Europaweiter Versandhandel mit gefälschten Lifestyle-Pillen
– Schnittstellen zur organisierten Kriminalität
Bei zahlreichen dubiosen Webseiten-Betreiber sind sie zu Dumpingpreisen erhältlich, diskret und ohne Rezept. Dies klingt verlockend, beinhaltet jedoch, neben der Gefahr eines rechtswidrigen Vermögensschadens, oft ein hohes Risikopotential für die Gesundheit des Endverbrauchers. Gemeint sind Potenzmittel, Medikamente zur Gewichtsreduktion oder Raucherentwöhnung, aber auch Arzneimittel gegen Haarausfall. Die Kosten dieser Präparate werden meist nicht von den Krankenkassen erstattet. Zudem ist ihre Abgabe in einer Apotheke an die Vorlage einer ärztlichen Verschreibung gebunden. Deshalb wählen viele Endverbraucher den anonymen Bezug über das Internet. Skrupellose internationale Geschäftemacher bedienen sich dieses modernen Kaufverhaltens der Konsumenten und verursachen innerhalb kürzester Zeit immense Vermögensschäden.
Dr. Martin Emmerich
Kriminaloberkommissar
Landeskriminalamt Saarland
Phänomen Arzneimittelfälschungen
Erste bedeutende Erkenntnisse über gefälschte Arzneimittel gehen bis Mitte des letzten Jahrhunderts zurück. Seitdem hat sich viel verändert. Zwischenzeitlich sind gefälschte Arzneimittel zu einer „reellen weltweiten Bedrohungslage„ mit weit reichenden Konsequenzen für den Patienten bzw. Endverbraucher geworden, wobei das Ausmaß der Verbreitung regional stark different ist.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO)1 schätzt, dass in den hoch industrialisierten Ländern Europas, in den USA und in vergleichbar entwickelten Ländern wie Kanada, Japan oder Neuseeland weniger als 1 % der abgegebenen Arzneimittel gefälscht sind. Für viele afrikanische Entwicklungsländer, Teile Asiens oder Lateinamerikas ergibt sich allerdings eine deutlich schlechtere Schätzung der WHO. In diesen wirtschaftlich schwachen Territorien liegt die Rate der verkauften gefälschten Präparate zwischen 10 % und 30 % aller in Verkehr gebrachten Medikamente.
Das „Centre for Medicines in the Pub-lic Interest„ in den USA sagt in diesem Kontext voraus, dass der Verkauf von gefälschten Arzneimitteln die Summe von 75 Billionen US-Dollar im Jahr 2010 weltweit erreichen wird. Dies entspricht einem Anstieg von mehr als 90 % seit dem Jahr 2005 1.
Dabei korreliert das Ausmaß der Verbreitung der gefälschten Arzneimittel offensichtlich sehr stark mit dem „Verfolgungs- und Entdeckungsrisiko„ seitens der jeweiligen staatlichen Überwachungsbehörden, das sich in einem Land oder in einer Region für die international operierende kriminelle Organisation ergibt.
Mit der Verbreitung des Internets als weitestgehend anonyme Plattform für das rechtswidrige Anbieten und Inverkehrbringen der gefälschten Arzneimittel ist das individuelle Risiko des Endverbrauchers, eine derartige pharmazeutische Zubereitung zu erhalten, signifikant angestiegen.
In den Industrieländern und bis zu einem gewissen Grad auch in ärmeren Ländern ist zwischenzeitlich der internetbasierte Verkauf von Pharmaka Hauptquelle für das rechtswidrige Inverkehrbringen der gefälschten Ware1.
Gefälschte Arzneimittel
Ein gefälschtes Medikament ist ein Arzneimittel, bei dem vorsätzlich und arglistig falsche Angaben über die Identität und/oder den Lieferanten gemacht werden. Fälschungen können Markenmedikamente und Generika betreffen, es kann sich um Produkte mit den richtigen Wirkstoffen, mit falschen Wirkstoffen, mit gar keinen Wirkstoffen, zu wenig Wirkstoffen oder gefälschter Verpackung handeln.„
Eine Vielzahl von dubiosen Online-Anbietern mit hohem Organisationsgrad nutzt diese moderne „Shopping-Möglichkeit„ zielstrebig, um in dem lukrativen Geschäftsfeld mit gefälschten Arzneimitteln innerhalb eines kurzen Zeitsegmentes hohe Vermögenswerte rechtswidrig zu erlangen..
