Kriminalitätsbekämpfung

125 Jahre Kriminalpolizei Baden

Anforderungen an die Kriminalitätsbekämpfung und die Kriminalisten damals wie heute

Von Dieter Schneider, Inspekteur der Polizei,Innenministerium Baden-Württemberg, Stuttgart




 

Dieter Schneider, Inspekteur der Polizei, Innenministerium Baden-Württemberg

 

Mit einer würdigen Festgala feierte die Kriminalpolizei Baden am 17. Juli 2004 in Mannheim ihr 125-jähriges Bestehen. Zahlreiche aktive und ehemalige Beschäftigte der Polizei, Vertreter vieler Behörden und Einrichtungen mit Sicherheitsaufgaben, Freunde und Partner der Polizei aus der Politik, Wirtschaft und der gesamten Gesellschaft waren gekommen, um dieses Jubiläum gebührend zu feiern. Für den verhinderten Innenminister Heribert Rech hielt Dieter Schneider noch in der Funktion des Landeskriminaldirektors die Festansprache. Die Aussagen zu den historischen und den aktuellen Herausforderungen für die Kriminalitätsbekämpfung und die Anforderungen an die Kriminalisten damals wie heute gelten über die Kriminalpolizei Baden hinaus. Aus gegebenem Anlass eine kleine Hommage an die Kriminalisten als Teil der gesamten Polizei, die keineswegs die Verdienste aller anderen Kolleginnen und Kollegen schmälern soll.

I. Einleitung

Wenn man bedenkt, dass Verbrechen so alt wie die Menschheit sind ich erinnere an den bekannten Mordfall Kain-Abel, dann ist verglichen damit die heutige Kriminalpolizei eine noch geradezu jugendliche Institution.

Andererseits sind 125 Jahre auch für eine Organisation wie die Kriminalpolizei eine lange Zeit. Eine Zeit, die gekennzeichnet ist von Höhen und Tiefen und weit reichenden gesellschaftlichen Umbrüchen. Denken wir nur an die Industrialisierung, den Schrecken zweier Weltkriege, den Wiederaufbau mit dem Wirtschaftswunder, die Rezession, die zunehmende Internationalisierung, den Fall des Eisernen Vorhangs, das zusammenwachsende Europa, neue Medien und die rasante Entwicklung unseres Informationszeitalters um nur einige Meilensteine unserer jüngeren Vergangenheit zu skizzieren. All dies hat die Kriminalpolizei immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt und wird sie auch künftig weiter stellen. 125 Jahre Kriminalpolizei Baden sind eine willkommene Gelegenheit, zurückzuschauen und in der Reflexion der Geschichte die vielfältigen Herausforderungen an eine moderne Kriminalpolizei des 21. Jahrhunderts aus heutiger Sicht zu beleuchten.

Es war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der die Geschichte der modernen Kriminalpolizei ihren Anfang nahm und in der ihre Methoden, ich denke hier vor allem an die Kriminalistik und die Kriminaltechnik, revolutioniert wurden. Als älteste und traditionsreichste und damit wohl zu Recht als „Wiege der Kriminalpolizei" gilt die im Jahr 1810 in Paris entstandene Sûreté, als deren Gründer Eugène Francois Vidocq in die Geschichte einging. Am Rande bemerkt: Vidocq war übrigens der Ansicht, dass man Kriminelle nur mit Kriminellen fangen könne. Seine Detektive rekrutierten sich deshalb praktisch ausschließlich aus dem kriminellen Milieu; auch er selbst war früher Häftling und hatte jahrelang im Kerker Seite an Seite mit den schlimmsten Verbrechern gelegen. Man sieht, Pionierzeiten sind nicht frei von Wirrungen. Um so mehr ist herauszustellen, dass sich die Kriminalpolizei Baden hier mit der „Landesherrlichen Verordnung über die Einrichtung der Kriminalpolizei Baden vom 17. Juli 1879" sozusagen von Anfang an auf klarem und gesichertem Terrain bewegt hat. Und noch eine zweite Lehre lässt sich aus der Geschichte ziehen: Verordnungen von übergeordneter Stelle müssen nicht zwingend schlecht sein _ auch wenn sie aus den Landeshauptstädten kommen.

