Führungs- und Einsatzmittel

DOMEA® als „Laborinformationssystem“

Ingolf Hubert
Landespolizeischule Rheinland-
Pfalz, Fachhochschule für öffentliche
Verwaltung – Fachbereich
Polizei

Medienbruchfreier Datenaustausch zwischen Expertensystemen, Fachverfahren und Analysegeräten in der Kriminaltechnik des Landeskriminalamtes Rheinland-PfalzSeit Anfang 2007 hat sich das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz mit der Herausforderung auseinandergesetzt, die Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Kriminaltechnik, insbesondere bei DNA-Untersuchungen, effektiver, effizienter und qualitätsgesicherter durch die Einführung einer IT-gestützten Anwendung zu ermöglichen. Nach einem knapp zweijährigen Projektverlauf ist es dem LKA gelungen, eine bundesweit einmalige Lösung zu entwickeln, die den Anforderungen der Anwenderinnen und Anwendern in der Kriminaltechnik gerecht werden konnte. Die erfolgreiche Implementierung des Systems auf Basis einer DOMEA®-Anwendung wurde im Juli 2009 in Berlin mit dem eGovernment-Preis in der Kategorie „Zusammenarbeit als eCollaboration„ ausgezeichnet.

Allgemeines

Verfahrenstechnische Erfordernisse

Gunnar Koll
LL.M. (com.)
Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz

Kriminaltechnische Untersuchungen und die wissenschaftliche Begutachtung von Spuren sind Standardmaßnahmen der polizeilichen Ermittlungsarbeit. In den letzten Jahren hat in der kriminalistischen Ermittlungstätigkeit die DNA-Analyse, volkstümlich auch „genetischer Fingerabdruck„ genannt, zunehmend an Bedeutung gewonnen. Untersuchungsergebnisse werden wegen der exakten technischen Methoden in der Regel nicht in Frage gestellt. Angriffspunkte bieten allerdings Unklarheiten über den „zurückgelegten Weg„ des Asservates mit der oder den enthaltenen Spur(en) von der Sicherung am Tatort bis zur kriminaltechnischen Untersuchung sowie über die in diesem Prozess beteiligten Personen. Darüber hinaus stellen Übertragungsfehler bei der manuellen Erfassung von Datensätzen ein nicht unerhebliches Verfahrensrisiko dar. Die Wichtigkeit dieser Parameter wurde unlängst im Rahmen der Untersuchungen zum „Heilbronner Polizistenmord„1 hinsichtlich des Problems der Kontamination von DNA-Spuren deutlich. In Folge der erheblichen Ausweitung des Anwendungsbereichs durch das Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse2 und der entsprechenden Umsetzung in der polizeilichen Praxis hat die Zahl der DNA-Analysen in der Vergangenheit rasant zugenommen und steigt stetig weiter. In Rheinland-Pfalz fallen derzeit ca. 22.000 Untersuchungsaufträge pro Jahr an. Für die gerichtsfeste Beweiserhebung und aus Gründen des Datenschutzes ist eine lückenlose Dokumentation aller Arbeitsschritte, wie z. B. die Aufzeichnung von Transportwegen, Übergaben von Person zu Person sowie der einzelnen Untersuchungsschritte, erforderlich. Medienbrüche sind dabei besonders kritisch und müssen intensiv auf Fehler überprüft werden. Diesen Erfordernissen konnte das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz bislang nur mit entsprechenden Zeit- und Personalaufwänden begegnen, weil ein adäquates edv-technisches Unterstützungsmittel fehlte.

