Schusswaffengebrauch unter strafverfolgender Zielsetzung (Teil 2)
Von Prof. Michael Knape, Berlin1
3 Schusswaffengebrauch nach Strafprozessrecht
Die StPO enthält zwar eine Vielzahl von Eingriffsbefugnissen für die Durchführung notwendiger strafprozessualer Ermittlungshandlungen, regelt jedoch nicht, wie diese Maßnahmen – z.B. die Identitätsfeststellung, vorläufige Festnahme, Durchsuchung, Sicherstellung und dergleichen – durchgesetzt werden können. Es fehlt ganz einfach ein Normkonstrukt, das die Vollstreckung bzw. Durchsetzung – ähnlich dem VwVG, das den Zeitpunkt regelt, ab wann ein Grund-Verwaltungsakt vollzogen werden darf,2 und dem UZwG, das die Art und Weise der Anwendung unmittelbaren Zwanges regelt – prozessualer Handlungen zum Gegenstand hat. Am fehlenden Zwangsrecht ändern auch jene Vorschriften nichts, die Maßregeln als Beugemittel vorsehen, wenn es z.B. gilt, prozesswidriges Verhalten von Zeugen oder Sachverständigen durch Ordnungsmittel i.S.d. §§ 51, 70 und 77 StPO zu ahnden. Zu den sog. Ungehorsamsfolgen zählen z.B. die Kostenauferlegung bei unentschuldigtem Ausbleiben bzw. Nichterscheinen trotz ordnungsgemäßer Ladung, die Festsetzung wiederholten Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses bei Zeugen nicht beigetrieben werden kann oder zur Erzwingung des Zeugnisses, die Anordnung bzw. Festsetzung von Ordnungshaft oder dessen zwangsweise Vorführung3 gem. § 135 StPO. Wegen des Fehlens vollstreckungsrechtlicher Mittel zur Erzwingung der angeordneten prozessualen Grund-Maßnahme finden sich folglich auch keine Bestimmungen über den Schusswaffengebrauch in der StPO. In der Lehre spricht man diesbezüglich von einem zweiaktigen Verfahren, das die Anordnung der strafprozessualen Maßnahme und zugleich deren Erzwingung durch unmittelbaren Zwang – im äußersten Fall durch Schusswaffengebrauch – beinhaltet.4 Diese Lücken wurden von der früher noch herrschenden Auffassung mit der sog. Ergänzungsfunktion des Polizeirechts für das Strafprozessrecht geschlossen.5 Begründet wurde diese Auffassung in den 1970-er Jahren wie folgt: „Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gehört die Materie des Strafverfolgungsrechts zur konkurrierenden Gesetzgebung, und zwar einschließlich des staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Ermittlungsverfahrens.“6 Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung aber nur, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht (Art. 72 Abs. 1 GG). Auszugehen ist davon, dass der Bundesgesetzgeber das Strafprozessrecht bundesrechtlich (§ 6 EGStPO) geregelt hat, soweit es das gerichtliche und staatsanwaltschaftliche Verfahren angeht.7 Zweifelhaft ist dagegen, ob dies auch für den polizeilichen Bereich zutrifft. Die wohl herrschende Meinung billigt hier dem Landesgesetzgeber die Regelungsbefugnis für bestimmte verfahrenstechnische Maßnahmen von untergeordneter Bedeutung zu, hauptsächlich gilt dies für die Identitätsfeststellung,8 die Sistierung, die zwangsweise Vorführung zu Vernehmungen sowie für die Befugnis zur Anwendung unmittelbaren Zwanges.9 Begründet wird dies meist mit dem Hinweis, dass der Gesetzgeber diese Befugnisse als zur normalen polizeilichen Aufgabe gehörig angesehen und deshalb auf eine spezielle Regelung in der Strafprozessordnung verzichtet habe.10 Nach dieser herrschender Meinung ist es dem Berliner Landesgesetzgeber also durchaus möglich, das UZwG Bln in vollem Umfang in Kraft zusetzen.“11 Die dargelegte Auffassung war nach hier vertretener Meinung schon damals unter rechtssystematischen Gesichtspunkten bedenklich. Denn Schwierigkeiten ergeben sich damals wie heute aus § 6 Abs. 1 EGStPO. Nach dieser Vorschrift sind alle prozessrechtlichen Vorschriften des Landesrechts außer Kraft gesetzt, soweit die StPO nicht ausdrücklich durch Verweisung ihre Gültigkeit bestätigt. Die nach § 6 Abs. 2 EGStPO unberührt gebliebenen Vorschriften sind hier nicht einschlägig. Alle bisherigen Versuche,12 durch restriktive Auslegung/Interpretation des Begriffs prozessrechtlicher Vorschriften in § 6 EGStPO diese Sperre in der an sich zulässigen konkurrierenden Gesetzgebung zu überwinden, sind jedoch nicht überzeugend; sie scheitern am klaren und eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift.13 Eine subsidiäre Anwendung des Landespolizeirechts auf dem Gebiet der repressiven Strafverfolgung ist nach heute herrschender Meinung nicht möglich.
