Internationaler Terrorismus

„Home-grown“

Terrorismus und Radikalisierungspotenziale in Deutschland: Hintergründe und präventive Ansätze aus polizeilicher Sicht

Bedrohungspotenziale und Strategische Handlungsfelder

Frau Dr. Dott. Christiane Nischler MBA war bis 2009 beim Strategischen Innovationszentrum der Bayerischen Polizei (SIZ) beschäftigt. Vorher war sie nach dem Studium der Internationalen Beziehungen im Bereich der Politik- und Sicherheitsberatung tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind der internationale, islamistische Terrorismus sowie die Dynamik von Radikalisierungsprozessen. Dabei gilt ihr besonderes Interesse den Ursachen politischer Gewalt und möglichen Präventionsansätzen, insbesondere im Bereich der Integrationspolitik. Seit 2009 ist Frau Dr. Nischler im Referat für Integrationsbelange des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen tätig. 

Dr. Dott. Christiane Nischler MBA

Im Vorwort von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zur Studie „Muslime in Deutschland„ heißt es: „Mangelhafte sprachlich-soziale Integration, Bildungsferne und die einseitige Ausrichtung auf nicht-deutsche Medien sowie der Rückzug in ethnisch-religiös geschlossene Milieus wirken sich in erheblichem Maße integrationshemmend aus. Dabei besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen defizitärer gesellschaftlicher Integration und fundamentaler religiöser Orientierung. Die Studie gelangt zu dem besorgniserregenden Ergebnis, dass sich in Deutschland ein ernstzunehmendes islamistisches Radikalisierungspotenzial entwickelt hat. Es wird deshalb weiterhin darauf ankommen, Radikalisierungsprozesse möglichst frühzeitig zu erkennen und aufzuhalten. Dazu müssen wir den Faktoren entgegenwirken, die Radikalisierung begünstigen.„ Damit sind die zentralen Fragestellungen angesprochen, die im folgenden Beitrag näher beleuchtet werden sollen: Welche Zusammenhänge bestehen zwischen dem Phänomen der Radikalisierung und dem sogenannten „Home-grown„ Terrorismus? Und welches sind die begünstigenden Faktoren, bei denen langfristig erfolgreiche Präventionsmodelle ansetzen müssen? Dabei ist in diesem Rahmen lediglich die Abgrenzung eines Themas möglich, welches in der Zukunft noch erheblichen Forschungsbedarf mit sich bringen wird, um wirklich fundierte Lösungsansätze im präventiven Bereich zu ermöglichen. Eine weitere Einschränkung betrifft die Frage der Akteure, welche in diesen Prozess involviert sein müssen. Die Polizei stellt mit ihrem sowohl präventiv als auch repressiv ausgerichteten Aufgabenfeld sicherlich einen wichtigen Handlungsträger dar; allerdings ist das Phänomen der Radikalisierung und der ihr zugrunde liegenden Ursachen per se ein gesamtgesellschaftliches. Vor diesem Hintergrund soll nach der Beleuchtung der Hintergründe des „Home-grown„ Terrorismus und der ihm zugrunde liegenden Radikalisierungsprozesse nicht nur auf Präventionsansätze aus polizeilicher Sicht eingegangen, sondern es sollen insbesondere auch nötige Schnittpunkte zu nicht-polizeilichen Präventionsträgern aufgezeigt werden.