Erfordernisse des Qualitätsmanagements (QM)

Bereits 1996 veröffentlichte die AG Kripo die „Grundsätze der Qualitätssicherung in der Kriminaltechnik„. Den Inhalten der Norm DIN EN 450013 entsprechend, behandelt diese Richtlinie vor allem technisch orientierte Maßnahmen zur Qualitätssicherung von Prüfergebnissen. Die EN 45001 wurde Ende 1999 durch die internationale Norm ISO 17025 „Allgemeine Anforderungen an die Kompetenz von Prüf- und Kalibrierlaboratorien„ ersetzt. Diese enthält in Erweiterung der EN 45001 u. a. detaillierte Anforderungen, z. B. zu Auswahl von Prüfverfahren inkl. deren Validierung4 sowie Messunsicherheiten. Die ISO 17025 vereinigt die Forderungen der allgemeinen Normenreihe ISO 90005 an ein solides Management und der EN 45001 zum Kompetenznachweis von Prüflaboratorien. In ihrer Sitzung vom 04./05.04.2001 beschlossen die Kriminaltechniken des Bundes und der Länder, ein Qualitätsmanagement-System (QM-System) nach ISO 17025 aufzubauen. Nach einem Beschluss der KT-Leiter im Jahr 2003 vereinbarten sich die Kriminaltechniken der LKÄ und des BKA, jeweils ein umfassendes QM-System nach ISO 17025 aufzubauen, ohne (unmittelbar) eine Akkreditierung6 damit zu verknüpfen„. Hierdurch sollten u. a. die Qualität der Arbeitsergebnisse sichergestellt, ein Kompetenznachweis der Prüflaboratorien gegenüber Dritten ermöglicht, der einwandfreie Zustand von Geräten und Prüfmitteln dokumentiert sowie Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Abläufe im Labor gewährleistet werden. Vor diesem Hintergrund musste sich das LKA die Frage stellen, ob u. a. schon die bestehenden Möglichkeiten zur Vorgangsbearbeitung, Akten- und Vorgangsverwaltung sowie Archivierung für den Aufbau eines entsprechenden QM-Systems ausreichen.


Ausgangssituation in der Kriminaltechnik

Unterschiedliche Ablagestrukturen/fehlende Recherchemöglichkeit

Die bestehenden Ablagemöglichkeiten in EDV-Systemen, wie z. B. in Office, DOS-Datenbanken, Access-Datenbanken, Sammelmappen, etc. führen zur Problematik, dass sich die Suche nach Akten, Vorgängen und Dokumenten, insbesondere für „neue„ Mitarbeiter oder Dritte schwierig bis nahezu unmöglich wird, wenn bspw. die seinerzeit individuell gewählte Ablagestruktur nicht mehr gedanklich abgerufen werden kann und komfortable Recherchemöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. In den Dezernaten innerhalb der Abteilung Kriminalwissenschaft und -technik (KT) wurden dezentral Tagebücher und Handakten angelegt. Die elektronischen Tagebücher waren nicht miteinander vernetzt. Daten wurden redundant erhoben. Die Disziplinen in der Abteilung konnten nicht ohne weiteres wissen, wer unter Umständen noch an dem Spurenträger Untersuchungen zu erledigen hatte. Dies erforderte einen erheblichen Koordinationsaufwand vom Eingang der Untersuchungsanträge bis hin zur Überwachung von Löschfristen für Daten und die Herausgabe oder Vernichtung von Asservaten. Die Beantwortung von Sachstandsanfragen an die Kriminaltechnik des LKA durch die zentrale Erfassungsstelle erforderte daher die zeitintensive Zuordnung des entsprechenden Vorganges nach entsprechender Auskunft durch die jeweilige Organisationseinheit, ggfls. durch Befragung einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Darüber hinaus war eine organisationsübergreifende oder gar eine parallele Bearbeitungsmöglichkeit unterschiedlicher Dezernate in der Kriminaltechnik (z. B. Biologie, Chemie, Daktyloskopie, etc.) nicht gegeben. Eine Abbildung dieser Bedürfnisse sowie der oben beschriebenen verfahrenstechnischen Erfordernisse und Anforderungen des Qualitätsmanagement war in dem polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem POLADIS7 nicht möglich bzw. auch nur mit erheblichem Entwicklungs- und Kostenaufwand realisierbar. Vor diesem Hintergrund hatte sich das LKA bereits Mitte 2004 intensiv mit der Thematik „Einführung eines Dokumenten- und Workflowmanagementsystem (DMS/WMS)„ auseinandergesetzt, zumal in Rheinland-Pfalz die Entscheidung für die Implementierung eines entsprechenden Systems nach DOMEA®-Standard8 gefallen war. Neben den polizeilichen Vorgangsbearbeitungs- und Auswertemöglichkeiten (Strafanzeigen, Verkehrsunfallaufnahme, sonstige Vorgänge, POLIS, INPOL, EWOIS) sowie den Möglichkeiten im Rahmen des Informationsmanagement (Intranet, Internet, Extranet) sollte unter dem „Dach„ der RIVAR9-Anwendungen auch ein Dokumenten- und Workflowmanagementsystem nach „DOMEA®„-Standard„ seinen Platz finden. Das LKA stellte letztendlich die Entwicklung eigenständiger Lösungen mit dem Ziel der Einführung einer landeseinheitlichen Verfahrensweise zurück. Im LKA sollte keine „Insellösung„ für elektronische Geschäftsprozesse geschaffen werden.