Dabei täuschen die Täter auf ihren professionell „gehosteten Websites„ den interessierten Kunden eine therapeutische Wirksamkeit der feilgebotenen Arzneimittel vor, die jedoch tatsächlich nicht vorhanden ist.
Zudem handelt es sich bei den offerierten pharmazeutischen Zubereitungen meist um potentielle Fälschungen zugelassener Arzneimittel, die zuvor von den geschädigten pharmazeutischen Unternehmen marken- und patentrechtlich geschützt worden sind.
Diese illegalen Internetapotheken geben die georderten Arzneimittel außerhalb des in § 47 Arzneimittelgesetz (AMG) geregelten und kontrollierten Vertriebsweges an eine Vielzahl von Besteller gewerbsmäßig ab.
Ferner gestattet der Gesetzgeber die Abgabe von rezeptpflichtigen Arzneimitteln nur nach Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Verschreibung. Einhergehend mit der Verschreibungspflicht fordert die Legislative eine ärztliche Prüfung, ob die Anwendung bestimmter Arzneimittel im Einzelfall notwendig und für den Patienten zumutbar ist. Diese ärztliche Kontrolle fehlt durch die skrupellose Vorgehensweise der Täter gänzlich.
Erhebliches Risikopotential für die Endverbraucher
Gefälschte Arzneimittel können sowohl Produkte ohne Wirkstoffe als auch solche mit falschen Wirkstoffen oder mit unzureichender bzw. zu hoher Menge an Wirkstoffen oder mit sonstigen falschen Angaben zur Herkunft oder Identität sein.²
Eine Reihe von chemischen Analysen beschlagnahmter Prüfmuster von potentiellen Fälschungen beim LKA Saarland belegen im Rahmen eines Sachverständigengutachtens3:
„Aufgrund bei weitem zu hoher Anteile an Verunreinigungen stellen die untersuchten Prüfmuster ein erhebliches Risiko für die Gesundheit und das Leben von Patienten dar. Daher ist zum Schutz von Patienten von einer akuten Toxizität auszugehen. Weiterhin ein erhebliches Risiko für die Gesundheit stellt das Prüfmuster 2005040234 aufgrund des doppelten Arzneistoffgehaltes (190 % bezogen auf den deklarierten Arzneistoffgehalt) dar.„
Unter dem vor genannten Bezug warnte Saar-Gesundheitsminister Josef Hecken vor Präparaten von illegalen Internetarzneimittelanbietern. „Wer über das Internet bei dubiosen Anbietern verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne ärztliches Rezept und ohne Beratung durch einen Arzt oder Apotheker bestellt, riskiert schwere Nebenwirkungen und erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen. Mit der Einnahme ist daher ein gesundheitliches Risiko verbunden. Das Risiko für Schwindel, Herzrasen, Herzrhythmusstörungen und einen plötzlichen Herztod wird möglicherweise deutlich erhöht„, so Minister Hecken4.
Die Beschreibung dieser gravierenden Nebenwirkungen macht deutlich, dass man trotz Warnmeldungen der zuständigen Gesundheitsbehörden und zahlreicher Aufklärungskampagnen der pharmazeutischen Unternehmen auch zukünftig in zahlreichen Fällen von ernstzunehmenden Konsequenzen für die menschliche Gesundheit der ahnungslosen Patienten, oder gar von Todesfällen ausgehen muss.
Involvierte Strafverfolgungsbehörden gehen in diesem Zusammenhang sogar davon aus, dass die Zahl der Todesfälle, die durch Einnahme von gefälschten Lifestyle-Pillen bedingt ist, die Anzahl der „Rauschgifttoten„ in einem definierten Zeitraum übersteigt.
Erfahrene Ermittlungsbeamte berücksichtigen zwischenzeitlich dieses Phänomen, insbesondere im Rahmen der Tatortaufnahme bei der Bearbeitung von Todesermittlungssachen bei „Ungeklärter Todesart„.
Die Täter nutzten das „World Wide Web" mit einer Vielzahl von professionell gehosteten und miteinander verlinkten Websites als Plattform für das rechtswidrige Inverkehrbringen der gefälschten Arzneimittel
Ermittlungskomplex
EG Placebo – LKA Saarland
Auslöser der kriminalpolizeilichen Untersuchungen war im August 2004 die schriftliche Anzeige eines führenden europäischen Pharmaherstellers bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken.