„Home-grown„ Terrorismus 

Der umgangssprachlich geprägte Begriff „home-grown terrorism„ist erstmalig 1999 in englischen Medien aufgetaucht und wird bis heute verwendet. Eine allgemein akzeptierte und fundierte Definition unterliegt ähnlichen Formulierungsschwierigkeiten, wie sie bereits von der Definition der Begriffe „Terrorismus„ und „Islamismus„ bekannt sind. Nach Auffassung deutscher Sicherheitsbehörden beschreibt das Phänomen „Home-grown„ Terrorismus Täter, die in Ländern mit westlicher Staats- und Gesellschaftsordnung geboren sind oder sich seit ihrer Kindheit dort aufhalten und somit dort sozialisiert wurden. Insofern können unter den Begriff sowohl Personen mit Migrationshintergrund als auch sich zum Islam bekennende Konvertiten gerechnet werden. Diesem Verständnis des Begriffs folgt auch seine Verwendung innerhalb dieses Artikels.Dagegen fassen angelsächsische Behörden und Wissenschaftler den Begriff „Home-grown„ Terrorismus weiter. Beispielsweise liegt im Verständnis des New York City Police Department (NYPD) „home-grown terrorism„ schon dann vor, wenn die Täter ihren Wohnsitz über längere Zeit in den später attackierten Ländern hatten: „Örtlich Ansässige/Staatsangehörige planen, das Aufenthaltsland anzugreifen, wobei sie sich der al-Qaeda als Inspiration und ideologischem Referenzpunkt bedienen.„ Dagegen spricht die RAND Corporation im Zusammenhang mit „Home-grown„ Terrorismus im Allgemeinen von der „Diaspora„, ohne dies näher begrifflich abzugrenzen. Dabei wird von der Annahme ausgegangen, es handle sich bei der Diaspora um eine Gruppe von Personen, welche sich in besonderer Art und Weise von ihrem Umfeld abgrenzt und dadurch definiert werden kann. 
In keinem der genannten Ansätze beschreibt „Home-grown„ Terrorismus jedoch ein grundlegend neues Phänomen, wenn man davon ausgeht, dass der nationale Terrorismus – im Sinne eines Anschlags, in dem Staatsangehörige sich aus politischen Gründen gegen das eigene Regime bzw. dessen Bevölkerung wenden - für die Mehrzahl aller terroristischen Anschläge weltweit verantwortlich ist. Damit stellt der „Home-grown„ Terrorismus weltweit die Regel, nicht aber die Ausnahme dar, wenn man berücksichtigt, dass beispielsweise im Zeitraum 1997-2003 lediglich 18 % aller weltweit stattfindenden terroristischen Anschläge dem internationalen Terrorismus zugerechnet werden können. Insofern kann man den Begriff „home-grown„ nur dann als „neu„ verstehen, wenn man ihn einerseits ausschließlich auf den islamistischen Terrorismus bezieht und andererseits davon ausgeht, dass es sich dabei ursächlich nicht um ein europäisches Phänomen handelt. Die dem zugrunde liegende Erkenntnis, dass der islamistische Terrorismus in Europa nicht nur ein „importiertes„ Phänomen darstellt, das regionale, nicht-europäische Probleme nach Europa transportiert, setzte sich mit den Anschlägen auf Verkehrszüge in Madrid im März 2004 und vor allem mit der Londoner Anschlagsserie im Juli 2005 durch. Insbesondere nach den Anschlägen auf das Londoner Verkehrsnetz durch in Großbritannien sozialisierte, scheinbar bestens integrierte britische Muslime begann die eigentliche Diskussion um den „Home-grown„ Terrorismus, der den islamistischen Terrorismus als internes europäisches Problem begreift. Man begann, die Ursachen des islamistischen Terrorismus – und vor allem auch des damit verbundenen islamischen Extremismus – nicht mehr ausschließlich außerhalb Europas anzusiedeln, wie dies beispielsweise noch bei den Attentätern vom 11. September 2001 der Fall war, bei denen die Mehrheit erst seit vergleichsweise kurzer Zeit in Europa lebte. Regionale Bezüge zur islamischen Welt und persönliche Berührungspunkte zu Drittländern sind im Falle des „Home-grown„ Terrorismus in der Tat tendenziell zweitrangig oder gewinnen oft erst in der Phase der fortgeschrittenen Radikalisierung oder gar der konkreten Anschlagsplanung an Bedeutung. Neben logistischen Aspekten können solche Auslandsbezüge etwa den Spracherwerb im Ausland, aber auch die Kontakte zu ideologischen Anführern mit einschließen. Dagegen bilden islamistische Organisationen im Ausland bei den in Europa stattfindenden Rekrutierungs- oder Selbstrekrutierungsprozessen oft lediglich einen ideologischen Referenzrahmen, ohne in der Regel in diesem Stadium wirkliche operative Kontrolle auszuüben. 
Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass „Home-grown„ Terrorismus wie alle Spielarten des (islamistischen) Terrorismus kein statisches, sondern ein äußerst flexibles Phänomen ist. Bisherige Spielformen des islamistischen Terrorismus – einschließlich der Einreise radikalisierter Personen nach Europa mit dem Ziel der Anschlagsverübung oder der Nutzung europäischer Staaten als Planungs- und Rückzugsraum – werden dadurch nicht ersetzt, sondern allenfalls ergänzt. Dies führt zu Vernetzungen und Parallelitäten, die eine deutliche Trennung in der Praxis oftmals unmöglich machen. Ebenso wie für den Terrorismus im Allgemeinen gilt auch für den „Home-grown„ Terrorismus: es handelt sich dabei um eine Erscheinungsform politisch motivierter Gewalt, welche es versteht, äußerst flexibel und pragmatisch auf die äußeren Gegebenheiten zu reagieren. Die hohe Anpassungsfähigkeit des „Home-grown„ Terrorismus in Europa zeigt sich bereits darin, dass sich dessen Entwicklung nicht ohne die Veränderung auf internationaler Ebene begreifen lässt: hat sich während der vergangenen Jahre weg von einer Organisation zunehmend hin zu einer internationalen Ideologie entwickelt, welche die weltweite Gemeinschaft der Muslime durch die Idee eines globalen Jihadismus zu mobilisieren versucht. Erst vor dem Hintergrund dieser internationalen Entwicklung konnte es überhaupt dazu kommen, dass sich in Europa geborene bzw. aufgewachsene Muslime als Vertreter einer Ideologie verstehen, deren Ursprünge zwar außerhalb Europas liegen, die sie aber als ihr ureigenstes Anliegen begreifen. Dabei spielt eine weitere Entwicklung eine große Rolle: Bei der Verbreitung des entsprechenden Gedankenguts übernimmt das Internet als „virtuelle Universität„ zwischenzeitlich eine größere Rolle als gemeinsame Kampf- oder Trainingserfahrungen in Ausbildungscamps. Dabei stellt sich naturgemäß die Frage nach den Biografien jener Personen, welche in „Home-grown„ Netzwerke involviert sind. Schließlich handelt es sich dabei – neben einer im Vergleich zur muslimischen Gesamtbevölkerung hohen Zahl an Konvertiten – primär um Muslime der ersten bzw. zweiten Einwanderergeneration , welche trotz scheinbar geglückter Integration Radikalisierungsprozesse durchlaufen, die zumindest potentiell zur Anwendung von Gewalt führen können. 

Der Wunsch nach einer Profilerstellung 

Die Erstellung eines „typischen Täterprofils„ erweist sich für den „home-grown terrorism„ als ebenso schwierig wie für den islamistischen Terrorismus im Allgemeinen. Zielgruppen sind unterschiedliche Personen innerhalb der muslimischen Diaspora wie „wiedergeborene„ Muslime, welche die Religion ihrer Eltern für sich neu definieren, desillusionierte Jugendliche, Kriminelle oder Konvertiten. „Typische„ Persönlichkeitsmerkmale lassen sich dabei nicht feststellen. Auch Ansätze, die mehr im Bereich der strukturellen, begünstigenden Faktoren als bei der psychologischen Profilerstellung ansetzen, zeigen, dass sich ein sozioökonomisches Profil einzelner Tätergruppen – ebenso wie das psychologische Profil einzelner Terroristen – nur schwer finden lässt und sich zudem in ständigem Wandel befindet. Des weiteren lassen sich bestenfalls Aussagen bezüglich der Gruppe insgesamt treffen, ohne dabei notwendigerweise auf individuelle Hintergründe schließen zu können. Robert Leiken und Steven Brooke vom „Nixon Center„ in Washington haben beispielsweise den Aspekt der Herkunft bzw. den Einfluss von Migrationshintergründen im Bereich des „Home-grown„ Terrorismus untersucht. Hierzu stützten sie sich auf eine auf frei zugänglichen Quellen basierende Datenbank, in der 373 islamistische Terroristen erfasst wurden, die zwischen 1993 und 2004 in Nordamerika und Westeuropa angeklagt, verurteilt oder getötet worden sind. Dem Datenmaterial lässt sich entnehmen, welche wichtige Rolle Einwanderung und geographische Nähe zur muslimischen Welt für die Herausbildung terroristischer Zellen in europäischen Ländern spielen. Angesichts der Tatsache, dass der „Home-grown„ Terrorismus sich innerhalb der muslimischen Bevölkerung in Europa rekrutiert, verwundert nicht, dass die Mehrheit der erfassten Personen Bezüge zum Maghreb besitzt. Entsprechend kommt in vier europäischen Staaten die Mehrzahl der erfassten Terroristen aus demjenigen muslimischen Land, aus dem auch die meisten Einwanderer kommen: In Frankreich finden sich unter den erfassten Terroristen überdurchschnittlich viele Algerier, in Spanien und Belgien dominieren Marokkaner und in Großbritannien lässt sich bei vielen Terroristen aus der zweiten Einwanderergeneration eine südasiatische Abstammung feststellen. 


