An der Schwelle zu einem neuen Linksterrorismus?
Es ist die Nacht auf den 8. März 2012, als maskierte Männer ein Gebäude des Energieunternehmens Vattenfall in Berlin attackieren. Die vermummten Täter werfen Scheiben ein und beschmieren Fassaden mit schwarzer Farbe. Als ein Wachmann einen der Täter ergreifen will, übergießt ihn sein Komplize mit Buttersäure. Mit Verätzungen der Haut und der Schleimhäute wird der Wachmann in ein Krankenhaus eingeliefert.
Dr. Udo Baron
Hannover
10. Oktober 2011: Mitglieder eines „Hekla-Empfangskomitee – Initiative für mehr gesellschaftliche Eruptionen“ deponieren entlang den Bahntrassen der Deutschen Bahn rund um Berlin die ersten von 18 Brandsätzen, von denen zwei am frühen Morgen zünden und den Bahnverkehr lahmlegen. Bereits in der Nacht auf den 23. Mai 2011 hatte eine Gruppierung namens „Das Grollen des Eyjafjallajökull“ Feuer an einer Kabelbrücke des Berliner S-Bahn-Knotenpunkts Ostkreuz gelegt und damit den Schienennahverkehr der Hauptstadt nahezu zum Erliegen gebracht. Zu allen Anschlägen liegen Bekennerschreiben vor, die vom Duktus und Inhalt her auf einen linksextremistischen Hintergrund schließen lassen.
Diese Anschläge sind keine Einzelfälle. Schon seit geraumer Zeit gehören vor allem öffentliche Einrichtungen, Wirtschaftsunternehmen und Firmenwagen sowie sogenannte „Nobelkarossen“ zu den bevorzugten Anschlagszielen von Linksextremisten. Dass sie mit ihren Taten Menschen gefährden, scheinen die Täter zumindest billigend in Kauf zu nehmen, wie beispielsweise die gezielten Angriffe auf Berliner Polizeiwachen vom Neujahrstag und vom April 2011 gezeigt haben. Mancher fragt sich seitdem nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand, ob die Bundesrepublik möglicherweise an der Schwelle zu einem neuen Linksterrorismus steht. Doch was kennzeichnet den Terrorismus? Was für einen Gewaltbegriff haben Linksextremisten? Könnten die Anschläge der jüngsten Zeit den Auftakt für einen neuen Linksterrorismus darstellen?
Was ist Terrorismus?
Für den Begriff des Terrorismus, abgeleitet von lateinischen terror für „Furcht“, „Schrecken“, gibt es keine allgemein anerkannte Definition. Zwar heißt es in der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Jahre 2004 zu diesem Thema verabschiedeten Resolution 1956, dass Straftaten, die „mit der Absicht begangen werden, den Tod oder schwere Körperverletzungen zu verursachen, oder Geiselnahmen, die mit dem Ziel begangen werden, die ganze Bevölkerung, eine Gruppe von Personen oder einzelne Personen in Angst und Schrecken zu versetzen, eine Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen […], unter keinen Umständen gerechtfertigt werden können, indem politische, philosophische, weltanschauliche, rassische, ethnische, religiöse oder sonstige Erwägungen ähnlicher Art angeführt werden.“ Die Resolution erlangte aber bislang keine umfassende Anerkennung, weil es den einzelnen Nationen und deren weltanschaulichen Standorten vorbehalten bleibt, eine gewaltsame Handlung als Terrorismus, als Freiheitskampf bzw. Guerilla- oder Partisanenkampf zu bewerten.
Die Europäische Union definiert Terrorismus als „Handlungen, die mit dem Ziel begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegendste Weise einzuschüchtern oder öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu zerstören.“
Auch das bundesrepublikanische Strafgesetzbuch gibt keine schlüssige Antwort. In § 129a Abs. 2 StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) werden Versuche, die „Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern“, eine „Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen“ oder Unternehmungen, die „politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen“ als Grundvoraussetzungen für einen Terrorismus aufgeführt. Versucht man diese unterschiedlichen Interpretationen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen, so könnte Terrorismus allgemein als Gewalt und Gewaltaktionen gegen eine politische Ordnung mit dem Ziel, einen politischen Wandel herbei zu führen, verstanden werden.
