Untersuchungen

Aussageverhalten in der Erstvernehmung und Milieuzugehörigkeit von vorsätzlich Tötenden

Ergebnisse einer kriminologisch-soziologischen Untersuchung

Von P. Graser, M. Bräuer, M. Brock, S. Lorenzsonn, FHVR Berlin

unter der Projektleitung von

Dr. Karl-Heinz Fittkau, Polizei Brandenburg, Schutzbereich Uckermark



Besteht ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen Aussageverhalten in der Verantwortlichen Vernehmung und der sozialen Milieuzugehörigkeit eines Beschuldigten? Diese Frage stellten sich Studierende des Fachbereiches Polizeivollzugsdienst an der FHVR Berlin im Rahmen eines drei Semester umfassenden Studienprojektes im Fachgebiet Kriminologie. Die qualitativ orientierte Untersuchung erfolgte auf der empirischen Grundlage von acht abgeschlossenen Fällen zur Tötungskriminalität aus dem Bundesland Brandenburg im Zeitraum der 90er Jahre.

Allgemeines

Ausgangspunkt war die Vermutung, dass Tatverdächtige in der Verantwortlichen Vernehmung Strategien wählen werden, den erhobenen Vorwürfen zu begegnen. Möglicherweise könnten diese systematischen Unterschiede in den Einlassungen durch soziologische Methoden erfasst und ausgewertet werden (Herren 1977). Dies hätte neben dem wissenschaftlichen Wert auch einen Nutzen für den Vernehmungsbeamten, der so zielgerichtet befähigt werden könnte, derartigen Strategien oder spezifischen Aussageweisen zu begegnen.

Unsere Studie beschäftigt sich mit der Fragestellung, ob im Bezug auf die soziale Milieuzugehörigkeit von Beschuldigten eine derartige spezifische Variation ihres Aussageverhaltens nachgewiesen werden kann. Als Deliktsgruppe wählten wir vollendete Tötungsdelikte. Hier erwarteten wir eine breite Streuung der Tatverdächtigen (Herren 1977). Als Datengrundlage fungierte im Wesentlichen die Erstvernehmung, da sie eine hohe Vergleichbarkeit der Situation sowie eine relative Unbefangenheit des Tatverdächtigen im Bezug auf seinen Aussagestil gewährleistet (Mohnhaupt 1977). Der soziale Umgang eines Menschen bestimmt wesentliche Komponenten seiner Kommunikationsfähigkeit und seines Kommunikationsstiles (Bräuer/Müller 1988). Wie jemand über ein bestimmtes Thema spricht, welche Worte, Phrasen, Sätze er benutzt, in welcher Form er Erlebtes schildert oder Phantasie umsetzt, dies sind Folgen seines alltäglichen Umganges mit Kommunikation. Damit benötigen wir zwei Modelle als Grundlage der Untersuchung: Erstens ein Sozialstrukturmodell, das wesentlich die Kommunikationsgewohnheiten berücksichtigt und, zweitens, ein Modell, das das Aussageverhalten zwischen den unterschiedlichen Individuen vergleichbar macht.

Modell Aussageverhalten

Am Anfang steht die Überlegung, dass sich Aussagen über selbst erlebte Vorgänge systematisch unterscheiden von erfundenen Geschichten, und dass diese Unterscheidungen wiederum individuell variieren entsprechend der Erlebnisweise und Wiedergabefähigkeit des Beteiligten (Undeutsch 1967, 1971).

Zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen wurde auf der Grundlage dieser so genannten Undeutsch-Hypothese ein komplexes Instrumentarium zur Aussagenanalyse entwickelt (Trankell 1963, 1971). Dieses Modell war aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeiten seiner Kriterien jedoch nur wenig zur empirischen Untersuchung geeignet. Neuere Arbeiten entwickelten daher einen Kanon von aussageimmanenten Wahrheitskriterien, welcher checklistenartig überprüfbar sein sollte. Das Vorhandensein oder die Abwesenheit einzelner dieser Kriterien deutet jeweils auf Wahrheit oder Unwahrheit der Aussage (Greuel et al 1998).

