Rechtssprechung

Aus der Rechtsprechung

Bearbeiter: Wolfgang Jörg
Polizeidirektor a.D.
Gondelsheim




 
 

I. Strafrecht

Heimtückemord unter außergewöhnlichen Umständen - Haustyrannen-Fall
StGB §§ 35, 211

1. Tötet ein Angehöriger heimtückisch handelnd einen äußerst gewalttätigen „Familientyrannen", von dem eine Dauergefahr (i.S. des § 35 I StGB) für die Familienmitglieder ausgeht, so hat der Tatrichter grundsätzlich die weiteren Voraussetzungen des entschuldigenden Notstandes zu prüfen. Bei der Prüfung der anderweitigen Abwendbarkeit der Gefahr (§ 35 I StGB) ist regelmäßig vom Täter zu verlangen, dass er zunächst die Hilfe Dritter, namentlich staatlicher Stellen in Anspruch nimmt.

2. Für die Straffindung ist eine etwaige obligatorische Milderung nach §§ 35 II, 49 I Nr. 1 StGB der Milderung wegen Vorliegens außergewöhnlicher Umstände beim Heimtückemord (§ 49 I Nr. 1 analog, gem. BGHSt 30, 105 = NJW 1981, 1965) vorgreiflich.
BGH, Urt. v. 25.3.2003 - 1 StR 483/02 (LG Hechingen)

Zum Sachverhalt:

Die Angeklagte erschoss am 21.9.2001 gegen Mittag ihren schlafenden Ehemann F mit einem Revolver. Dieser hatte sie über viele Jahre hinweg durch zunehmend aggressivere Gewalttätigkeiten und Beleidigungen immer wieder erheblich verletzt und gedemütigt. Als sie die Tat beging, sah sie keinen anderen Ausweg mehr, um sich und auch die beiden gemeinsamen Töchter vor weiteren Tätlichkeiten zu schützen. Das Landgericht hat die Angeklagte des heimtückisch begangenen Mordes an ihrem Ehemann schuldig gesprochen und wegen Vorliegens außergewöhnlicher Umstände anstatt der an sich verwirkten lebenslangen Freiheitsstrafe eine solche von neun Jahren verhängt. Die Revision der Angeklagten führte auf die Sachbeschwerde zur Aufhebung des Schuld- und des Strafausspruchs; die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen blieben unberührt.
NJW 2003, 2464

Anforderungen an den Tötungsvorsatz bei Gewalthandlungen
StGB § 212

Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen. Ob dies im Einzelfall zutrifft, bedarf jedoch im Hinblick auf die hohe Hemmschwelle bei Tötungsdelikten einer besonders sorgfältigen tatrichterlichen Prüfung. Insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Einzelhandlung kann aus dem Wissen von einem möglichen Erfolgseintritt nicht allein ohne Berücksichtigung der sich aus der Persönlichkeit des Täters und der Tat ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (Ls. d. Schriftltg.)
BGH, Beschl. v. 23.4.2003 - 2 StR 52/03 (LG Bonn)

Zum Sachverhalt:

Der Zeuge R verkaufte für den Angeklagten dem späteren Tatopfer I ein Heroin-Bobble für 10 Euro. I konsumierte das Bobble und reklamierte, dass es zu klein gewesen sei. Der Angeklagte lehnte eine Geldrückzahlung ab. Zwischen dem Angeklagten und I begann ein gegenseitiges Geschubse, das durch einen Faustschlag I's zu einer Schlägerei eskalierte. Der körperlich unterlegene Angeklagte ging zweimal zu Boden und blutete aufgrund eines herausgerissenen Ohrrings. Als I auf den am Boden liegenden Angeklagten eintrat, schubste ihn R weg und drängte ihn in Richtung eines Blumenkübels, in den beide hineinfielen.