Der linksextremistische Gewaltbegriff
Um beurteilen zu können, ob sich die Bundesrepublik an der Schwelle zu einem erneuten Linksterrorismus befindet, ist es unumgänglich, sich zunächst einmal den linksextremistischen Gewaltbegriff zu vergegenwärtigen.
Linksextremisten sehen in Anlehnung an den Philosophen und Sozialwissenschaftler Herbert Marcuse und den norwegischen Friedensforscher Johann Galtung die Ursache für Gewalt in den „kapitalistischen Produktionsverhältnissen.“ Diese üben weniger eine physische als vielmehr eine auf gesellschaftlichen Strukturen wie Werte, Normen, Institutionen und Machtverhältnissen basierende „strukturelle Gewalt“ auf ihre Bürger aus. Diese ist nach Meinung Galtungs systemimmanent, drückt sich durch Ungleichheit unterschwellig aus und hindert den Einzelnen daran, sich seinen Anlagen, Wünschen und Möglichkeiten entsprechend frei zu entfalten. Da diese „Diktatur der Gewalt“ den kapitalistischen Systemen inhärent ist, leiten Linksextremisten daraus unter Berufung auf Marcuse ein Naturrecht von „unterdrückten“ Minderheiten auf Widerstand ab. Marcuse prägte dafür das Prinzip „Gegengewalt“. Es versteht sich ausschließlich als Reaktion auf die vermeintliche „Gewalt des Systems“ und somit als ein reaktives und dadurch legitimes Mittel, um die herrschende Gewalt aufzubrechen und Veränderungen herbeizuführen.
Spätestens seit den Studentenrevolten Ende der 1960er Jahre wird aus diesem Grunde in der linksextremistischen Szene über das Für und Wider von Gewalt zur Erlangung der eigenen Ziele diskutiert. Während der parlamentsorientierte Linksextremismus sich nach außen allein aus taktischen Gründen betont gewaltfrei gibt, hält der in erster Linie von Linksautonomen getragene aktionsorientierte Linksextremismus Gewalt für ein notwendiges und legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Zwar wird gezielte Gewalt gegen Menschen bislang mehrheitlich abgelehnt, ausgenommen davon sind aber ausdrücklich Polizisten und vor allem diejenigen, die man für „Nazis“ hält. Sie gelten als die personifizierten Feindbilder eines jeden Linksautonomen, ihnen werden Menschenwürde und Grundrechte pauschal abgesprochen, sie gelten quasi als „Freiwild“. Gewalt gegen sie gilt als legitim und vermittelbar. Diese als „Militanzdebatte“ bezeichnete szeneinterne Diskussion verdeutlicht, wie schmal
letztlich der Grad zum Linksterrorismus war und ist.
Ein neuer Linksterrorismus?
Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verbinden wir mit Terrorismus in erster Linie einen islamistisch geprägten Terror. Die Massenmorde von Oslo und Utoya, insbesondere aber die Existenz einer rechtsextremistischen Terrorgruppe namens „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), die die Bundesrepublik mit einer unfassbaren Mordserie überzogen hat, haben gezeigt, dass es noch jenseits des Islamismus Formen des Terrorismus gibt.
Die Gefahr eines erneuten Linksterrorismus scheint dagegen seit der Auflösung der Revolutionären Zellen 1995 und der Gewaltverzichtserklärung der Roten Armee Fraktion (RAF) 1998 aus dem öffentlichen und veröffentlichten Bewusstsein weitgehend verschwunden zu sein. Daran haben auch die Verbrechen der mittlerweile zerschlagenen Antiimperialistischen Zellen (AZ) und der inaktiven militanten gruppe (mg) nichts geändert. Erst seit den jüngsten Anschlägen auf die Infrastruktur der Deutschen Bahn wird die Möglichkeit eines neuen Linksterrorismus, auch öffentlich, zumindest ansatzweise, wieder thematisiert.