Fehleranfälligkeit durch „Medienbrüche"

Darüber hinaus mussten Datensätze von Hand erfasst und entsprechend in andere Systeme „übertragen„ werden. Diese „Medienbrüche„ bei der Eingangserfassung von Untersuchungsanträgen aus POLADIS (z. B. Verfahrensdaten, Personendaten, mehrstelliges POLADIS-Aktenzeichen, entsendende Dienststelle, etc.), bei der Übertragung der Analysedaten in die Gutachten sowie in die DNA-Analyse-Datei (DAD) des Bundes erforderten personal- und zeitintensive Kontrollen zur Qualitätssicherung. Das Generieren eines DNA-Analyseergebnisses durch die Untersuchung der aus den Spuren gewonnenen Extrakte und Amplifikate erfolgt fast ausnahmslos am PC10. Den Messwerten werden kryptische Allelwerte zugeordnet, die in ihrer Kombination ein DNA-Muster ergeben. Gerade die schriftliche Übertragung dieser Allelwerte in einen DNA-Meldebogen und das manuelle Einpflegen dieser Daten durch die Erfassungsstellen in die DAD stellen das größte Fehlerrisiko dar. Die Ergebnisse der molekulargenetischen Untersuchungen sind DNA-Identifizierungsmuster, die für den Laien aus kryptischen Zahlenwerten und -kombinationen bestehen.


Abb. zeigt ein typisches DNA-Identifizierungsmuster


Diese Werte wurden aus den DNA-Laborgeräten ausgelesen, von Sachverständigen interpretiert und händisch in ein Formular erfasst. Um die erheblichen Fehlerquellen zu umgehen waren die herkömmlichen Prozesse zeitaufwändig und arbeitsintensiv, da mit sechs QS-Schritten überwacht werden musste. Neben den üblichen Grundanforderungen, die an ein DMS zu stellen sind, wie z. B. die Verfügbarkeit elektronischer Akten, Vorgänge und Dokumenten nach jeweiliger Berechtigung, die Registrierung von Posteingängen und
-ausgängen (auch eMails) mit entsprechender Metadatenverwaltung, die schnelle Recherchemöglichkeit – auch im Volltext, Abbildung der Versionierungen von Dokumenten und deren Archivierung, sollte durch die Einführungen eines neuen Systems auch dieser beschriebenen Fehleranfälligkeit umfassend begegnet werden. Schnell setzte sich die Erkenntnis fest, auf Basis der etablierten DOMEA®-Applikation besondere Lösungen für die Kriminaltechnik zu entwickeln. Auf Anfrage des BKA im Jahr 2005 bestätigten die Erfassungsstellen der Länder die Übertragung von Daten aus dem Meldebogen in die Dateimaske als maßgebliche Fehlerquelle11. In seinem Bericht schlug das BKA vor, Übertragungsfehler durch die elektronische Übernahme der Allelwerte, z. B. durch ein Barcode-System, zu vermeiden. Der Vorschlag korrespondierte exakt mit den bereits im Projekt angedachten Lösungsmöglichkeiten.

