengerichtliche Maßnahmen
Erwachsene Opfer können beim Familiengericht Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz beantragen.26
Droht Minderjährigen (meist Mädchen) die Zwangsverheiratung, ist in der Regel das Kindeswohl gefährdet. Forcieren – wie in den meisten Fällen – die Eltern die Zwangsverheiratung, muss das Familiengericht einschreiten. Es wird von Amts wegen tätig und kann vom Jugendamt (§ 8a Abs. 2 SGB VIII) oder von Dritten angerufen werden. Maßnahmen zur Abwehr der Gefahr für das Kindeswohl können Gebote an die Eltern sein, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch zu nehmen (§ 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB), aber auch das Verbot, Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält (§ 1666 Abs. 3 Nr. 3 BGB) oder das Verbot, Verbindung mit dem Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit ihm herbeizuführen (§ 1666 Abs. 3 Nr. 4 BGB). Soweit erforderlich, kann und muss das Familiengericht die elterliche Sorge ganz oder teilweise entziehen, in diesen Fällen ist ein Vormund (§ 1773 BGB) oder ein Pfleger für das Kind zu bestellen (§ 1909 BGB).27
4. Ausländerrecht
Im Ausländerrecht gibt es zahlreiche Regelungen, die direkt oder indirekt Fälle von Zwangsverheiratung betreffen. Einige davon werden im Folgenden aufgeführt.28
Keine ausländerrechtlichen Fragen werfen diejenigen Fälle auf, in denen beide Partner ein verfestigtes Aufenthaltsrecht besitzen, beispielsweise eine Niederlassungserlaubnis oder eine EG-Daueraufenthalts-Erlaubnis. Beide behalten ihren Aufenthaltstitel auch im Falle der Auflösung der Ehe weiter bei.
Erhält ein Partner seine Aufenthaltserlaubnis „zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft„ (§ 27 Abs. 1 AufenthaltsG), hängt sein Aufenthaltsrecht zunächst grundsätzlich vom Bestehen der Lebensgemeinschaft ab und damit vom Partner, der seinerseits ein von Ehe und Familie unabhängiges Aufenthaltsrecht besitzt. Von vornherein ausgeschlossen ist allerdings ein Familiennachzug bei Zwangsverheiratung (§ 27 Abs. 1a Nr. 2 AufenthaltsG) – ein Fall, der schwer nachweisbar ist und in der Praxis deshalb bislang keine Rolle spielt. Wird die eheliche Lebensgemeinschaft aufgehoben, erhalten Ehegatten grundsätzlich erst nach drei Jahren ein auf ein Jahr befristetes Aufenthaltsrecht unabhängig vom Familiennachzug (§ 31 Abs. 1 AufenthaltsG). Die Frist wurde durch das Zwangsverheiratungs-Bekämpfungsgesetz von zwei auf drei Jahre verlängert, obwohl das die Trennung bei Zwangsverheiratung erschwert. Immerhin kann ein solches, vom Ehegatten unabhängiges Aufenthaltsrecht zur Vermeidung einer besonderen Härte schon vor Ablauf der Dreijahresfrist erteilt werden (§ 31 Abs. 2 AufenthaltsG); die Lösung aus einer Zwangsehe ist ein solcher Fall, der allerdings von den Antragstellern zu belegen ist.
Für den Fall der Zwangsverheiratung im Ausland, insbesondere der Heiratsverschleppung, brachte das Zwangsheiratsbekämpfungsgesetz 2011 eine deutliche Verbesserung: Während Aufenthaltstitel grundsätzlich nach sechsmonatigem Auslandsaufenthalt erlöschen, können Opfer von Zwangsverheiratungen, die von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurden, grundsätzlich innerhalb einer Frist von zehn Jahren seit der Ausreise und von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage zurück nach Deutschland kommen (§ 51 Abs. 4 Satz 2 AufenthaltsG). Voraussetzung ist, dass sie zuvor acht Jahre rechtmäßig in Deutschland lebten und davon sechs Jahre hier die Schule besuchten (§ 37 Abs. 1 AusländerG). Abweichend von diesen und weiteren Voraussetzungen kann die Wiederkehr in Fällen der Zwangsverheiratung auch dann erlaubt werden, wenn die Opfer eine positive Integrationsprognose aufweisen; auf den Nachweis insbesondere der Sicherung des Lebensunterhalts kann verzichtet werden. Der Antrag muss innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage und spätestens fünf Jahre nach der Ausreise gestellt werden (§ 37 Abs. 2a AufenthaltsG).29
Ist der Aufenthaltsstatus des Opfers ungesichert, beispielsweise wenn es nur geduldet ist, bieten Abschiebeverbote oder Härtefall-Regelungen die Möglichkeit, dem Opfer einen sicheren Aufenthalt und damit Schutz vor Nachstellung und Verfolgung zu ermöglichen.30
5. Weitere Regelungen
In Gefährdungssituationen ist zum Schutz der Opfer oft ein Sperrvermerk nach § 21 Abs. 5 Satz 1 des Melderechtsrahmengesetzes erforderlich. Danach hat die Meldebehörde auf Antrag oder von Amts wegen eine Auskunftssperre im Melderegister einzutragen, wenn Tatsachen vorliegen, „die die Annahme rechtfertigen, dass dem Betroffenen oder einer anderen Person durch eine Melderegisterauskunft eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen erwachsen kann„. Der Vermerk gilt für zwei Jahre.