Aus dieser, ca. 20 Aussagenmerkmale umfassenden Liste wählten wir vier Merkmale/Merkmalskomplexe aus, die geeignet sind, die Struktur des Aussageverhaltens zu erfassen.

Die Ausprägung dieser Merkmale wurde jeweils einer gesamten Erstvernehmung eines Beschuldigten zugeordnet.

Den Detailreichtum einer Vernehmung unterschieden wir bezüglich der näheren Tatumstände und der tatperipheren Umstände. So können Aussagen getroffen werden über die Fähigkeit oder den Willen des Beschuldigten, das Geschehen detailgenau zu schildern.

Das Merkmal Strukturgleichheit bezieht sich auf das Vorhandensein oder die Abwesenheit von strukturellen Brüchen im Aussageverhalten, also plötzlichem Wechsel im Inhalt oder der Stil der Aussage.

Logische Konsistenz bezieht sich auf die inhaltliche Stimmigkeit der Einlassung, ob die einzelnen Aussagen sich ergänzen oder gegebenenfalls im Widerspruch zu einander stehen. Schließlich sollten besondere Aussagemerkmale erfasst werden, deren Vorhandensein oder Abwesenheit für die Beurteilung der Einlassung wesentlich sind. Hier kamen in Frage: Selbstbelastungen, Interaktionsschilderungen, eigenes psychisches Erleben, unerklärbares Erleben oder spontane Verbesserungen eigener Aussagen.

Modell Sozialstruktur

Neuere Theorien der Sozialstrukturanalyse stellen den Begriff des sozialen Milieus in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen (Lepsius 1993). Dies bedeutet das Bestehen sozialstruktureller Einheiten auf der Grundlage symbolisch nach außen hin vermittelter Kommunikationsgewohnheiten (Bordieu 1987). Alle die Vertreter gehören zu einem Milieu, die sich nach Lebensstil, materiell wie kommunikativ, ähnlich sind, dies erkennen und miteinander Kommunikation pflegen (Schulze 1992).

Ostdeutschland und damit auch Brandenburg befand sich im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in einem sozialen und wirtschaftlichen Umbruch, der soziale Chancen und Gewohnheiten neu verteilte (Ves-ter 1993, 1995). In Verbindung mit der sozialen Ausgangsposition der Betroffenen liegt hier die Ursache für die Bildung aktueller sozialer Milieus (Georg 1993, Hofmann/Rink 1993).

Diese These, bezogen auf das soziale Strukturmodell der modernen „Erlebnisgesellschaft" (Schulze 1992), führte uns zur Bildung eines Sozialstrukturmodells für das Bundesland Brandenburg der 90er Jahre, das fünf Milieus beinhaltet.

Tab. 1: Sozialstrukturmodell für Bundesland Brandenburg der 90er Jahre:


 

Die Datengrundlage

Von der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder wurden unserem Projekt acht abgeschlossene Vorgänge zu vollendeten Tötungsdelikten aus dem Zeitraum April 1992 bis Februar 1999 zur Verfügung gestellt. Alle diese Ermittlungsvorgänge führten zur rechtskräftigen Aburteilung mittels Schuldspruch, sämtliche Beschuldigte waren männlich.

Zwei Vorgänge wurden verhandelt wegen Totschlags (§ 212 StGB), vier wegen Mordes (§ 211 StGB) und zwei wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB). Zwei Vorgänge wegen Mordes sowie einer wegen Körperverletzung mit Todesfolge kannten jeweils zwei Angeklagte, wobei in einem Fall der ersteren nur der eine wegen Mordes verurteilt wurde, der andere wegen Raubes mit Todesfolge. Die uns zur Verfügung gestellten Auszüge der Akten beinhalten in jedem Fall das Urteil sowie eine Kopie der Erstvernehmung des jeweiligen Beschuldigten. Hinzu kam in einigen der Fälle ein psychologisches Gutachten. Besonders letzteres sowie die entsprechenden Passagen im Urteil, aber auch eigene Angaben der Beschuldigten ließen Rückschlüsse auf die soziale Herkunft des Beschuldigten zu.