Gemäß der Schilderung des pharmazeutischen Unternehmens wurde auf einer konkreten Website ein rezeptpflichtiger „Schlankmacher„ angeboten und nach erteilter Order im Wege des Versandhandels dem Endverbraucher zugestellt. Die erste chemische Analyse des Prüfmusters eines unzufriedenen Kunden bei dem Hersteller selbst ergab, dass das in Verkehr gebrachte Arzneimittel 0 mg Gehalt des entscheidenden Wirkstoffes pro Hartkapsel enthielt.
Folgeermittlungen führten sehr schnell zu einer saarländisch/rheinland-pfälzischen Tätergruppierung, die zwischenzeitlich zu mehrjährigen Haftstrafen rechtskräftig verurteilt ist.
Die Straftäter installierten eine Vielzahl verschiedener Web-Domains als Plattform für das gewerbsmäßige Anbieten und Inverkehrbringen der gefälschten Arzneimittel. Sie boten zum einen die „Lifestyle-Pillen„ auf diesen Seiten auf eigene Rechnung an (10.151 selbständige Handlungen und 2.052.395,17 € Vermögensschaden), jedoch in einem weitaus größeren Rahmen gewährleisteten sie die europaweite Zustellung der gefälschten Präparate für die beiden gesondert verfolgten Hauptbeschuldigten (52.851 Einzelfälle mit 11.557.318,80 € Vermögensschaden). Dabei bestand der Tatbeitrag der saarländisch/rheinland-pfälzischen Gruppierung vor allem darin, die Warensendungen mit den gefälschten Arzneimitteln aus einer Bulkware, gemäß dem jeweiligen Bestellvorgang auf den Websites der Hauptbeschuldigten, versandfertig vorzubereiten und verschiedenen Expressdienstleistern (z.B. UPS, DPD, DHL, Post) zur Zustellung an den „Online-Kunden„ zu übergeben.
Alle durchgeführten Untersuchungen zur Identifikation von potentiellen Fälschungen durch einen Sachverständigen führten zu der Bewertung, dass die an Endverbraucher abgegebenen Arzneimittel als Fälschungen zu identifizieren sind. Sämtliche pharmazeutischen Zubereitungen wurden unter Verwendung der geschützten Markenbezeichnungen der Originalpräparate und der Form und Farbe der Kapseln/Tabletten in Verkehr gebracht.
Durch diese rechtswidrige Vorgehensweise der Täter sind sieben führende europäische pharmazeutische Unternehmen im vorliegenden Ermittlungskomplex geschädigt worden.
Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand zeichnen die Täter verantwortlich, durch das rechtswidrige Inverkehrbringen der gefälschten Arzneimittel in insgesamt 63.002 Einzelfällen im Tatzeitraum vom Juni 2002 bis November 2004 (23.11.04 – Tag der Durchsuchung) einen rechtswidrigen Vermögensvorteil von nachweislich 13.609.713,90 Euro erlangt zu haben.
Chronologie
Am 23.11.2004 führte die zeitgleiche Durchsuchung von sieben Objekten und zahlreichen Kraftfahrzeugen zum Auffinden von umfangreichem Beweismaterial, insbesondere in Form von elektronischen Daten.
Insgesamt konnten an diesem Tag bereits mehr als 10.000 Datensätze über die Zustellung von offensichtlich gefälschten Arzneimitteln in beschlagnahmten Datenbanken der saarländisch/rheinland-pfälzischen Tätergruppierung festgestellt werden.
Nach Anwendung eines zuvor definierten Filters wurden aus dem gesicherten Datenmaterial nahezu 1.000 geschädigte Endverbraucher ausgewählt und mittels eines Zeugen-Fragebogens zu den Tatvorwürfen angehört. Diese Vorgehensweise führte zudem zielgerichtet zur Sicherstellung von mehr als 150 Arzneimittel- Präparaten, die zum Zeitpunkt der Anhörung noch als Restbestände bei den „geschädigten Kunden„ vorrätig waren und im Anschluss als Prüfmuster bei der PHAST GmbH, Homburg, im Rahmen einer chemischen Analyse/Identifikationsprüfung begutachtet wurden. Anhand dieser Untersuchungen konnte die Verminderung der therapeutischen Wirksamkeit der vertriebenen Arzneimittel objektiv nachgewiesen werden.
Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken verfügte im vorliegenden Ermittlungskomplex einen entsprechenden Untersuchungsauftrag in Höhe von ca. 55.000 Euro an die PHAST GmbH.
Beschlagnahmte Datenmenge
Die beschlagnahmte elektronische Datenmenge mit ca. 1.100 GB und 8.500 E-Mails ist die größte Datenmenge, die bisher vom Landeskriminalamt Saarland in einem Einzelfall gesichert und ausgewertet werden musste. Sie entspricht exakt der Datenmenge, die im gesamten Jahr 2001 dem Sachgebiet LKA 244 –IT-Beweissicherung/Auswertung zur digitalen Forensik überlassen wurde.
Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht
Insbesondere in Bezug auf die abgetrennten Ermittlungsverfahren gegen die beiden Hauptbeschuldigten verfügte die StA Saarbrücken nach dem geltenden Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht5 die vollumfängliche Konkretisierung jedes Einzelfalles, bis hin zur Feststellung des individuellen Vermögensschadens und der ladungsfähigen Anschrift jedes einzelnen Geschädigten.
Gemäß diesem Erfordernis wurden bis zum Abschluss der Ermittlungen mehr als 63.000 elektronische Datensätze nach den justiziablen Anforderungen aufbereitet und in das Verfahren eingebracht.
Dabei basierte die Feststellung des eingetretenen Gesamtvermögensschadens, die Zuordnung zur jeweiligen Vertriebsschiene sowie die tabellarische Dokumentation jedes Einzelfalles auf elektronischem Datenmaterial, das der Expressdienstleister UPS größtenteils per CD/DVD-Datenträger zeitnah den Ermittlungsbeamten zur Verfügung stellte.
Die Täter kennzeichneten die elektronischen Bestellvorgänge auf ihren Websites mittels spezieller „Orderkürzel„. Durch dieses Merkmal konnten mehr als 63.000 Schadensfälle entweder der saarländisch/rheinland-pfälzischen Tätergruppierung selbst, oder jeweils der Vertriebsschiene der beiden gesondert verfolgten Hauptbeschuldigten zugeordnet werden.
Ausfertigung von vier Europäischen Haftbefehlen
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht Saarbrücken am 05.12.2005 die Untersuchungshaft gegen einen dringend tatverdächtigen US-amerikanischen Arzt (Hauptbeschuldigter) sowie gegen seine beiden Mittäter (einen weiteren US-amerikanischen Staatsangehörigen und einen Briten) an. Die vor genannten Personen zeichnen verantwortlich in wenigstens 43.316 Einzelfällen gefälschte Arzneimittel, jedenfalls keine Originalprodukte, europaweit in Verkehr gebracht zu haben. Durch diese Tathandlungen erzielten die dringend Tatverdächtigen im Zeitraum vom 06.05.2002 bis 18.11.2004 einen rechtswidrigen Vermögensvorteil von 9.623.604,96 €.
Bereits am 06.12.2005 fertigte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken die Europäischen Haftbefehle gegen die vor genannten Verfolgten aus.
Aufgrund der bestehenden SIS-Ausschrei-bung wurde der gesuchte US-amerikanische Arzt am 26.03.2007 auf dem Flughafen in Lyon im Rahmen einer Kontrolle des Ausreisebereichs nach Amsterdam festgenommen, dem französischen Ermittlungsrichter vor- und anschließend der Justizvollzugsanstalt zugeführt.
Bei der Vorführung erklärte sich der Festgenommene nicht mit einer Auslieferung nach Deutschland einverstanden.
Am 03.04.2007 fasste das französische Berufungsgericht in Lyon jedoch in dieser Auslieferungsangelegenheit den Beschluss, dem vereinfachten Verfahren gemäß dem Europäischen Haftbefehlsverfahren zu entsprechen. Gegen diese Entscheidung legte der festgenommne US-Arzt erfolglos Beschwerde ein. Der Gesuchte wurde daraufhin am 04.06.2007 am Grenzübergang Forbach den deutschen Justizbehörden überstellt. Im Zuge der Vorführung beim Amtsgericht Saarbrücken setzte der Ermittlungsrichter den bestehenden Haftbefehl in Vollzug und der dringend tatverdächtige Hauptbeschuldigte wurde der Justizvollzugsanstalt (JVA) Saarbrücken zugeführt. Die anschließende Beschwerde des Untersuchungshäftlings gegen den Haftbefehl des Amtsgerichtes Saarbrücken wurde vom Landgericht als unbegründet verworfen.