Für unter 18jährige Jugendliche sowie für heranwachsende Opfer im Alter von 18 bis 21 Jahren kommen Maßnahmen der Jugendhilfe nach dem SBG VIII in Betracht, insbesondere die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII. Wegen der einzelnen Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten der Kinder- und Jugendhilfe kann an dieser Stelle auf die ausführliche Handreichung des Bundesfamilienministeriums „Zwangsverheiratung bekämpfen – Betroffene wirksam schützen„ verwiesen werden.31 Sie enthält auch Hinweise zu weiteren Sozialleistungen, die im Falle von Zwangsverheiratung in Betracht kommen (SGB II, III und XII, Asylbewerberleistungsgesetz, BAföG, Kindergeld).
6. Fazit
Zwangsverheiratung ist nur ein Ausschnitt aus der vielfältigen Gewalt in engen sozialen Beziehungen in Deutschland. Sie ist letztlich ein Ausdruck mangelnder Integration und eignet sich in keinem Fall zur Stigmatisierung von Einwanderern oder Religionen. Es handelt sich auch nicht um ein Massenphänomen unter Zugewanderten. Aber auch wenn – und gerade weil – Fälle von Zwangsverheiratung in der Praxis von Behörden und Gerichten nicht zum Alltag gehören, bedürfen sie besonderer Aufmerksamkeit. Staatliche Stellen dürfen in Fällen von (drohender) Zwangsverheiratung nicht wegsehen, sondern sind verpflichtet, für professionelle Unterstützung der Opfer sorgen, schon im Hinblick auf den Schutz von Freiheit, Gesundheit und Leben der Betroffenen, die bei Zwangsverheiratung nicht selten ernsthaft bedroht sind. Entsprechende Programme und kultursensible Hilfs- und Unterstützungsangebote gibt es in allen Bundesländern. Ansprechpartner sind insbesondere Jugendämter, Frauen- und Mädchenhäuser, Polizei, Migrationsberatungsstellen oder spezialisierte Beratungsangebote.32
Anmerkungen
*Der Aufsatz ist die – aktualisierte – Fassung des Beitrags für die Zeitschrift „Das Standesamt„ (StAZ), erschienen im Heft 7/2012, S. 194 ff.
Siehe Boos-Nünning, Migrationsfamilien als Partner von Erziehung und Bildung, 2011, 43.
Vgl. die Entschließung des Landtags Rheinland-Pfalz „Zwangsheirat und Unterdrückungsmorde verhindern – Gleichberechtigung durch Integration und Bildung fördern„, Drucksache 15/1333 vom 19.7.2007.
Vgl. Thiemann, Zwangsverheiratung im Kontext gleichgeschlechtlicher Lebensweisen, in: Zwangsverheiratung in Deutschland, hrsg. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2007, 187 ff.
Von daher wird verständlich, dass nach einer Analyse von justiziell bearbeiteten Fällen von „Ehrenmorden„ 43% der Opfer männlich waren, siehe Oberwittler/Kasselt, Ehrenmorde in Deutschland. Eine systematische Untersuchung ehrbezogener Tötungsdelikte in Familien und Partnerschaften zwischen 1996 und 2005, Polizei + Forschung Bd. 42, hrsg. vom Bundeskriminalamt, 2011.
Siehe den 6. Familienbericht (2000), Bundestags-Drucksache 4/4357, 78 ff.
Siehe Mirbach/Schaak/Triebl, Zwangsverheiratung in Deutschland - Anzahl und Analyse von Beratungsfällen, 2011, 25 ff.
Siehe Mirbach/Schaak/Triebl, Zwangsverheiratung in Deutschland - Anzahl und Analyse von Beratungsfällen (Fn. 6), 92 f.; Strobl/Lobermeier, Zwangsverheiratung: Risikofaktoren und Ansatzpunkte zur Intervention, in: Zwangsverheiratung in Deutschland (Fn. 3), 27 ff., 28.
Kartal, Yeziden in Deutschland - Einwanderungsgeschichte, Veränderungen und Integrationsprobleme, KJ 2007, 240 ff., 247 f.
Vgl. nur Sabatini James, Nur die Wahrheit macht und frei, 2011; Bläser, Hennamond - Mein Leben zwischen zwei Welten, 1999.