Nachdem ein anderer R und I aus dem Blumenkübel herausgezogen hatte, schlug I auf R ein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte ein Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 9,5 cm und einer Klingenbreite von 2,5 cm aus der Hosentasche gezogen, es aufgeklappt und I in den linken oberen Brustkorb gestochen. I brach wenige Meter vom Blumenkübel entfernt zusammen und starb infolge inneren Verblutens. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Seine hiergegen eingelegte Revision hatte Erfolg.
NStZ 2003, 603

Voraussetzungen des erpresserischen Menschenraubs
StGB § 239 a

Für den Tatbestand des § 239a StGB kommt es nicht darauf an, ob die von dem Angeklagten beabsichtigte Tat rechtlich als schwere räuberische Erpressung oder als schwerer Raub zu werten ist, wenn neben dem speziellen Tatbestand des Raubes zugleich auch der allgemeine Tatbestand der
räuberischen Erpressung erfüllt ist. (Ls. d. Schriftltg.)
BGH, Urt. v. 5.3.2003 - 2 StR 494/02 (LG Köln)

Zum Sachverhalt:

Der Angeklagte und der Zeuge A waren Mitarbeiter der Firma B in L. Der Angeklagte wollte bei seiner Arbeitgeberin Computer und andere Wertgegenstände entwenden und sie über das Internet verkaufen. Mit Hilfe des Generalschlüssels des Zeuge A wollte er außerhalb der Arbeitszeit unbemerkt in die Büroräume der Firma B eindringen.

Am Abend des 4.2.1999 suchte er den mit ihm befreundeten Zeugen in dessen Wohnung auf. Als der Zeuge A einen gemeinsamen Diebstahl ablehnte, entschloss sich der Angeklagte, den Zeugen mit einem Messer dazu zu bringen, ihm Zutritt zu den Büros zu verschaffen und die Wegnahme der Computer und anderer Wertgegenstände zu dulden oder ihm dabei behilflich zu sein. Der Angeklagte bedrohte den Zeugen daher verbal und mit einem Butterfly-Messer, so dass der einfach strukturierte Mann panische Angst bekam und um sein Leben fürchtete. Er folgte daher im Weiteren den Anweisungen des Angeklagten, der ihm zeitweise das Messer drohend an die Rippen hielt. Der Angeklagte zwang den Zeugen auf diese Weise, mit ihm zum Betriebsgelände der B zu fahren. Auf dem Weg zum Pförtner hielt der Angeklagte dem Zeugen erneut zeitweise das Messer drohend in die Seite und forderte ihn auf, „die Klappe zu halten". Nachdem beide nacheinander den Pförtner passiert hatten, tranken sie auf Verlangen des Zeugen an einem Getränkeautomat einen Kaffee. In dem Bürogebäude, dessen Kellertür zufällig nur angelehnt war, ließ sich der Angeklagte von dem Zeugen mit dem Generalschlüssel die Büroräume aufschließen und durchsuchte sie. Um den Zeugen einzuschüchtern, bedrohte er ihn erneut verbal, so dass A keinen Widerstand wagte. Der Angeklagte nahm aus den verschiedenen Büros insgesamt 15 Notebooks und zwei Mobiltelefone im Gesamtwert von ca. 70.000 DM an sich. Da der Angeklagte nicht alle Geräte selbst tragen konnte, forderte er den Zeugen auf, ihm tragen zu halfen. Eingeschüchtert durch die vorangegangenen Drohungen war ihm der Zeuge A behilflich. Als die Beute durch ein Erdgeschossfenster zum Abtransport auf die Straße gebracht wurde und A zuerst nach draußen kletterte, drohte ihm der Angeklagte, mit dem Messer könne man auch werfen, um ihn an der Flucht zu hindern. Auf der Rückfahrt mit der Beute drohte der Angeklagte dem Zeugen erneut, falls er es wagen sollte, zur Polizei zu gehen. Dann setzte er ihn an einer Tankstelle ab. Die Tat erstreckte sich über einen Zeitraum von etwa fünf Stunden.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischerer Erpressung zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seinen Pkw eingezogen.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.
NStZ 2003, 604

Gewaltsames Durchsetzen einer „Forderung" aus Drogengeschäft
StGB §§ 16, 239a, 253; BGB 242



1. Überlässt ein Betäubungsmittelhändler seinem Kunden, der ihn über seine Zahlungsfähigkeit und -willigkeit getäuscht hat, die verkauften Drogen ohne Kaufpreiszahlung, hat er auch keinen Anspruch auf deren Rückgabe, denn eine derartige Forderung ist wegen unzulässiger Rechts-

ausübung mit Treu und Glauben unvereinbar. Ihm steht daher nach Verbrauch der Drogen durch den Kunden auch kein Anspruch auf Geldersatz zu. Will er die Bezahlung der Betäubungsmittel mit Nötigungsmitteln durchsetzen, erstrebt er dem gemäß eine unrechtmäßige Bereicherung i.S. des § 253 I StGB.