Dies widerspricht deutlich den terroristischen Gruppierungen vor dem 11. September 2001, welche stark durch Personen aus den arabischen Golfstaaten bzw. dem Nahen und Mittleren Osten geprägt waren. Nur in zwei großen EU-Ländern ist kein eindeutiger Zusammenhang zu erkennen. In Italien stellen Tunesier mit 65 Prozent die meisten Terroristen, obwohl sie dort eine viel kleinere Gruppe als die Marokkaner bilden. Zudem sind zum Zeitpunkt der Studie in Deutschland keine Jihadisten türkischer Herkunft registriert (Stand: 2004), obwohl türkischstämmige Personen hier den weitaus größten Teil der muslimischen Wohnbevölkerung stellen. Auch eine weitere Erkenntnis lässt sich rein statistisch aus der Struktur der muslimischen Bevölkerung in Europa ableiten: Illegale Einwanderung spielt eine untergeordnete Rolle, da 38 Prozent des erfassten Personenkreises ohnehin über eine europäische Staatsangehörigkeit verfügen. Insgesamt neun Prozent sind Konvertiten, was deutlich über dem Anteil der Konvertiten an der muslimischen Bevölkerung liegt. Nach Ansicht von Leiken und Brooke bestätigt diese Auffälligkeit, dass verstärkt versucht wird, „unauffällige„ Personen wie Konvertiten oder Frauen für terroristische Zwecke zu rekrutieren.
Schließlich stellten Leiken und Brooke in Europa – im Gegensatz zu den USA – unter radikalisierten Personen eine verstärkte Tendenz zur Gruppenbildung fest; diesen Unterschied führen sie auf die wesentlich dichtere muslimische Wohnbevölkerung in Europa zurück, die – ihrer Ansicht nach – die Herausbildung von entsprechenden Zellen erleichtert. Zudem versuchten die Autoren, aus ihren Zahlen Schlüsse auf das islamistische Potenzial in einzelnen europäischen Ländern zu ziehen. Am weitesten sehen sie die Radikalisierung in Großbritannien, Spanien, Italien und Belgien fortgeschritten. Dagegen scheint der Islamismus aufgrund der von Leiken und Brooke gewählten Indikatoren in Deutschland weniger stark Fuß gefasst zu haben: Hier lebt zwar ein Viertel der sunnitischen Muslime in Europa, aber nur neun Prozent der Terroristen kamen im Untersuchungszeitraum aus Deutschland. Auch die Studie „Jihadi terrorists in Europe„ des Niederländers Edwin Bakker betont die Wichtigkeit der Gruppenbildung bei der Entstehung von „Home-grown„ Terrorismus. Die ihr zugrunde liegenden empirischen Daten beziehen sich auf Individuen und Netzwerke, welche in terroristische Aktivitäten in Europa im Zeitraum von 2001-2006 involviert waren. Insgesamt finden Daten aus 242 Biographien und insgesamt 31 versuchten oder durchgeführten Anschlägen oder Anschlagsplänen Berücksichtigung. Methodisch knüpft diese Studie an eine Untersuchung von Marc Sageman an, welcher die Biographien von 172 Personen auswertete, die im Zeitraum zwischen 1990 und 2000 in terroristische Aktivitäten involviert waren. Sageman belegt darin, dass die Mehrheit der islamistischen Terroristen vor dem 11. September der Mittelschicht der arabischen Länder angehörte und über einen höheren Bildungsstand als der Durchschnitt der Bevölkerung verfügte; daher hatte die Mehrheit von ihnen gute berufliche Chancen. Die meisten stammten zudem aus einem religiösen, aber nicht fanatisiertem Umfeld und waren verheiratet.



Dagegen stellt Bakker für den Personenkreis aus dem „Home-grown„ Terrorismus fest, dass es sich bei den involvierten Personen (wohl auch aufgrund der jüngeren Altersstruktur) häufiger um unverheiratete Männer handelt, welche in Europa geboren oder aufgewachsen sind. Sie gehören der zweiten oder dritten Einwanderergeneration und damit einer oft wirtschaftlich unterprivilegierten Schicht an. Viele von ihnen waren in der Vergangenheit im Bereich der Kleinkriminalität auffällig, wobei es sich hierbei nicht – wie bei dem Personenkreis vor 2001 – überwiegend um Beschaffungskriminalität handelt. Bei beiden untersuchten Gruppen spielen – unabhängig vom Ort der Rekrutierung oder „Eigenrekrutierung„ –Gruppenprozesse und soziale Kontakte zu Gleichgesinnten aus dem Freundes- oder Verwandtschaftskreis eine große Rolle. Aus Sicht der Prävention bieten die festgestellten Unterschiede bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse sicherlich den interessantesten Anhaltspunkt, da der „Home-grown„ Terrorismus tendenziell das Phänomen einer unterprivilegierten Schicht zu sein scheint. 
Allerdings ist damit noch nicht belegt, dass Integrationsdefizite und Radikalisierung in einem linearen Zusammenhang stehen, da diese Auffälligkeit zwar auf die Mehrheit der Personen innerhalb der von Bakker untersuchten Gruppen zutrifft, es im Einzelfall jedoch zu erheblichen Abweichungen kommen kann. Zudem ist die Feststellung der wirtschaftlichen Benachteiligung primär im Vergleich der Terroristen vor dem 11. September 2001 feststellbar. So ist die Arbeitslosenquote innerhalb der untersuchten Gruppe islamistischer Terroristen in Europa zwar groß, doch liegt sie unter dem Durchschnitt der europäischen Altersgruppe. Demnach scheint die relative Deprivation eine größere Rolle zu spielen als absolute Armut. Den „Home-grown„ Terrorismus als unmittelbare Folge von Integrationsdefiziten innerhalb der Einwanderer in Europa zu sehen, wäre daher eine stark verkürzte Sichtweise. Auch die Anschläge in London im Jahr 2005 und das Attentat auf den niederländischen Filmemacher van Gogh im selben Jahr zeigen, dass gewaltbereiter Islamismus in Europa keinesfalls in direktem Zusammenhang mit Integrationsfragen stehen muss. Sowohl in den Niederlanden als auch in Großbritannien waren die Täter in Europa geboren oder hatten seit ihrer Geburt dort gelebt und galten als gut integriert. Ähnliches gilt für eine Gruppe in Deutschland (sog. Sauerland-Gruppe), welche im Jahre 2007 Anschläge mit Wasserstoffperoxyd plante. 
Sowohl in London als auch in Deutschland waren Konvertiten in die Anschläge bzw. deren Planungen involviert. Eine viel größere Rolle als die persönliche Betroffenheit durch soziale Armut scheinen dagegen Elemente wie Diskriminierungserfahrungen, Frustration und moralische Empörung – beispielsweise über die Situation der Muslime in Europa oder weltweit – zu spielen. Diese Elemente werden mit allgemeinen politischen oder religiösen Erklärungsmustern vermengt und zu einem in sich schlüssigen Weltbild geformt. 
Besonders terroristische Gruppierungen nutzen zu diesem Zweck eine klar ausgeprägte Freund-Feind Ideologie, wie sie auch der Islamismus kennt. Beispielsweise identifiziert Sageman die „moralische Wut„ über die Lage der Muslime in verschiedenen Krisenregionen, die anhand ideologischer Erklärungsmodelle mit persönlichen Erfahrungen in Verbindung gebracht wird, als ein zentrales Element der Radikalisierung. Wichtiger als die Betrachtung von Einzelfaktoren ist daher das Verständnis des Radikalisierungsprozesses selbst, um den Einfluss der oben beschriebenen Rahmenbedingungen feststellen zu können. Grundannahme ist dabei, dass Terrorismus nicht aus dem Nichts heraus in einem sozialen Vakuum entsteht, sondern zumindest innerhalb gesellschaftlicher Minderheiten einen Rückhalt finden muss, um langfristig erfolgreich zu sein. 

