Abfallverschiebung...
Abfallverschiebung mit Transportkontrollen bekämpfen
Von Angelika Schley, Kriminalhauptkommissarin, Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz
Umweltkriminalität als klassischer Typus der „Kontrollkriminalität“ verlangt nach operativen Konzepten, mit Hilfe derer Umweltverstöße aufgedeckt werden sollen. Dies trifft insbesondere für den Bereich der qualifizierten Umweltkriminalität zu, da hier das Dunkelfeld aus vielfältigen Gründen besonders hoch einzuschätzen ist. Mit Abfalltransportkontrollen soll in Rheinland-Pfalz versucht werden, dem Phänomen „Abfallverschiebung“ zu begegnen.
Unter Abfallverschiebung wird die strafrechtlich relevante Verbringung von Abfall an bestimmte/unbestimmte Orte (regional/überregional, Ex- und Import) verstanden. Die Verbringung hat den Zweck der illegalen Beseitigung mit dem Ziel der Einsparung hoher Entsorgungskosten. Sie hat in der Regel erhebliche ökologische, soziale, wirtschaftliche und/oder gesundheitliche Schäden zur Folge.Bei grenzüberschreitender Verbringung werden dabei neben der schlechten Wirtschaftslage und den nicht oder nur gering vorhandenen Umweltstandards gegenüber dem Erzeugerland die in einigen Empfängerländern vergleichsweise geringer ausgeprägten Überwachungsstandards mit der damit verbundenen Minimierung des Entdeckungsrisikos ausgenutzt. Sie ist normiert in § 326 Abs. 1 StGB (innerdeutsche Verbringung) bzw. § 326 Abs. 2 StGB (grenzüberschreitende Verbringung).
Angelika Schley Kriminalhauptkommissarin Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz
Im September 2006 machte die illegale Lagerung von 400 Tonnen Giftmüll in dem westafrikanischen Staat Elfenbeinküste Schlagzeilen. Ursächlich für das öffentliche Interesse waren neben den ökologischen Schäden vor allem die bislang zu beklagenden sieben Todesopfer – darunter vier Kinder – und die annähernd 26.000 registrierten Krankheitsfälle.
Nasenbluten, dann Erbrechen, Kopfweh, Schmerzen in der Brust. Das waren die ersten Symptome. Dann setzten die Vergiftungserscheinungen ein. Die schädliche Fracht war zuvor mittels LKW zur Schiffsverladung von den Niederlanden aus über Estland nach Westafrika transportiert und von dort auf mindestens neun Deponien verteilt worden. Woher die Chemieabfälle ursprünglich kamen, ist noch ungeklärt. Für die niederländische Rohstoffhandelsfirma Trafigura BV war alles „ganz legal“. Sie habe alle Papiere für die Anlieferung des schwefelkohlenwasserstoffhaltigen Sondermülls besessen. Eine Lüge, so die „Frankfurter Rundschau“ vom 13.09. 2006. Denn der Transport verstieß gegen nicht weniger als drei internationale Regelungen. So verbietet das Lomé-Abkommen mit der Europäischen Union zum Teil sogar grundsätzlich den Export von Giftmüll in afrikanische Staaten.
Deutsche Abfälle in Afrika und Osteuropa
Zwar ist glücklicherweise nicht alles so spektakulär und mit so unmittelbar lebensbedrohlichen Folgen verbunden wie der oben beschriebene aktuelle Fall. Doch auch weniger große Beeinträchtigungen durch umweltgefährdende Abfälle wirken auf das Ökosystem Erde. Immer wieder belegen nicht zuletzt auch polizeiliche Feststellungen, dass insbe-sondere Afrika beliebtes Ziel für europäische Sonderabfälle ist. Umweltgefährdende Abfälle wie Altautos (umweltge-
fährdend durch die Betriebsstoffe), Fluorkohlenwasserstoff (FCKW)-haltige Kühlschränke oder nicht restölentleerte Motor- und Getriebeteile werden mittels Bahn, Binnenschiff und/oder LKW illegal über den Hamburger Hafen verbracht.
Deutschland als derzeit Europas größter Müllexporteur spielt dabei oft eine zentrale Rolle. Nicht selten haben diese Abfälle ihren Ursprung auch in Rheinland-Pfalz.
Neben Afrika gewann insbesondere Osteuropa zunehmend an Bedeutung als Abfallexportland. Tschechien drohte wegen der Häufung an illegalen Verbringungen aus Deutschland gar mit Klage beim Europäischen Gerichtshof (Quelle: Der Spiegel 18/2006).
Neben dem Inland sind aber auch Frankreich, Belgien und die Niederlande beliebte Exportländer.
