Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union nach dem Vertrag von Lissabon
Prof. Dr. Hans Georg Fischer
em. Professor
Fachhochschule für öffentliche
Verwaltung Nordrhein-Westfalen
I. Einleitung
Der Vertrag von Lissabon wurde am 13. Dezember 2007 von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten unterzeichnet und ist nach Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten am 1. Dezember 2008 in Kraft getreten. Er umfasst zwei gleichrangige, einander ergänzende Vertragswerke: den Vertrag über die Europäische Union (EUV) mit grundlegenden Vorschriften über Ziele, Grundsätze usw. der Europäischen Union (EU) und den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) mit Bestimmungen über ihre Tätigkeit im Einzelnen. Mit dem Vertrag von Lissabon wurden Änderungen an den bisherigen EU-Verträgen vorgenommen ( deshalb auch die Bezeichnung „Reformvertrag„ ), um das Handeln der EU effizienter und transparenter zu machen und ihrer Tätigkeit eine höhere demokratische Legitimation zu geben. Eine grundlegende Änderung besteht darin, dass die EU die Rechtsnachfolge der Europäischen Gemeinschaft (EG) angetreten hat, somit es – abgesehen von der separat fortbestehenden Europäischen Atomgemeinschaft – nur noch einen einzigen Akteur auf europäischer Ebene gibt, die EU, weshalb auch ihre sog. „Drei-Säulen-Struktur„ entfallen ist. Da die EU die EG fortführt, entspricht der AEUV inhaltlich weitgehend dem bisherigen EG-Vertrag. Eine weitere nachhaltige Änderung durch den Vertrag von Lissabon betrifft die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) als der bisherigen „3. Säule„ der EU. Deren im ursprünglichen EU-Vertrag enthaltene Bestimmungen wurden in den AEUV übernommen, was in der Wirkung dem gleichkommt, als wäre die PJZS in die Zuständigkeit der EG überführt, d.h. im Sinne der bisherigen Terminologie „vergemeinschaftet„ worden. Dabei liegt der Schwerpunkt der vorgenommenen Änderung weniger in den Zielen und materiellen Inhalten der PJZS als in den sie betreffenden Handlungsformen und Entscheidungsmechanismen sowie ihrer erweiterten gerichtlichen Kontrolle durch den Gerichtshof der EU. Um den Unterschied zwischen „alter„ und „neuer„ Regelung zu verdeutlichen, sollen zunächst in Kurzform die wesentlichen Charakteristika der bisherigen PJZS erläutert werden.
II. Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen als bisherige „3. Säule" der Europäischen Union
Eine Zusammenarbeit der Polizei sowie eine justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen wurde erstmals durch den Vertrag von Maastricht begründet, der auch zur Gründung der EU geführt hat (Unterzeichnung des Vertrages 1992, In-Kraft-treten 1993). Der Vertrag von Maastricht behandelte diese Zusammenarbeit allerdings nicht als eigenständigen Politikbereich mit separaten vertraglichen Regeln, sondern als unselbständigen Teil einer breiter angelegten Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres. Eine Änderung erfolgte durch den Vertrag von Amsterdam (1997/1999), indem Teile der Zusammenarbeit Justiz/Inneres, nämlich Visa, Asyl, Einwanderung und anderen Politiken betreffend den freien Personenverkehr, in die Zuständigkeit der EG als 1. Säule der EU überführt wurden, während die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Zuständigkeit der EU als ihrer 3. Säule verblieb, dabei jedoch in einem eigenen Kapitel des EU-Vertrages in den Artikeln 29 bis 42 neu geregelt wurde. Für die auf die EG und die EU aufgeteilten Bereiche der ursprünglichen Zusammenarbeit in Justiz und Innerem wurde als neue übergreifende Bezeichung der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts eingeführt und dessen Erhalt und Weiterentwicklung nach Art. 2 EUV zum Ziel der Union erhoben. Bis zum Vertrag von Lissabon erfolgte demnach die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zweigleisig auf der Grundlage voneinander abweichender vertraglicher Regelungen. Für die PJZS als 3. Säule der EU in der zuletzt maßgebenden Form ist charakteristisch, dass sie intergouvernemental betrieben wurde, d.h. ihr lag eine Zusammenarbeit zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten der EU zugrunde. Die Eigenart dieser Zusammenarbeit ist ablesbar an der dominierenden Rolle des Rates als des Organs, in dem die Regierungen der Mitgliedstaaten durch Minister vertreten sind, am Prinzip der Einstimmigkeit bei der Beschlussfassung des Rates, an der schwachen Stellung des Europäischen Parlamentes bei der PJZS, an