Im Fokus stehen dabei in erster Linie die Linksautonomen. Mit ihrem äußeren Erscheinungsbild und Ihrer offen zur Schau getragenen Gewaltbereitschaft, beispielsweise als sogenannter Schwarzer Block auf Demonstrationen, signalisieren sie den Willen, gesellschaftliche Konflikte gewaltsam zu lösen. Konspirativ hergestellte Szenemagazine wie radikal oder interim und einschlägige Websites liefern zudem konkrete Anleitungen zur praktischen Umsetzung von Gewalttaten. Eine im Frühjahr 2010 in Berlin erschienene Broschüre namens „Prisma“ enthält u. a. Beiträge über den Bau von Brandsätzen zur Zerstörung von Fahrzeugen, zur Herstellung von Molotowcocktails oder zur Blockade und Sabotage von Bahnstrecken und Straßen.
Dass zumindest Teile der linksautonomen Szene auch durchaus bereit sind, der Theorie die Praxis folgen zu lassen, unterstreicht ein im Juni 2010 in Köln durchgeführter „Kongress für autonome Politik“. Unter der Überschrift „Militanz – wir stehen dazu“ forderten die Teilnehmer eine „selbstbewusste Normalisierung und verbreiterte Ausübung emanzipativer Militanz“, wie die taz vom 13. Oktober 2011 zu berichten weiß.
An Vorbildern für einen neuen Linksterrorismus mangelt es der linksautonomen Szene nicht. Im Vordergrund steht dabei nicht primär die RAF. Ihre straffen, hierarchischen Kommandostrukturen und ihr dogmatisches, marxistisch-leninistisch geprägtes Weltbild sind mit der linksautonomen Hierarchie-, Ideologie- und Organisationsfeindlichkeit nur schwer vereinbar. Anders dagegen verhält es sich mit der Bewegung 2. Juni und vor allem mit den Revolutionären Zellen (RZ). Im Gegensatz zur RAF waren die RZ nie straff organisiert, vielmehr organisierten sie sich in kleinen Zellen ohne zentrale Führung. Sie begriffen sich als Teil der linksautonomen Bewegung und praktizierten das sog. Feierabendkonzept, d. h. sie lebten tagsüber ein ganz normales Leben und verübten in der Nacht Anschläge. Aufgrund ihrer Strukturen und Weltbilder kamen sie damit dem linksautonomen Selbstverständnis sehr nahe. Nicht von Ungefähr näherten sich bereits Mitte der 1980er Jahre gewaltbereite Linksautonome und die Terroristen von RZ bzw. ihrem radikalfeministischen Flügel, der Roten Zora, an. Die RZ versuchten, die Linksautonomen durch eine „Propaganda der Tat“, d. h. mittels militanter Interventionen zu radikalisieren und lieferten ihnen konkrete Handlungsanleitungen für ihre Taten. So wurden sie „so was wie ein Lehrer der militanten Autonomen in Sachen Technik des militanten Angriffs“ wie es in dem linksautonomen Selbstzeugnis „Autonome in Bewegung“ heißt und somit wegweisend für die gewaltbereite autonome Szene.
Dieser Annäherung ging bereits „ein enges, wenn auch nicht widerspruchfreies Verhältnis zwischen den linksradikalen Gruppierungen im Umfeld der Spontiszene in den 70er Jahren und den Stadtguerillagruppen ‚RAF‘, ‚Bewegung 2. Juni‘ und ‚Revolutionäre Zellen/Rote Zora‘“ voraus, wie es das linksautonome Standardwerk „Feuer und Flamme“ festhält. Zahlreiche Veranstaltungen mit ehemaligen Terroristen, insbesonde-
re im Berliner Raum, unterstreichen zudem deren bis heute anhaltende Popularität im linksextremistischen Milieu.
In jüngster Zeit sind es vor allem die „Revolutionären Aktionszellen“ (RAZ), die zur organisierten und strukturierten Gewaltanwendung willens und in der Lage zu sein scheinen. Sie sind eine militante kommunistische Gruppe in der ideologischen Nachfolge der 2009 aufgelösten mg und verstehen sich als militanter Teil der revolutionären Linken, die den Kampf „Klasse gegen Klasse“ in einer sozialrevolutionären und antiimperialistischen Linie fortführt. Die RAZ organisiert sich über vier sogenannte „Zellen“. Während die Zellen „Mara Cagol“, „Gudrun Ensslin“ und „Juliane Plambeck“ – alle benannt nach (internationalen) Linksterroristen – in Berlin wirken, ist das Aktionsfeld der Zelle „Georg von Rauch“ unbekannt. Um den revolutionären Kampf voran zu treiben, fordern die Zellen zur Bildung landes- und bundesweiter Zellen auf.