Ursachen
Abfallverschiebung lohnt sich: Können pro Tonne Abfall 100 Euro Entsorgungskosten eingespart werden, erreichen
illegale Gewinne leicht sechsstellige Beträge. Korruption und mangelnde Überwachung, hoher Konkurrenzdruck mit der Folge von Dumpingangeboten, schwer zu durchschauende Firmenstrukturen und ein Rückbau der Umweltverwaltung sind weitere Ursachen, die illegale Entsorgung erleichtern.
Situation in Rheinland-Pfalz
Die Abfälle kommen aus allen Bundesländern und werden häufig über lange Strecken unkontrolliert transportiert. Rheinland-Pfalz nimmt dabei aufgrund seiner geografischen Lage und seiner Außengrenzen zu Frankreich, Belgien und Luxem-burg sowie der Nachbarschaft zu Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg eine besondere Stellung ein – insbesondere als Transitland, aber auch als Entstehungsort der Abfälle.
Angesichts dieses zunehmend in den Fokus umweltkriminellen Handelns rückenden Deliktsfeldes wurden bereits im Jahr 1999 im Umweltdezernat des Landeskriminalamtes (LKA) Rheinland-Pfalz Überlegungen angestellt, welche polizeilichen Konzepte dem Phänomen Abfallverschiebung entgegen gesetzt werden könnten.
Technische Ausstattung und Fachqualifikation für den Arbeitsschutz bei Umweltermittlungsverfahren des LKA, Dezernats 42: Die persönliche Schutzausstattung entspricht dem Standard der Feuerwehr. Eine Spezialausrüstung ermöglicht die Eigensicherung aller Kräfte bei allen ABC-Lagen. Alle Mitarbeiter sind entsprechend geschult und ausgebildet worden. Das Umweltdezernat verfügt über einen Sachverständigen für Boden und Altlasten, eine Fachkraft (Koordinator) für Arbeiten im kontaminierten Bereich nach BGR 128,
Asbestsachkunde nach TRGS 519, Strahlenschutzfachkräfte.
Abfallverschiebung als klassischer Typus der Kontrollkriminalität
In einer auf Anregung des LKA vorgelegten Studie der Landespolizeischule Rheinland-Pfalz zur Thematik „Abfallverschiebung – Möglichkeiten der Verdachtsgewinnung und Bekämpfungsstrategien“ wurde dabei die Empfehlung formuliert, insbesondere polizeiliche Kontrollen von Abfalltransporten zu verstärken. Damit sollte nicht nur ein stärkerer Kontrolldruck, sondern auch ein erhöhtes Entdeckungsrisiko erreicht werden.
Vor diesem Hintergrund hat das LKA die Konzeption „Abfalltransportkontrollen 2000“ entwickelt, um die Kontrollabläufe systematischer darzustellen und praktische Hilfen an die Hand zu geben. Flankiert von Aus- und Fortbildungsveran-
staltungen sollte damit eine möglichst hohe Akzeptanz bei den Kollegen erreicht werden, die in rechtlicher wie praktischer Hinsicht einen komplexen und anspruchsvollen Arbeitsbereich für sich zu erschließen hatten.
Kontrollkonzept
Da der Transportvorgang notwendiger Teil der Abfallverschiebung ist, setzte hier das Kontrollkonzept an: Abfälle, abfallrechtliche Begleitpapiere und zumindest der nachvollziehbare Teil der Transportroute müssen zueinander passen. Unplausibilitäten oder klare Widersprüche können den Anfangsverdacht einer Straftat und Sofortmaßnahmen begründen. Eine abschließende Klärung am Kontrollort ist jedoch auch bei Einbindung der zuständigen Fachbehörden selten möglich. Oftmals sind im Nachhinein Ermittlungen beim Abfallentsorger und/oder Abfallerzeuger erforderlich, um den Sachverhalt zu verifizieren. Die anlässlich der Kontrolle getroffenen Feststellungen dienen als Beweismittel für das eingeleitete Ermittlungsverfahren.
Behördenübergreifende Zusammenarbeit bei Schwerpunktkontrollen
Einen der Schwerpunkte des Konzeptes bildete die behördenübergreifende Integration verschiedener Fachbereiche.