der intergouvernementalen Zusammenarbeit dienlichen spezifischen Handlungsformen sowie an der eingeschränkten richterlichen Kontrolle der PJZS durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften. Auch wenn im Vergleich zum Vertrag von Maastricht der Vertrag von Amsterdam die PJZS näher an Tätigkeitsformen und - mechanismen der EG gerückt hat, so hat sie jedoch bei weitem nicht die Intensität des Handelns in der EG erreicht, dementsprechend es sich bei der PJZS um eine Zusammenarbeit im Wesentlichen auf völkerrechtlicher Grundlage handelte. Die PJZS hatte nach Art. 29 EUV zum Ziel, den Bürgern in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten, indem sie ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen entwickelte sowie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verhütete und bekämpfte. Erreicht werden sollte dieses Ziel durch die Verhütung und Bekämpfung der organisierten wie nichtorganisierten Kriminalität, insbesondere des Terrorismus, des Menschenhandels und der Straftaten gegenüber Kindern, des illegalen Drogen- und Waffenhandels, der Bestechung und Bestechlichkeit sowie des Betruges im Wege einer
- engeren Zusammenarbeit der Polizei-, Zoll- und anderer zuständiger Behörden der Mitgliedstaaten, sowohl unmittelbar als auch unter Einschaltung des Europäischen Polizeiamtes (Europol);
- engeren Zusammenarbeit der Justiz- und anderer zuständiger Behörden der Mitgliedstaaten, auch unter Einschaltung der Europäischen Stelle für justizielle Zusammenarbeit
(Eurojust); - Annäherung der Strafvorschriften der Mitgliedstaaten.
Gemäß Art. 30 EUV schloss das gemeinsame Vorgehen im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit ein die operative Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten bei der Verhütung, Aufdeckung und Ermittlung von Straftaten, das Einholen, Speichern, Verarbeiten, Analysieren und Austauschen sachdienlicher Informationen, u. a. eine Zusammenarbeit in den Bereichen Aus- und Weiterbildung sowie die gemeinsame Bewertung einzelner Ermittlungstechniken zur Aufdeckung schwerwiegender Formen der organisierten Kriminalität. Gefördert werden sollte ferner die Zusammenarbeit zwischen Europol und den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten. Im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit sollte nach Art. 31 EUV die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ministerien und Justizbehörden der Mitgliedstaaten bei Gerichtsverfahren und der Vollstreckung von Entscheidungen erleichtert und beschleunigt werden, ggfs. unter Einschaltung von Eurojust, die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten erleichtert und Kompetenzkonflikte zwischen Mitgliedstaaten vermieden sowie schrittweise Maßnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften über Straftatbestände und Strafen in den Bereichen organisierte Kriminalität, Terrorismus und illegaler Drogenhandel angenommen werden. Nach Art. 32 EUV konnte der Rat festlegen, unter welchen Bedingungen und innerhalb welcher Grenzen die Polizei- und Justizbehörden eines Mitgliedstaates grenzüberschreitend im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates tätig werden durften. Nach Art. 33 EUV ließ die PJZS die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit unberührt. Das gemeinsame Vorgehen der Mitgliedstaaten im Bereich der PJZS wurde nach Art. 34 EUV mit Hilfe zweier Instrumente bewerkstelligt: der Koordinierung des Vorgehens der Mitgliedstaaten im Rat sowie dem Erlass geeigneter Maßnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit durch den Rat. Die Koordinierung erfolgte durch den zu diesem Zweck gebildeten, mit hohen Beamten der Mitgliedstaaten besetzten Koordinierungsausschuss. An Maßnahmen standen dem Rat folgende Handlungsformen zur Verfügung:
- Annahme Gemeinsamer Standpunkte zur Festlegung des Vorgehens der EU in einer bestimmten Frage (hauptsächlich bestimmt für das Auftreten der Mitgliedstaaten in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen);
- Annahme von Rahmenbeschlüssen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten (Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten erforderlich; Ausschluss jeder unmittelbaren Wirkung);
- Annahme von Beschlüssen für jeden anderen Zweck als der Angleichung von Rechtsvorschriften (verbindlich für EU und Mitgliedstaaten, keine unmittelbare Wirkung);
- Erstellung von Übereinkommen zur Annahme durch die Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Bestimmungen.