Tab. 2: Überblick über das zur Verfügung gestellte Datenmaterial:


 

Tab. 3: Primäre Sozialindikatoren der Mileuzugehörigkeit:


 

Ergebnisse

Zu jedem Beschuldigten wurde anhand von sozialen Indikatoren eine Einordnung in eines der oben definierten Milieus vorgenommen. Auffällig ist hierbei, dass es sich in acht von elf Fällen um Vertreter des Frustmilieus handelte, die weder beruflich noch persönlich eine Perspektive gelungener gesellschaftlicher Integration hatten. In vier Fällen handelt es sich hierbei um starke Alkoholiker (auffälliger Alkoholkonsum in insgesamt sieben Fällen), in zwei Fällen um Intensivtäter schwerer und schwerster Kriminalität und in einem Fall um einen Täter mit psychischer Auffälligkeit. Drei Täter wurden aufgrund einer relativ integrierten, bruchlosen Lebensführung dem Integrationsmilieu zugeordnet, alle drei sind jedoch vorbestraft, sie entstammen bis auf einen Fall einer familiär belasteten Kindheit.

Die aus den Erstvernehmungen ermittelten, strukturierenden Aussagekriterien ergaben folgendes Bild:


 

Damit kann zunächst festgestellt werden: Die Ausgangsthese, dass sich die Tatverdächtigen von Tötungsdelikten weit über die verschiedenen Milieus einer Gesellschaft verteilen, konnte nicht bestätigt werden. Überwiegend gehörten sie dem Frustmilieu an.

Innerhalb des Frustmilieus scheinen sich jedoch verschiedene, spezifische Untergruppen abzuzeichnen, die jeweils sowohl mit Begehungsweisen der Tat als auch mit einem bestimmten Aussageverhalten im Zusammenhang stehen.

Die stark abhängigen Alkoholiker (vier von acht Fällen) handelten ausnahmslos aus einer Alltagssituation heraus. Gemeinsam ist den Einlassungen ein hoher Grad von moralischem Desinteresse. Der Tötungsentschluss erscheint als das Resultat einer lebensstilbedingten Gleichgültigkeit gegenüber moralisch-sozialen Werten. Das Tötungsverbrechen stellt sich dar als der Gipfel eines persönlichen und menschlichen Verfalls.

Anders bei der Tötung eines Menschen durch zwei Schwerstkriminelle im Zusammenhang mit einem schweren Raub. Beide Täter leugnen zielgerichtet und in gewissem Maße glaubhaft. Hier scheint nicht psychische Abstumpfung Voraussetzung des Tötungsverbrechens zu sein, sondern die herabgesetzte Hemmschwelle bei der Unterordnung fremden Rechts unter den eigenen Willen als Folge der gewohnheitsmäßigen Begehung schwerster Straftaten. Es verbleiben ein Steinewerfer von einer Autobahnbrücke sowie eine psychische Auffälligkeit. Im ersten Fall blieben Tatumstände und Motive weitgehend im Dunkel, im zweiten Fall wurde vom Gericht beschränkte Schuldfähigkeit angenommen. Der Todeseintritt des Opfers stellt sich hier als eine nicht intendierte Folge des eigenen Handelns dar, das Aussageverhalten ist widersprüchlich und inkonsistent.

Demgegenüber stehen drei Vertreter des Integrationsmilieus. Obwohl es sich hier um dessen untere Schichten handeln dürfte, ist doch Motivlage, Tatausfühung und Aussageverhalten von den Vertretern des Frustmilieus deutlich unterschieden. Im einen Fall handelt es sich um eine gemeinschaftliche Körperverletzung mit Todesfolge, der Taterfolg blieb im Rahmen der Fahrlässigkeit. Beide Täter sind geständig. Im letzten verbleibenden Fall handelt es sich um einen (wahrscheinlich) Sexualmord, die leugnende Einlassung ist von hoher Stimmigkeit.