2. Ein Irrtum des Erpressers über die Unrechtmäßigkeit der von ihm erstrebten Bereicherung liegt nicht schon dann vor, wenn er sich nach den Anschauungen der einschlägig kriminellen Kreise als berechtigter Inhaber eines Anspruchs gegen das Opfer fühlt. Maßgeblich ist vielmehr, ob er sich vorstellt, dass dieser Anspruch auch von der Rechtsordnung anerkannt wird und er seine Forderungen dem gemäß mit gerichtlicher Hilfe in einem Zivilprozess durchsetzen könnte.
BGH, Urt. v. 7.8.2003 - 3 StR 137/03 (LG Aurich)



Zum Sachverhalt:

Die Angeklagten R und T hatten dem U, den sie für zahlungskräftig hielten, Haschisch zum Preis von 250 Euro angeboten. U war mit dem Angebot einverstanden, nahm die Drogen noch im Juni 2002 entgegen und versprach, den Kaufpreis in den nächsten Tagen zu zahlen. Unwiderlegt konnte und wollte er jedoch die 250 Euro nicht begleichen. Die übergebenen Betäubungsmittel verbrauchte er in der Folgezeit. Als ihn die Angeklagten R und T mehrfach zur Zahlung aufforderten, vertröstete er sie und schaltete schließlich sein Mobiltelefon ab, um nicht mehr erreichbar zu sein.

Am Abend des 7.8.2002 trafen die Angeklagten R und E - dieser hatte bis dahin von dem Betäubungsmittelgeschäft nichts gewusst - zufällig auf U. Zusammen mit diesem und dem vom Angeklagten R telefonisch informierten Angeklagten T fuhren sie im Pkw des Angeklagten E zu einem nahegelegenen Betonwerk. Dort wollten die Angeklagten R und T mit U die Zahlungsmodalitäten besprechen. Da sich U jedoch weiterhin hinhaltend äußerte, wurden die Angeklagten R und T zunehmend erboster. Sie bedrohten U zunächst, er werde nicht mehr lange leben und solle schon mal sein Testament machen. Dann schlugen sie ihm - um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen - abwechselnd mit der flachen Hand ins Gesicht. Außerdem schlug der Angeklagte T mit einer hölzernen Gardinenstange auf den Oberkörper des U ein und drückte der Angeklagten R eine brennende Zigarette auf dessen Hand aus. Um den Druck auf den verängstigten und wehrlosen U zu erhöhen, fuhren die drei Angeklagten gegen 23.00 Uhr zu der von den Angeklagten R und T genutzten Wohnung. Dort wurde U in der folgenden Nacht zeitweise auf einen Küchenstuhl gefesselt sowie von den Angeklagten R und T sowie dem später hinzugekommenen - bereits rechtskräftig abgeurteilten - früheren Mitangeklagten K in verschiedenster Weise bedroht, geschlagen und gedemütigt, um ihn zur Bezahlung des Haschischs zu veranlassen. U war hierdurch letztlich so eingeschüchtert, dass er vorschlug, die Forderung der Angeklagten R und T statt mit Geld mit persönlichen Wertgegenständen zu begleichen und zu diesem Zweck zu sich nach Hause zu fahren. Die Angeklagten R und T waren hiermit einverstanden.
Noch in der Nacht fuhr der Angeklagte R mit U zu dessen Elternhaus, wo U dem Angeklagten R verschiedene ihm gehörende Gegenstände, u.a. eine Spielkonsole mit Spielen, DVD-Filme und CD's aushändigte. Weil diese Gegenstände zur Begleichung der Forderung nicht ausreichten, bot U dem Angeklagten R am nächsten Morgen an, aus dem Schlafzimmer seiner Eltern zusätzlich einen kleinen Tresor zu besorgen, obwohl er wusste, dass dieser kein Geld enthielt. Beide begaben sich nochmals zum Elternhaus des U.