Unter Koordination und mit fachtechnischer Unterstützung des LKA bringen die Gefahrgutkontrolltrupps der Verkehrsdirektionen bzw. die Beamten der Wasserschutzpolizei und die Umweltkommissariate ihre speziellen Fachkenntnisse ein und tragen in Absprache mit den an der Kontrolle beteiligten Vertretern der Um-weltfachbehörden, wie z.B. dem Landesamt für Umwelt- und Gewerbeaufsicht, der Struktur- und Genehmigungsdirektionen sowie der SonderabfallManagement-Gesellschaft mbH (SAM), gemeinsam Verantwortung für die angemessene Bewertung der festgestellten Verstöße. Sehr häufig unterstützen außerdem Angehörige der mobilen Einsatzkräfte des Zolls und des Bundesamtes für Güterverkehr die Kontrollaktionen. Auch die Polizeihubschrauberstaffel unterstützt auf Anfrage den Einsatz durch Selektion der zu kontrollierenden Fahrzeuge und gibt Hinweise in Bezug auf Ausweichverhalten. Selbstverständlich darf nicht verkannt werden, dass diese polizeiliche Maßnahme wie alle Schwerpunktkontrollen schon innerhalb kurzer Zeit bekannt sind. Die Folge: Es werden Ausweichrouten benutzt oder „Ruhezeiten“ eingelegt.
Ziel: Abfallrechtliche Spontankontrollen
Das eigentliche Ziel dieser geplanten Großkontrollen ist deshalb, die erworbenen Handlungsabläufe einzuüben, um sie bei sich spontan ergebenden Kontrollen anzuwenden. Selbstverständlich steht dann das zuvor beschriebene Equipment nicht zur Verfügung. In diesen Fällen kann zumindest fernmündlich auf die bekannten Ansprechpartner zurückzugegriffen werden.
Deshalb empfiehlt es sich
• Adressen-/Telefonlisten der für den Dienstbezirk zuständigen Verwaltungsbehörden wie auch Umweltfachkommissariate und den jeweiligen Ansprechpartnern vorzuhalten und Kontakte aufzu-
bauen
• technische Zugangsmöglichkeiten zu den Abfalldatenbanken vor Ort oder über die Führungszentrale zu schaffen
• Kontrolllisten verfügbar zu haben und anzuwenden
• technische Einsatzmittel zu Beweis- und Dokumentationszwecken vorzuhalten.
Erst wenn die Implementierung abfallrechtlicher Kontrollen in den alltäglichen Polizeidienst geglückt ist, kann das Ziel eines erhöhten Kontrolldrucks erreicht werden.
Kontrollliste „Abfalltransportkontrollen“
Die eigens für Abfalltransportkontrollen entwickelte Kontrollliste dient zugleich als Checkliste und Wegweiser durch das Abfallrecht. Das „Kontrollkonzept“ findet sich hierin wieder:
• Kontrolle der abfallrechtlichen Begleitpapiere
• Feststellung und wenn möglich abfallrechtliche Klassifizierung der Abfälle und
• Verifizierung des Transportweges.
Die Überprüfung der aufgezeigten Kontrollbereiche auf Plausibilität im gegenseitigen Abgleich zueinander kann dabei Anhaltspunkte für eine Verdachtsgewinnung im Hinblick auf das Vorliegen einer Straftat des unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen gem. § 326 Abs. 1 (innerdeutsch) oder Abs. 2 (grenzüberschreitend) liefern. Außerdem werden Möglichkeiten der Beweissicherung aufgezeigt.
Kommunikationsmittel, sonstige technische Ausstattung, Software
Kommunikationsmittel wie z.B. mobiles Telefon und Fax sind wegen der oftmals erforderlichen Rücksprache mit zuständigen Fachbehörden zur rechtlichen Einordnung des zu bewertenden Vorganges bzw. zum Zwecke der Plausibilitätsüberprüfung abfallrechtlicher Begleitpapiere wichtige Hilfsmittel und Voraussetzung für weitere polizeiliche oder auch fachbehördliche Sofortmaßnahmen in einem angemessenen Zeitrahmen. Zu Beweissicherungs- und Dokumentationszwecken sind technische Einsatzmittel zur Probenahme und visuellen Dokumentation (Kopiergerät, Foto- und Videokamera) unabdingbar.
Landesweit verfügbare Abfalldatenbanken stehen für die abfall- und gefahrgutrechtlichen Bestimmung zur Verfügung. Sie geben darüber hinaus Hilfestellung bei der Bewertung des möglichen Gefahrenpotenzials. Darüber hinaus ist ein gemeinsamer Stoffdatenpool, der Informationen zu chemischen Stoffen beinhaltet, eingerichtet. Diese Online-Datenbank ist ein gemeinsames Bund-Länder-Projekt und wird ständig aktualisiert.
Zusammenarbeit mit dem Ausland
Im Rahmen einer Arbeitsgruppe, die sich aus Vertretern der Bundesländer Saarland, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie Frankreich und Belgien (Beobachterstatus) zusammensetzt, werden aktuell gemeinsame Abfalltransportkontrollen im grenznahen Bereich geplant. Ziel ist es, zur Bekämpfung von qualifizierter Umweltkriminalität bundesland- und länderübergreifende Standards und Strukturen für eine effiziente Zusammenarbeit auch über Grenzen hinweg zu erarbeiten.
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