Keine lückenlose Dokumentation des Asservaten-/ Spurenverlaufs

Untersuchungsanträge enthalten oftmals, wenn nicht sogar in der Regel, mehrere Spurenträger, auf denen verschiedenste Spuren (Faser, Sperma, Speichel, Blut, Abdruck, etc.) gelegt wurden. Insoweit müssen zu Untersuchungszwecken diese Spurenträger geteilt und den unterschiedlichsten Untersuchungsverfahren unterzogen werden. Hierbei werden auch weitere „Spuren„ erzeugt. Die Vielzahl der Spurenträger müssen dem jeweiligen „Ursprungsvorgang„ lückenlos zugeordnet werden können, um QM-Erfordernissen entsprechen zu können. Auch ist aus Gründen der Rechtssicherheit der Nachweis zu erbringen, wer zu welchem Zeitpunkt welches Asservat „in den Händen hielt„, welche Spuren gesichert, welche Extrakte und Amplifikate hieraus generiert und schließlich dem weiteren Analyseverlauf im DNA-Sequenzer unterzogen wurden. Das LKA gewährleistete diesen Nachweis durch zeitaufwändige administrative Tätigkeiten, indem handschriftliche Kennzeichnungen vorgenommen und entsprechende Listen in mehrfacher Auswertungen in Papierform und elektronisch erstellt wurden, die den „Vorgang„ während der gesamten Bearbeitungsphase begleiteten. Die galt ebenso für die anschließende Übertragung des jeweiligen Untersuchungsergebnisses aus dem Analyselauf zu einem bestimmten Extrakt/Amplifikat einer konkreten Spur eines sichergestellten Asservates und die korrekte Zuordnung zum entsprechenden „Vorgang„. Bereits bestehende Laborinformationssysteme (LIMS, LISA), die in anderen Bundesländern (z. B. in Bayern oder Nordrhein-Westfalen) im Einsatz waren und noch sind, berücksichtigten in ihren Lösungen die oben aufgeführten DMS- und WMS-Komponenten nach unserer Einschätzung nicht bzw. nicht ausreichend genug. Um der landeseinheitlichen Lösung bzw. Grundentscheidung (in Bezug auf DMS und WMS) Rechnung zu tragen, wurde entschieden, auf Basis von DOMEA® ein entsprechendes „Laborinformationssystem„ zu entwickeln.
Projektauftrag
Das LKA wurde am 22.01.2007 durch das Ministerium des Innern und für Sport (ISM) damit beauftragt, die Einführung des Dokumenten-Management-System DOMEA® der Fa. Open Text bei der Polizei Rheinland-Pfalz – in einer ersten Ausbaustufe im Bereich der Kriminaltechnik des LKA – mit einer Projektgruppe zu realisieren.

Die Projektziele für die erste Ausbaustufe sahen u. a. vor,

  • eine IT-gestützte, barcodebasierende Asservatenverwaltung,
  • ein „Laborinformationssystem„ sowie
  • eine durchgängige Dokumentation und Archivierung von Vorgängen mit Schnittstellen zu Fachverfahren (z. B. POLADIS, DAD), Expertensystemen (z. B. GenMapper) und Laborgeräten und Scannern zu entwickeln und einführen.

Das Ziel dieser ersten Ausbaustufe sollte u. a. durch

  • die Abbildung der Geschäftsordnung des LKA RLP,
  • die Verwendung des Rahmenaktenplans Rheinland-Pfalz,
  • eine medienbruchfreie Übertragung der Daten über Schnittstellen,
  • eine IT-gestützte, barcodebasierende Asservatenverwaltung,
  • eine automatisierte Dokumentenablage,
  • performante Recherchemöglichkeiten,
  • IT-gestützte Protokollierungen unter

Berücksichtigung von Datenschutzrichtlinien realisiert werden.
Für das Projekt stand ein Budget von 600.000.- EUR zur Verfügung. Neben dem LKA war der „Landesbetrieb für Daten und Information Rheinland-Pfalz„ (LDI), die „Zentralstelle für IT und Multimedia„ des ISM sowie als Auftragnehmer die Fa. T-Systems mit der Fa. OpenText als Subunternehmer und Lizenzinhaber von DOMEA 4.5 beteiligt.