Aber nochmals zurück zu den Anfängen der Kriminalpolizei: In Deutschland setzte man bereits im Jahre 1799 in der so genannten „Criminalkommission" beim Berliner Kammergericht erstmals Kriminalbeamte als Spezialisten ein, um alle zur Aufklärung von Kapitalverbrechen erforderlichen Ermittlungen und Vernehmungen durchzuführen. Das war sozusagen die Geburtsstunde der Kriminalpolizei in Deutschland. Die eigentliche „Geburtsurkunde" dürfte jedoch das „Berliner Polizeireglement" vom 01.04.1811 sein, ein Abkommen zwischen Justiz und Polizei, nach dem die Polizeibehörde in eigener Verantwortung Straftaten aufklären und die Fälle ohne sofortige Hinzuziehung der Gerichte bearbeiten durfte. Die Berufsbezeichnung „Kriminalkommissar" tauchte dann soweit hier bekannt erstmals im Jahr 1820 auf.

Und wie sah es in Baden-Württemberg aus?

Damit war Berlin in früheren Zeiten dem innovativen Südwesten noch voraus. Wie sah es aber hier im heutigen Baden-Württemberg aus? Wer hatte hier die Nase vorn, Baden oder Württemberg? Im Verwaltungsbericht der Stadt Stuttgart aus dem Jahre 1876 wurde unter der Ziffer „XII Stadtpolizeiamt" erstmals in der Geschichte der Stuttgarter Polizei der Begriff „Kriminalpolizei" eingeführt. Auch die Württemberger haben demnach frühzeitig die Zeichen der Zeit erkannt und den Grundstein für die heute nicht mehr wegzudenkende Kriminalpolizei gelegt.2)









II. Wie entstand die Kriminalpolizei Baden?



Die Gründung der Kriminalpolizei Baden vor 125 Jahren fiel in eine Zeit tief greifender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen. Zuneh-
mende Urbanisierung ließ die Einwohnerzahlen in den Städten Mannheim, Karlsruhe und Heidelberg innerhalb weniger Jahrzehnte rapide ansteigen. Die neue Zeit sorgte für Wohlstand und Reichtum, aber sie machte viele Menschen gleichzeitig zu Verlierern und zu Außenseitern. Soziale Probleme wurden sichtbar, gesellschaftliche Konflikte verschärften sich. Dies war und ist ein idealer Nährboden für die Entstehung von Kriminalität. Vagabunden, Bettler, Prostituierte, Gauner und das aufkeimende Berufsverbrechertum beeinflussten mehr und mehr das soziale Leben in den Städten. Steigende Kriminalität und immer qualifiziertere Delikte führten dazu, dass die traditionellen Methoden des „Einheitspolizisten", des uniformierten Schutzmanns an der Ecke, nicht mehr ausreichten. Eine Antwort auf diese gestiegenen Sicherheitsrisiken war vor 125 Jahren die Gründung der Kriminalpolizei in Baden.

Hier zeigen sich deutliche Parallelen zu unserer heutigen Zeit: Auch wir leben in einer Zeit des rasanten Wandels. Und wie vor 125 Jahren birgt dieser Wandel auch Risiken für die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl vieler Menschen. Und wie vor 125 Jahren müssen auch wir heute Strategien und Taktiken entwickeln, um die Risiken und Probleme für die Innere Sicherheit kalkulierbar und beherrschbar zu halten. Damals wie heute müssen wir die Sorgen, Nöte und Ängste der Menschen ernst nehmen. Ich nenne nur einige Stichworte: Globalisierung, Öffnung der Grenzen, Migration, Veränderungen der Arbeitswelt, technischer Fortschritt und vieles andere mehr. Welche Gefahren drohen aus diesen Entwicklungen? Vor welche Herausforderungen wird die Kriminalpolizei von heute und morgen gestellt?

III. Damals wie heute hohe Anforderungen an die Kriminalpolizei

Ich möchte kurz skizzieren, unter welchen Rahmenbedingungen die Kriminalpolizei heute in Baden-Württemberg arbeitet.