Die schematische Darstellung von Radikalisierungsprozessen 

Sämtliche Erklärungsansätze messen der Gruppenbildung im fortschreitenden Radikalisierungsprozess besondere Bedeutung zu. Dabei grenzen sich ideologisch gleichgesinnte Personen zunehmend von ihrem bisherigen sozialen Umfeld ab, wobei vor allem persönliche Bezüge zu radikalisierten Freunden oder Verwandten diesen Prozess befördern können. Dabei ist es wichtig, Radikalisierung als Prozess zu begreifen, in dessen Verlauf Werte und Verhaltensweisen adaptiert werden, welche zunehmend von jenen der Mehrheitsgesellschaft abweichen. Allerdings gibt es kein einheitliches, auf alle übertragbares Radikalisierungsmodell, da Radikalisierung auch immer stark von der persönlichen Historie und Sozialisation des Einzelnen abhängt. Dabei ist es vor allem wichtig, Radikalisierung nicht als Automatismus zu verstehen, der zwangsweise zu Gewalt führen muss. 
Die zunehmende Abschottung sich radikalisierender Personen ist in einer ersten Phase vor allem als mentaler Zustand zu verstehen, bei dem zunehmend Informationen entsprechend dem eigenen, zunehmend einseitigen Weltbild selektiert werden. Die Täter lösen sich zwar in der Regel von ihrem bisherigen sozialen Umfeld, indem beispielsweise eine Abwendung von liberaleren hin zu extremistischeren Moscheen erfolgt, doch kann dieser Umstand in der Regel oft erst im Nachhinein als Zeichen zunehmender Radikalisierung interpretiert werden. Dies gilt insbesondere dort, wo Personen weiterhin in das Berufs- oder Studienleben eingebunden bleiben. Ein physischer Rückzug bis hin zu Aufenthalten in Ausbildungslagern findet zudem nur teilweise statt; oft fungiert das Internet als virtueller und schwer erschließbarer Rückzugsraum. Das New York Police Department (NYPD) hat ein Modell entwickelt, welches Radikalisierungsprozesse schematisch darstellt und geht dabei von vier Stufen aus. Die erste – oben beschriebene Phase – wird dabei als „Pre-Radicalization„ bezeichnet; sie beschreibt die individuellen Erfahrungen einer Person im Rahmen ihrer Sozialisation, die im Wesentlichen von Familie, Religion, sozialem Status, Nachbarschaft und Ausbildung bestimmt wird. Sie endet mit der ersten Kontaktaufnahme zu islamistischen Zirkeln. Die folgende Phase des Abdriftens in ein islamistisches Milieu markiert in der Darstellung des NYPD den Zeitpunkt, an dem das Individuum seine Entdeckungsreise in die Welt des Salafismus startet („Self-Identification„). Die Person driftet langsam in ein anderes Milieu ab und verändert dabei signifikant die bisherige Identität. Die neue Identität wird geprägt von salafistischer Philosophie, Ideologie und Werten (siehe unten). Auslöser für diese Suche nach einer neuen Identität sind oftmals besonders einschneidende Ereignisse und/oder persönliche Krisen. In der folgenden Indoktrinationsphase werden die vorher gelegten Grundlagen progressiv ausgebaut. Die (jihadistisch)-salafistische Ideologie wird komplett adaptiert und die gesellschaftlichen Gesamtumstände dahingehend interpretiert, dass als einzige Handlungsoption der militante Widerstand in Frage kommt. Oftmals wird diese Indoktrination durch einen geistigen Führer forciert. In der letzten Phase des militanten Kampfes („Jihadisierung„) haben die Individuen ihre Pflicht zur aktiven Teilnahme am Kampf verinnerlicht und sich selbst zu „heiligen Kriegern„ ernannt. Die Gruppenmitglieder beginnen mit der Planung konkreter Terroranschläge.
Die Autoren betonen dabei explizit, dass nicht in jedem Fall alle Phasen durchlaufen werden oder diese gar in einer linearen Entwicklung nachvollzogen werden können. Vielmehr soll das entwickelte Modell als Orientierungsrahmen dienen, wobei für den konkreten Verlauf der Radikalisierung und deren Intensität stets die Sozialisation und letztlich die Motivlage des Einzelnen entscheidend bleibt. Dabei gibt es unterschiedliche „Ein- und Ausstiegspunkte„ in den Radikalisierungsprozess – oft fehlen ein klarer Anfangs- und Schlusspunkt. Auch hier gilt, was bereits bezüglich der Ursachen von Radikalisierung bzw. von „Home-grown„ Terrorismus gesagt worden ist: Kein einzelner radikalisierungsfördernder Faktor bietet eine hinreichende Erklärung für die Entstehung dieser Prozesse. Selbst dort, wo mehrere begünstigende Faktoren wie die Nähe zu radikalisierten Milieus und schlechte soziale Ausgangsbedingungen zusammentreffen, stellt die Radikalisierung oder gar die Entwicklung hin zu terroristischen Anschlägen keinen unabwendbaren Prozess dar. 

Die ideologische Komponente 

Das Modell des NYPD nennt mit der Ideologie einen Faktor, auf den bisher nicht eingegangen worden ist, der aber ein weiteres notwendiges Teil bei der Suche adäquater Präventionsansätze bietet. Dabei ist auch die Ideologie allein kein hinreichender Erklärungsansatz. Allerdings ist die dem Radikalisierungsprozess zugrunde liegende Auffassung des Islam das nötige Bindeglied zwischen der persönlichen Sinnsuche und den damit scheinbar in Verbindung stehenden globalen Missständen, gegen die man innerhalb der Gruppe vorgeht. Insbesondere der Salafismus vermittelt mit seinem rigorosen Islamverständnis ein umfassendes Lebensmodell. Die salafistische Islamauffassung ist durch ein sehr strenges, allein auf dem Koran und der Prophetenüberlieferung basierendes Religionsverständnis gekennzeichnet. Vom Grundsatz her handelt es sich dabei keinesfalls um ein neues Phänomen; vielmehr taucht der Ruf nach einem ursprünglichen Islam seit dem achten Jahrhundert regelmäßig – insbesondere während Krisenzeiten – in der islamischen Geschichte auf. Wiederkehrendes und zentrales Element des Salafismus ist eine dogmatische Orientierung an der Lebensweise der ersten drei Generationen der Muslime. Eine weltweite Verbreitung des Salafismus lässt sich seit den 1960er Jahren beobachten; eine treibende Rolle dabei spielt Saudi-Arabien bzw. die wahabitischen Gelehrten. 