Projektverlauf

Projekthistorie

Die Projektarbeit wurde Anfang Februar 2007 aufgenommen. Nach einer umfangreichen Konzeptionierungsphase und Festlegung der fachlichen Bedürfnisse, konnte Ende 2007 mit der ersten Entwicklung verschiedener Komponenten begonnen werden. Ab dem 2. Quartal 2008 bis zum Oktober 2008 konnten erste Beschulungsmaßnahmen anhand der technischen Umsetzungen erfolgen. Anfang des Jahres 2009 wurden Tests unter fachlichen Produktionsbedingungen auf der Testumgebung des LDI mit definierten „Testfällen„ durchgeführt und damit der „Wirkbetrieb„ simuliert. Betriebsverhindernde Fehler wurden im Ergebnis nicht festgestellt. Nach dem „Umzug„ auf die Produktionsumgebung des LDI im April 2009 und Beobachtung der entwickelten Anwendung unter Produktionsbedingungen, konnte Mitte des Jahres 2009 mit dem „Wirkbetrieb„ begonnen werden. Mit Implementierung der Schnittstelle zum polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem POLADIS wurde Ende 2009 die erste Ausbaustufe realisiert und damit die Projektphase erfolgreich abgeschlossen.

Die entwickelte Lösung

An die Stelle von Papierakten treten nunmehr digitale Akten und elektronische Geschäftsprozesse. Der Workflow berücksichtigt sowohl vordefinierte Untersuchungsschritte als auch ad-hoc Anforderungen. Auskünfte über den Stand der Untersuchungen können nun zentral für alle Vorgänge erteilt werden. Die einzelnen Schritte von der Sicherung einer Tatortspur bis zu den Untersuchungsergebnissen lassen sich lückenlos nachvollziehen. Komfortable Recherchemöglichkeiten über Metadaten bis hin zur „Volltextsuche„ vereinfachen den Zugriff auf die benötigten Akten, Vorgänge und Dokumente. Referenzierungen ermöglichen die Verknüpfung von Asservaten, Spuren und deren Extrakte untereinander sowie zu bestehenden elektronischen Akten.


Abb. zeigt die Übernahme von Daten aus dem POLADIS-Untersuchungsantrag nach DOMEA

Kriminaltechnische Untersuchungsanträge aus POLADIS werden elektronisch über die POLADIS-Schnittstelle fehlerfrei übernommen. Als „Rückfallebene„ für mögliche Ausfälle des Datentransfers über die Schnittstelle können die Daten aus POLADIS von den Untersuchungsanträgen über Scanner ausgelesen und übertragen werden. Asservate bzw. Spurenträger werden mit einem Barcode gekennzeichnet. Über das Auslesen der Barcodeinformation per Handscanner wird die eindeutige Zuordnung zu bestimmten Vorgängen ermöglicht. Die benötigten Metadaten stehen dem Sachbearbeiter ohne nennenswerten Rechercheaufwand zur Verfügung. Hinterlegte Lichtbilder zum Asservat dienen zusätzlich der Verifizierung des zu untersuchenden Asservats und damit einer Plausibilitätsprüfung. Labormaschinen (z. B. DNA-Sequenzer) werden aus DOMEA® mit den notwendigen Daten versorgt. In einer elektronischen Tabelle wird der Steckplatz des zu untersuchenden Extraktes genau definiert. Anschließend wird die Untersuchungsplatte12 mit dem barcodierten Extrakt bestückt. Der DNA-Sequenzer gleicht mit Hilfe der Tabelle automatisch den entsprechenden Vorgang ab. Untersuchungsergebnisse werden somit automatisiert wieder an DOMEA® übergeben und stehen für Gutachten zur Verfügung. Die Expertisen können den beauftragenden Dienststellen digitalisiert in ihrem Fachverfahren zur Verfügung gestellt werden. Verfahrens- und Personendaten sowie die Analyseergebnisse werden automatisiert in den DNA-Meldebogen eingetragen und barcodiert. Über diese Barcodes können die Daten fehlerfrei in die Eingabemaske der DAD eingegeben werden. Allein in diesem Bereich wurden die Erfassungsaufwände von bisher ca. vier Minuten pro Datensatz der DAD auf drei Sekunden pro Datensatz reduziert.