Seit Jahren liegen wir, was die Kriminalitätsbelastung angeht, ganz vorne im Vergleich der Bundesländer. Nirgendwo sonst in Deutschland ist die Zahl der Straftaten pro einhunderttausend Einwohner so niedrig wie bei uns in Baden-Württemberg. Im Jahr 2003 wurden 5.685 Straftaten pro 100.000 Einwohner gezählt. Der Bundesdurchschnitt lag bei rund 8.000 Straftaten, also fast 30 Prozent höher. Und das ist seit etlichen Jahren so. Dieses erfreuliche Ergebnis ist zum einen auf gute gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen, wie die noch vergleichsweise gute wirtschaftliche Lage im Land, ein insgesamt gesundes Sozialwesen und eine eher wertkonservativ orientierte Bevölkerung zurückzuführen _ aber gewiss auch auf unsere richtige Sicherheitsphilosophie und ihre konsequente Umsetzung durch engagierte Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen vor Ort. Dieses vergleichsweise gute Sicherheitsniveau darf aber kein Ruhekissen sein und ist auch kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Wir behalten unsere Linie bei, das heißt, wir lassen die Dinge nicht ,treiben', sondern gehen gegen sich abzeichnende Fehlentwicklungen schon im Ansatz, also möglichst frühzeitig und entschlossen vor, mit niedriger Einschreitschwelle und unter Ausschöpfung aller uns zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten, sprichwörtlich, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Das gilt nicht nur für Ordnungsstörungen, sondern auch für die Verbrechensbekämpfung.

Wir steuern einen klaren, verlässlichen und berechenbaren Kurs in Sachen Sicherheit, anstatt jedem Zeitgeist hinterher zu laufen. Dabei erfordert die sich ändernde Sicherheitslage von der Polizei des Landes zugleich eine ständige Anpassung und Fortschreibung ihrer Konzepte und polizeitaktischen Schwerpunktsetzungen. Zur Bekämpfung der besonders sozialschädlichen Kriminalitätsformen wie der schweren Gewaltkriminalität, der Organisierten Krimina-
lität, der Wirtschafts-, Umwelt- und Jugendkriminalität und insbesondere der politisch motivierten Kriminalität brauchen wir eine hochspezialisierte und effiziente Kriminalpolizei heute mehr denn je. Gerade die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und des islamistischen Extremismus und Terrorismus machen klar, dass es heutzutage nicht mehr nur darum geht, einzelne Straftäter zu überführen, sondern da-rum, staatenübergreifende kriminelle Netzwerke mit hohem Bedrohungspotenzial aufzudecken und die im Vordergrund aktiven Kriminellen ebenso wie die Hintermänner zu entlarven. Daneben bleibt natürlich auch weiterhin der hochkriminelle Einzeltäter im Visier der Kriminalpolizei.

Nur wenn die Kriminalpolizei ständig „am Ball bleibt" und auf sich abzeichnende Entwicklungen angepasst reagiert, trägt sie den Sicherheitsbedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger Rechnung. Dies ist für die Polizei insgesamt und damit auch für die Kriminalpolizei des Landes Verpflichtung und eigener Anspruch zugleich.

Was macht den guten Kriminalisten aus?

Wie immer auch die Organisation einer Kriminalpolizei zugeschnitten sein mag, wie immer die Organisationskästchen gruppiert sind, ist letztlich oft nicht der entscheidende Punkt. Organisationen sind immer nur so gut wie die Menschen, die in ihnen arbeiten. Was ist es aber, was einen guten Kriminalisten auszeichnet?

Manche Externe mögen jetzt vielleicht an die Fernsehkriminalisten, wie Derrick, Columbo, Schimanski, Kommissar Stoever oder an den Alten denken. Die Arbeit im Krimi unterscheidet sich jedoch gravierend von der Realität. Im polizeilichen Alltag lassen sich Kapitalverbrechen nicht im Stundentakt lösen. Es kommt auch relativ selten eine „Adelheid mit ihren Mördern" zu Hilfe, die einem etwas dusseligen Mordermittlungsteam den Täter auf dem Präsentierteller frei Haus liefert.

Der typische Kriminalist ist auch nicht unbedingt an Schirmmütze, Pfeife und Lupe zu erkennen, wie der wohl berühmteste Detektiv Sherlock Holmes. Eher schon an der genialen Arbeitsmethode eines Sherlock Holmes, mit der Fähigkeit, aus den winzigsten Anhaltspunkten seine scharfsinnigen Schlüsse zu ziehen.

Persönliche Leistungsfähigkeit und fachliche Kompetenz zeichnen einen guten Kriminalisten aus, der sein Geschäft von der Pike auf gelernt hat und sein Handwerk bestens versteht. Zum Vollblut-Kriminalisten wird man nicht alleine mit brillantem fachtheoretischem Wissen. Detektivischer Spürsinn, Motivation und Engagement können nicht mit der Ausbildung „eingehaucht" werden.