Der US-amerikanische Mittäter wurde bereits am 31.01.2007 auf dem Flughafen Palma de Mallorca deutschen Ermittlungsbeamten übergeben. Zwischenzeitlich hat das Landgericht Saarbrücken auch diesen Tatverdächtigen zu einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe verurteilt. Aufgrund der umfänglichen und bedeutsamen Einlassung des Beschuldigten setzte das Gericht die Strafe zur Bewährung aus.
Das spanische Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und Kooperation kündigte mit Verbalnote vom 23.03.2007 die weitere Auslieferung des ebenfalls dringend tatverdächtigen Briten (Mittäter) nach Deutschland an. Zuvor hatte der Ministerrat in Madrid am 09.03.2007 auf Grundlage einer richterlichen Verfügung der Auslieferung zugestimmt. In der Folge wurde der Gesuchte am 28.05.2007 auf dem Flughafen Palma de Mallorca den deutschen Strafverfolgungsbehörden übergeben. Zwischenzeitlich hat die Staatsanwaltschaft Saarbrücken Anklage gegen den geständigen Beschuldigten erhoben.
Über diese rechtswidrigen Handlungen hinaus wurde zwischenzeitlich gegen den zweiten Hauptbeschuldigten, einen israelischen Staatsangehörigen, eine gerichtliche Entscheidung rechtskräftig. Das Amtsgericht St. Wendel verhängte am 20.10.2006 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Saarbrücken eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr gegen den „israelischen Pharmazeuten„. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre. Als Bewährungsauflage hat der Verurteilte eine Summe in Höhe von 986.220,44 € an die Landesjustizkasse entrichtet.
Dieser Vermögenswert wurde bereits im Vorfeld im Zuge der internationalen Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten mit Liechtenstein und der Schweiz auf ausländischen Konten des israelischen Beschuldigten gesichert.
Dieser Hauptbeschuldigte zeichnete verantwortlich, im gleichen Tatzeitraum in 9.535 Einzelfällen als Lieferant gefälschter „Lifestyle-Arzneimittel„ für den gesondert verfolgten US-Arzt und die bereits zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilte saarländisch/rheinland-pfälzischen Tätergruppierung aufgetreten zu sein.
Ferner ist diese Person selbst als Versanddienstleister für diverse amerikanische Webseitenbetreiber gefälschter „Lifestyle-Pillen„ aktiv gewesen.
Organised Crime Threat Assessment (OCTA)
Im Jahr 2005 meldeten die Landeskriminalämter als jeweilige Zentralstelle insgesamt 650 Ermittlungsverfahren auf Basis einer zuvor definierten OK-Relevanz an das Bundeskriminalamt (BKA).
Nach dem Anlegen eines Auswahlfilters mit den Selektionskriterien
- EU- Relevanz der Verfahren,
- hohes OK- Potential und
- möglichst ausgewogene Verteilung von Kriminalitätsbereichen
entsprachen 119 Ermittlungsverfahren den gewählten Anforderungen. Aus dieser Restmenge wurden wiederum 40 OK-Verfahren wegen ihrer besonderen EU-Relevanz und dem hohem OK-Potential herausgefiltert. Zu diesen 40 ausgewählten und nun weiter auf Bundesebene zu analysierenden Verfahren zählt der vorliegende Ermittlungskomplex der „EG Placebo„.
Die EU-Datenerhebung zur Bewertung OK-bedingter Gefährdungen (OCTA) erfolgt mittels eines speziellen Fragebogens zur kriminellen Gruppierung. Dabei vermittelt die Erhebung einen allgemeinen Überblick über die wesentlichen kriminellen Aktivitäten, den Modus Operandi, sowie die von einer bestimmten kriminellen Gruppierung ausgehende hauptsächliche Bedrohung. Außerdem erfasst der Fragebogen Informationen über die unterschiedlichen Ebenen der kriminellen Gruppierung, über deren ethnische Zusammensetzung, etwaige Arbeitsteilung und den Einfluss der Gruppe auf das nichtkriminelle Umfeld.