Die Erscheinungsformen des Salafismus reichen dabei von der starken Betonung einer religiös orientierten Lebensweise und einer strikten Geschlechtertrennung mit klaren, Mann und Frau zugeordneten Lebensrollen bis hin zu einer jihadistisch geprägten Ausrichtung, welche politische Elemente in den Vordergrund stellt. Dabei finden sich immer wiederkehrende Elemente, die in ihrer Kombination und der ihnen zugedachten Wertigkeit den Salafismus ideologisch kennzeichnen. So zählt zu den Besonderheiten der salafistischen Islamauslegung eine sehr strenge Auslegung des Prinzips der Einheit Gottes (Tawhid), das als ein Kriterium für eine strikte Unterscheidung zwischen „wahren„ Muslimen und Ungläubigen bzw. Heuchlern, welche falsche Götter anbeten, gilt. Zudem werden die authentischen Taten und Aussprüche des Propheten neben dem Koran als alleinig rechtmäßige Grundlage für sämtliche Handlungsnormen dargestellt. In Verbindung mit der Betonung der Gottesherrschaft (Hakimiyat Allah) als allein legitimer Regierungsform führt dieses dogmatische Rechtsverständnis zu einer faktischen Ablehnung jeglicher säkularen Staatsordnung. Weitere wiederkehrende Elemente sind die Forderung, den Islam von „unislamischen„ Elementen zu reinigen und in seiner „authentischen„ Form zu verbreiten. Auf diesem Weg soll über die Erlangung und Verbreitung von Wissen ein islam-konformes Leben geführt werden. Selbst dort, wo eine aktive jihadistische Komponente fehlt, ergeben sich aus der salafistischen Islamauffassung klare Widersprüche zu einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung: Eine weltliche, von Menschen gemachte Regierungs- und Rechtsform (Taghut) wird ebenso wie die Demokratie bzw. das System der „Parteienbildung„ (Hizbiya) als unislamisch abgelehnt. Aus der Kombination der obgenannten Elemente resultiert auf der Grundlage einer scheinbar rein religiösen Argumentation zudem das Bild einer Gesellschaft, in welcher eine scharfe Trennung der muslimischen und nicht-muslimischen Lebenswelten verlangt wird: Muslimen, welche von der salafistischen Islamauslegung abweichen, wird vorgeworfen, Götzendienst (Schirk) zu betreiben sowie unzulässige Neuerungen (Bidah) in die Religion einzuführen und diese damit zu gefährden. 
Entsprechend wird durch die Salafisten selbst innerhalb der Muslime zwischen „wahren„ Gläubigen und vom wahren Islam Abgefallenen unterschieden; dabei werden besonders Traditionen des Volksislam kritisiert. Auch von anderen islamistischen Gruppierungen wie der Hizb-ut-Tahrir oder der Tablighi Jama’at, die im Grundsatz ähnliche Inhalte transportieren, distanziert sich der Salafismus durch eine insgesamt dogmatischere Orientierung am Vorbild der frühen Gefährten des Propheten. Im Gegensatz zum traditionellen Mehrheitsislam werden auch die Besitzer der Schrift (Juden und Christen) als Ungläubige bezeichnet, da sie laut Meinung der Salafisten die Erneuerung des ihnen Bekannten in Form der Herabsendung des Koran ablehnen. Zudem werden insbesondere die Schiiten und der Sufismus als Abfall vom authentischen Islam betrachtet. 
Die Konsequenz innerhalb westlicher Gesellschaften besteht für die salafistischen Milieus daher in einem klaren Rückzug von der nicht-islamischen Gesellschaft; ihr Ziel ist, langfristig eine authentische islamische Gesellschaft als Gegenmodell entstehen zu lassen. Der ideologische Transfer und die Missionsarbeit erfolgen dabei über eine Vielzahl von Medien. So sind salafistische Seiten im Internet in der jeweiligen Landessprache überproportional stark vertreten. Daneben werden Publikation und Datenträger in verschiedensten Sprachen vertrieben und Seminare abgehalten. 
Die Bedeutung, welche der Salafismus als Ideologie im Bereich des „Home-grown„-Terrorismus und der ihm zugrunde liegenden Radikalisierungsprozesse einnimmt, lässt sich zum einen durch das klare, polarisierende Weltbild erklären, welches er vermittelt. Dadurch werden Sinnsuchenden die erhofften, einfachen Antworten und ein Weltbild mit einer deutlichen Unterscheidung zwischen Gut und Böse geliefert. Durch die Annahme der „wahren„ Religion wird die Gruppenzugehörigkeit zu den Gleichgesinnten gestärkt und das Gefühl geschaffen, einer transnationalen Gemeinschaft „wahrer„ Gläubiger anzugehören. Gleichzeitig können durch die Spannbreite innerhalb des Salafismus Personen in unterschiedlichen Stadien des Radikalisierungsprozesses erreicht werden. Dadurch ist es möglich, innerhalb des Radikalisierungsprozesses Personen stufenweise zu indoktrinieren bzw. die eigene Sinnsuche immer weiter fortzuführen. Dies kann dazu führen, dass als letzte Handlungsoption der militante Jihad gewählt wird. 
Der Personenkreis, welcher durch den Salafismus angesprochen wird, reicht von Jugendlichen auf der Sinnsuche über Personen mit Lebensbrüchen bis zu Personen mit krimineller Vergangenheit. Dies schließt Muslime der zweiten oder dritten Einwanderergeneration, welche den Salafismus als „wahren„ Islam in Abgrenzung zur Religion ihrer Eltern entdecken, ebenso mit ein wie Konvertiten. 
Der Salafismus in Deutschland bedient sich daher der deutschen Sprache, um seine heterogene Anhängerschaft zu erreichen. Ähnliche Phänomene sind auch im europäischen Ausland zu beobachten. Dabei wird deutlich, dass Segregationsbestrebungen innerhalb einer Gesellschaft nicht unbedingt eine Frage des Passes sind. Für Präventionsansätze bedeutet dies, dass es nicht nur die strukturelle Integration zu berücksichtigen gilt, sondern insbesondere auch einen Ideologiediskurs. 