Kreativität statt Bürokratie ist gefordert. Wir können vieles im kriminalistischen Vorgehen regeln, auch formalisieren. Das „I-Tüpfelchen", das in schwierigen Fällen zum Erfolg führt, lässt sich jedoch oft nur durch kreatives Denken finden. Der gute Kriminalist muss sich in die Gedankenwelt eines Täters hineinversetzen können, nur dann ist es ihm möglich, fundierte Tathypothesen aufzustellen, ohne an diesen zu kleben oder sich zu verrennen. All diese kriminalistischen Tugenden, die den erfolgreichen Kriminalisten damals wie heute auszeichnen, erfordern Akribie und analytisches Vorgehen, aber auch ein Gefühl für die richtigen Ermittlungsansätze, manche sagen auch eine Spürnase. Der Kriminalist muss intelligent, phantasiereich und flexibel sein, bei Ermittlungen Biss haben, ohne verbissen zu sein und die Bereitschaft mitbringen, auch zunächst aussichtslos erscheinenden Ansätzen und abwegigen Lösungen ebenso engagiert und zielstrebig nachzugehen. Bei all dem sind Kriminalisten keine besonderen Menschen, aber Menschen mit einem besonderen Beruf. Man wird zwar zur Kriminalbeamtin oder zum Kriminalbeamten ernannt. Erfolgreich kann aber nur sein, wer diesen Beruf als Berufung empfindet und ihn dementsprechend ausübt. Die Arbeit des Kriminalbeamten ist oft weit mehr als die Arbeit eines 8-Stunden-Tages - jeder, der in einer Sonderkommission mitgearbeitet hat, kann ein Lied davon singen. Die Aufklärung schwerer Verbrechen ist Dienst und Verpflichtung für Mensch und Gesellschaft. Daran hat sich über all die Jahre nichts geändert. Gerade hier ist die Kriminalpolizei nicht nur ihrer Tradition, sondern ihren eigenen Wertmaßstäben verpflichtet, denn wo Job-Denken Raum greift, haben Verbrecher letztlich leichtes Spiel.

Die Stunde der Kriminalisten schlägt immer dann, wenn uns Verbrechen die Illusion der friedlichen Gesellschaft rauben. Dies ist leider viel zu oft der Fall. Die Öffentlichkeit und die Medien sind bereit, die Kriminalisten wie Helden zu preisen, wenn es ihnen gelingt, ein abscheuliches Verbrechen aufzuklären und den Täter zu überführen. Umgekehrt kommt genau so schnell schonungslose Kritik auf, wenn die Kriminalisten bei der Aufklärung schwerer Verbrechen scheitern.

Zwischen diesen Extremen liegt der Alltag: Dass sich Polizeibeamte Tag für Tag und Nacht für Nacht mit der Masse der weniger spektakulären Straftaten auseinander setzen, wird als Selbstverständlichkeit noch nicht einmal registriert. Und auch deshalb ist es richtig und wichtig, dieses 125-jährige Jubiläum festlich zu begehen und die Arbeit der Kriminalpolizei als Teil der gesamten Polizei für die Sicherheit der Menschen gebührend zu würdigen.

Revolution in der Kriminaltechnik

Die Anforderungen an unsere Beamtinnen und Beamten waren und sind sehr hoch. Die Ausprägung der notwendigen spezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten hat sich in den letzten 125 Jahren naturgemäß geändert. Die Methoden und Möglichkeiten, die der modernen Kriminalpolizei heute zur Verfügung stehen, unterscheiden sich ganz wesentlich von jenen Instrumenten, die den Altmeistern der Kriminalistik früher zur Verfügung standen. Die technische Revolution hat das Bild der heutigen Kriminalpolizei mitgeprägt. Markantestes Beispiel ist die DNA-Analyse.

Wer hätte vor 20 Jahren ernsthaft gedacht, dass es in wenigen Jahren möglich sein könnte, aus minimalem, mit dem bloßen Auge nicht sichtbarem genetischen Material Straftäter zu überführen. Welch großer Stellenwert diesem Instrument inzwischen zukommt, zeigt sich täglich bei der Aufklärung vieler Straftaten bis hin zu spektakulären Mordfällen eindrucksvoll. Ausgehend von einer akribischen und professionellen Spurensicherung trägt die DNA-Technik zunehmend zu Ermittlungserfolgen bei. Auch in weiteren Bereichen hat die Technik die kriminalpolizeiliche Arbeit revolutioniert: GPS-Ortung von Täterfahrzeugen, Live-Scan von Fingerabdrücken oder die computergestützte Erstellung von Fahndungsbildern, um hier nur einige wenige Errungenschaften zu nennen, erleichtern und verändern die kriminalpolizeiliche Arbeit. Aber: All das technische Werkzeug ist immer nur Hilfsmittel. Es kann das kriminalistische Denken nicht ersetzen; logisches, analytisches Denken ist nicht weniger, sondern mehr denn je gefragt.