Abb. zeigt die Metadaten aus DOMEA über ein bestimmtes Asservat


Vorteile des entwickelten Systems

Mit der Einführung der entwickelten Lösung auf Basis von DOMEA® in der Kriminaltechnik wurden die vorhandenen „Medienbrüche„ beseitigt. Die in POLADIS vorhandenen Daten des Untersuchungsvorgangs werden auf der sachbearbeitenden Dienststelle einmal erfasst, elektronisch versandt und können anschließend mehrfach genutzt werden. Übertragungsfehler werden vermieden. Die Zuordnung des POLADIS-Vorganges zum Vorgang in DOMEA® ist eindeutig und erfolgt deutlich schneller als bei manueller Erfassung bzw. Übertragung der Daten. Somit wird bereits bei der Registrierung des Eingangs eines Untersuchungsantrages wertvolle Zeit eingespart. Darüber hinaus können alle Verfahrensbeteiligten den aktuellen Stand der Bearbeitung nachvollziehen und, konkreter als zuvor, ihre Sachstandsanfragen an die betroffenen Organisationseinheiten richten. Auskünfte über den Stand von komplexen Untersuchungen, in denen ggfls. auch parallel mehrere Dezernate der Kriminaltechnik eingebunden sind, können jetzt problemlos und zeitsparend zentral für alle Vorgänge erteilt werden. Komfortable Recherchemöglichkeiten tragen erheblich zur Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei. Außerdem können die Expertisen den beauftragenden Dienststellen digitalisiert in ihren Fachverfahren zur Verfügung gestellt werden. Gleiches gilt für die Beteiligung externer Gutachten an den Geschäftsprozessen. Asservate und Spurenträger, aber auch Vorgangsakten, werden mit einem Barcode gekennzeichnet. Das Aufrufen des zu bearbeitenden Vorgangs erfolgt durch den jeweiligen Sachbearbeiter über Handscanner an seinem (PC-)Arbeitsplatz. Hierdurch bestätigt der Sachbearbeiter nicht nur die aktuelle Bearbeitung des entsprechenden Vorgangs, sondern zudem die Übernahme des betreffenden Asservates bzw. der Spur. Zeitaufwändig administrative Tätigkeiten durch Führen von „Begleitzetteln„ und Listen entfallen. Die einzelnen Schritte und die beteiligten Personen von der Sicherung einer Tatortspur bis zum vorliegenden Untersuchungsergebnis können jetzt lückenlos nachvollzogen werden. Datenschutzrechtliche Regelungen, z. B. über die Vernichtung nicht mehr benötigter Spuren und Extrakte, können leichter eingehalten und aufgrund der möglichen Referenzierungen von Asservaten, Spuren und Extrakten untereinander umfassender umgesetzt werden. Die Rechtssicherheit wird somit erhöht und Belange des Datenschutzes werden professioneller berücksichtigt. Die Labormaschinen und die Anwendungen kommunizieren über Schnittstellen elek-tronisch miteinander. Die jeweiligen Untersuchungsergebnisse werden fehlerfrei den konkreten Vorgängen zugeordnet und stehen den Sachverständigen automatisiert für ihre Gutachten zur Verfügung. Ebenfalls werden die DNA-Untersuchungsergebnisse sowie die Verfahrens- und Personendaten elektronisch in den DNA-Meldebogen „eingemischt„ und barcodiert. Über diese Barcodes können die Analyseergebnisse mit der DAD des Bundes abgeglichen werden.