Ganz im Sinne des linksextremistischen Gewaltbegriffs spricht die RAZ dem Staat das Gewaltmonopol ab und fordert zum gewaltsamen Sturz der bestehenden Ordnung auf. So erklärte die Gruppe in der radikal Nr. 164/2011: „Der einzige Weg, uns zu nehmen was uns gehört, führt über die Erkenntnis, dem Staatsapparat das Gewaltmonopol abzusprechen und konsequent auf den Aufbau einer Gegenmacht hinzuarbeiten. Dazu sind unsere Interventionsmittel (…) legitime Werkzeuge im Sinne der revolutionären Aktion und Gewalt.“
Seit 2009 haben die RAZ fünf Brandanschläge auf öffentliche Einrichtungen in Berlin verübt, u. a. auf die ARGE in Berlin-Wedding und das zentrale Landgericht in Berlin-Brandenburg. Im März 2011 verschickten sie zudem scharfe Patronen an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, u. a. an Bundesinnenminister Friedrich mit dem Hinweis, die nächste Patrone komme „per Express“. Zu allen Taten liegen Bekennerschreiben vor.
Dieser Entwicklung zum Trotz reagiert die öffentliche und veröffentlichte Meinung weiterhin beim Thema Linksterrorismus zurückhaltend; erst recht, seitdem das Vorhandensein eines Rechtsterrorismus in Deutschland bekannt wurde. In den Diskussionen nach den Berliner Anschlägen wurde häufig als ein Kriterium für das Nichtvorhandensein eines neues Linksterrorismus angeführt, dass es für Gewalttaten auch gegenüber Menschen an einem Sympathisanten- und Unterstützerumfeld fehlen würde. Auch wenn die jüngsten linksextremistischen Anschläge szeneintern durchaus kritisch gesehen werden, so stößt zumindest das Anliegen, wenn auch nicht unbedingt die angewandten Mittel, durchaus auf Sympathien im linksextremistischen Milieu. Bis in die Reihen der Linkspartei kam es beispielsweise zu Solidarisierungen mit den Zielen des „Hekla-Empfangskomitee“. So distanzierte sich die innenpolitische Sprecherin der Partei DIE LINKE., Ulla Jelpke in ihrem in der Jungen Welt vom 13. Oktober abgedruckten „Bekennerschreiben“ zwar von deren angewandten Methoden, sie betonte aber zugleich: „Die im Bekennerschreiben genannten Ziele der Gruppe sind durchaus richtig.“ Allein solche Sympathienbekundungen könnten die Täter als
Ansporn für weitere Taten auffassen. Schließlich verstehen sie sich als eine Art Avantgarde, die die „Massen“ aus der „Knechtschaft des Kapitals“ befreien will. Vermutlich agieren sie auch innerhalb der autonomen Szene stark im Verborgenen – was die Gefahr einer weiteren ideologischen Abkapselung und Radikalisierung eher noch verstärkt. Warum sollten sie deshalb nicht auch ohne Unterstützerfeld weiterhin zuschlagen? Möglicherweise fühlen sie sich von ihrem avantgardischen und aktionistischen Verständnis her sogar veranlasst, nun erst recht weiter zu machen, um auch der eigenen Klientel zu zeigen, dass die gemeinsamen Ziele nur durch die revolutionäre und somit gewaltsame Tat erreicht werden können.