Wir müssen uns auf die aktuellen und zu erwartenden Phänomene und Entwicklungen der Kriminalität einstellen. Wir müssen die Chancen der modernen Methoden der Kriminalitätsbekämpfung nutzen. Deshalb müssen sich Kriminalbeamte auch in der Aus- und Fortbildung auf die ständigen Wandlungsprozesse einrichten. Spezialisierung tut Not, daran führt kein Weg vorbei. Wir brauchen Kriminalisten, die sich ständig weiter qualifizieren, die bereit sind, lebenslang zu lernen, um die richtige Antwort parat zu haben. Es gilt, das breit gefächerte Angebot an spezialisierter Fortbildung intensiv zu nutzen.

IV. Quo vadis Kriminalpolizei?

Aufgabenwahrnehmung in der Kriminalitätsbekämpfung

Die Bekämpfung der Kriminalität im Verbund mit vielen anderen Partnern ist eine gemeinsame Aufgabe der gesamten Polizei. Dies entspricht dem traditionellen Aufgabenverständnis der Polizei in Baden-Württemberg. Die Betonung liegt auf „Gemeinsamkeit". Wirksame Kriminalitätsbekämpfung kann nicht isoliert erfolgen. Sie basiert auf einem umfassenden oder wie es in den aktuellen strategischen Diskussionen immer wieder herausgestellt wird auf einem ganzheitlichen Ansatz. Dies gilt im Außenverhältnis hinsichtlich der Zusammenarbeit mit vielen anderen Behörden und Einrichtungen wie Staatsanwaltschaft, Jugend-, Ausländer-, Sozialbe-hörden, Vereinsregistern, Kommunen u.v.a.m. Und dies gilt erst recht im Binnenverhältnis der Polizei. Die Arbeit von Schutz- und Kriminalpolizei muss ineinander greifen. Dabei muss sich das arbeitsteilige Vorgehen an gemeinsamen Zielen ausrichten.

Die Generalisten (der Schutzpolizei) und die Spezialisten (der Kriminalpolizei) in der Kriminalitätsbekämpfung ergänzen sich, sind aufeinander angewiesen und profitieren bei der Wahrnehmung ihrer jeweiligen Aufgaben voneinander.

Die Kriminalpolizei konzentriert sich auf die Bekämpfung der schweren Kriminalität und solcher Fälle und Fallkomplexe, zu deren Bearbeitung umfangreiche oder spezielle Ermittlungen erforderlich sind. Sie nimmt Aufgaben wahr, die spezielle Fachkenntnisse, Erfahrungen und besonderes kriminalistisches Know how erfordern und für die sie besonders qualifiziert fortgebildet ist.

Kein Verzicht auf Spezialisierung aber mehr Flexibilität

Im Hinblick auf organisatorische Veränderungen der Kriminalpolizei oder auf Reformen der Aus- und Fortbildung war nie auch nicht im Ansatz daran gedacht, die notwendige Spezialisierung innerhalb der Kriminalpolizei aufzugeben. Dort, wo mit dem Abbau kleiner Fachdezernate auch auf das spezielle Fachwissen verzichtet wurde, ist etwas falsch gelaufen und missverstanden worden. Wir brauchen nach wie vor aktuell mehr denn je die spezialisierte Sachbearbeitung, aber nicht in jedem Fall eine eigenständige Organisationseinheit.

Schwerpunkte für die Aufgabenwahrnehmung der Kriminalpolizei

Die spezialisierte Bekämpfung bestimmter Kriminalitätsformen ist und bleibt Aufgabe der Kriminalpolizei, die spezialisiertes Personal aufbieten muss. Dem gerissenen und mit allen Wassern gewaschenen Kriminellen setzen wir den Ermittlungsprofi entgegen.

Zu den Aufgabenschwerpunkten nenne ich nur Stichworte:

Im Bereich der Kapitalverbrechen einschließlich der schweren Sexualdelikte sind die „Tugenden" der klassischen Königsdisziplin kriminalistischer Arbeit gefragt.

Bei der Jugendkriminalität, insbesondere bei den Gewaltdelikten, muss sich die Kriminalpolizei gezielt um die Intensivtäter und gewaltgeneigten Jugendgruppen kümmern.