Zu einer Übergabe des Tresors kam es jedoch nicht mehr, da sie von dem Stiefvater von U überrascht wurden. Das Landgericht hat den Angeklagten R wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, Bedrohung, Nötigung, versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls und mit Beleidigung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie den Angeklagten T wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und mit Bedrohung und wegen Diebstahls zu einer Jugendstrafe von einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.

Gegen den Angeklagten E hat das Landgericht wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und Freiheitsberaubung auf eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen erkannt.

Mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten, hinsichtlich des Angeklagten T zwar nicht nach dem Revisionsantrag, jedoch nach dem Inhalt der Revisionsbegründung eindeutig und wirksam auf den Fall der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung beschränkten Revision rügte die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet namentlich, dass die Angeklagten nicht wegen erpresserischen Menschenraubs und räuberischer Erpressung bzw. (Angeklagter E) wegen Beihilfe zu diesen Delikten verurteilt worden sind.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg.
NJW 2003, 3283



II. Strafverfahrensrecht



Auskunftsverweigerung wegen Gefahr eigener Strafverfolgung
GG Art. 1 I, 20 III; StPO §§ 55 I, 152 II

Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gefahr (erneuter) Strafverfolgung bei einem Zeugen nur dann zu bejahen, wenn eine Ermittlungsbehörde seiner wahrheitsgemäßen Aussage Tatsachen entnehmen könnte, die mittelbar oder unmittelbar einen Anfangsverdacht i.S. des § 152 II StPO begründen und sie zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens veranlassen könnten. (Leits. d. Schriftltg.)
BVerfG - 3. Kammer des 2. Senats, Beschl. von 30.4.2003 - 2 BvR 281/03



Zum Sachverhalt:

Die Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung und Aufrechterhaltung der Beugehaft zur Erzwingung des Zeugnisses des Beschwerdeführers wurde nicht zur Entscheidung angenommen.
NStZ 2003, 666

Vorläufige Sicherstellung von Datenträgern einer Rechtsanwaltskanzlei
StPO § 110; StGB § 184 V2; BVerfGG § 32 I



Zur Folgenabwägung im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens bei einer Verfassungsbeschwerde gegen die Sicherstellung von Datenträgern einer Rechtsanwaltskanzlei wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornografischer Schriften (Leits. d. Schriftltg.)
BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 17.7.2003 - 2 BvR 497/03



Zum Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornografischer Schriften gem. § 184 V 2 StGB. Das Amtsgericht ordnete die Durchsuchung seiner Wohn-, Geschäfts- und Nebenräume an. Die daraufhin erfolgten Sicherstellungen in der Kanzlei sind inzwischen durch Rückgabe der Gegenstände erledigt. Ob eine Kopie der Daten einer Wechselplatte des Kanzleicomputers angefertigt wurde, war im Ausgangs-verfahren streitig. Die Auswertung der in der Wohnung sichergestellten Datenträger gem. § 110 StPO ist noch nicht abgeschlossen. Der Beschwerdeführer versicherte am 2.6.2003 an Eides statt, dass sich auf den in der Wohnung in Verwahrung genommenen Datenträgern unter anderem wesentliche Adressdaten seiner Anwaltskanzlei, ein Großteil der Korrespondenz mit den Mandanten, komprimierte Datensicherungen der gesamten Kanzleidaten sowie die vollständige Steuerbuchführung mit Angaben zu mandantenbezogenen Zahlungsvorgängen befänden. Die gegen den Durchsuchungsbeschluss und die darauf bezogene Beschwerdeentscheidung des Landgerichts erhobene Verfassungs-beschwerde wurde durch Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG vom 18.12.2002 (NJW 2003, 1513) nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Rechtsweg war nicht erschöpft. Im weiteren Fortgang beantragte der Beschwerdeführer - soweit die Durchsuchung betroffen ist - die Nachholung des rechtlichen Gehörs gem. § 33a StPO.