Präventionsansätze aus polizeilicher Sicht und Ansätze für ein behördenübergreifendes Handeln 

Die bisherige Darstellung des Phänomens „Home-grown„ Terrorismus und der vorangehenden Radikalisierung zeigt, dass rein strukturell orientierte Präventionsmaßnahmen dort nicht ausreichend sind, wo ideologische Faktoren eine stark spaltende Wirkung haben. Zudem wird aus der bisherigen Betrachtung deutlich, dass die Polizei nur einer der gesellschaftlichen Akteure sein kann, die sich mit dem Phänomen langfristig auseinandersetzen werden: Eine Terrorismusprävention, welche die These vom „Terrorismus als Kommunikationsstrategie„ ernst nimmt, muss die Auswirkung der getroffenen Maßnahmen auf die jeweiligen angegriffenen Gesellschaften berücksichtigen und letztlich gesellschaftsübergreifend durch verschiedene Akteure und auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen. Kemmesies greift die notwendige Verschränkung unterschiedlicher Präventionsansätze auf, wenn er auf die These des „Co-Terrorismus„ als „Resultat gesellschaftlicher Interaktionsprozesse„ hinweist. Mit Blick auf die Auswirkungen politischer Maßnahmen im Rahmen der Anti-Terror Politik empfiehlt er beispielsweise zu prüfen, inwieweit präventive Maßnahmen in der Bevölkerung ein Gefühl der Angst aufbauen und damit der Intention der Terroristen in die Hände spielen könnten. Ebenso weist er auf die Gefahr hin, aufgrund staatlicher Maßnahmen Solidarisierungseffekte mit den Tätergruppen auszulösen. Der geforderte ganzheitliche Ansatz schließt das ressortübergreifende Zusammenwirken der Polizei mit Behörden und Verbänden aus der Politik und Wirtschaft ebenso wie mit nicht-staatlichen Akteuren sowie den Medien und lokalen Initiativen mit ein. Die Ziele reichen dabei von der Bekämpfung der Legitimationsbasis extremistischer Ideologien über Themen der kulturellen und strukturellen Integration bis hin zur Beeinflussung von Tatgelegenheitsstrukturen, wobei die meisten polizeilichen Ansätze vorwiegend im letztgenannten Bereich der Sekundärprävention anzusiedeln sein dürften. 
Im folgenden werden mögliche Ansätze präventiver Maßnahmen aus polizeilicher Sicht aufgezeigt, die neben der Umsetzung polizeiinterner Maßnahmen selbstverständlich auch eine öffentlichkeitswirksame Dimension beinhalten und damit ebenfalls auf ihre Vernetzung mit nicht-polizeilichern Präventionsträgern hin zu überprüfen sind: Grundlage jeder professionellen Präventionsarbeit ist die genaue Kenntnis des jeweiligen Phänomens. Dies gilt für den Bereich des Terrorismus mit seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen und multikausalen Ursachen ebenso wie für die Prävention gesellschaftlicher Segregation. Handlungskompetenz beruht dabei sowohl auf Erfahrung als auch auf Wissen; sie ist immer dann wichtig, wenn es – wie häufig im Fall polizeilichen Handelns – darum geht, in der Rolle des „gezwungenen Vermittlers„ aufzutreten. 
Generell erleichtert die Kenntnis des sozialen Umfeldes und eventueller kultureller Besonderheiten die Vermittlung eigener Ansichten und Positionen und ermöglicht dadurch ein zielgerichtetes und professionelles Handeln. Als Beispiel sei das innerhalb der Bayerischen Polizei erstellte und mittlerweile großteils implementierte „Konzept für die Vermittlung von Hintergrundwissen zum islamisch-arabischen Kulturkreis„ genannt; dieses versteht sich vor allem als Unterstützung zur Bewältigung unterschiedlichster polizeilicher Situationen. 
Die modular aufgebauten Aus- und Fortbildungsmaßnahmen sind stark zielgruppenorientiert und verstehen sich weniger als Regelkatalog denn als Wissensbasis, die dem Polizeibeamten im Einzelfall ein der Situation angemessenes Verhalten ermöglichen soll. Nicht Anpassung im Sinne einer strikten Regelbefolgung, sondern möglichst effizientes Handeln steht im Vordergrund. Um dies zu erreichen ist es notwendig, im Rahmen der Schulungsmaßnahmen einerseits allgemeines Hintergrundwissen zu vermitteln und andererseits Pauschalisierungen und die Herausbildung von Allgemeinplätzen zu vermeiden. Daher besteht eines der Ziele der Aus- und Fortbildungsmaßnahmen auch darin, im interkulturellen Kontext eine differenzierte Wahrnehmung des Gegenübers zuzulassen. Zu den Schulungsinhalten gehört – je nach Zielgruppe – die Vermittlung von Hintergrundwissen über die ethnische und sprachliche Vielfalt sowie die sozialen Lebensbedingungen in der Türkei und den arabischen Staaten im Mittelmeerraum; hinzu kommt eine Einführung in die Vielfalt religiöser Strömungen und Entwicklungen innerhalb des Islam. Bezogen auf Deutschland bedeutet dies auch, sich differenziert mit der Historie der (türkischen) Einwanderung und den damit verbundenen demographischen, sozialen und wirtschaftspolitischen Aspekten zu beschäftigen. Dass eine Förderung der polizeilichen Effizienz durch entsprechendes Training und Wissen in der polizeilichen Außenwirkung auch integrativ – und gegen die von Kemmesies thematisierten Effekte – wirken kann, ist durchaus gewollt, bildet aber im Falle eines entsprechenden, für die Bayerische Polizei entwickelten Konzepts nicht das Hauptziel.
Im Phänomenbereich gesellschaftlicher Segregationstendenzen ist es zudem wichtig, auf den ersten Blick ähnliche Verhaltensmuster zu differenzieren: So ist der Großteil eines innerhalb der türkischen Bevölkerung zu beobachtenden, traditionellen Verhaltens damit zu erklären, dass viele türkischstämmige Muslime in Deutschland aus dem wertkonservativen Hinterland der Türkei (z.B. Anatolien) stammen. Besonders der türkische Schriftsteller Aras Ören hat in den vergangenen Jahren in diesem Zusammenhang immer wieder darauf hingewiesen, bei der Frage der Inte-gration gehe es vor allem darum, Bauern zu Städtern zu machen. Ähnlich im Erscheinungsbild und dennoch völlig unterschiedlich sind dagegen die Bestrebungen aus dem Umfeld islamistischer Gruppierungen bzw. Bewegungen einzustufen: Zwar können Forderungen wie jene nach der Wiederherstellung traditioneller „islamischer„ Familienstrukturen den tradierten Ehrvorstellungen in der Praxis sehr nahe kommen, doch handelt es sich im einen Fall um den Versuch der Identitätswahrung (primär der ersten Einwanderergeneration), im zweiten Fall jedoch um das primär innerhalb der dritten Einwanderergeneration zu beobachtende Bestreben, eine auf dem „wahren Islam„ basierende, ideale Gesellschaft zu errichten. 
Dies geschieht in bewusster Abgrenzung zu den Traditionen und auch dem religiösen Verständnis der Elterngeneration. Man mag nun anmerken, dass die soziale Wirklichkeit in beiden Fällen letztlich zur Abschottung und einer Missachtung der in Deutschland geltenden Grundwerte führt. Das ist zwar richtig, aus präventiver Sicht können allerdings im ersten Fall verstärkte gesetzliche Maßnahmen (z.B. eine Änderung des Einreisealters im Fall der Familienzusammenführung) und klassische Instrumente der strukturellen Integration – wie aus dem Bereich der Bildung – Wirkung zeigen, während bei den Forderungen aus dem islamistischen Spektrum die ideologische Komponente stärker berücksichtigt werden muss. 