Die Organisierte Kriminalität drängt sich bekanntermaßen den Ermittlungsbehörden nicht auf. Deshalb muss hier ein Schwerpunkt auf die systematische Informations- und Verdachtsgewinnung zur Aufhellung entsprechender Strukturen gelegt werden.

Auch die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität bleibt ein wichtiger Schwerpunkt kriminalpolizeilicher Arbeit. Die jährlichen Schadenssummen und die besondere Sozialschädlichkeit dieser Delikte verdeutlichen neben der Verdopplung der Fallzahlen seit Mitte der 90er Jahre die Dimension.

Mit dem höchst erfolgreichen Konzept der Finanzermittlungen und Vermögensabschöpfung war Baden-Württemberg bundesweit Beispiel gebend. Wird Straftätern ihr krimineller Profit und damit der Tatanreiz entzogen, haben sie auch keine Möglichkeit mehr, diese Mittel in weitere kriminelle Aktivitäten zu investieren.

Mit großer Dynamik entwickelt sich die Computerkriminalität. Die Polizei muss sich dieser Entwicklung stellen. Anonymität und weltweites, sekundenschnellers Agieren verschaffen neue Tatgelegenheiten und erschweren polizeiliche Ermittlungen. Täglich steht die polizeiliche Praxis vor dem Problem des sachgerechten Umgangs mit DV-Anlagen in Ermittlungsverfahren. Computerkriminalität wird immer mehr zur Alltagskriminalität. Die Sicherung und Auswertung von DV-Anlagen hat sich zu einem neuen Aufgabenfeld der Spurensuche, -sicherung und -auswertung entwickelt. Genauso, wie wir an Tatorten nach Finger-, Werkzeug-, Schuh-, Faser- oder Sekretspuren suchen, suchen wir heute bei Durchsuchungen oder bei Recherchen in Datennetzen nach „digitalen Spuren". Dieser Aufgabenbereich wird in den kommenden Jahren in der Polizei wohl am stärksten expandieren.

Die aktuell größte Herausforderung, mit der sich die Sicherheitsbehörden, auch die Kriminalpolizei, konfrontiert sehen, ist die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus. Wer hätte vor zehn Jahren daran gedacht, dass sich dieses Feld zu einer zentralen Daueraufgabe dieser Dimension für die Sicherheitsbehörden in Deutschland entwickeln würde. In unserer Bekämpfungsstrategie verfolgen wir vor allem zwei Ziele: Erstens geht es uns um den Schutz gefährdeter Objekte und zweitens um die laufende Informations- und Erkenntnisgewinnung über mögliche terroristische und extremistische, aber auch allgemeinkriminelle Strukturen. Hierzu führen wir mit hoher Intensität vorrangig verdeckte Maßnahmen zur Informations- und Erkenntnisgewinnung durch. Wir müssen alles unternehmen, um mögliche Ziele, Strukturen sowie die Logistik islamistischer Terroristen bereits im Vorfeld von Anschlägen aufzudecken.

Das ist deshalb so wichtig, weil wir nicht alles schützen können und weil die Terroristen so genannte „weiche Ziele" des täglichen Lebens ins Visier genommen haben. Unser Ziel ist es deshalb, der Tatausführung zuvor zu kommen. Dazu müssen wir wissen, was die Terroristen vorhaben.

Gerade hier ist die Kriminalpolizei mit ihren Kompetenzen bei der Durchführung komplexer Ermittlungen, insbesondere der Durchführung von verdeckten Maßnahmen, gefordert. Es bleibt zu hoffen, dass es uns mit dieser Strategie gelingen wird, schwerste Gefahren von der Bevölkerung abzuwehren und gravierende Straftaten zu verhindern. In mehreren Fällen ist dieser Ansatz in Deutschland bereits erfolgreich gewesen. Denken wir an den verhinderten Anschlag auf den Weihnachtsmarkt Straßburg oder die rechtzeitige Festnahme von Angehörigen der terroristischen Gruppierung „Al Tawhid", die einen Anschlag auf eine jüdische Synagoge geplant hatte. Zugleich dient diese systematische und gezielte Erkenntnisgewinnung dazu, Voraussetzungen für ausländerrechtliche, insbesondere aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu schaffen, Einbürgerungen von Extremisten zu verhindern und entsprechende Vereine zu verbieten.