Der Rechtsbehelf blieb ebenso erfolglos wie die Ablehnung der mit der Angelegenheit befassten Richter wegen Befangenheit. Gegen die vorläufige Sicherstellung von Gegenständen und Daten beantragte der Beschwerdeführer eine Entscheidung gem. § 98 II 2 StPO. Auch insoweit blieben der Antrag, Rechtsbehelfe des Beschwerdeführers sowie eine weitere Richterablehnung wegen Befangenheit ohne Erfolg.

Der Beschwerdeführer stützt seine Verfassungsbeschwerde auf eine Verletzung in seinen Rechten aus Art. 12 I, 13 I und II, 19 IV, 101 I 2, 103 I GG.

Sein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat teilweise Erfolg.

Die Kammer ordnete an, dass die Ermittlungsbehörde bestimmte Gegenstände bei dem Amtsgericht zu hinterlegen hat und der Computer und die Datenträger vor der Hinterlegung durch die Strafverfolgungsbehörde zu versiegeln sind.

NJW 2003, 3761

Vernehmung eines gesperrten V-Mannes
StPO §§ 244 III, 54, 96

Auch eine rechtmäßige Sperrerklärung führt nicht zu einem Beweisverbot, sondern bedeutet nur, dass das mit der Sache befasste Gericht die Weigerung der Behörde, die Identität eines Zeugen zu offenbaren, hinnehmen muss.

Kennt das Gericht aber aus sonstigen Erkenntnisquellen die Identität des Zeugen, steht seiner Ladung und Vernehmung die Sperrerklärung nicht entgegen. (Leits. d. Schriftltg.)
BGH, Urt. v. 6.2.2003 - 4 StR 423/02 (LG Frankenthal)



Zum Sachverhalt:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Strafvollstreckungsvereitelung und wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses zu einer Gesamtgeldstrafe von 160 Tagessätzen zu 64 Euro verurteilt. Hinsichtlich des Vorwurfs des unerlaubten Erwerbs von Munition hat es das Verfahren (wegen Verjährung) eingestellt; im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen.

Die Revision des Angeklagten hatte mit einer Verfahrensrüge teilweise Erfolg.

Die Staatsanwaltschaft hat mit ihrer Revision in vollem Umfang Erfolg.
NStZ 2003, 610



Aussage nach Zeugnisverweigerung - Verschweigen eines Verlöbnisses
StPO §§ 52, 252

Beruft sich ein Zeuge in der Hauptverhandlung zunächst auf sein Zeugnisverweigerungsrecht als Verlobter und sagt später gleichwohl zur Sache aus, um eine frühere richterliche Vernehmung zu entkräften, so macht er die früheren Vernehmungsinhalte zum Gegenstand seiner unter Verzicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht erfolgten Aussage in der Hauptverhandlung; diese sind verwertbar, auch wenn er früher nicht über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt wurde.
BGH, Urt. v. 28.5.2003 - 2 StR 445/02 (LG Erfurt)

Zum Sachverhalt:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

Nach den Feststellungen hat der Angeklagte die Zeugin W im November 2001 in deren Wohnung in J. an den Haaren gezogen, ihren Kopf gegen die Wand geschlagen, anschließend ihr die Hände auf dem Rücken festgehalten und gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr vollzogen.

Am 19.2.2002 trat er ihr in seiner Wohnung in E. mit dem Fuß in den Bauch und zwang sie mit Gewalt zum Oralverkehr.

Das Landgericht stützt die Verurteilung des die Taten bestreitenden Angeklagten überwiegend auf Bekundungen der Zeugin W bei ihrer Vernehmung durch einen Ermittlungsrichter. Mit seiner auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision wendete sich der Angeklagte gegen diese Entscheidung.

Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
NJW 2003, 2619

Anmerkung des Bearbeiters:

Diese Entscheidung ist unter „Wichtige BGH-Entscheidung zum Zeugnisverweigerungsrecht bei Verlöbnis" in diesem Heft auf Seite 24 näher dargestellt.