Dazu Busch, Eine Frage der Ehre, NJ 2010, 18 ff., 22 ff.
Siehe Busch, Eine Frage der Ehre, NJ 2010, 18 ff., 27.
Siehe Kalthegener, Strafrechtliche Ahndung von Zwangsverheiratung: Rechtslage – Praxiserfahrungen - Reformdiskussion, in: Zwangsverheiratung in Deutschland (Fn. 3), 215.
Vgl. Schubert/Moebius, Zwangsheirat, ZRP 2006, 33 ff., 34.
Vgl. Straßburger, Zwangsheirat und arrangierte Ehe – zur Schwierigkeit der Abgrenzung, in: Zwangsverheiratung in Deutschland (Fn. 3), 72 ff.
Siehe Mirbach/Schaak/Triebl, Zwangsverheiratung in Deutschland - Anzahl und Analyse von Beratungsfällen, 30 f.
Siehe Mirbach/Schaak/Triebl, Zwangsverheiratung in Deutschland - Anzahl und Analyse von Beratungsfällen, 53.
Art. 16 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und Art. 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK); Art. 6 Ab 1 GG schützt auch die Freiheit zur Eheschließung mit der Person seiner Wahl, siehe BVerfGE 105, 313, 342; 76, 1 (42); 31, 58 (67).
Ausführlich dazu Schöpp-Schilling, Zwangsverheiratung als Menschenrechtsverletzung: Die Bedeutung der internationalen Rechtsinstrumente, in: Zwangsverheiratung in Deutschland (Fn. 3), 201 ff.
Durch das Zwangsheiratsbekämpfungsgesetz, BGBl. I, 1266.
Dazu Schubert/Möbius, Zwangsheirat, ZRP 2006, 33, 35.
Siehe Sering, Das neue „Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetz„, NJW 2011, 2161 und Letzgus, in: Festschrift für Puppe, 2011, 1231 ff.
Vgl. dazu Sering, NJW 2011, 2161, 2162 f.
Vgl. Kirchhart, Mädchen in Konfliktsituationen. Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund – ein interkultureller Ratgeber für Fachkräfte der sozialen Arbeit, hrsg. vom Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen Rheinland-Pfalz, 3. Aufl. 2011, 34 ff., Alfes/Balikci/Nöthen/Zwania-Rößler, Zwangsverheiratung. Arbeitshilfe für die professionelle Beratung von Betroffenen, 2010, 36 ff.
Z. B. bei örtlichen Frauen- und Mädchenhäusern, Jugendämtern oder Migrationsberatungsstellen; im Internet z.B. unter www.sibel-papatya.org; www.zwangsheirat.de (terre des femmes); www.solwodi.de; www.zwangsheirat-nrw.de, www.rigg-rlp.de, www.mjv.rlp.de/Ministerium/Opferschutz/Zwangsverheiratung. Siehe auch Aktiv gegen Zwangsheirat. Empfehlungen, hrsg. von der Freien und Hansestadt Hamburg, 2009, mit einem Ausblick auf europäische und internationale Aktivitäten (www.hamburg.de/opferschutz); sowie den „Entwurf eines bundesweiten und länderübergreifenden Konzepts zur Krisenintervention bei Zwangsverheiratung„, erarbeitet unter der Federführung der Jugend- und Familienministerkonferenz, Stand März 2012 (www.jfmk.de/pub2012/TOP_5.3_Zwangsverheiratung.pdf, abgerufen 1.8.2012).
Siehe Sering, Das neue „Zwangsheirats-Bekämpfungsgesetz„, NJW 2011, 2161, 2163.
Dazu Alfes/Balikci/Nöthen/Zwania-Rößler, Zwangsverheiratung. Arbeitshilfe für die professionelle Beratung von Betroffenen, 2010, 30 f.
Siehe Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Zwangsverheiratung bekämpfen – Betroffene wirksam schützen. Eine Handreichung für die Kinder- und Jugendhilfe, 2. Auflage 2009, 17 (www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationen,did=119908.html, abgerufen 1.2.2012)
Vgl. im Einzelnen den rheinland-pfälzischen „Leitfaden zu den aufenthaltsrechtlichen Auswirkungen für von Zwangsverheiratung betroffene oder bedrohte Ausländerinnen und Ausländer„, Stand 1.9.2011, www.mjv.rlp.de/Ministerium/Opferschutz/Zwangsverheiratung (abgerufen 1.2.2012).
Siehe Sering, NJW 2011, 2161, 2164.
Vgl. im Einzelnen den rheinland-pfälzischen „Leitfaden zu den aufenthaltsrechtlichen Auswirkungen für von Zwangsverheiratung betroffene oder bedrohte Ausländerinnen und Ausländer„ (Nn.28); Alfes/Balikci/Nöthen/Zwania-Rößler, Zwangsverheiratung, 25 f.
Siehe oben Fn. 27.
Siehe oben Fn. 24.
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