V. Fazit

Die Kriminalpolizei - nicht nur in Baden - hat in den vergangenen 125 Jahren ihre hohe Professionalität, ihr Engagement und ihre ausgeprägte Fachkompetenz bis heute immer wieder ein-

drucksvoll unter Beweis gestellt. Die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass sie sich auf die uneingeschränkte Einsatzbereitschaft und den Sachverstand ihrer Kriminalpolizei verlassen können und sind dankbar dafür. Das hohe und wohlverdiente Ansehen ist ein Ergebnis beharrlicher, tatkräftiger, engagierter und erfolgreicher Arbeit im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. All dies stellt sich nicht von alleine ein. Deshalb gilt es, auch weiterhin am Ball zu bleiben, um den aktuellen und künftigen Herausforderungen gerecht zu werden. Genau so wichtig ist es, die Begeisterungsfähigkeit und den Teamgeist zu erhalten, der sich über viele Jahrzehnte entwickelt hat und der die Kriminalpolizei auszeichnet. Dann kann die Kriminalpolizei nicht nur stolz auf ihre Geschichte zurück schauen, sondern als Teil der gesamten Polizei zugleich in eine erfolgreiche Zukunft blicken.

Fußnoten:

1) mit bestem Dank an Herrn Kriminalrat Andreas Stenger für die Vor- und Aufbereitung

2) vgl. in diesem Zusammenhang die Abhandlung von Manfred Teufel: Das (Kgl.) Württembergische Landespolizeiamt 1914 - 1923 _ Entwicklungslinien der polizeilichen Verbrechensbekämpfung in Württemberg _ in: DIE KRIMINALPOLIZEI, Heft 3/2004, S. 87 ff.




Zum Schmunzeln

Öffentliche Sicherheit durch Herrgott gefährdet
- Dienstunfall anerkannt -


Den „Herrgottsrichter" nannten ihn die Leute in den Dörfern seines Dienstbezirks, weil er sich um die öffentliche Kreuze kümmerte, die irgendwo in der Landschaft standen. Damals gab es noch viel mehr Kreuze in der Flur, an Wegkreuzungen, an Waldrändern und an anderen Orten, an denen erinnert werden sollte. Sie erinnerten an Todesfälle und Verbrechen, an erfüllte Fürbitten, Erlösung aus Not, an wundersame Hilfen aus Gefahr und Krankheit. Der Hergottsrichter ging oder fuhr mit dem Rad gelegentlich an den Kreuzen vorbei und sah sie sich an. Nicht dass er ein besonders frommer Mann gewesen wäre, der die Kreuze notwendig hatte, um beten zu können. Er blieb bei ihnen auch nicht lange stehen, wie alle zu berichten wussten, nicht einmal für die Dauer eines Ave. Er sprach niemals über seine Kreuzgänge, und niemand fragte ihn, und niemand verspottete ihn. Der landerfahrene Gendarm wollte nur, dass die Kruzifixe richtig und fest hingen. Sie sollten in Ordnung sein.

So, wie er dies jetzt sah, konnte der schwere Corpus nicht hängen bleiben: Der Nagelkopf in der linken Hand war abgerostet, der Arm hatte sich vom Kreuzbalken gelöst und das ganze Holzwerk neigte sich nach vorn dem Beschauer entgegen. Die Füße standen zwar noch auf dem Standklotz, aber er konnte nicht erkennen, ob der sicherlich auch angerostete rechte Handnagel allein die querziehende, zentnerschwere Last tragen könnte. Er musste die rechte Hand auf den Nagelstumpf lupfen und dann zusehen, dass der nächste Schmied den Arm sicherte. Er umfing den schweren, feldstaubigen Holzkörper, hob ihn ein wenig an, drehte ihn leicht, nach hinten, oben. Nachher wird er noch beim Dodle reinschauen, dachte er schwer atmend. Das Dodle wohnt vor den Feldern, im letzten Haus. Wenn die alte Frau sich unter dem Dach mit ihren zu kurz gewordenen Altfrauenbeinen auf einen Hocker stellt und eine Dachpfanne anhebt, kann sie weit hinaus auf die Felder sehen. Es reicht, dass sie einen Mönch hebt um das Kreuz zu sehen. Früher schob sie mit dem Hackenstiel Mönch und Nonne mit hoch, und sie konnte das ganze Unterfeld überblicken. Dazu ist sie jetzt zu schwach, hatte sie ihm erzählt. Das alte Weible wird sich freuen, wenn es hört, dass beim Kreuz alles in Ordnung ist und der Herrgott ordentlich hängt.
Das war's dann.