Videoaufnahmen von Arbeitnehmern als Beweismittel im Strafprozess
GG Art. 1 I, 2 I, 12 I, 14 I; StPO § 210 II

1. Zur Zulässigkeit von Videoaufnahmen als Beweismittel im Strafverfahren.

2. Mit Hilfe einer verdeckt installierten Kamera angefertigte Videoaufzeichnungen, durch welche ein Unternehmer Diebstahlshandlungen seiner Angestellten dokumentiert hat, dürfen als Beweismittel jedenfalls dann auch im Strafverfahren berücksichtigt werden, wenn dem Arbeitgeber weniger einschneidende Mittel zur Verdachtsaufklärung nicht zur Verfügung standen (im Anschl. an BAG, NJW 2003, 3436).
LG Zweibrücken, Beschl. v. 3.11.2003 - Qs 10/03 u. Qs 11/03



Zum Sachverhalt:

Die beiden Angeklagten arbeiteten in einem Blumenladen, bestehend aus einem Verkaufsraum und einem davon abgetrennten Büro und hatten Zugang zu einer Wechselgeldmappe, die sich in einem Schreibtisch im hinteren Bereich des Büroraums befand. Aufgrund häufiger und nicht erklärbarer Fehlbeträge in der Geldmappe installierte der Inhaber des Blumenladens eine Videokamera über dem Schreibtisch.

Durch die Videoaufzeichnungen konnten Geldentnahmen der Angeklagten in der Zeit vom 23. bis 27.10.2001 in einer Höhe von 250 DM belegt werden. Mit entsprechender Anklage legt die Staatsanwaltschaft beiden Angeklagten fünf Diebstähle zur Last.

Das Amtsgericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt mit der Begründung, das heimlich aufgenommene Videoband sei als Beweismittel für die in Rede stehenden Diebstähle unverwertbar.

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft war erfolgreich.

NJW 2004, 85

Anmerkung des Bearbeiters:

Die im Leitsatz zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist unter „Andere Rechtsgebiete" auf Seite 33 dieses Hefts abgedruckt.



III. Andere Rechtsgebiete

Online-Zugriff der Bußgeldstelle auf Lichtbild beim Passregister
GVG §§ 142, 145 II; OWiG § 46; StPO § 161; PassG § 22; BadWürttLDSG § 8

1. Die Einlegung und Begründung eines Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde beim Amtsgericht durch einen Amtsanwalt sind in Baden-Württemberg zulässig.

2. Die Erhebung eines beim Passregister gespeicherten Lichtbilds eines Betroffenen durch die Bußgeldstelle ist grundsätzlich rechtmäßig, wenn dadurch der Täter einer Verkehrsordnungswidrigkeit ermittelt und überführt werden soll.

3. Die Erhebung eines solchen Lichtbilds durch die Bußgeldstelle im automatisierten Abrufverfahren (Online-Zugriff) ist rechtswidrig, wenn dabei der gesetzlichen Dokumentationspflicht nicht genügt wird.

Ein Beweisverwertungsverbot für das weitere Bußgeldverfahren entsteht dadurch jedoch nicht.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.8.2002 - 1 Ss 230/02



Zum Sachverhalt:

Im Bußgeldbescheid der Landeshauptstadt S. vom 27.9.2001 wurde dem Betroffenen vorgeworfen, er habe als Lenker eines Pkw, der auf eine in Stuttgart ansässige GmbH & Co. zugelassen gewesen sei, am 15.6.2001 um 16.19 Uhr in S. an der Kreuzung C-Straße/S-Straße das Rotlicht der dort angebrachten Lichtzeichenanlage nicht befolgt (§§ 37 II, 49 StVO; § 24 StVG). Hierauf wurde gegen ihn eine Geldbuße von 100 DM festgesetzt. Als Beweismittel wurden unter anderem ein „Foto" und ein „Mess/Frontfoto" einer Überwachungsanlage aufgeführt. Dem war folgendes Ermittlungsverfahren vorausgegangen: Über eine Halteranfrage hatte das Ordnungsamt die Personaldaten des
Betroffenen als derjenigen Person, der zur Tatzeit das Fahrzeug überlassen worden war, in Erfahrung gebracht; der Betroffene wurde als solcher mit formularmäßigem Anschreiben vom 2.8.2001 angehört. Nachdem er die Frage, ob der Verstoß zugegeben werde, mit „Nein" beantwortet hatte, vermerkte die Sachbearbeiterin der Bußgeldbehörde am 24.8.2001 mit einem Stempel, „Eschl 222/0, Dialog erfasst" in der Akte. Eine spätere Nachfrage des Amtsgerichts ergab, dass die Sachbearbeiterin zu diesem Zeitpunkt das Lichtbild mit den Personaldaten des Betroffenen, das beim Passamt (Passregister) der Landeshauptstadt S. in digitalisierter Form hinterlegt war, dort über ihren mit diesem Register vernetzten PC von ihrem Arbeitsplatz aus abgerufen hatte, um dieses zu den Akten zu nehmen und mit dem Messfoto über den Rotlichtverstoß zu vergleichen. Dieser Umstand wurde bis zur Nachfrage des Amtsgerichts ebenso wenig in den Akten vermerkt wie die Tatsache, dass die Sachbearbeiterin von ihrem Amtsleiter ermächtigt war, Auskunftsersuchen an Pass- bzw. Personalausweisbehörden zu richten und dass sie schriftlich bestätigt hatte, die für eine Datenübermittlung gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen seien ihr bekannt. Das Amtsgericht hat den Betroffenen aus Rechtsgründen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete von einem Oberamtsanwalt eingelegte und auch gegenüber dem Amtsgericht begründete Revisionsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.
NJW 2004, 83