Delikte aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität zeichnen sich, wie im vorliegenden Ermittlungskomplex, typischerweise durch ein hohes Gewinnpotential aus. Deshalb kommt bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität der Vermögensabschöpfung eine zentrale Bedeutung zu. Mittels einer restriktiven Abschöpfung der rechtswidrig erlangten Vermögensvorteile wird die Tätergruppierung entscheidend an ihrem Lebensnerv getroffen.
Strafrechtliche Vermögensabschöpfung
Das geltende Recht der strafrechtlichen Gewinnabschöpfung (§§ 73, 73a Strafgesetzbuch (StGB) und 111b, 111d Strafprozessordnung (StPO) hat sich auch im vorliegenden Komplex als wirksamstes Instrument gegen die europaweit agierende Tätergruppierung erwiesen. So ließ sich bereits bis zum jetzigen Stadium der Ermittlungen weitestgehend eine effektive Abschöpfung der rechtswidrig erlangten Vermögensvorteile realisieren.
Gesamtschuldnerischer dinglicher Arrest in Höhe von 1.043.953,00 €
in das Vermögen der saarländisch/rheinland-pfälzischen Tätergruppierung.
Bereits zum Zeitpunkt der Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume im nördlichen Saarland lag die Anordnung eines gesamtschuldnerischen Arrestes in der zuvor genannten Höhe in das Vermögen der Tatverdächtigen vor.
Mit dem rechtskräftigen Urteil wurden vom Landgericht Saarbrücken noch vorhandene, zuvor gepfändete Geldwerte in Höhe von etwa 30.000,00 € zum Verfall erklärt.
Gesamtschuldnerischer dinglicher Arrest in Höhe von 2.578.324,34 €
in das Vermögen des israelischen Hauptbeschuldigten.
Auf Basis der Anordnung des Amtsgerichtes Saarbrücken konnten anschließend im Zuge der Internationalen Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten bedeutsame Vermögenswerte des dringend Tatverdächtigen in Höhe von 986.220,44 € in der Schweiz und Liechtenstein ausfindig gemacht und tatsächlich gesichert werden. Diese Summe wurde mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichtes St. Wendel (20.10.2006 — Geschäftsnummer 11-377/06) als Bewährungsauflage der Landesjustizkasse zugeführt.
Gesamtschuldnerischer dinglicher Arrest in Höhe von 8.432.898,94 €
in das Vermögen des US-Arztes.
Auf Basis der UPS-Versanddaten konnten für den beschuldigten US-Amerikaner bereits im frühen Ermittlungsstadium illegal erwirtschaftete Finanzmittel in Höhe von 8.432.898,94€ nachgewiesen werden.
Tatsächlich liegt jedoch der eingetretene Vermögensschaden sogar deutlich über der vor genannten Arrestsumme des Beschlusses.
Verschiedene Währungskonten in der britischen Kronkolonie Gibraltar dienten dem Beschuldigten zur fortlaufenden Gutschrift der Zahlungseingänge aus dem rechtswidrigen Inverkehrbringen der gefälschten Arzneimittel und kann daher im vorliegenden Ermittlungskomplex zweifelsfrei als Zentrum der illegalen finanziellen Transaktionen bezeichnet werden.
Gibraltar selbst präsentiert sich dem Interessierten, als so genanntes „Offshore-Finanzzentrum„ mit eingeschränkten Möglichkeiten der Internationalen Rechtshilfe, z.B. keine Pfändung von Vermögenswerten bei Betrugsstraftaten. Zudem führt Gibraltar ein attraktives „Niedrigsteuer-System„ für Firmen, die in der Kronkolonie registriert und verwaltet werden.
Im Zuge der genehmigten Umsetzung der Internationalen Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten mit Gibraltar konnten allerdings eine Vielzahl von wichtigen Beweismittel zu den vorliegenden Tatvorwürfen gegen den US-Arzt von den autorisierten Justizbehörden erlangt werden.