Die Milieuspezifität des Aussageverhaltens

Es stellt sich nun die Frage, inwieweit die Vertreter der unterschiedlichen Milieus spezifische Aussagestrukturen zeigen. Dies kann anhand der einzelnen Aussagekriterien nachvollzogen werden. Hinsichtlich des Detailreichtums, zunächst, ergeben sich keine Abweichungen zwischen Frustmilieu und Integrationsmilieu. Dies lässt den Schluss zu, dass für die vorhandenen Unterschiede in der Höhe des Detaillierungsgrades andere Faktoren maßgeblich sind, etwa Leugnen/Geständigkeit oder evtl. auch bestimmte primäre Sozialindikatoren. Das Merkmal Strukturgleichheit zeigt eine deutliche Häufung bruchloser Aussageführung im Integrationsmilieu. Die komplexe Sachverhaltsschilderung gegenüber dem Vernehmenden scheint demnach von Vertretern des Integrationsmilieus problemloser bewältigt worden zu sein als von Vertretern des Frustmilieus. Dies wäre damit zu erklären, dass eine sozial integrierte Persönlichkeit eher komplex und umfassend über die Sachverhalte ihres Alltags kommuniziert. Diese Wahrscheinlichkeit wächst, je weiter sich der Lebensstil des Betreffenden aus dem Kern des Frustmilieus hinaus bewegt und sozialen Halt gewinnt.

Im Gegensatz dazu ist allerdings erstaunlich, dass das Merkmal der Logischen Konsistenz keine Übereinstimmung mit Milieuzugehörigkeiten zeigt. Sowohl insgesamt als auch innerhalb der einzelnen Milieus finden sich zu nahezu 50% jeweils logisch konsistente und widersprüchliche Einlassungen. Sollte sich dieser Befund bestätigen, bedeutet dies ein verblüffendes Ergebnis. Unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem sozialen Milieu und der Bewältigung komplexer Schilderungen ist es den Akteuren nicht möglich, ihre Gesamtaussage konstant widerspruchsfreier zu gestalten. Auch bei höher gebildeten und kommunikationsgewöhnten Personen wäre die Aussage, obwohl strukturell konsistenter, vielleicht auch umfangreicher und detailgenauer, so doch ähnlich logisch oder widersprüchlich wie bei weniger gebildeten und sozial integrierten.

Auffällig ist weiterhin, dass bei keinem der Vertreter des Integrationsmilieus Besondere Aussagemerkmale erfasst werden konnten. Eine Erklärung liegt möglicherweise in einer zielgenaueren Beantwortung der Fragen sowie der Fähigkeit, objektiv und abs-trakt über den Gegenstand zu berichten. Vertreter des Frustmilieus wären demnach weniger fähig, ein Geschehen stringent und reflektierend wiederzugeben und müssten somit Zuflucht zu eigenem psychischen Erleben oder zur direkten Schilderung von Interaktionsprozessen nehmen. Sie stellten sich in der Vernehmungssituation nicht auf den Standpunkt des reflektierenden Beobachters sondern verblieben in der momentanen Rolle des Teilnehmenden, der sich einfach und direkt als Subjekt des Geschehens wahrnimmt und beschreibt.

Ein letzter Unterschied ergibt sich bei der Betrachtung leugnender und geständiger Beschuldigter im Milieuvergleich. Zwar finden wir im Integrationsmilieu nur einen Leugnenden, seine Aussage ist jedoch von hoher Stimmigkeit, logisch konsistent und weist keine Strukturbrüche auf. Im Gegensatz dazu finden wir im Frustmilieu nur bei einem von vier leugnenden Beschuldigten eine bruchlose, konsistente Schilderung, ansonsten mehrfache deutliche Brüche und logische Inkonsistenz. Zwar dürfte hier die Stichprobe zu klein sein, trotzdem ist die These möglich, dass mit der Entfernung vom Frustmilieu auch eine bruchlosere und konsistentere Gestaltung des Leugnens nicht ausgeschlossen ist.