Abb. zeigt die Eingabe in die Maske der DAD (linker Bildschirm) über Barcodeleser direkt am TFT-Bildschirm


Fazit

Mit der vorliegenden Lösung hat das LKA Rheinland-Pfalz eine im Bund einmalige Kombination eines etablierten Dokumenten- und Workflowmanagement-Systems („Verwaltungsclient„) mit einem entwickelten „Laborinformationssystem„ („KT-Client„) geschaffen, welche sowohl den besonderen Anforderungen der Kriminaltechnik als auch eines nachvollziehbaren Verwaltungshandelns bei der Vorgangsbearbeitung umfassend Rechnung trägt. Damit bleibt die Anwendung in der Kriminaltechnik keine „Insellösung„, sondern bietet ausreichend Anknüpfungspunkte für die Zusammenarbeit mit anderen Organisationseinheiten. Die Anwendung ist modular aufgebaut und kann leicht an andere Anforderungen angepasst werden. Sie ist damit nicht nur in anderen Laborbereichen einsetzbar, sondern auch für alle Organisationseinheiten interessant, in denen ein dringendes Bedürfnis nach einem DMS bzw. WMS besteht. Dies dürfte grundsätzlich allein schon für solche Bereiche zutreffen, die sich mit dem Problem unterschiedlichster Ablagestrukturen, redundanter Datenhaltung und unzureichender Recherchemöglichkeiten konfrontiert sehen. Die ersten Erfahrungen nach der Einführung der Anwendung zeigen bereits jetzt, dass die Aufgabenwahrnehmung in der KT des LKA in vielerlei Hinsicht optimiert werden konnte. Zeitaufreibende Arbeitsschritte, insbesondere in der Qualitätssicherung, konnten erheblich reduziert werden. Dadurch wurde die Bearbeitung von Untersuchungsanträgen deutlich beschleunigt. Musste man in der Vergangenheit in Einzelfällen noch monatelange Bearbeitungszeiten in Kauf nehmen, liegen diese zwischenzeitlich im Wochenbereich. Je mehr sich die Nutzung der Anwendung einspielen und etablieren wird, wird sich dies sicherlich noch steigern. Ein großes Plus der Anwendung liegt neben den großen Zeitersparnissen und Freisetzung personeller Ressourcen jedoch eindeutig in der Fehlervermeidung durch die Beseitigung der zuvor unvermeidbaren „Medienbrüche„. Somit hat das LKA nicht nur dazu beigetragen, das stetig wachsende Untersuchungsaufkommen deutlich schneller und in den Ergebnissen noch sicherer bewältigen zu können, sondern hat einen richtungsweisenden Beitrag zu einer effizienten Verbrechensbekämpfung geleistet. Bereits jetzt haben einige LKÄ großes Interesse an der rheinland-pfälzischen Entwicklung gezeigt und rege vom unterbreiteten Kooperationsangebot Gebrauch gemacht. (Kontaktdaten: Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz, Valenciaplatz 1-7, 55118 Mainz, E-Mail: LKA.PG.DOMEA@polizei.rlp.de)

Ausblick

Der Bedarf nach elektronischer Weiterverarbeitung von Akten, Vorgängen und Dokumenten bis hin zur elektronischen Vorgangsbearbeitung (Registrierung, Weiterleitung, Bearbeitung, Zeichnung, etc.) ist unaufhaltsam angewachsen. Behördliche Geschäftsprozesse müssen medienbruchfrei und vollständig elektronisch abgebildet werden, um den bestehenden Kriterien, wie z. B. Vollständigkeit, Integrität und Authentizität, Nachvollziehbarkeit und Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns noch genügen zu können. Verschiedene Verwaltungsbereiche haben hiermit bereits begonnen und es gilt prognostisch als sicher, dass man sich dieser Entwicklung nicht wird entziehen können. Das LKA hat für die Polizei des Landes Rheinland-Pfalz hierzu eine „Vorreiterrolle„ übernommen und wird sich auf Grundlage der Erkenntnisse aus dem erfolgreichen Projekt im kommenden Jahr der Herausforderung stellen, alle Abteilungen mit dem „Verwaltungsclient„ von DOMEA® auszustatten. Somit unternimmt das LKA einen weiteren Schritt in Richtung einer landeseinheitlichen Verfahrensweise. Zu beachten ist dabei, dass es sich bei der „Einführung eines Dokumenten- und Workflowmanagementsystems (DMS/WMS)„ nach „DOMEA®„-Standard nicht nur um ein Softwareentwicklungs-, sondern vielmehr um ein Organisationsentwicklungsprojekt handelt, da sich die künftige Arbeitsweise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihren Geschäftsprozessen am bestehenden EDV-System orientieren und damit in vielen Fällen anpassen muss. Dies gilt ausnahmslos für alle Hierarchieebenen einer Behörde oder Einrichtung. Der Erfolg eines derartigen Projektes hängt sicher von der Funktionalität und Anwenderfreundlichkeit des entwickelten Produktes und damit von der Akzeptanz der Anwender ab. Der wesentlichste und damit nicht zu unterschätzende Erfolgsfaktor liegt allerdings in der Identifikation der jeweiligen Behörden- bzw. Einrichtungsleitung, inklusive der Führungsebene in den Organisationseinheiten, und in deren Beharrlichkeit im Umsetzungsprozess.