Als er wieder zu sich kam, lag er unter der schweren, kalten Brust des handgeschnitzten Herrgotts, der wie immer menschenfreundlich leidend beide Arme weit ausbreitete. Er fühlte sich etwas fremd dort und brauchte einige Minuten, bis er sich erinnerte, bis er sich orientiert hatte. Der letzte Augenblick, an den er richtig denken konnte, war …ja, ja, das war als er gerade dezent, wie er meinte, geflucht hatte. Der Fluch war ihm entschlüpft, als er merkte, er werde den Herrgott nicht halten können, als der Herrgott ihn drückte und fiel und fiel und ihn genau treffen würde. In diesem Augenblick, so erinnerte er sich, hatte er noch gedacht „Heute ist Fön", denn die Alpen waren von Süden nach Norden nahe gerückt. Sie standen deutlich sichtbar wie ein gezackter Zierrand ganz weit weg über den Feldern. Er konnte noch die weiß gepuderten Bergspitzen erkennen und denken: „Heuer gibt's einen frühen Winter" und er konnte auch noch am fallenden Corpus vorbei erschrocken rufen: „Zifix no amol" - und dann hatte ihn wohl die unbewachte rechte Holzhand des Herrgotts voll an der Stirn erwischt. Oder der Herrgott hatte ihm einen Kopfstoß verpasst? Er ging zu Boden. Die kleinen Sünden straft der Herr sofort, die großen etwas später. Damit war aber wohl der jähe, kleine Fluch, mehr ein Unmutslaut, abgebüßt. Da der Schlag kein leichter war, musste er jetzt noch vielleicht etwas gut haben. Der junge Pfarrer, dem er die Geschichte berichten würde, mochte kirchenoffiziell keine Flüche leiden. Einmal im Jahr wetterte er gegen den Missbrauch heiliger Namen im unbeherrschten, zornigen Fluch. Wer in der Nähe der Kanzel saß, wer genau hinhörte, wer ihm während der Donnerworte in die Augenwinkel sehen konnte, wo seit seiner Studienzeit ein paar lustige Nachtfalten nisteten, der mochte freilich seine Zweifel haben. Rutschte dem in seiner Freizeit heimwerkenden und gartelnden Pfarrer nicht auch gelegentlich ein himmelstürmend derbes Wort heraus? Kam ihm nicht doch mal ein geschimpfter unheiliger Notschrei aus, wenn der Hammer den Finger statt des Nagels getroffen hatte.

Der Gendarm drückte sich mühsam unter dem Herrgottskörper heraus. Er schlug den Lößstaub des trockenen Feldweges aus seiner Uniform, hob den schweren Korpus und lehnte ihn gegen den Kreuzstamm, so dass der Herrgott nicht im Schmutz liegen musste. Dann sagte er nach innen: „Gottseidank, des ischt guet ganget", schulterte seinen Karabiner und marschierte langsam auf die nächsten Häuser zu. Auf der alten Adler mit den zerhackten Großbuchstaben hämmerte er seinen Dienstunfallbericht, nachdem ihn der Doktor wegen einer contussio cerebralis ins Bett geschickt hatte. Es wurde als Dienstunfall anerkannt, dass der gefahrdrohende Herrgott ihn bei der polizeirechtlich notwendigen Gefahrenbeseitigung niedergeschlagen und verletzt hatte.

Bis zu seinem Lebensende - der Herrgottsrichter starb mit achtzig - erzählte er in bierseliger Männerlaune diese Geschichte in unterschiedlicher Buntheit noch oft. Das Kreuz war schon längst unter den unachtsamen Kindeskindern verschwunden. Die Zuhörer lachten bei der Geschichte immer wieder und dann und wann meinte einer, er sei ein wichtiger Zeitzeuge.

Dr. Herbert Schäfer

Bremen

Aus vergilbten Blättern:

„Die öffentliche Sicherheit in Berlin ist so vollkommen, als man es in einer so großen volkreichen Stadt kaum vermuten sollte. Es gehen viele Jahre vorbei, ehe man von einem Straßenraube höret, und fast niemals bleibt der Täter unentdeckt. Von Diebesbanden hört man selten, von Morden auf den Straßen gar nicht, von gewaltsamen Einbrüchen und anderen beträchtlichen Diebstählen vergleichsweise gegen andere Städte nicht viel. Man kann auf den Straßen die ganze Nacht hindurch ebenso sicher gehen, als bei Tage."

(Christoph) Friedrich Nicolai, 18.3.1733 - 8.1.1811