Die vorbezeichneten Maßnahmen konnte der Rat nur einstimmig beschließen. Zur Annahme einer Maßnahme bedurfte es einer Initiative (eines Vorschlags) der Kommission oder (abweichend von dem alleinigen Vorschlagsrecht der Kommission bei Rechtsakten der EG) eines Mitgliedstaates. Die Beteiligung des Europäischen Parlaments bei der Annahme bzw. Erstellung von Rahmenbeschlüssen, Beschlüssen und Übereinkommen war nach Art. 39 EUV auf eine Anhörung beschränkt. Maßnahmen der PJZS unterlagen nach Art. 35 EUV der richterlichen Kontrolle durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), welche Kontrolle jedoch im Vergleich zu den im EG-Vertrag vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten erheblich beschränkt war. Der Gerichtshof entschied im Wege der Vorabentscheidung, d.h. auf Vorlage eines nationalen Gerichts im Rahmen eines bei diesem anhängigen Rechtsstreits, über die Gültigkeit und Auslegung von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen, über die Auslegung von Übereinkommen sowie über die Gültigkeit und Auslegung von Durchführungsmaßnahmen bei Übereinkommen. Die Zuständigkeit des Gerichtshofs für Vorabentscheidungen war nicht zwingend, sondern musste von jedem Mitgliedstaat anerkannt werden, der im Falle einer Anerkennung bestimmen musste, ob jedes seiner Gerichte oder nur die Gerichte vorlageberechtigt waren, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angreifbar waren (die Bundesrepublik Deutschland entschied sich dafür, dass alle ihre Gerichte vorlageberechtigt waren). Ferner war der Gerichtshof zuständig zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen bei Klagen eines Mitgliedstaates oder der Kommission, für Entscheidungen über alle Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten über die Auslegung oder die Anwendung jedes im Rahmen der PJZS angenommenen Rechtsaktes sowie für Entscheidungen über alle Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten und der Kommission im Hinblick auf die Auslegung oder Anwendung von Übereinkommen. Nicht zuständig war der Gerichtshof für die Überprüfung der Gültigkeit oder Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Polizei oder anderer Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaates oder (in Übereinstimmung mit Art. 33 EUV) der Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz der inneren Sicherheit.
III. Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen nach dem Vertrag von Lissabon
Der Vertrag von Lissabon behandelt die polizeiliche und die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen im AEUV innerhalb des Titels V, der die spezifisch für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bestimmten Vorschriften enthält. Dieser Titel umfasst die Artikel 67 bis 89 und regelt, aufgeteilt in mehrere Kapitel, alle in diesen Politikbereich fallenden Aspekte. Kapitel 1 enthält in den Artikeln 67 bis 76 allgemeine Bestimmungen, die für alle Teile des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gelten, Kapitel 4 (Artikel 82 bis 86) die Bestimmungen zur justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, Kapitel 5 (Artikel 83 bis 89) die zur polizeilichen Zusammenarbeit. Neben den spezifischen Vorschriften in Titel V sind die vertraglichen Bestimmungen zu beachten, die übergreifend für alle Politikbereiche der Union gelten wie z.B. diejenigen über die Rechtsakte der EU und die Verfahren zu ihrer Annahme.
1. Allgemeine Bestimmungen
Nach Art. 67 Abs. 1 AEUV (Artikel ohne Zusatz im Folgenden sind solche des AEUV) bildet die Union einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem die Grundrechte und die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten geachtet werden. Innerhalb dieses Raums wirkt die Union nach Art. 67 Abs. 3 darauf hin, durch Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität sowie von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, zur Koordinierung und Zusammenarbeit von Polizeibehörden und Organen der Strafrechtspflege und den anderen zuständigen Behörden sowie durch gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen und erforderlichenfalls durch die Angleichung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Nach
Art. 68 legt der Europäische Rat die strategischen Leitlinien für die gesetzgeberische und operative Programmplanung im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts fest; der Europäische Rat ist das Organ, das sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten zusammensetzt und ist daher nicht mit dem Rat als dem mit Ministern besetzten Organ zu verwechseln. Im Rat wird gemäß Art. 71 ein ständiger Ausschuss eingesetzt, um sicherzustellen, dass innerhalb der Union die operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit gefördert und verstärkt wird. Der Ausschuss fördert die Koordinierung der Maßnahmen der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten; Vertreter dieser Behörden sowie von Stellen der EU können an den Arbeiten des Ausschusses beteiligt werden. Über diese Arbeiten werden das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente auf dem Laufenden gehalten. Wie bisher berührt der Titel betreffend den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nicht die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit (Art. 72). Ferner steht es den Mitgliedstaaten nach Art. 73 frei, untereinander und in eigener Verantwortung Formen der Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen den zuständigen Dienststellen ihrer für den Schutz der nationalen Sicherheit verantwortlichen Verwaltungen einzurichten, die sie für geeignet halten. Ein Beispiel für die hier angesprochene Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten außerhalb der Union ist der Vertrag von Prüm über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration, vom 27. Mai 2005 mit den Benelux-Staaten, Deutschland, Frankreich, Österreich und Spanien als Vertragsstaaten.