Der Einfluss einzelner primärer Sozialindikatoren auf das Aussageverhalten

Nun soll der Begriff des sozialen Milieus zurückgerechnet werden auf einzelne Merkmale, die in ihn einfließen. Möglicherweise lassen sich hier besonders starke Zusammenhänge zum Aussageverhalten finden.

Ausgesprochen stark korreliert das Merkmal der Vorstrafen mit der Geständigkeit. Alle einschlägig Vorbestraften leugnen ihre Tat und bei den leugnenden Tätern handelt es sich fast ausschließlich (Ausnahme: Vg. Nr. 7 - psychische Auffälligkeit) um die einschlägig Vorbestraften.

Etwas weniger stark ist der Zusammenhang zwischen der Intensität des Alkoholkonsums und der Geständigkeit innerhalb des Frustmilieus. Drei von vier stark abhängigen Alkoholikern sind geständig, während drei von vier weniger starken Alkoholkonsumenten ihre Tat leugnen. Der moralische und psychische Verfall der Alkoholkrankheit scheint sich hier nicht nur gegen die Tat, sondern auch gegen deren strafrechtliche Folgen auszudrücken. Auffällig ist auch, dass hier eine besondere Häufung von besonderen Aussagemerkmalen zu finden ist, was den Schluss nahelegt, dass gerade starke Alkoholiker in besonders hohem Maße nicht mehr in der Lage sind, ihr Handeln ebenso wie ihre Kommunikation zu reflektieren und zu bewerten.

Eine Vermutung besteht außerdem darin, dass eine Abhängigkeit des Kommunikationsverhaltens von der Schulbildung als einem der klassischen sozialen Indikatoren zu erwarten sein sollte. Dies ist jedoch nur bedingt der Fall.

Eine Abweichung von allen anderen und dabei ein ähnliches Bild zeigen die zwei Sonderschulabschlüsse. Ihre Einlassungen sind beide von mehrfachen deutlichen Strukturbrüchen geprägt und dabei logisch inkonsistent. Dies hat möglicherweise seine

Ursache in einem angeborenen Intelligenzdefizit.

Obwohl zwischen den anderen Beschuldigten deutliche Abstufungen in den vorliegenden Bildungsgängen vorliegen, angefangen von „ohne Schulabschluss" bis hin zum „befriedigenden" Abschluss der Allgemeinbildenden POS der DDR, konnten keine Zusammenhänge zum Aussageverhalten gezogen werden. Offenbar sind die Folgen des Bildungsganges, der überdies bei allen Beschuldigten schon seit vielen Jahren abgeschlossen war, durch die nachfolgende Sozialisation in den entsprechenden Lebensstilen vollständig überformt.

Spezifisches Aussageverhalten von geständigen und leugnenden Beschuldigten

Die Hypothese liegt nahe, dass sich die Einlassungen geständiger und leugnender Beschuldigter in besonders auffallendem Maß unterscheiden. Sogar umgekehrt: Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Aussagestrukturen in diesem Vergleich nicht in einer ganz bestimmten Art und Weise unterscheiden. Ein Vergleich zwischen geständigen und leugnenden Beschuldigten könnte somit gleichsam als Prüfstein gewertet werden für unsere Methode. In dem Maße, in dem ausgewählte strukturierende Aussagekriterien in der Lage sind, diese Unterschiede nachvollziehbar zu spezifizieren, erscheint unser Vorgehen methodisch gerechtfertigt.