Ansätze wie das dargestellte Beispiel aus dem Bereich der polizeilichen Aus- und Fortbildung sind ähnlich für soziale Einrichtungen und insbesondere für Lehrer denkbar. Auch hier gilt: Je mehr Hintergrundwissen vorhanden ist, desto leichter fällt es, religiöse Besonderheiten in ihrer Vielfalt zu respektieren, andererseits aber Formen von Extremismus konsequent und handlungssicher zu begegnen. Neben der behördeninternen, zielgruppenspezifischen Beschulung ist auch ein behördenübergreifender und interdisziplinärer Wissensaustausch erforderlich, wie er durch die Schaffung von Netzwerken erreicht werden kann. Dies ist in Deutschland innerhalb der Sicherheitsbehörden unter anderem im Gemeinsamen Terrorismus Abwehr-Zentrum (GTAZ) institutionalisiert. Daneben bieten sich konkrete Ansatzpunkte für Präventionsmaßnahmen dort, wo radikale Botschaften in einem abgeschirmten sozialen Umfeld – beispielsweise innerhalb der Armee, Universitäten, Jugendgruppen und sozialen Treffpunkten – transportiert werden können. Vor allem Gefängnisinsassen sind anfällig für Radikalisierung, da der vorhandene Unmut leicht kanalisiert werden kann; hier erweist sich beispielsweise ein dezentraler, nicht deliktspezifisch organisierter Strafvollzug von Vorteil. Die größten Erfolgsaussichten bestehen insoweit durch Einflussnahme auf jene Personen, die zwischen moderaten und extremistischen Anschauungen schwanken. Hier kann Radikalisierung zwar nicht verhindert, aber ihre Ausbreitung eingeschränkt werden. Was die Gruppenebene angeht, sind Verbotsverfahren gegen extremistische Gruppierungen neben der strafrechtlichen Relevanz durchaus auch unter präventiven Aspekten als wichtiges Signal zu werten. Eine ähnliche (Signal)wirkung können Verfahren gegen Zellen und Aktivisten aus dem extremistischen Spektrum entfalten. Extremismus schließt dabei nicht notwendigerweise die Befürwortung von Gewalt mit ein, sondern setzt auf der Ebene eines Verstoßes gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung an. 
Als wesentlicher Faktor auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene sind schließlich Formen der (polizeilichen) Zusammenarbeit mit der Bevölkerung mit Migrationshintergrund zu nennen. Besonders bei türkisch- und arabischstämmigen Migranten gilt zu berücksichtigen, dass die Kontakte nicht nur auf religiöse Einrichtungen beschränkt werden sollten. Zwar sind Moscheen insbesondere für die Elterngeneration oft wichtige Anlaufstellen, aber es wäre fatal, die Religionsangehörigkeit generell als primäres Identifikationsmerkmal zu sehen – außer, man wollte islamistische Denkweisen übernehmen. Zudem sollte bei der Wahl der jeweiligen Ansprechpartner genau geprüft werden, welche Strömung oder Organisation diese vertreten und welche Außenwirkungen sich gegebenenfalls ergeben können. Formen der Zusammenarbeit erweisen sich dabei, unabhängig vom jeweiligen Ansprechpartner, in der Regel immer dann als besonders erfolgreich, wenn sie verschiedene organisatorische Ebenen und Präventionsträger mit einbeziehen und langfristig angelegt werden. Dabei sollte neben der notwendigen Einbindung der Führungsebene – die letztlich entscheidend für den Rückhalt innerhalb der Organisation ist – ein Schwerpunkt von Kooperationen immer auf der lokalen Ebene liegen, zumal schließlich dort Projekte umgesetzt werden. Zwischen den unterschiedlichen staatlichen Präventionsträgern ist es für ein erfolgreiches Gelingen daher nötig, genau festlegen, auf welcher Ebene mit welchen Partnern, durch wen und mit welchem Ziel und Umfang Kooperationen eingegangen werden. 
Insbesondere dort, wo von staatlicher Seite ein Austausch mit extremistischen Gruppierungen stattfindet, muss eine klare Zieldefinition erfolgen. Beispielsweise beklagt der Autor eines im Internet kursierenden Pamphlets „Dialog – Chance oder Gefahr„, die Ziele des Dialogs würden meist offen gelassen oder unscharf definiert. Er warnt die Muslime in Deutschland, man sehe sich im Rahmen verschiedener Dialoginitiativen genötigt, Interesse an der anderen Religion zeigen, auch wenn man sich nicht dafür interessiere, da man selbst die wahre Religion besitze. Generell bringe das westliche Gesellschaftsverständnis Muslime in Argumentationsnöte, da den Muslimen im Rahmen des Dialogs ein „Bekenntnis zur Demokratie und zur Überlegenheit dieser Gesellschaftskonzeption„ abverlangt werde. Wenn es sich dabei auch um eine Minderheitenmeinung handelt, weist sie doch deutlich auf die Gefahr hin, dass Dialoginitiativen Gefahr laufen können, nur deshalb „erfolgreich„ zu sein, weil unterschiedliche Motivation und Zielsetzung der Gesprächspartner ausgeklammert werden. 
Die Konsequenz daraus sollte aber nicht in einer Beendigung jeglicher Kontakte bestehen. Allerdings sind hier klare Ziele und Authentizität besonders wichtig, da nicht ideologische Ansätze im Vordergrund stehen sollten, sondern die reale Ausgangssituation. In diesem Fall ist ein fundiertes Hintergrundwissen besonders wichtig. Gerade in Deutschland war über lange Zeit eine solch problemorientierte Auseinandersetzung sehr schwierig; insbesondere konfliktbehaftete Themen wie das Verhältnis von Religion und Staat und familienpolitische Themen wurden bewusst ausgeklammert, um durch einen toleranten Umgang mit Intoleranz dem Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit zu entgehen. In gleicher Weise gilt es, bei der Zusammenarbeit mit moderaten Moscheen bzw. der muslimischen Mehrheitsbevölkerung insbesondere von polizeilicher Seite einen ernst gemeinten Vertrauensaufbau als Ziel zu verfolgen. Das Thema der Radikalisierung muss deshalb nicht tabuisiert werden, doch sollte bei der Zielsetzung Klarheit darüber herrschen, dass radikalisierte Jugendliche in der Regel nicht über Moscheen zu erreichen sind, sondern allenfalls ihr familiäres Umfeld auf diesem Wege sensibilisiert werden kann. Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen eines im Jahr 2005 begonnenen Dialogprozesses zwischen deutschen Sicherheitsbehörden und muslimischen Verbänden das Konzept „Vertrauensbildende Maßnahmen„ entwickelt. Ziel ist eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden und den beteiligten muslimischen Verbänden, die u.a. durch die feste Benennung von Ansprechpartnern erreicht werden soll. Die gewonnenen Erfahrungen hinsichtlich der Zusammenarbeit auf lokaler Ebene wurden unter anderem in dem Leitfaden „Polizei und Moscheevereine„ auch öffentlich zugänglich gemacht. 
Der für diesen Diskurs nötige gesamtgesellschaftliche Rahmen wurde schließlich durch die Einrichtung eines Integrationsgipfels sowie auch durch die Einrichtung der Deutschen Islam Konferenz (DIK) im Jahre 2006 geschaffen. Im Rahmen der DIK wurde neben Arbeitskreisen zu Themen wie der lntegration des lslam in das deutsche Religionsverfassungsrecht und der Rolle der Medien auch ein Gesprächskreis „Sicherheit und Islamismus„ eingerichtet, der eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Muslimen und Sicherheitsbehörden gegen islamistische Strömungen zum Ziel hat. Die Möglichkeiten, mit den beschriebenen Maßnahmen eine Radikalisierung einzelner Personen oder Gruppen gänzlich verhindern zu können, müssen realistischerweise insbesondere kurzfristig kritisch gesehen werden. Vor allem die Entradikalisierung von Gruppen ist in der Regel mit längerfristigen politischen und gesellschaftlichen Prozessen verbunden: Auch wenn Integrationsdefizite kein hinreichender Erklärungsansatz für Radikalisierung sind, bereiten sie doch den ideologischen Nährboden durch ein diffuses Gefühl direkter oder indirekter Benachteilung. Auch hier gilt, dass sich nur durch entsprechende Vernetzung und eine vertiefte Kenntnis ursächlicher Zusammenhänge letztlich die unbeabsichtigten, möglicherweise negativen Effekte von Präventionsarbeit verhindern lassen. Beispielsweise ist es durchaus vorstellbar, Faktoren wie „Erfolg auf dem Arbeitsmarkt„ durch spezielle Programme zu fördern, um dadurch möglicherweise das ideologische Umfeld für Rekrutierungsprozesse abzuschwächen. Möglich wäre aber auch, dass rein zielgruppenspezifische Programme die Gesellschaft polarisieren und zu Stigmatisierung führen. 