3.1 „Archaische Lösung“
Wie bereits festgestellt, enthält die StPO keinerlei Vorschriften über die Berechtigung zur Anwendung unmittelbaren Zwanges mit dem Ziel, einen von diesem Gesetz zugelassenen Rechtseingriff zu vollziehen.14 Zudem sind die Polizeigesetze der Länder weder direkt noch entsprechend anwendbar. Die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden (StA und Polizei) zu Eingriffen in die persönliche Freiheit des Staatsbürgers sind in der StPO geregelt. Zwangsmaßnahmen gegen Personen (Beschlagnahmen, Durchsuchungen, vorläufige Festnahmen) aus eigener Machtbefugnis dürfen sie nur unter ganz bestimmten, eng begrenzten Voraussetzungen ergreifen (§§ 98, 105, 127 StPO). Es liegt nahe, diese Regelungen als erschöpfend und ausschließlich anzusehen und die Anwendung von Landesrecht in diesem Bereich auszuschließen. Das gilt nicht nur, weil die StPO das Verfahren bei der Verfolgung von Straftaten als Sondergebiet regelt und weil eine Doppelermächtigung der Polizei zu Zwangseingriffen derselben Art überflüssig und wegen der Gefahr von Überschneidungen und Unklarheiten – abgesehen von der Regelung in den Art. 72 und 74 Abs. 1 Nr. 1 GG – untunlich, ja sogar verfassungsrechtlich unzulässig wäre.15 Nach heute herrschender Meinung ergibt sich das Recht zur Zwangsanwendung daher unmittelbar aus den Normen der StPO selbst.16 Diese Auffassung leitet sich aus Sinn und Zweck ihrer Vorschriften ab; die teleologische Auslegung hilft hier entscheidend weiter. Insoweit soll sich die Zulässigkeit aus dem Sinn und Zweck unter gleichzeitiger Bindung an den Wortsinn der zum Eingriff ermächtigenden Norm, also aus der durchzusetzenden Anordnung bzw. Maßnahme selbst, ergeben, z.B. bei der körperlichen Untersuchung/Blutentnahme aus § 81a Abs. 1 Satz 2 StPO, bei der erkennungsdienstlichen Behandlung aus § 81b StPO, bei vorläufiger Festnahme aus § 127 StPO, bei der Verhaftung aus §§ 112 ff. StPO, bei der Durchsuchung aus §§ 102 f. StPO, bei der Vorführung aus der Vielzahl von Vorführungsbefehlen, die aufgrund unterschiedlicher Normen der StPO gegen Beschuldigte, Angeklagte oder Verurteilte erlassen werden können (z.B. §§ 133 Abs. 2; 134, 135, 163a Abs. 3, 230 Abs. 2, 236, 329 Abs. 4 oder 457 Abs. 2 StPO).17
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