In beiden der vertretenen Milieus sind die leugnenden und geständigen Täter nahezu gleich verteilt. Als stärkstes Kriterium erweist sich erwartungsgemäß die Unterscheidung zwischen Tatumständen und tatperipheren Umständen innerhalb des Aussagemerkmals Detaillierungsgrad. Ausnahmslos alle Beschuldigten berichteten detailgenau über tatperiphere Umstände, alle geständigen im Wesentlichen auch über die Tatumstände, alle leugnenden wenig oder gar nichts über die Tatumstände. Weniger klar liegt der Befund bei der logischen Konsistenz der Aussage. Auffällige mehrfache Brüche finden sich ausschließlich bei leugnenden Tätern, allerdings finden wir auch leugnende Täter, die logisch konsistent berichten. Dieses Merkmal scheint also nicht zwingend zu sein. Auch hinsichtlich der besonderen Aussagekriterien ergibt sich kein klares Bild. Entgegen der Ansicht, diese stellten besonders hochrangige Kriterien für die Wahrheit einer Einlassung dar, erscheinen sie hier eher für einen bestimmten Stil der Aussage zu sprechen als für den Wahrheitswert. Entgegen unserer Erwartung lässt sich am wenigsten mit dem Kriterium der logischen Konsistenz zwischen leugnenden und geständigen Beschuldigten unterscheiden. Widersprüche ergeben sich in nahezu gleicher Häufigkeit in beiden Gruppen. Dies bedeutet, dass ein Leugnen, das taktisch auf Aussagen zum Kerngeschehen der Tat verzichtet, mit größerer Wahrscheinlich strukturelle Brüche als logische Inkonsistenz aufweisen wird. Und umgekehrt gilt, dass eine wahrheitsgemäße Schilderung komplizierter Umstände in ihrer Logik durchaus als fragwürdig erscheinen kann.

Literatur:

Bourdieu, Pierre, 1987: Die feinen Unterschiede, Frankfurt a.M., Suhrkamp

Bräuer, Joachim/Müller, Maik, 1988: Zu einigen Problemstellungen der Aussage von Beschuldigten und Angeklagten unter besonderer Berücksichtigung des Geständnisses und Geständniswiderrufs, Diplomarbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin, Sektion Kriminalistik

Georg, Werner, 1993: Modernisierung und Lebensstile Jugendlicher in Ost- und Westdeutschland, In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 26-27/93, 20-28
Greuel, L./Offe, S./Fabian, A./Wetzels, P./Fabian, T./Offe, H./Stadler, M.: 1998: Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage. Theorie und Praxis der forensisch-psychologischen Begutachtung, BELTZ Psychologie Verlags Union

Herren, Rüdiger, 1977: Die Vernehmung als soziale Kommunikation, In: Forum für Kriminologie 159/160, 129-138

Hofmann, Michael/Rink, Dieter, 1993: Die Auflösung der ostdeutschen Arbeitermilieus. Bewältigungsmuster und
Handlungsspielräume ostdeutscher Industriearbeiter im Transformationsprozeß, In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 26-27/93, 29-36

Lepsius, Rainer M., 1993: Parteiensystem und Sozialstruktur. Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesllschaft, In: Ders.: Demokratie in Deutschland, Göttingen, Vandenhoek & Ruprecht

Mohnhaupt, Dieter, 1977: Die Bekämpfung der Lüge bei der Vernehmung des Beschuldigten, Diplomarbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin, Sektion Krimina-listik

Schulze, Gerhard, 1992: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a.M., Campus

Trankell, Arne, 1963: Arbeitsmethoden der Aussagepsychologie, Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen

Trankell, Arne, 1971: Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen

Undeutsch, Udo, 1967 (Hrsg.): Forensische Psychologie, Verlag für Psychologie: Dr. C.J.Hogrefe, Göttingen

Vester, Michael, 1993: Das Janusgesicht sozialer Modernisierung. Sozialstrukturwandel und soziale Desintegration in Ost- und Westdeutschland, In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 26-27/93, 3-19

Vester, Michael, 1995: Milieuwandel und regionaler Strukturwandel in Ostdeutschland, In: Vester, Michael/Hofmann, Michael/Zierke, Irene (Hrsg.): Soziale Milieus in Ostdeutschland. Gesellschaftliche Strukturen zwischen Zerfall und Neubildung, Köln, Bund-Verlag, 7-50


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