Abschließend wird empfohlen, die aufgezeigten präventiven Ansätze verstärkt als Teil einer abgestimmten gesamtgesellschaftlichen Strategie zu verstehen und zum hierfür nötigen verbesserten Verständnis des Phänomens den Forschungsaufwand zu verstärken, frei nach Machiavelli: „Die Übel, die hier entstehen, lassen sich rasch heilen, wenn man sie von fern erkennt, was aber nur ein Mann von Verstand vermag; lässt man sie aber unerkannt anwachsen, bis sie jeder erkennt, so gibt es kein Gegenmittel mehr.„ (Niccolò Machiavelli, Der Fürst, Kapitel III)

ANMERKUNGEN
Brettfeld, Karin und Wetzels, Peter: Muslime in Deutschland, Texte zur Inneren Sicherheit, BMI 2007
Vgl. The New York City Police Department (NYPD): Radicalization in the West: The Homegrown Threat, 2007 
RAND National Security Research Division: The Radicalization of Diasporas and Terrorism, 2007 Mirza, Munira und Senthilkumaran, Abi et. al.: Living apart together: British Muslims and the paradox of multiculturalism, Policy Exchange, London, 2007
vgl. Nischler, Christiane: The Roots of International Islamist Terrorism, Shaker Verlag, 2008
Vgl. Leiken, R. und Brooke, S. (2006). The Quantitative Analysis of Terrorism and Immigration: An Initial Exploration. Terrorism and Political Violence, Volume 18, Number 4 / Winter 2006 –Seite 503 – 521 
vgl. auch RAND National Security Research Division: The Radicalization of Diasporas and Terrorism, 2007 Mirza, Munira und Senthilkumaran, Abi et. al.: Living apart together: British Muslims and the paradox of multiculturalism, Policy Exchange, London, 2007 
Bakker, Edwin, Jihadi terrorists in Europe: their characteristics and the circumstances in which they joined the jihad: an exploratory study, Netherlands Institute of International Relations, Clingendael, Dezember 2006, S. 57
Europa wird zum Zweck der Studie wie folgt definiert: 25 EU-Mitgliedsstaaten, die Staaten der Balkan-Region sowie jene westeuropäischen Staaten, welche nicht Mitglieder der EU sind. 
Vgl. Bakker 2006, S. 18-27
Sageman, Marc: Understanding Terror Networks, University of Pennsylvania Press, 2004
Die Mehrheit der Personen wurde unter Terrorismusverdacht verhaftet, wobei nur in wenigen Fällen eine Verurteilung erfolgte. Vgl. Bakker 2006, S. 16
vgl. auch Nischler, ebenda, S. 64 ff. 
vgl. Sageman, Marc: Radicalization of Global Islamist Terrorists, United States Senate Committee on Homeland Security and Governmental Affairs, June 27, 2007
Vgl. für eine Beschreibung von Terrorismus als Prozess auch Perl, Raphael: CRS Report for Congress, Congressional Research Service (CRS), Order Code RL33160, March 12, 2007, S. 5 ff. 
vgl. auch The New York City Police Department (NYPD): Radicalization in the West: The Homegrown Threat, 2007
vgl. Waldmann, Peter: Terrorismus Provokation der Macht, München 1998
Kemmesies, Uwe, in: Egg, Rudolf (Hrsg.): Extremistische Krminalität und Prävention, Wiesbaden 2006, KuP Band 51, S. 229-244
Kemmesies, ebenda, S. 241-242
vgl. „Dialog – Chance oder Gefahr„, www.salaf.de, Stand 12/2008
vgl. auch www.polizei-beratung.de vgl. Bakker, ebenda, S. 57