1
Bei dem Mord am 25. April 2007 war die 22-jährige Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter beim Streifendienst in Heilbronn mit Kopfschüssen getötet worden. Ihr 24 Jahre alter Kollege wurde lebensgefährlich verletzt.
2
Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse vom 12.08.05, in Kraft getreten am 01.11.05, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2005 Teil I Nr. 49, Seite 2360 ff.
3
Die europäische Norm EN 45001 „Allgemeine Kriterien zum Betreiben von Prüflaboratorien„ stellte seit Ihrem Inkrafttreten 1989 die maßgebliche Normengrundlage für Prüflaboratorien und deren Akkreditierung dar.
4
Validierung = Bestätigung, dass ein „Verfahren„ für die vorgesehene Verwendung geeignet bzw. zur Erfüllung des forensischen Zweckes zuverlässig ist.
5
Mit der ISO 9000-Reihe werden vorzugsweise Grundsätze der Unternehmensqualität bzw. Anforderungen an solides Management abgedeckt. Der inhaltliche Schwerpunkt der ISO 9000 ff. liegt auf der Qualität der Organisation eines Unternehmens.
6
Akkreditierung = Verfahren, nach dem eine autorisierte Stelle (z. B. Deutscher Akkreditierungsrat Prüfwesen (DAP), Deutscher Akkreditierungsrat (DAR), etc.) die formale Anerkennung erteilt, dass eine Stelle oder Person kompetent ist, bestimmte Aufgaben auszuführen.
7
POLADIS.net = Polizeiliches Anwenderorientiertes Dezentrales Informationssystem zur Erfassung und Bearbeitung von Strafanzeigen, Verkehrsunfällen und sonstigen Vorgängen (Rapporte)
8
DOMEA („Dokumentenmanagement und elektronische Archivierung im IT-gestützten Geschäftsgang„) ist ein Konzept für Dokumentenmanagement und elektronische Archivierung in der öffentlichen Verwaltung. Wesentliches Ziel des DOMEA-Konzeptes ist die Einführung der elektronischen Akte. Da für diese die gleichen Gesetze, Geschäftsordnungen, Richtlinien und Vorschriften wie für Papierakten gelten, müssen behördliche Geschäftsprozesse, Vorgangsbearbeitung und Archivierung vollständig in konforme IT-Prozesse überführt werden. DOMEA liefert dafür Richtlinien.
9
RIVAR = Rheinland-Pfälzisches Informations- , Vorgangsbearbeitungs-, Auswerte- und Recherchesystem
10
In Deutschland mit der DNA-Analysesoftware „GenMapper„ des Anbieters
Applera Corp.
11
BKA/KT 31 Serologie/ZD 22 DAD; Bericht „Lösungsansätze zur Optimierung der Erstellung und Erfassung von DNA-Mustern für die DNA-Analyse-Datei (DAD)„ an die AG Kripo vom 26.05.06 sowie Umlaufbeschluss der AG Kripo vom 23.06.2006, Az. LS 3 - 5303.12
Eine Untersuchungsplatte verfügt über 96 Steckplätze, die mit den pipettierten Eppendorf-Gefäßen mit den jeweiligen Extrakten/Amplifikaten der Spuren bestückt werden.