2. Gesetzgebung im Bereich der PJZS
a) Rechtsakte (Handlungsformen)
Für die Ausübung ihrer Zuständigkeiten, damit auch im Bereich der PJZS, stehen der Union nach Art. 288 an Rechtsakten folgende Formen zur Verfügung:
- Verordnungen
- Richtlinien
- Beschlüsse
- Empfehlungen und Stellungnahmen.
Die genannten Rechtsakte sind inhaltlich unverändert aus dem EG-Vertrag übernommen worden; lediglich die Bezeichnung „Beschluss„ ist an die Stelle von „Entscheidung„ getreten. Verordnungen und Richtlinien sind normative Rechtsakte, die bestimmte Sachverhalte in abstrakt-genereller Weise regeln. Während die Verordnung als Regelung mit allgemeiner Geltung unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt, ist die Richtlinie ein an die Mitgliedstaaten gerichteter Rechtsakt, der zu seiner innerstaatlichen Wirksamkeit grundsätzlich der Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten bedarf. Der Beschluss regelt einen Einzelfall und ist nur für den oder die Adressaten verbindlich, an den/die er gerichtet ist. Materiell entspricht der Beschluss der Entscheidung im EG-Vertrag, ist also nicht identisch mit dem „Beschluss„ als bisheriger Handlungsform der PJZS. Empfehlungen und Stellungnahmen sind rechtlich unverbindlich, können aber rechtlich bedeutsam sein (z. B. eine Stellungnahme als zwingend vorzunehmende Verfahrenshandlung), weshalb sie zu den Rechtsakten zählen. Erlaubt eine vertragliche Bestimmung den EU-Organen, „Maßnahmen„ zu treffen, können die Gesetzgebungsorgane prinzipiell zwischen den aufgeführten Handlungsformen wählen. Ist hingegen eine bestimmte Handlungsform (z. B. Richtlinien) vorgeschrieben, kann der Rechtsakt nur in dieser Form erlassen werden. Durch die Übernahme der Handlungsformen des EG-Vertrages können nunmehr auch im Bereich der PJZS Rechtsakte in diesen Formen erlassen werden, insbesondere in Form von Verordnungen und Richtlinien. Entfallen sind die bisherigen Handlungsformen Gemeinsamer Standpunkt, Rahmenbeschluss, Beschluss und Übereinkunft, weshalb es u. a. nicht mehr möglich ist, Materien der PJZS auf dem Wege eines völkerrechtlichen Vertrages zu regeln. Durch den Wegfall der bisherigen Handlungsformen hat die PJZS ihren ursprünglichen intergouvernementalen Charakter verloren und nimmt an der als „Durchgriffswirkung„ bezeichneten rechtlichen Wirkung der Vorschriften teil, die sich auf die vormals im EG-Vertrag, jetzt im AEUV geregelten Materien beziehen. Die Durchgriffswirkung besteht darin, dass zahlreiche, nicht alle Vorschriften des Unionsrechts (sowohl vertragliche als auch im Wege der Gesetzgebung erlassene Vorschriften) in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar sind und Vorrang vor inhaltlich abweichendem nationalen Recht haben, d.h. dieses bei inhaltlichem Widerspruch in der Anwendung verdrängen. Eine solche Wirkung kam den Vorschriften im Bereich der PJZS vor Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon prinzipiell nicht zu.
b) Gesetzgebungsverfahren
Der AEUV kennt zur Annahme von Rechtsakten zwei Arten von Gesetzgebungsverfahren, das ordentliche Gesetzgebungsverfahren und variabel ausgestaltete außerordentliche Gesetzgebungsverfahren. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ist dann durchzuführen, wenn in der Vertragsnorm, die zum Erlass von Rechtsakten ermächtigt, auf das Verfahren Bezug genommen wird. Es besteht nach Art. 289 Abs. 1 in der gemeinsamen Annahme einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses durch das Europäische Parlament und den Rat auf Vorschlag der Kommission; es entspricht in seinem Ablauf dem Verfahren der Mitentscheidung nach dem EG-Vertrag. Kennzeichnend für das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ist, dass Europäisches Parlament und Rat bei ihrer Tätigkeit als Gesetzgeber als gleichberechtigte Partner auftreten (daher gemeinsame Annahme) und bei Meinungsverschiedenheiten kein Organ seine Vorstellungen gegenüber dem anderen Organ durchsetzen kann. Um zu einer Einigung zu gelangen, können bis zu drei Lesungen eines Rechtsaktes durchgeführt werden, wobei nach einer erfolglosen zweiten Lesung ein von beiden Organen paritätisch besetzter Vermittlungsausschuss einberufen wird. Über seine Standpunkte während des Verfahrens und über die endgültige Annahme des Rechtsaktes von seiner Seite entscheidet der Rat prinzipiell mit qualifizierter Mehrheit.
(Fortsetzung folgt)
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