Verdachtskündigung aufgrund verdeckter Videoüberwachung - Mitbestimmung
BGB § 626 I; ZPO § 286 I; GG Art. 2 I, 1 I, 20 III, 103 I, 12 I, 14 I; BetrVG § 87 I Nr. 6; BDSG § 6 b II



1. Die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber stellt einen Eingriff in das durch Art. 2 I GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers dar.
2. Dieser Eingriff führt jedoch dann nicht zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ausgeschöpft sind, die verdeckte Video-Überwachung praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellt und insgesamt nicht unverhältnismäßig ist.
3. Ist die Videoüberwachung entgegen § 87 I Nr. 6 BetrVG ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats durchgeführt worden, so ergibt sich aus diesem Verstoß jedenfalls dann kein eigenständiges Beweisverwertungsverbot, wenn der Betriebsrat der Verwendung des Beweismittels und der darauf gestützten Kündigung zustimmt und die Beweisverwertung nach den allgemeinen Grundsätzen gerechtfertigt ist.
BAG, Urt. v. 27.3.2003, 2 AZR 51/02 (LAG Schleswig-Holstein)

Zum Sachverhalt: (Vom Bearbeiter gekürzt)

Die Klägerin war in einem Getränkemarkt an der Kasse beschäftigt. Seit 1997 traten in dem Getränkemarkt überdurchschnittlich hohe Inventurdifferenzen auf. Im März 2000 installierte die Beklagte eine Videokamera direkt über der Kasse. Eine weitere Kamera wurde im September 2000 zur Beobachtung des Gangs im Getränkemarkt angebracht. Aus den Videobändern ergab sich der Verdacht der Unterschlagung durch die Klägerin. In Anwesenheit der Klägerin sowie des Betriebsratsvorsitzenden und eines weiteren Betriebsratsmitglieds wurden die Bänder vorgeführt und die Klägerin dazu gehört. Die Beklagte kündigte mit Zustimmung des Betriebsrats das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstliegenden Termin wegen des Verdachts der „Unterschlagung bzw. Veruntreuung von Firmengeldern". Die Klägerin bestreitet die Vorwürfe und behauptet die Unwirksamkeit der Kündigung. Gleichzeitig erhebt sie Zahlungsansprüche bis März 2001.

Die Videoaufzeichnungen dürften nicht verwertet werden, weil sie in unverhältnismäßiger und damit unzulässiger Weise durch einen Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht zustande gekommen seien. Außerdem habe der Betriebsrat der Einrichtung der Videoanlage nicht zugestimmt.

Das Arbeitsgericht hat nach Beweiserhebung durch Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnungen die Klage abgewiesen.

Das Landesarbeitsgerichts hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die vom Landesarbeitsgerichts zugelassene Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.
NJW 2003, 3436

Anmerkung des Bearbeiters:

Vgl. zu dieser Entscheidung auch den Beschluss des Landgerichts Zweibrücken vom 3.11.2003 (QS 10/03 u. Qs 11/03 in NJW 2004, 85 bzw. auf Seite 32 dieses Heftes, wonach solche aus arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten gefertigte Videoaufnahmen auch als Beweismittel in den Strafprozess eingeführt werden können!