Ausblick
Ob und inwieweit frühere Linksterroristen und die über szenetypische Publikationen und das Internet zugänglichen Anleitungen Einfluss auf die linksextremistischen Anschläge der jüngsten Zeit genommen haben, lässt sich zwar nicht empirisch nachweisen. Es ist aber nicht zu übersehen, dass die Gewaltbereitschaft, die Professionalität der Vorgehensweise und der Konspirationsgrad in den für die jüngsten Anschläge verantwortlichen Tätergruppen deutlich zugenommen haben. Dennoch ist im gegenwärtigen Stadium linksextremistischer Gewalt noch keine grundsätzliche Bereitschaft der Täter zur gezielten Tötung von Menschen erkennbar. Auch mit dem deutschen Linksterrorismus der 1970er bis 1990er Jahre vergleichbare planvoll und professionell organisierte Gewaltstrukturen und Personenzusammenschlüsse zur Durchführung terroristischer Taten scheint es gegenwärtig in der Bundesrepublik nicht zu geben. Allerdings ist in den letzten Jahren die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung gegenüber Menschen erkennbar gesunken. Vor allem bei den zahlreichen Übergriffen auf Polizeibeamte und auf alle, die von Linksextremisten als „Nazis“ verdächtigt werden, kalkulieren die Täter zumindest auch schwere Verletzungen mit ein.
Die jüngsten Brandanschläge auf den Vattenfall-Konzern und die Deutsche Bahn, aber auch die von Linksautonomen mit äußerster Brutalität geführten Auseinandersetzungen um den 13. Castortransport ins atomare Zwischenlager nach Gorleben vom November 2011 verdeutlichen, dass Teile der linksautonomen Szene bereit sind, Sabotageakte unter Gefährdung von Menschenleben gegen wichtige Wirtschafts-
einrichtungen und Infrastrukturziele durchzuführen. Auch ohne erkennbar verfestigte linksterroristische Strukturen ist es nicht ganz abwegig, von einer „Vorstufe“ zum Linksterrorismus zu sprechen. Wie schnell und zugleich klandestin ein solcher Radikalisierungsprozess von statten gehen kann, verdeutlicht nicht zuletzt der Fall der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU.
Ein Blick ins benachbarte Ausland zeigt, dass der Linksterrorismus nicht nur Fiktion, sondern bereits noch immer bzw. schon wieder bittere Realität ist. Vor allem die italienische anarchistische Gruppierung „Federazione Anarchica Informale“ (FAI) erlangte in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren unrühmliche Bekanntheit. Seit Ende 2003 versandte diese nach Aussage des Spiegel vom 8. Dezember 2011 eher lose organisierte, ohne feste Führungspersonen oder starre Ideologie agierende Organisation vor allem jeweils im März und im Dezember eines Jahres Paketbomben an verschiedene Institutionen und Repräsentanten Italiens und der Europäischen Union sowie an diverse Botschaften. Betroffen waren u. a. der ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi und der damalige Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Hans-Georg Pöttering. Im Dezember 2011 erhielt u. a. der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank AG, Josef Ackermann, eine Briefbombe, die noch rechtzeitig in der Poststelle der Bank in Frankfurt am Main abgefangen werden konnte. So glimpflich wie im Fall Ackermann gingen die Anschläge aber nicht immer aus. So erlitten im Dezember 2010 mehrere Personen zum Teil erhebliche Verletzungen, als in den Botschaften der Schweiz, Chiles und Griechenlands drei Sprengsätze explodierten. Bei allen Anschlägen, für die die FAI mittels Bekennerschreiben die Verantwortung übernahm, wird eines deutlich: im Gegensatz zu bundesrepublikanischen Linksautonomen nimmt sie bei ihren Taten die Gefährdung von Menschen nicht nur billigend in Kauf, sondern legt es gezielt darauf an.
Die Bundesrepublik versteht sich als eine wehrhafte Demokratie. Auch wenn gegenwärtig alle Blicke auf die Verbrechen der Rechtsterroristen gerichtet sind, bedeutet das nicht, dass vom Linksextremismus gegenwärtig und künftig keine Gefahr mehr ausginge.Gerade in einer momentan sicherheitspolitisch höchst sensiblen Situation bedarf es erst recht des Blickes auch nach „links“, um zu verhindern, dass Entwicklungen erst wahrgenommen werden, wenn das Kind bereits in den berühmten Brunnen gefallen ist. Vor allem die globale Finanz- und Schuldenkrise könnte noch einer weiteren Radikalisierung der linksextremistischen Szene national wie international Vorschub leisten, insbesondere, wenn sie sich weiter zuspitzen sollte. Die Briefbombenanschlagsserie der FAI vom Dezember 2011 sprechen für diese Annahme und zeigen auf, wie fließend die Grenzen zum Terrorismus auch im Linksextremismus sein können.
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