Die umfangreiche Auswertung der beschlagnahmten Firmen- und Bankunterlagen führte zur Rekonstruktion der globalen Finanzflüsse. So konnten auf Grundlage dieser Erkenntnisse im Oktober 2006 im Rechtshilfeverkehr mit der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich mittels Eintretungs- und Zwischenverfügung Kontosperren für Vermögenswerte des Beschuldigten und seiner Ehefrau in Höhe von insgesamt 1.930.000,00 USD gelegt werden.
Darüber hinaus hat die Staatsanwaltschaft Saarbrücken die spanischen und französischen Justizbehörden im Rechtshilfeverkehr, um Pfändung von Immobilienwerten des Beschuldigten sowie der von ihm eingerichteten und beherrschten Unternehmen in Millionenhöhe ersucht.
Durch dieses konsequente Vorgehen der saarländischen Strafverfolgungsbehörden wurde somit weitestgehend der Entschei-dung des Bundesverfassungsgerichtes entsprochen, wonach nach dem Begehen einer Straftat die daraus gezogenen Vermögensvorteile weder dem Täter noch einem Dritten verbleiben sollen6.
Um dieses Ermittlungsziel erreichen zu können, wurde insbesondere die umfang-reiche Rechtshilfe der Schweiz, Liechtenstein, Spanien, Gibraltar, Frankreich und Lettland zwingend erforderlich.
Einkauf und Einfuhr der gefälschten Arzneimittel
Auf Basis von beschlagnahmten Schriftstücken lässt sich mittels der Auswertesoftware AnalystNotebook ein Beziehungsdiagramm über die Einkaufswege der gefälschten Arzneimittel des beschuldigten US-Arztes visualisieren.
Zahlungsanweisungen und E-Mail-Nachrichten dokumentieren den Beginn der Geschäftsbeziehungen in den asiatischen Raum und benennen konkret verantwortliche Ansprechpartner und Firmen für die rechtswidrige Einfuhr der marken- und patentrechtlich geschützten Arzneimittel in den EU-Wirtschaftsraum.
Die beschlagnahmte E-Mail-Kommunikation zwischen dem US-Arzt und seinen „chinesischen Geschäftspartnern„ beinhaltet eindeutige Angaben über Art und Menge der georderten gefälschten Pharmaka. Ferner zeigen die elektronischen Nachrichten Absprachen über die Deklaration der Ware gegenüber Zollbehörden bei der Einfuhr, Empfänger und Höhe von Zahlungsanweisungen, oder übermitteln fingierte „Proforma-Rechnungen„ für den anstehenden Frachtverkehr.
Beispielsweise wurden im vorliegenden Ermittlungskomplex die gefälschten
Arzneimittel bei der rechtswidrigen Einfuhr als „Reagenztabletten zur Analyse von „Swimmingpool-Wasser„ gegenüber den Überwachungsbehörden sowie dem Frachtdienstleister deklariert.
Enge Kooperation zwischen Polizeibehörden, anderen Behörden und Unternehmen
Die vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit zwischen der Staatsanwaltschaft Saarbrücken und dem LKA Saarland kann als wesentliches Element für den Ermittlungserfolg angesehen werden.
Bedingt durch die internationale Relevanz des vorliegenden Ermittlungskomplexes wurde ein umfangreicher polizeilicher Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland erforderlich. Die eingehende und ausgehende Korrespondenz wurde zeitnah und effizient zwischen dem Bundeskriminalamt und dem zuständigen Landeskriminalamt Saarland bewerkstelligt.
Die enge Kooperation mit der Steuerfahndung des Finanzamtes Saarbrücken führte letztendlich zu einer rechtskräftigen Pfändungs- und Einziehungsverfügung in Höhe von 302.144,74 € gegen den US-amerikanischen Vollstreckungsschuldner.
Ziel der Ermittlungen der im Landeskriminalamt Saarland gebildeten „EG Placebo„ war es, relevante Beweismittel zu erlangen, die Tatverdächtigen festzunehmen und bedeutsame Vermögenswerte zu beschlagnahmen.
Dieses Ziel konnte insbesondere durch eine umfangreiche Kooperation mit der BAYER AG, bzw. BAYER HealthCare AG und der United Parcel Service (UPS) Deutschland Inc. & Co. OHG realisiert werden. So koordinierte beispielsweise die BAYER AG eine Vielzahl von Testkäufen, die neben der Identifizierung des jeweiligen Prüfmusters als Fälschung, zu detaillierten Erkenntnissen über den Versandweg der Warensendung und deren finanzieller Abwicklung führte. Zudem gelang es durch eine intensive Recherche des Unternehmens ein Ferienhaus des US-Amerikaners in den französischen Alpen im Werte von ca. 600.000Eausfindig zu machen.