Großer Senat für Strafsachen: Zurechnung der Bewaffnung eines Mittäters

BtMG § 30 a II Nr. 2

Bei gemeinschaftlicher Tatbegehung kann nicht nur derjenige Täter eines Verbrechens nach § 30a II Nr. 2 BtMG sein, der selbst unmittelbar Zugriff auf eine mitgeführte Schusswaffe oder einen sonstigen Gegenstand i.S. dieser Vorschrift hat. Vielmehr kann die vom gemeinsamen Tatplan umfasste Bewaffnung eines Mittäters den übrigen Tätern nach allgemeinen Grundsätzen (§ 25 II StgB) zugerechnet werden.

BGH, Beschl. v. 4.2.2003 - GSSt 1/02 (LG Duisburg)



Zum Sachverhalt:

Der Angeklagte und der gesondert verfolgte P wollten künftig in den Niederlanden Drogen erwerben und in Deutschland gewinnbringend weiterverkaufen. Sie fuhren in einem vom Angeklagten geliehenen Pkw nach V., um einen Verkäufer zu finden. Auf dem Marktplatz lernten sie einen Dealer kennen, der mit ihnen „gemeinsam… im Pkw des Angeklagten" nach R. fuhr und ihnen dort 1.000 Ecstasy-Tabletten und 200 Gramm Aphetamin verkaufte. Mit diesen Drogen fuhren der Angeklagte und P nach O. zurück. Auf die Fahrt hatte P eine geladene Gaspistole mitgenommen, bei der das Gas aus der Laufmündung nach vorne austritt. Er folgte damit unter Zurückstellung eigener Bedenken der Aufforderung des Angeklagten. Dieser wollte aus Sicherheitsgründen eine Waffe dabeihaben, weil ein Kontakt mit einem unbekannten Dealer erst noch geschaffen werden sollte und er einen größeren Bargeldbetrag mit sich führte. Die Pistole lag von Beginn bis Ende der Fahrt im Handschuhfach des Fahrzeugs. Der Angeklagte glaubte jedoch, P habe die Pistole beim Verlassen des Pkw in V. an sich genommen.

Das Landgericht Duisburg hat den Angeklagten unter anderem wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführen einer Schusswaffe (§ 30a II Nr. 2 BtMG) in Tateinheit mit unerlaubtem „gewerbsmäßigen" Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt.

Auf die Revision des Angeklagten hat der Generalbundesanwalt beantragt, den Schuldspruch in dem geschilderten Fall dahin abzuändern, dass der Angeklagte der Anstiftung zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringer Menge schuldig ist.

Der 3. Strafsenat möchte - vom Wegfall des tateinheitlich abgeurteilten Tatbestandes der bewaffneten Einfuhr von Betäubungsmitteln abgesehen - den Schuldspruch wegen eines mittäterschaftlich begangenen Verbrechens nach § 20a II Nr. 2 BtMG bestätigen. Er sieht sich jedoch durch die Rechtsprechung des 1. Strafsenats gehindert. Auf die Anfrage des 3. Strafsenats vom 14.12.2001 hat der 1. Strafsenat am 3.4.2002 beschlossen, dass er an seiner Rechtansicht festhalte und dies näher ausgeführt. Die übrigen Strafsenate haben erklärt, ihre Rechtsprechung stehe der beabsichtigten Entscheidung nicht entgegen. Durch Beschluss vom 7.5.2002 hat der 3. Strafsenat die Sache dem Großen Senat nach § 132 II und IV GVG mit folgender Rechtsfrage vorgelegt:

„Ist bei gemeinschaftlicher Tatbegehung nur derjenige Täter nach § 30a II Nr. 2 BtMG, der selbst unmittelbar Zugriff auf die mitgeführte Schusswaffe hat, oder kann die vom gemeinsamen Tatplan umfasste Bewaffnung eines Mittäters auch den Übrigen nach allgemeinen Grundsätzen (§ 25 II StGB) zugerechnet werden?"

Der GSSt hat wie aus dem Leitsatz ersichtlich entschieden.
NJW 2003, 1541