Um die Beschlagnahme dieser Immobilie ist zwischenzeitlich im Rechtshilfeverkehr mit Frankreich ersucht worden.
Die Beweiserhebung im geschilderten Ermittlungskomplex erfolgte unter der vorrangigen Maxime, möglichst viele konkrete Einzelfälle gemäß dem Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht konkretisieren und in Folge ein adäquates Strafmaß für die Beschuldigten erreichen zu können.
Hierzu recherchierte die UPS Deutschland Inc. & Co. OHG in der UPS-Firmenzentrale in den USA, in anderen europäischen Vertragsunternehmen und in Deutschland. Durch die zeitnahe und äußerst personalintensive Unterstützung selektierte die UPS Deutschland Inc. & Co. OHG in Folge über 60.000 Datensätze über Versandaktivitäten der Täter bzw. der Beschuldigten aus den archivierten Datenbeständen.
Die Unterstützung der BAYER AG bzw. BAYER HealthCare AG und der United Parcel Service (UPS) Deutschland Inc. & Co. OHG mündete letztendlich in das erfolgreiche Ermittlungsergebnis.
Diese Zusammenarbeit zwischen Polizeibehörden, anderen Behörden und Unternehmen ist im Kontext mit der Aussage von BKA-Präsident Jörg Ziercke zu sehen, bei der Verbrechensbekämpfung künftig enger mit anderen Behörden und Unternehmen zusammen zu arbeiten. Dabei soll laut Ziercke die Erfahrung deutscher Großunternehmen genutzt werden, um an verfahrensrelevante Informationen zu kommen7.
Die Gewinnabschöpfung als wirksamstes Instrument gegen international agierende Straftäter – Das beschlagnahmte Feriendomizil des US-amerikanischen Arztes in einem Nobelskiort in den französischen Alpen
Bedeutendes europäisches Netzwerk zerschlagen
Im Zuge der drei Jahre andauernden Ermittlungstätigkeit ist den beteiligten Strafverfolgungsbehörden die Zerschlagung einer international operierenden kriminellen Organisation von „Arzneimittelfälschern„ gelungen. Bereits in der augenblicklichen Phase der Ermittlungen führte die Beweislage in fünf Fällen zu einer rechtskräftigen Verurteilung (Freiheitsstrafen) der Straftäter.
Im Zuge einer restriktiv angewendeten Vermögensabschöpfung wurden bedeutende rechtswidrig erlangte Vermögenswerte gesichert und teilweise bereits durch ein rechtskräftiges Urteil zum Verfall erklärt. Letztendlich kann als wesentliches Ergebnis der Ermittlungen festgestellt werden: Die Gewinnabschöpfung ist das wirksamste Instrument gegen die international agierenden Straftäter. Sie schränkt erheblich den finanziellen Handlungsspielraum der kriminellen Organisationen und die Ausführung weiterer Tathandlungen ein.
Fußnoten
1 World Health Organization (WHO) – Fact sheet N°275 – Revised 14 November 2006
2 World Health Organization (WHO) – Fact sheet
– Rapid Alert System for combating counterfeit medicine – 03 May 2005
3 Sachverständigengutachten der Fa. PHAST GmbH, Kardinal-Wendel-Straße 16, 66424 Homburg zur Identifikation von potentiellen Fälschungen im Vergleich zu Verum-Mustern vom 27. Juli 2005
4 Saarland – Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales – PM 269-2005 vom 12.08.2005
5 BVerfGE 71, 108, 114; 73, 206, 234; 75, 329, 340f.; 78, 374, 381f.: BVerfG NJW 2005, 2140, 2141
6 BVerfG, 2 BvL 1/04 vom 08.12.2004, Absatz-Nr.
(1-27)
7 Tageszeitung DIE WELT, Ausgabe vom 04.11.2005, Nr.: 258-44, Seite 4
(Vorläufige Definition der Who in: WHO. Combating Counterfeit Drugs: A Concept Paper for Effective International Cooperation. 27 January 2006)
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